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Der Ritus christianus in der Religio Romana – Teil III: Judenchristen und Heidenchristen

Zu Teil II: Aufstieg eines Mysterienkultes

Im vorherigen Teil haben wir skizziert, wie sich das Christentum innerhalb des heidnischen römischen Kontextes aus einem von vielen, damals durchaus konkurrierenden Mysterienkulten entwickelte. Im Gegensatz zu den anderen Kulten, die in der römischen Antike praktiziert wurden, nahm das Christentum aber schließlich eine dominante Stellung ein, bis es schließlich zur Staatsreligion erhoben wurde.

Es läßt sich im Rahmen dieser Reihe natürlich nicht die Christianisierung in allen Schritten nachzeichnen, dies ist auch nicht unser Anspruch. Hier kommt man um ein Selbststudium der entsprechenden Literatur nicht herum.

Ein wichtiger Aspekt des Urchristentums, wie es sich zu heidnischen Zeiten in der römischen Antike entwickelte, soll in diesem Teil jedoch besonders betrachtet werden:

Kulturelle Bruchlinien im Urchristentum

Was für uns relevant im Rahmen der behandelten Thematik ist, ist der allgemeine gesellschaftliche Tenor, der letztendlich überhaupt zur Erfolgsgeschichte der christlichen Religion im heidnischen Umfeld beitrug.

Besonders interessant ist hierbei die Tatsache, dass wir bereits relativ früh in der Zeit des Urchristentums (bezeichnet die Zeit nach der Kreuzigung Jesu) bestimmte Brüche feststellen können, die mit der griechischen Kultur verbunden sind – und zwar getragen durch in dieser Kultur sozialisierten Juden.

Diesen Sachverhalt wollen wir an dieser Stelle deswegen kurz skizzieren, weil er bezogen auf die oft in neopaganen Kreisen kolportierte Mär vom Christentum als „fremde jüdische Wüstenreligion“ doch ziemlich erhellend ist.

Das Christentum entwickelte sich anfangs in der Tat gänzlich innerhalb des Judentums. Jesus und seine Schüler darf man sicherlich als innerjüdische Sonder- oder evtl. auch Reformgruppierung ansprechen, die einerseits bereits im Judentum angelegte Ideen neu formulierte, teilweise auch verschärfte (etwa die generelle Herrschaft Gottes im Hier und Jetzt), andererseits einen expliziten heilsgeschichtlichen Fokus durch das Erleben Gottes besonders betonte (Heilungen, Wunder, Exorzismen etc.) sowie eine endzeitliche Naherwartung des Reiches Gottes vertrat.

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Jakobus, Fresko in der Kathedrale von Le Puy en Velay (Bild: gemeinfrei)

Nach der Kreuzigung Jesu um das Jahr 30, durch die die Erwartungen an seine Rolle massiv enttäuscht wurden, finden wir seine Anhängerschaft vorwiegend in Galiläa versammelt, obgleich wohl auch manche in Jerusalem verblieben waren (Mk 15,40f).

Durch im Umlauf befindliche Berichte von Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus festigte sich in diesen Kreisen dann aber wieder der Glaube an die Messianität und letztlich an die Wiederkunft Jesu. In der Folge und motiviert durch diese sich verbreitenden Erzählungen sammelten sich die Anhänger Jesu wieder verstärkt in Jerusalem, wo sie in der dortigen Gemeinde unter der Leitung von Petrus, Johannes und Jakobus agierten und wo sie sich nun offenbar eine neue Deutung der Ereignisse erarbeiteten, die ihnen eine tragende Zukunftsvision an die Hand gab.

Ihre anfängliche Erwartung an den – zunächst völlig im jüdischen Kontext verstandenen – Messias war ganz offensichtlich enttäuscht worden; die Tatsache, dass ihr Meister einen in damaligen Augen schändlichen Tod am Kreuz starb, musste einen verheerenden Eindruck hinterlassen haben und passte so gar nicht zur Vorstellung des jüdischen Messias. Aber die hartnäckig kursierenden Berichte von Begegnungen mit dem offenbar lebenden Jesus gaben nun Anlass zu denken, dass Gott selbst hier einfach in völlig unerwarteter Weise in das Leben der Menschen eingegriffen und Jesus in einer Rolle bestätigt hatte, die über die jüdische Messiasidee und damit über das, was seine Anhänger in ihm ursprünglich gesehen hatten, weit hinausging. Gerade im offensichtlich völligen Scheitern am Ende seines Lebens und Wirkens, dann aber gekrönt durch die Auferstehung, sahen seine Anhänger nun den eigentlichen Impuls des Sieges – des ultimativen Sieges, weil über den Tod – gegeben, der zum Impuls für ein Weiterwirken der Gemeinschaft werden sollte.

