Eine Übersicht über einige römische Gruppen, Vereine und Einzeldarsteller, findet Ihr auf unserer Seite. Alle freuen sich über Anfragen und lassen sich auch gerne buchen!
„Living History“ – was ist das?

Die Gladiatoren der Gladiatorenschule Trier e.V. rekonstruieren mit experimentalarchäologischen Methoden die Gladiatur um 80 n.Chr.
Der Begriff „Living History“ ist englisch und bedeutet so viel wie „Gelebte Geschichte„.
Dabei handelt es sich um eine Oberbezeichnung, unter der im deutschen Sprachraum das Reenactment, aber auch die experimentelle Archäologie oder die Archäotechnik zusammengefaßt werden – also alles, was heutzutage betrieben wird, um Geschichte oder das Leben in einer historischen Epoche durch eigene Experimente, Ausprobieren und praktisches Nachvollziehen zu erforschen, darzustellen oder zu vermitteln. Die Übergänge sind hierbei fließend.
Kernelement der Living History ist der Anspruch, möglichst quellennah, authentisch und realistisch – mit Blick selbst für winzigste Details – das Leben, die Technik oder einzelne Aspekte einer bestimmten Epoche in praktisch angewendeter Weise nachzuvollziehen und damit auch Lehrmeinungen oder Hollywood-Klischees auf den Prüfstand zu stellen. Oft kommen gerade durch diese Experimente auch neue Impulse und Erkenntnisse für die akademische Geschichtswissenschaft, wenn römische Legionen einen Marsch über die Alpen nachstellen oder die Gladiatoren in Original-Ausrüstung in einer Arena beweisen, wie tatsächlich gekämpft wurde – und wie es nur auf dem Papier funktioniert. Diese Gruppen, die oft aus Laien bestehen, aber zum Teil auch Archäologen und Historiker in ihren Reihen haben, sind – als quasi ehrenamtliche Helfer – deshalb für Historiker und Archäologen an den Universitäten eine wertvolle Unterstützung.
Streng zu trennen ist die Living History von Live-Rollenspielen (LARP) oder der oft von modernen romantischen Vorstellungen, Gothic- und Fantasy-Komponenten durchsetzten Mittelalterszene, die zum Histotainment gerechnet werden und eher der Unterhaltung und dem Spaß als der Geschichtsforschung dienen (natürlich gibt es aber auch Reenactment-Gruppen, die historisch akkurat das Alltagsleben, Militärwesen oder Schlachten mittelalterlicher Epochen nachstellen, nur sind diese auf den gängigen Mainstream-„Mittelalter-Spectaculum“-Veranstaltungen in der Minderheit oder gar nicht anzutreffen).
Reenactment
Unter „Reenactment“ versteht man alles, was der Nachstellung des historischen Lebens einer bestimmten Epoche dient. Das reicht von alten Handwerkstechniken (Spinnen, Färben, Brettchenweben) über das Ausüben und Darstellen alter Berufe wie der Fischerei, Schmieden, Jagdtechniken, Bogenschießen, Schuhmacher über Alltagsleben (Bräuche, Hochzeiten, Religionsausübung, Familienleben oder Sklavenalltag) bis hin zum Militär, bei dem ganze Militärhierarchien und Befehlsstrukturen oder einzelne, spezifische Schlachten nachgestellt werden. Gerne werden auch Auxiliareinheiten dargestellt, die aus angeworbenen Hilfskräften oder Söldnern aus den römischen Provinzen bestanden, wie Germanen, berittenen Galliern oder syrischen Bogenschützen. Ebenfalls mit großem Eifer wird in der römischen Szene auch die Gladiatur praktiziert.
