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Praxis: Die Wachstafel – das Notizbuch der Römer

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Eine doppelseitiges römisches Wachstafelbuch

Was tat der Römer, wenn er sich etwas notieren wollte?

Papyrus, das teure Material aus aufwendig aufbereiteten und gefärbten Pflanzenfasern, konnte sich nur eine Minderheit leisten und es war viel zu wertvoll, um es für schlichte Notizen, kurz aufgeschriebene Gedanken, ein Gedicht, eine Nachricht an die Familienmitglieder oder eine Einkaufsliste zu verwenden. Zudem war Papyrus ein Einweg-Material, was seinen Wert noch steigerte.

Vielseitig verwendbar, alltagstauglich, preisgünstig und – vor allem – auch ideal für unterwegs war die Wachstafel, die es in den unterschiedlichsten Ausführungen gab. Wegen ihrer praktischen Handhabung war sie bis weit in das Mittelalter und zum Teil sogar noch bis in das 20. Jahrhundert im Einsatz, in der römischen Antike war sie DAS Allround-Notizbuch für alle Zwecke.

Viele von ihnen sind – inklusiver ihrer Botschaften – erhalten geblieben und stellen wertvolle archäologische Zeugnisse dar, die Einblick in den römischen Alltag gewähren.

Heutzutage gibt es hervorragende Repliken römischer Wachstafeln in vielfältigen Ausführungen. Natürlich kann man heute auch einfach ein Post-It oder einen Notizblock nehmen, oder seine Notizen als Memo in das Smartphone tippen, jedoch macht es Spaß und ist viel stimmiger, eine römische Wachstafel in entsprechendem Kontext zu benutzen.

Zum Beispiel weiß ein römischer Reenactor, der sich kurz die Adresse eines Menschen notieren möchte, den er eben auf einer Veranstaltung kennengelernt hat, oder der sich ein paar Notizen machen möchte, ein kleines aufklappbares römisches Wachstafelbuch zu schätzen, weil es zu seinem Setting und der dargestellten Epoche besser paßt als ein Smartphone, das zu einer Tunika ungefähr so toll aussieht wie eine Zigarette.

Aber auch der Cultor kann die römische Wachstafel gut in der religiösen Praxis der Sacra Privata nutzen, denn wie schon in der Antike üblich, läßt sie sich sehr gut in rituelle Handlungen einbinden.

Ausführungen, Herstellung und Material

Ideal für unterwegs!

Ideal für unterwegs!

Wachstafeln (Latein: tabulae ceratae) waren im alten Rom ein Alltagsgegenstand, den nahezu jeder (der schreiben konnte oder sich zumindest im Geschäftsleben anderweitige Notizen machte) in seinem Besitz hatte. Sie waren transportabel und wurden, dank ihres Hauptverwendungszwecks als Notizbuch, auch überall mitgeführt.

Es gab sie in unterschiedlichen Ausführungen, meist in der transportablen Taschenformat-Größe, die etwa dem heutigen Format DinA6 entspricht. Dabei befand sich eine Wachsschicht in einem Holzrahmen aus meist einheimischen Hölzern wie Buche oder Nadelhölzern. Seltener wurde ein edleres Material wie Gold oder Elfenbein verwendet.

Die einfachste Variante war ein Rahmen, der mit Wachs gefüllt war. Häufig wurden die Tafeln mit einem Lederband oder einer anderen Schanierart aber auch zu mehrseitigen Büchern zusammengebunden.

Mindestens zwei Seiten waren die übliche Variante („Diptychon“), da durch das Zusammenklappen des Buches der empfindliche Wachs geschützt wurde, wenn die beiden Tafeln als Buch mit der Wachsseite zueinander gebunden wurden. Außerdem gab es häufig eine Kerbe für die rutschfeste Verschnürung mit einem Lederband und die Möglichkeit, den Stilus, der zum Ritzen des Wachses genutzt wurde, zu befestigen.