Bis auf diese spezifischen Glaubenspunkte, die die heilsgeschichtliche Rolle Jesu betrafen, fielen die Urchristen allerdings im jüdischen Umfeld erst einmal nicht weiter auf, denn sie verhielten sich ansonsten überwiegend traditionskonform – so beteten sie im Tempel, brachten Opfer dar, sprachen Aramäisch, die Beschneidung wurde traditionell praktiziert, die Speisevorschriften beachtet und das mosaische Gesetz besaß für sie volle Gültigkeit.

Ihre religiösen Sonderformen wie die Taufe oder regelmäßige Treffen in Hausgemeinden, wo sie das Herrenmahl zum Gedächtnis an das letzte Mahl Jesu feierten und auch die missionarische Tätigkeit unter ihren jüdischen Landsleuten, wo sie für ihre Überzeugungen zu werben suchten, hatten deshalb anfangs keinen wirklich trennenden Effekt bezogen auf die jüdische Gemeinschaft in der sie lebten. Diese ersten Judenchristen lebten bis zur angeordneten Hinrichtung des Jakobus im Jahre 62 n. Chr. durch den Sanhedrin, der bereits etwa 20 Jahre vorher Stephanus hatte steinigen lassen, in Jerusalem und wanderten erst danach in die Gebiete des Ostjordanlandes ab.

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Steinigung des Stephanus, des 1. Märtyrers des Christentums (Zerstörtes Fresko aus dem Dom zu Speyer, Bild: gemeinfrei)

Stephanus wiederum, der durch seine Hinrichtung wegen seines Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus als Erzmärtyrer (erster Märtyrer der christlichen Geschichte) gilt, gehörte zu den sog. „Hellenisten“, sprich Juden in der Jerusalemer Gemeinde, die ursprünglich aus den Diasporasynagogen des östlichen Mittelmeerraumes, also Nordafrika, Ägypten und Syrien kamen und im Gegensatz zu den „Hebräern“ nicht Aramäisch, sondern von Haus aus Griechisch sprachen (das sog. Koine-Griechisch, eine aus verschiedenen Dialekten gebildete Allgemeinsprache (ἡ κοινὴ [διάλεκτος] / hē koinḕ [diálektos] = „der allgemeine [Dialekt]“)).

Ihre Sozialisierung in der griechischen Kultur hat sich dabei aber nicht nur auf die Sprache beschränkt, sondern war in umfassender Weise prägend – sie trugen griechische Namen, waren in dieser kulturellen Umgebung integriert und Träger ihrer Bildung. Diese griechisch gebildeten Juden hatten vor diesem besonderen Hintergrund auch bereits früh begonnen, ihre Religion neu zu reflektieren und zu interpretieren – man relativierte dabei ihren Status als Religion einer spezifischen Ethnie und nutzte auch allegorische Auslegungen der biblischen Texte, was grundsätzlich eine andere, eine offenere Herangehensweise an die im Judentum verankerte Gesetzesreligion belegt. Insofern gab es nicht nur Sprachgrenzen, die auch dazu führten, dass die „Hebräer“ und die „Hellenisten“ eigene Gemeindestrukturen entwickelten, sondern mit der Zeit eben auch eine divergente theologische Ausrichtung beider Gruppen.

Diejenigen Hellenisten, die nun in Kontakt mit der Botschaft von Jesus als dem Messias kamen und diese als für sich verbindlich adaptierten, brachten dabei diese kulturelle Eigenständigkeit mit, die nun wiederum auch ihre Sichtweise und Interpretation dessen färbte, was sie über Jesus und seine Lehre hörten. Wie schon in der genuin jüdischen Gemeinde, führte dies auch zu einer Zweiteilung in der judenchristlichen Jerusalemer Urgemeinde.

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Bild des Jesaja in der Synagoge von Dura Europos (im heutigen Syrien), eine Synagoge des hellenistischen Judentums, die vollkommen mit figürlichen Wandmalereien und biblischen Szenen dekoriert war (Bild: gemeinfrei)

Alleine schon wegen der sprachlichen Ausrichtung missionierten diese Judenchristen wiederum vor allem die hellenistischen Juden, was sie von den aramäisch sprechenden Judenchristen weiter entfernte, aber eben letztlich auch in Konflikte mit den konservativen Juden der hellenistischen Synagogen brachte.