In der römischen Szene finden sich oft komplette Militäreinheiten, die über Miles (Fußsoldaten), Signifer (Fahnenträger), Cornifer (Hornbläser) und Optio und Centurio als Führungsoffiziere verfügen und in authentischer Ausrüstung Kampf, Drill, Märsche, Bau- und Vermessungstechniken und das Leben im Feldlager nachvollziehen. Für andere Epochen sind dies zum Beispiel napoleonische Gruppen, Landsknechte oder Preußische Regimenter. In den USA sehr beliebt, in Deutschland weniger verbreitet, ist die Darstellung des Amerikanischen Bürgerkriegs oder des 2. Weltkriegs.
Da wir uns in der „römischen Szene“ aufhalten, können wir an dieser Stelle nur für das römische Reenactment sprechen; ob ernsthafte mittelalterliche oder neuzeitliche Reenactoren das Ganze ähnlich handhaben, können wir nicht beurteilen. Deshalb geben wir an dieser Stelle nur eine kurze Übersicht über das römische Reenactment.
Römische Gruppen oder auch Einzeldarsteller, die sich einem bestimmten Thema verschrieben haben (zum Beispiel der Medizin oder dem Badewesen in der Antike, oder die einen bestimmten Charakter darstellen, wie einen griechischen Haussklaven oder den Lanista, den Leiter einer Gladiatorenschule), „spielen“ dabei nicht nur ihre historischen Charaktere. Sie arbeiten sich tief in ihr jeweiliges Fachgebiet ein, stellen dabei Ausrüstung möglichst authentisch selbst her oder lassen sie von begabten Handwerkern in ihrer Gruppe oder aus anderen Gruppen herstellen, und legen dabei viel Wert auf Details – so würde man bei einem öffentlichen Auftritt niemals zur römischen Toga Deichmann-Sandalen im Römerlook und eine Plastikarmbanduhr tragen.
Wie streng diese Regeln und das Bestreben nach Authentizität durchgesetzt werden, unterscheidet sich von Gruppe zu Gruppe; so gibt es Gruppen, bei denen es unerwünscht ist, daß ihre Mitglieder – so lange sie in „Gewandung“ sind und sich in der Gruppe auf dem Veranstaltungsgelände aufhalten – rauchen, da die Zigarette zu römischer Zeit nicht üblich war und das Gesamtbild dadurch beeinträchtigt wird.

Römische Frisuren – ebenfalls ein Thema, mit dem man sich im Rahmen des Reenactments beschäftigen kann
Kompromisse in der Ausrüstung müssen gerade am Anfang bei Neueinsteigern natürlich gemacht werden, da eine komplette Ausrüstung sehr teuer werden kann (gerade im Bereich Militär), aber man ist schon bestrebt, nach und nach möglichst authentische Ausrüstung und Alltagsgegenstände zu erwerben oder herzustellen.
Da in der Szene viele Leute einen historischen Beruf als Hobby ausüben, finden sich dort Replikenmacher, die authentischen Schmuck und Alltagsgegenstände herstellen können und das sogar für Museeen tun, so daß die Qualität der römischen Gegenstände und Ausrüstung oft sehr hoch ist und mit einem hohen Grad an Authentizität punkten kann.
Ein wichtiger Unterschied zu Gaukelei und Histotainment-Gruppen ist hierbei der Anspruch, nicht nur römisches Leben nachzustellen, sondern auch Wissen darüber zu vermitteln. Deshalb sind die Mitglieder der römischen Gruppen, aber auch die Einzeldarsteller, in der Regel sehr gut informiert und werden oft und gerne von „seriösen“ Veranstaltungen, zum Beispiel in Museen und von Schulen gebucht. Auf „Römerfesten“ steht, im Gegensatz zu „Mittelaltermärkten“, immer die Information und Wissensvermittlung im Vordergrund (auch wenn man dort natürlich auch etwas kaufen kann, wie römische Repliken, Schmuck oder römisches Essen und Trinken). Die Darsteller erläutern dem Publikum, was sie repräsentieren (oft in der „Ich“-Form, wie „ich bin ein syrischer Bogenschütze“ oder „ich bin der Optio der XXVI. Kohorte“) und auch ihre Vorführungen sind immer von Erläuterungen begleitet. Davon, daß das Ganze trotzdem Spaß macht und unterhält, kann man sich jedes Jahr während der „Römersaison“ (von April bis Oktober) auf zahlreichen Veranstaltungen überall im Land überzeugen.