Eine Kerbe an der Seite sorgt dafür, daß der Verschluß mit dem Lederband nicht verrutscht

Eine Kerbe an der Seite sorgt dafür, daß der Verschluß mit dem Lederband nicht verrutscht

Es bestand auch die Möglichkeit, noch mehr Tafeln zusammenzubinden (3 Tafeln wurden Triptychon genannt, mehr Tafeln Polyptychon). Riesige, aber eher seltene Exemplare, die stationär zum Einsatz kamen, waren bis zu Din A3 groß und bis zu 2o Seiten schwer.

Die handlichen Wachstafeln konnten auch verschnürt und dann versiegelt werden, wodurch man sie als Brief verschicken konnte.

Das Wachs bestand üblicherweise aus einer Mischung aus Bienenwachs, Kiefernharz und Ruß, wobei Ruß, Asche, Kohle oder Kiefernpech zur Schwarzfärbung des Wachses diente. Leinöl, Teer oder Terpentin dienten dazu, die Fließeigenschaften des Wachses zu beeinflussen, damit er im Sommer nicht schmolz.

Zur Ritzung des Wachses wurden Stifte verwendet, die Stilus genannt wurden. Sie bestanden aus Holz, Knochen oder Metall (bei vielen römischen Funden bestanden sie aus Eisen, oft mit Einlegearbeiten) und hatten eine spitze Seite zum Ritzen und eine flache  Seite, die als Spatel diente, um das Wachs später wieder zu glätten und somit die Nachricht zu „löschen“.

Die Einsatzgebiete dieser Büchlein waren vielfältig; neben der Funktion als privates Notizbuch kamen sie auch in geschäftlichen und militärischen Bereichen zum Einsatz. Funde belegen ihre Verwendung als Lieferscheine, Rechnungen, Schulaufgaben und Unterrichtsmaterialien, Briefe, militärische Nachrichten und Meldungen, sogar für die Versendung vertraulicher Dokumente.

Die Tafeln waren relativ einfach herzustellen, so daß einfache Exemplare auf dem Land bei Bedarf selbst hergestellt wurden. Es gab allerdings auch den Beruf des Wachstafelmachers, der auf die Herstellung dieser Büchlein spezialisiert war und der Zunft der Zimmerleute angeschlossen war. Er produzierte vor allem in den Städten die Tafeln für die zahlende Kundschaft, die sich nicht selbst die Mühe machen wollte oder die Zeit dazu hatte, ihre Notizbücher herzustellen.

Wer die Herstellung von römischen Wachstafeln einmal selbst sehen möchte oder sogar selbst Hand anlegen möchte, wird auf vielen Römerfesten fündig, bei denen Wachstafelmacher (wie z.B. Quintus Vetitius Verus) ihre Handwerkskunst vorführen.

Verwendung

Die spitze Seite des Stilus dient zum Ritzen der Buchstaben

Die spitze Seite des Stilus dient zum Ritzen der Buchstaben

Die Verwendung ist denkbar einfach.

Mit der spitzen Seite des Stilus werden die Botschaften in die Wachsschicht gekratzt. Mit der Tiefe muß man ein wenig experimentieren; kratzt man zu tief, löst man den Wachs heraus und es kommt zu häßlichen Krümmeln und Materialverlust, im schlimmsten Fall bricht man einen Teil des Wachses heraus.

Viele verwenden heute zum Beschreiben der Tafeln statt „moderner“ Buchstaben die römische Handschrift, genannt die römische Kursive (bekannt als Majuskelkursive oder Capitalis Cursiva) die besonders gut für das schnelle Schreiben auf Wachstafeln oder auf Papyrus geeignet ist, da man mit ihr die Striche eines Buchstabens nur „zieht“, aber nicht „schiebt“, was auf einer Wachstafel keinen Sinn macht. Überlieferungen der Handschrift sind zahlreich, man fand sie auf erhaltenen Wachstafeln, Papyrusstücken und sogar in Graffiti an Gebäuden wie z.B. in Pompeji, wo einerseits Händler ihre Namen und Preise an die Wände schrieben, andererseits aber sogar so profane Aufzeichnungen wie Toilettensprüche erhalten geblieben sind, die in der Kursive aufgeschrieben wurden.