Auch scheint es so zu sein, dass, bedingt durch ihre kulturelle Prägung, ihre Einstellung zu punktuellen religiösen Fragen eine andere war und so etwa die Kritik der hellenistischen Judenchristen an den gewachsenen Tempelstrukturen ausgeprägter war, als bei den aramäisch sprechenden Judenchristen.

Entsprechende gesetzeskritische Motive in der Jesusüberlieferung wurden dabei offenbar aufgenommen und konsequenter umgesetzt, was sich auch darin zeigt, dass Stephanus nach der Schilderung der Apostelgeschichte explizit eine Lästerung des Mose und des Tempels vorgeworfen wird (Apg 6:8-15), was diesen Konflikt zwischen den Juden und Judenchristen in den hellenistischen Gemeinden belegt.

Trennung von Judentum und Christentum

Das Palästina des 1. Jhd. war tief beeinflusst von hellenistischer Kultur, immerhin hatte Alexander der Große bereits 400 Jahre v. Chr. einen riesigen Bereich erobert – zu dem auch Palästina gehörte – und pflanzte in seinem Herrschaftsgebiet die Samen der griechischen Kultur und Sprache. Diese kulturelle Beeinflussung hörte mit dem Tode Alexanders nicht auf und blieb Teil der sich in der Folge entwickelnden Ideen und Strukturen, so das sich das Judentum in diesem Gebiet auf quasi natürliche Weise mit dem Hellenismus verband.

Insofern ist die Aussage, dass sich das Christentum vor der Ausformung in Rom aus dem Judentum heraus entwickelte, zwar korrekt, aber eben nicht wie manchmal verstanden, aus einem unbeeinflussten Judentum im Gegensatz zur griechisch-römischen Kultur. Die jüdischen Revolten zielten somit auch nicht auf eine Abgrenzung zu dieser bereits mit dem Judentum eng verflochtenen hellenistischen Kultur, sondern auf die politische Unabhängigkeit.

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Elijas Opfer auf dem Berg Karmel, eine weitere Wandmalerei aus der jüdisch-hellenistischen Synagoge von Dura Europos. Die Opfernden sind in griechisch-römischem Stil in Toga und Tunika gekleidet (Bild: gemeinfrei)

Politische Gründe waren es denn auch, die eine Abgrenzung der Christen von den Juden förderten, da erstere nicht in den Ruch einer den Staat gefährdenden messianischen Bewegung geraten wollten. Die jüdischen Revolten der Jahre 66 – 70 n. Chr. und 132 – 135  n. Chr. führten dazu, das die Juden im Römischen Reich zunehmend argwöhnisch bis feindselig betrachtet wurden und Rom machte grundsätzlich mit Gruppierungen, die sich der Staatsräson nicht unterordnen wollten, kurzen Prozess.

Bereits in den Evangelien finden sich deshalb Relativierungen, was etwa die zugrundeliegenden Beweggründe für die Hinrichtung Jesu betrifft, die hier bewusst eher als innerjüdische Problematik dargestellt werden. So finden wir etwa die Zuweisung der Schuld an den jüdischen Sanhedrin, eine eher positiv gehaltene Darstellung des römischen Statthalters Pontius Pilatus und andere ähnliche Beleuchtungen der historischen Geschehnisse im Sinne einer relativierenden Absicht. In den Erzählungen der Evangelien wird diese Propagierung einer dem römischen Staat zumindest neutral gegenüberstehenden Einstellung sogar Jesus selbst zugeschrieben:

Einige Pharisäer und einige Anhänger des Herodes wurden zu Jesus geschickt, um ihn mit einer Frage in eine Falle zu locken. Sie kamen zu ihm und sagten: Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und dabei auf niemand Rücksicht nimmst; denn du siehst nicht auf die Person, sondern lehrst wirklich den Weg Gottes. Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? Sollen wir sie zahlen oder nicht zahlen? Er aber durchschaute ihre Heuchelei und sagte zu ihnen: Warum stellt ihr mir eine Falle? Bringt mir einen Denar, ich will ihn sehen. Man brachte ihm einen. Da fragte er sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten ihm: Des Kaisers.
Da sagte Jesus zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! Und sie waren sehr erstaunt über ihn. (Mk, 12: 13-17)

Wir haben deshalb schon in dieser ganz frühen Zeit einen sich deutlich abzeichnenden doppelten Bruch, einerseits zwischen Christen und Juden, andererseits in der christlichen Gemeinschaft bedingt durch die kulturelle Prägung der nicht in einem jüdischen Kontext aufgewachsenen sog. Heidenchristen.