Wichtig ist die Einbeziehung aller Publikumsgruppen. Auch Kindern wird gerne etwas erklärt und gezeigt
Jeder Darsteller kann von den Besuchern angesprochen werden und gibt gerne und detailliert Auskunft über sein Spezialgebiet oder seine Darstellung. Hierbei kommt oft erstaunlich tiefes Wissen zum Vorschein, das deswegen so gut vermittelt wird, weil die jeweiligen Personen mit Spaß und Enthusiasmus bei der Sache sind und sich sehr intensiv mit ihrem Thema auseinandergesetzt haben. Vielen merkt man ihre Leidenschaft für die Antike an und auch ihre Freude daran, ihr Wissen weiterzugeben oder Fragen zu beantworten.
Oft läßt man Besucher auch direkt teilhaben, sie können z.B. ein Kettenhemd anprobieren, das Brettchenweben ausprobieren oder sich über römische Badekultur informieren, indem sie die einzelnen Alltagsgegenstände berühren oder deren Funktion erraten können. Vorführungen, wie römische Modenschauen oder religiöse Kulthandlungen, mit denen Veranstaltungen eröffnet werden (um den Segen der Götter und gutes Wetter zu beschwören), runden das Programm ab. Wichtig ist hierbei auch die Tatsache, daß auf alle Arten des Publikums eingegangen wird, Museumsbesucher mit Vorbildung, interessierte Laien und auch Kinder, für die oft besonderes Programm gemacht wird, wenn sie zum Beispiel mit den Legionären marschieren dürfen (Nachwuchsförderung und -werbung ist auch bei Reenactment-Gruppen wichtig).
Neben den öffentlichen Auftritten auf Veranstaltungen, bei denen das Publikum informiert und römisches Leben vorgestellt wird, haben Reenactment-Gruppen auch nicht-öffentliche Treffen, wie zum Beispiel Feldlager, bei denen man unter sich bleibt und dann ganz in den Rollen aufgeht. Hierbei wird auch vor „härteren“ Herausforderungen, wie einem Winterlager in den Alpen, nicht zurückgeschreckt. Auch geht für die Mitglieder der Reenactment-Gruppen die eigentliche Veranstaltung erst abends los, wenn die Besucher das Gelände verlassen haben und man „unter sich“ ist.
Experimentelle Archäologie und Archäotechnik
Die Übergänge zwischen Reenactment und experimenteller Archäologie sind fließend – viele Reenactoren betreiben automatisch auch experimentelle Archäologie, indem sie theoretische Überlegungen praktisch überprüfen.
Bekannteste Beispiele sind dabei die Gladiatoren und Reiterexperimente des Militärhistorikers Marcus Junkelmann. Er rekonstruiert römische Waffen und Ausrüstungsgegenstände und testet diese dann praktisch, wie in der Alpenüberquerung 1985. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und demonstriert mit seinen Gruppen Gladiatur und Militärwesen in Museen, Schulen, Universitäten und auf Veranstaltungen.
Jeder römische Reenactor, der sich für ein bestimmtes Teilgebiet interessiert und z.B. antike Handwerkstechniken ausübt oder auf der Grundlage von schriftlichen oder bildlichen Quellen etwas praktisch nachzuvollziehen versucht (sei es, das Anlegen einer Toga oder die Opferhandlungen bei einem Ritual) betreibt in gewisse Weise schon experimentelle Archäologie.