Mustervorlagen für die römische Kursive sind zahlreich im Netz zu finden. Viele Wachstafeln bringen, wenn man sie kauft, auch eine Vorlage mit Groß- und Kleinbuchstaben in römischer Handschrift mit, wie z.B. die Tafeln, die als Repliken von Forum Traiani hergestellt werden.

Mit der stumpfen Seite wird der Wachs wieder glattgestrichen

Mit der stumpfen Seite wird der Wachs wieder glattgestrichen

Hat sich die Notiz erledigt und braucht man Platz für neue Notizen, wird die beschriebene Fläche mit der flachen Seite des Stilus wieder glattgerieben (Tabula rasa). Auch hier muß man etwas Fingerspitzengefühl entwickeln, wieviel Druck nötig ist, um die Buchstaben zu entfernen und die Oberfläche zu glätten.

Ist der Wachs irgendwann unansehnlich geworden und sind die Spuren nicht mehr durch den Spatel allein zu beseitigen, genügt es, die Wachsseite der Tafel für einen kurzen Moment über eine Kerzenflamme zu halten, bis eine leichte Verflüssigung eintritt (jedoch nicht, bis es heruntertropft und wegschmilzt!). Ist der Wachs leicht angeschmolzen, kann er problemlos mit dem Spachtel glattgestrichen werden.

Am Anfang sollte man nicht verzweifeln, wenn das Schreiben schwierig ist und der Wachs unansehnlich. Eine Wachstafel muß „eingeschrieben“ werden (vergleichbar mit Ton oder einem Kuchenteig, der geschmeidiger wird, je länger man ihn formt und knetet). So dauert eine Weile, bis der Wachs geschmeidig ist und sich leicht beschreiben und wieder leeren läßt.

Verwendung im Cultus

Auch heute noch sind römische Wachstafeln vielfältig zu nutzen. Wie in der Einleitung erwähnt, passen sie erst einmal sehr gut zum römischen Setting und sind ansprechend in ihrer Haptik und für das Auge.

Insbesondere im Cultus Deorum kommt ihnen eine besondere Bedeutung zu. Da es in der Religio Romana, der römischen Religion, üblich ist, getreu dem Motto „do ut des“ (ich gebe, damit Du gibst) geschäftliche Beziehungen mit den Göttern einzugehen, wurden und werden sie bis heute zur Niederschrift eines solchen Abkommens oder Gelübdes verwendet.

Die Wachstafel mit dem schriftlichen Gelübde auf dem Altar

Die Wachstafel mit dem schriftlichen Gelübde auf dem Altar

Tritt man mit einem Anliegen an einen Gott heran und stellt ihm für den Fall der Erfüllung des Wunsches eine bestimmte Gabe oder ein Opfer in Aussicht, so war und ist es gemäß römischer Praxis durchaus üblich, diese Vereinbarung auf einer Wachstafel niederzuschreiben.

Anschließend wird die beschriebene Tafel auf den Hausaltar (in römischer Zeit auch in den Tempel der betreffenden Gottheit) gestellt und verbleibt dort so lange, bis das Anliegen erhört wird und man das geleistete Gelübde erfüllt hat – oder, im Falle der Nichterfüllung, bis der vereinbarte Zeitpunkt verstrichen ist.

Wurde das Gelübde von beiden Seiten erfüllt oder ist der Zeitpunkt der Erfüllung ohne Einlösung verstrichen, wird die Tafel vom Altar entfernt und der darin eingeritzte Text mit der flachen Seite des Stilus gelöscht.

Damit ist auch äußerlich ein Zeichen gesetzt, daß der Handel abgeschlossen ist oder daß die Vereinbarung nicht länger gilt. Anschließend wird das Büchlein wieder verstaut, bis zu seinem nächsten Einsatz.


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