Jesus Christos (von griechisch Χριστός, Christόs, = „der Gesalbte“), der Titel, der sich für Jesus in der christlichen Deutung etablierte, musste für pagane Griechen und Römer gleichermaßen unverständlich bleiben, aber auch für die in dieser Kultur aufgewachsenen Heidenchristen, denn Salbungen als sakrale Akte wie sie im Judentum vorkommen, kannten die im paganen Umfeld sozialisierten Heidenchristen nicht.

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Der Ritus christianus in der Religio Romana – Teil II: Aufstieg eines Mysterienkultes

Zu Teil 1: Ritus Christianus – Einleitung: das Christentum im Kontext der Religio Romana in Antike und Gegenwart

Roma locuta, causa finita

Dieses bekannte „Zitat“ des Kirchenlehrers Augustinus von Hippo (354–430), bedeutet „Rom hat gesprochen, der Fall ist beendet“ und soll verstanden werden im Sinne von „Wenn Rom gesprochen hat, ist die Diskussion über den Sachverhalt beendet, es gibt dazu nichts mehr zu sagen.“

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Älteste Darstellung des Augustinus,
Mosaik an der Kapelle Sancta
Sanctorum in Rom, 6. Jh.
(Wikimedia, gemeinfrei)

Zwar hat Augustinus den entsprechenden Teil seiner Predigt aus dem Jahr 417 n. Chr. (Sermo 131, 10) über die Entscheidung des Papstes bezüglich der Lehren des Pelagius genau in diesem Sinne verstanden wissen wollen, aber er hat wörtlich nur das „causa finita“ benutzt.

Es ist mittlerweile aber ein geflügeltes Wort in der oben genannten, ergänzten Form und bringt so einen Punkt prägnant zum Ausdruck, den wir als Ausgangspunkt für die folgenden Ausführungen für wichtig erachten, nämlich die Tatsache, dass das Christentum ab einem bestimmten Zeitpunkt zur Staatsreligion, zur Sacra Publica des Imperium Romanum geworden ist – ein Fakt, der sich nicht wegdiskutieren lässt.

Dies wurde also durch die Römer selbst entschieden – es geschah in ihrer Zeit und Lebenswirklichkeit, innerhalb der Kultur des römischen Reiches und eingebunden in den Kontext der traditionellen Kulte, was eine besondere Sichtweise auf Änderungen im öffentlichen religiösen Leben mit sich brachte. Deswegen stellt es für uns, die wir diese Geschichte studieren und anhand der Quellen zu verstehen versuchen, erst einmal nur einen weiteren organischen Schritt in der Entwicklung der römischen Geschichte dar, gegangen vom römischen Volk selbst.

Wir, die wir nach ihnen kommen, uns ihnen verbunden fühlen und in einer Kultur sozialisiert sind, die bereits selbst schon wieder einen weiteren Schritt in dieser fortlaufenden Geschichte und Kultur darstellt, müssen akzeptieren, dass wir in dieser historischen Entscheidung einerseits kein Mitspracherecht haben und wir sie andererseits auch nicht einfach ignorieren können.

Uns stellt sich nur die Frage, wie wir heute mit dieser Entscheidung derer, die vor uns waren, umgehen. Um hier zu einer befriedigenden Antwort zu kommen, gerade auch vor dem Hintergrund der Praxis der Religio Romana in unserer Zeit, ist es unabdingbar, sich von diversen Vorstellungen und Stereotypen zu verabschieden, die aus dem Blick auf die Geschichte durch eine quasi ideologische Brille erwachsen sind.

Wir müssen deshalb eine Perspektive einnehmen, die der entspricht, welche den religiösen wie politischen Entscheidungen im antiken römischen Staat zugrunde lag, um hierbei zu einer adäquaten Einschätzung kommen zu können.

Um diesen Punkt der Perspektive noch einmal konkret zu fassen, ist es wichtig zu betonen, Rekonstruktionismus ist keine Religion, auch nicht im Paganismus eine Denomination oder Konfession, sondern eine Herangehensweise, eine Methode.