Allerdings ist nicht jeder experimentelle Archäologie auch gleichzeitig ein Reenactor. Zum Beispiel zählt auch die Musikarchäologie zum Bereich der experimentellen Archäologie, indem antike Musikinstrumente nach historischen Funden nachgebaut und Musikstücke rekonstruiert werden. Natürlich kann man diese antiken Musikinstrumente im Rahmen des Reenactments dann auch spielen und in einen entsprechenden Kontext stellen (wie Hagen Pätzold, der oft als römischer Militärmusiker auftritt), aber ebenso befassen sich Musiker und Musikwissenschaftler mit diesem Zweig der experimentellen Archäologie und stellen ihre Musik und die Erkenntnisse einem Publikum jenseits von Reenactment-Veranstaltungen vor, zum Beispiel im Rahmen von Konzerten (wie Musica Romana auf einem Konzert im Rahmen einer Sonderausstellung zu römischen Musikinstrumenten im Römisch-Germanischen Museum in Köln) oder im akademischen Rahmen oder auf Musik-Kongressen.
Es gibt auch Mischformen, wie die Auftritte von Hydraulis mit der römischen Wasserorgel von Justus Lieberg und Hagen Pätzold, die zwar durchaus im „römischen Setting“ mit entsprechender Bekleidung stattfinden, aber einen durchaus musikwissenschaftlichen Anspruch und Bildungscharakter haben, obwohl sie gleichermaßen unterhaltsam und interessant inszeniert werden.
Ein weiteres Beispiel, dem Unterbereich der Archäotechnik zuzurechnen, sind die Rennofenexperimente zu römischen Verhüttungstechniken, die gerne im Rahmen von römischen Veranstaltungen durchgeführt werden (regelmässig in der Ahrweiler Eisenschmelzersiedlung oder auf dem Herbstfest im Limeskastell Pohl 2014), oder der Einsatz von römischen Kuppelbacköfen wie an den Backhaustagen in der Römerwelt Rheinbrohl oder die Glasofenexperimente der Villa Borg. Hier geht es weniger um die „Darstellung“, sondern um das experimentelle Ausprobieren und Erforschen von antiken Industrietechniken. Auch die Landvermessung, der Aquäduktbau und Gebäudebautechniken gehören in diesen Bereich der experimentellen Archäologie. Zwar werden diese Experimente durchaus auch von engagierten und enthusiastischen „Laien“ durchgeführt und nicht nur von Wissenschaftlern im akademischen Rahmen, hier steht aber der Erkenntnisgewinn im Vordergrund, nicht die Aufklärung und Information der Öffentlichkeit (wird aber häufig mit dieser kombiniert, indem das Publikum zuschauen kann und Vorträge und Erläuterungen während des Vorgangs stattfinden). Orte wie die Römerwelt Rheinbrohl oder das Römerbergwerk Meurin zeigen auch funktionsfähige Nachbauten von großer Bautechnik, wie einer Pfahlramme oder einem Polyspastos, dem römischen Lastkran.
Oft treten Personen, die sich einem Gebiet der experimentellen Archäologie verschrieben haben, wiederum im Rahmen von Reenactment-Veranstaltungen auf, wie zum Beispiel die Betreiber eines römischen Weinguts in der Pfalz, die alte römische Rebsorten nachgezüchtet haben und Wein nach alten Methoden keltern. Sie erläutern dem Publikum ihre Arbeit, den Unterschied zu modernem Wein und lassen gerne auch die verschiedenen Weinsorten probieren (Passum, Mulsum).
Da eine genaue Trennung zwischen Reenactment und experimenteller Archäologie – zumindest für die Antike – nicht möglich ist, werden beide unter dem Sammelbegriff „Living History“ zusammengefaßt. Für den römischen Rekonstruktionismus, als spezifischer Tradition neopaganen Lebens, ist Living History wegen des dadurch erzielten Erkenntnisgewinns und der intensiven Beschäftigung mit den Quellen, besonders wichtig, wobei eine generelle Affinität zu römischer Geschichte und Lebenswirklichkeit, die durch Living History Aktivitäten wieder Gestalt annimmt, ergänzend hinzukommt.
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