Es geht dabei um die konstruktive Evaluation von Quellen, von tradiertem Wissen über eine Religion und Kultur, um diese in einem zeitgenössischen Kontext authentisch leben zu können. Im Rekonstruktionismus finden wir oft eine eher ganzheitliche Betrachtung, was aber besonders für den römischen Rekonstruktionismus gilt. Dies bedeutet, es geht nicht nur um den Teilaspekt der Religion, sondern grundsätzlich um die Kultur, um die „Romanitas“ von der die Religio – einschließlich der Sacra Publica – ein untrennbarer Teil ist.

Durch diese spezifische Betrachtungsweise kommt es naturgegebenermaßen zu einer natürlichen Einbeziehung von historischen Entscheidungen, die innerhalb der römischen Geschichte getroffen wurden und damit die Entwicklung des Römischen Reiches und der ihm zugrundeliegenden Kultur, wie auch der Aspekte, die in der Folge davon als römisches Erbe Europas immer noch aktuell sind, mitgestaltet haben. Durch diese Akzeptanz von historischen Entscheidungen kommt es generell zu einer anderen Sichtweise auf das Imperium Romanum, das wir zwar durch bestimmte Veränderungen in seiner historischen Entwicklung gekennzeichnet sehen, dem wir aber eine grundsätzliche Kontinuität zuschreiben, die kulturell bis heute nachwirkt.

Aus diesem Grunde sehen wir im Niedergang des weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert nicht den „Untergang des Römischen Reiches“ schlechthin, denn auch wenn man gerne vom Byzantinischen Reich spricht, gab es ein solches nicht im Selbstverständnis der Römer, die sich auch im östlichen Teil des Reiches immer als solche betrachteten und bezeichneten (grch.: Ῥωμαῖοι / Rhōmaîoi). Es vollzog sich zwar im Ostteil des Reiches schon früh eine Vermischung der römischen Kultur mit griechisch-orientalischen Elementen (wobei aber auch im westlichen Teil des Imperiums Griechisch seit jeher die Sprache der Gebildeten war), eine stärkere Gräzisierung des Römischen Reiches fand allerdings erst nach dem Niedergang des westlichen Herrschaftsbereiches statt.

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Byzantion wurde, nachdem Konstantin es für seine Neugründung Konstantinopel erwählt hatte, auf das Fünffache der ursprünglichen Fläche vergrößert, wie das Vorbild Rom auf sieben Hügeln errichtet und entsprechend der politischen und weltlichen Strukturen der alten Hauptstadt glanzvoll ausgebaut. So erhielt Konstantinopel ein Kapitol, einen dem Senat in Rom vergleichbaren Rat, einen Circus für 100.000 Zuschauer, ein Forum (Forum Constantini) und eine Hauptverkehrsachse in ost-westlicher Richtung. Es war das Zentrum der Wirtschaft, Kultur und Verwaltung des Oströmischen Reiches kontinuierlich von der Spätantike bis zum Beginn der Neuzeit. (Bild: Antoine Herbert, Portfolio Konstantinopel vom 4. bis 8. Jahrhundert, eine Bilderreihe zur Byzantinischen Architektur)

Das Oströmische Reich war also kein „Nachfolger“ des Weströmischen Reiches, wie man dies manchmal liest, sondern es gab immer nur ein einziges Imperium Romanum und die seit der sog. Reichsteilung 395 n. Chr. vollzogene Aufteilung in einen westlichen und östlichen Teil war im eigentlichen Sinne eine Herrschaftsteilung von 2 Kaisern, eine Aufteilung des „Imperiums“, also der höchsten exekutiven Macht im Staat, keine Aufteilung oder Trennung des Römischen Reiches an sich.

Das Imperium Romanum ging somit erst 1453 n. Chr. mit der Eroberung seiner Hauptstadt im Osten, Konstantinopel, entstanden durch den großzügigen Ausbau des ehemaligen Byzantion, tatsächlich als Staat zu Ende. Wir betonen dies, weil diese Kontinuität für unsere Herangehensweise an die römische Geschichte und Kultur entscheidend ist.

Die Wortverbindung „katholische Kirche“ wurde zwar bereits von Ignatius von Antiochien um das Jahr 110 n. Chr. verwendet, aber erst nachdem es unter Theodosius I. im Jahre 380 n. Chr. durch das Edikt Cunctos populos zur Erhebung und Einsetzung des Christentums – eben in seiner auf das Konzil von Nicäa im Jahre 325 n. Chr. zurückgehenden Form – als Sacra Publica kam und damit die Konsolidierung des Römisch-Katholischen belegte, wurde dieser nun christliche Charakter des Reiches später im Ostteil als staatlicher und kultureller Impuls weiter verstärkt (Zitat aus dem Wortlaut des Ediktes: „Hanc legem sequentes christianorum catholicorum nomen iubemus amplecti (…) / „Nur diejenigen, die diesem Gesetz folgen, sollen, so gebieten wir, katholische Christen heißen dürfen“) .

Die oft vorgetragene Idee, dass die Christianisierung des Imperium Romanum zu seinem Untergang im Westen führte oder diesen zumindest gefördert habe (betont bei Edward Gibbon in seinem Werk „The History of the Decline and the Fall of the Roman Empire“ und in der Folge immer wieder von diversen Seiten aufgenommen, heute jedoch von der historischen Forschung als widerlegt betrachtet), wird natürlich alleine durch die Tatsache hinfällig, dass sich das später dezidiert christliche Oströmische Reich bis ins 15. Jahrhundert behaupten konnte, auch wenn es anfangs nicht in dieser Form existierte.

Denn Kaiser Konstantin förderte zwar das Christentum, aber sein Konstantinopel wurde nicht als eine Art „christliches Rom“ gegründet, wie man manchmal zu lesen bekommt. Die traditionellen paganen Riten bei der Gründung der Stadt wurden ebenso selbstverständlich beachtet, wie die Renovierung von paganen Tempeln gefördert wurde.

In Hoc Signo Vinces… oder Götterdämmerung?

Wie konnte es nun zu einer solch breiten Akzeptanz eines ursprünglich so kleinen Kultes wie des Christentums und schließlich sogar zu seiner Erhebung zur Staatsreligon im Römischen Reich kommen?

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Götterlexikon: Epona

Herkunft, Bezeichnungen

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Epona aus Belginum / Hunsrück

Epona ist eine gallo-römische Göttin, die – als einzige Göttin keltischer Herkunft – weite Verbreitung im römischen Reich erfuhr und sich auch über die Grenzen des keltischen Raumes hinaus bis nach Rom großer Beliebtheit erfreute, wo sie sogar Teil des Staatskultes wurde.

Epona ist in zahlreichen Bild- und Textquellen belegt, unter anderem aus 60 Weiheinschriften sowie Reliefs, Weihealtären und figürlichen Darstellungen, die aus ganz Westeuropa stammen, vor allem aus Frankreich, entlang der Mosel, West- und Süddeutschland, Spanien, Großbritannien, dem Donaubecken, Norditalien, Rom und dem Alpenraum. Auffällig hierbei ist eine besonders hohe Dichte an Funden entlang der befestigten Grenzen des Reichs, wie dem Limes, entlang des Rheins, der Donau und in Nord-Britannien.

Lediglich in zwei Regionen des Römischen Reiches scheint sie nicht verbreitet gewesen zu sein: In Nordafrika, wo man bislang nur eine Darstellung von ihr gefunden hat, sowie dem Nahen Osten, wo sie gar nicht auftaucht.

Ihre Verehrung scheint sich zudem auf das Gebiet des Römischen Reichs zu beschränken; jenseits des Limes im freien Germanien, aus dem Raum zwischen Rhein und Elbe, sind keine Darstellungen oder Inschriften von Epona bekannt.

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Figürliche Darstellung der Epona, zu bewundern im Rheinischen Landesmuseum Bonn

Ihr Name ist gallischer Herkunft und kann etymologisch aus dem gallischen Wort „epos“ für Pferd hergeleitet werden, das wiederum auf die proto-Indo-Europäische Wurzel *ék̂u̯os zurückgeführt wird. Aus dieser Wurzel stammen auch andere Worte für Pferd, wie das lateinische Equus, das altirische Ech oder das litauische Esva. Durch die weibliche Endung -a und den Namensbestandteil -on wird ihr Name verschiedentlich als „große Stute„, „göttliche Stute“ oder „die, die wie eine Stute ist“ oder „große Reiterin“ gedeutet.

Trotz dieser Herleitung und ihrer überwiegenden Verbreitung im gallischen Raum gibt es keine Erwähnungen ihres Namens aus vor-römischer Zeit. Es gibt auch keine Inschriften auf Gallisch, sämtliche Inschriften sind auf Latein oder (seltener) Griechisch. Sie stammen zudem nicht nur von Personen keltischer Herkunft, sondern von Stiftern aus verschiedensten Teilen des Reiches, wie Germanen, Römern und sogar – wie bei einem Fund aus Mainz – einem Syrer.

Zwar ist die Möglichkeit gegeben, dass diese Göttin bereits vor der römischen Eroberung Galliens (im Jahre 52 v. Chr. durch Julius Caesar) von einheimischen keltischen Völkern verehrt wurde, es gibt jedoch bislang keine Quellen oder Belege dafür.

Tatsächlich stammen die frühesten Funde aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., eine auffällige, fast explosionsartige Häufung beginnt aber erst mit dem zweiten Jahrhundert n. Chr., so dass man davon ausgehen muß, dass sich der spezifisch gallo-römische Kult um Epona erst um diese Zeit zu entwickeln und im Reich zu verbreiten begann. Mitte des zweiten Jahrhunderts, etwa ab dem Jahr 130 n. Chr. häufen sich auch die Inschriften aus Rom.

Der früheste absolut sicher datierbare Bildbeleg ist ein Wandgemälde in Pompeji, da wir von dort wissen, dass er nicht älter sein kann als 79 n. Chr.

Die erste zweifelsfreie namentliche Inschrift, in der Eponas Name genannt wird, stammt aus einem Tempel in Entrains-sur-Nohain, Frankreich aus dem frühen zweiten Jahrhundert. Sie lautet:

Augusto sacrum deae / Eponae / Connonius Icotasgi fil(ius) / templum cum suis orna/mentis omnibus de suo donavit l(ibens) m(erito) (CIL 13, 02902)

Der erhabenen Göttin Epona gibt Connonius, Sohn von Icotasgus, diesen Tempel mit all seinen Verzierungen und auf eigene Kosten.

Am gleichen Ort findet sich auch eine zweite Widmung an Epona (CIL 13, 2903), was ihre zentrale Bedeutung für diesen Tempel hervorhebt.

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Epona im Landesmuseum Trier

Literarische Belege tauchen ab der hadrianischen Zeit auf (die Regierungszeit von Kaiser Hadrian war 117-138 n. Chr.).

Interessanterweise geht die Verbreitung Eponas nicht von Gallien aus, sondern die Funde sind in den frühen Jahren weit verbreitet überall im Reich zu finden, von Italien bis Britannien, von Rumänien bis Frankreich, während sie sich erst später auf den Raum Gallien und Germanien konzentrieren und dort gehäuft auftreten.

Wieso es bislang keine gesicherten Belege zwischen der Eroberung Galliens im Jahr 52 v. Chr. und der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. gibt, ist nicht eindeutig erklärt und schwierig mit der Hypothese zu vereinbaren, dass Epona eine Göttin ist, die aus vor-römischer Zeit stammt, denn dann dürfte es diese auffällige 100-jährige Überlieferungslücke eigentlich nicht geben.

Ihr relativ spätes Auftauchen ab der Mitte des ersten Jahrhunderts stützt jedoch die gegenläufige These, dass Epona und ihr Kult erst später durch Verschmelzung lokaler keltischer und römischer Götter entstand und sie keine keltische Vorläuferin hat, die 1:1 von den Römern übernommen wurde (vgl. Zeittafel aller bekannten Inschriften und Darstellungen von Epona, oder Auflistung von M. Euskirchen in ihrer Dissertation “Epona”. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission Deutsches Archäologisches Institut., 74: 607-838., 1993).

Wir erlauben uns an dieser Stelle kein Urteil und lassen deshalb die Herkunft der Göttin Epona offen – ob sie nun bereits zu vorrömischer Zeit von den einheimischen Galliern in unserer Region verehrt wurde oder ob sich ihre Vorstellung erst in gallo-römischer Zeit entwickelt hat, ist für den Praktizierenden des Gallo-Römischen Kultes unerheblich.

Wie bei den anderen keltischen Göttinnen, die von den Römern übernommen wurden, wurde ihr Name auch nicht um ein Epitheton erweitert, sondern sie wurde – wie z.B. Rosmerta oder Sirona – unter ihrem gallischen Namen verehrt. Dies ist anders bei männlichen Göttern keltischer Herkunft, die im Rahmen der Interpretatio Romana fast immer einen römischen Namenszusatz erhielten, wie Apollo-Grannus, Mars-Intarabus oder Lenus-Mars (der wiederum die Besonderheit aufweist, daß der keltische Name vor dem römischen genannt wird).

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Epona aus dem Tempel in Tawern, wo sie in einem 9 Meter tiefen Brunnenschacht gefunden wurde

Im Gegensatz zu vielen anderen keltischen Göttinnen wurde Epona auch nicht mit einem männlichen Gott verpartnert, sondern blieb alleine. Gelegentlich wurde sie zusammen mit Herkules angerufen, der ebenfalls unter anderem für Schutz auf Reisen zuständig war.

Dafür wird sie oft mit Beinamen gekennzeichnet, aus der ihre große Bedeutung und Wertschätzung hervorgeht, wie Epona Regina (Königin Epona) oder – bei Anrufungen im Rahmen des Staatskultes – als Epona Augusta. Andere Beinamen waren Epona Dea (die Göttliche) und Epona Sancta (die Heilige).

In den meisten Inschriften wird sie „Epona“ genannt, daneben gibt es auch einige abweichende Inschriften, in denen sie „Epana“ oder „Epane“ geschrieben wird, zum Beispiel bei Funden im Norden Spaniens. Inwieweit es sich dabei um eine lokale Variante, künstlerische Freiheit oder Unwissenheit des Steinmetzes handelt, ist unklar.

Ikonographie

Das Aussehen der Göttin Epona ist durch zahlreiche archäologische Funde sehr gut belegt.

Neben Votivreliefs und Reliefs auf Altären taucht Epona auch in figürlicher Darstellung in Form von Statuetten und in Wandmalereien auf.

Es existierten mehrere typische Darstellungsformen (klassifiziert nach W. Schleiermacher):

  • Epona, seitlich auf einem Pferd sitzend („gallischer Typus“)
  • Epona, mittig auf einem Stuhl oder Thron sitzend und auf beiden Seiten flankiert von einem oder mehreren Pferden (der „Imperiale Typus“ genannt)
  • Epona in einer Kutsche, die von mehreren Pferden gezogen wird

Seitlicher Sitz auf dem Pferd („Gallischer Typus“)

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Epona im „gallischen Typus“ (Archäologisches Museum Arlon)

Diese Darstellungsform ist die häufigste Form in Gallien. Epona sitzt (anders als beim modernen Damensattel) seitlich mit herabhängenden Beinen auf einem (in der Regel nach rechts schauenden) stehenden oder laufenden Pferd.

Die Göttin ist in dieser Darstellung oft mit einem langen Gewand bekleidet, gelegentlich auch mit einer Kopfbedeckung in Form einer Haube oder eines Umhangs.

In vielen dieser Darstellungen berührt die Göttin mit einer Hand das Pferd oder hält Zügel (diese gibt es jedoch nicht immer), während sie in der anderen Hand ein Füllhorn (Cornucopia) oder eine Opferschale (Patera) hält. Manchmal hält sie auch Früchte, Getreideähren oder eine Schale oder Korb mit Früchten auf dem Schoß.

Diese Symbole deuten auf Fruchtbarkeit, Wohlstand und Üppigkeit hin.

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Orthopraxie in der Religio Romana – Teil 1: Bedeutung und Hintergrund

Wie wir schon in dem einen oder anderen Artikel ausgeführt haben, ist die Religio Romana eine „orthopraktische“ Religion. Da dieser Begriff immer wieder Fragen aufwirft, möchten wir ihn in einem zweiteiligen Artikel erläutern.

Teil I dieses Artikels beschäftigt sich mit den Hintergründen: woher kommt der Begriff und wie sieht die spezifisch römische Interpretation aus?

Teil II dieses Artikels wird sich mit der Bedeutung der Orthopraxie für den römischen Rekonstruktionismus, also ihrer praktischen Umsetzung in der heutigen Ausübung der römischen Religion beschäftigen und auf einige typische Fragen und Mißverständnisse eingehen, mit denen wir in diesem Zusammenhang immer wieder konfrontiert werden.

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Jupiter, Juno und Minerva – die kapitolinische Trias (Trier, Landesmuseum)

Der Begriff kommt aus dem Griechischen und leitet sich ab von „ὀρθός“ (orthos) = „gerade, aufrecht, richtig“ und „πρᾶξις (prâxis) oder πρᾶγμα (prâgma)“ = „Handlungsweise“ und bedeutet übersetzt deshalb so viel wie „rechte Handlungsweise„.

Das Gegenstück (nicht zwingend das Gegenteil!) dazu ist die „Orthodoxie„, von „orthos“ = „recht“ und „δόξα“ (doxa) = „Meinung, Ansicht, Vorstellung, Glaube“, also „rechter Glaube„.

Der eigentliche Begriff „Orthopraxie“ ist ein Kunstwort, das erst Ende des 20. Jahrhunderts im theologischen Kontext im Rahmen der ökumenischen Bewegung zur Überwindung der Spaltung der Christenheit geprägt wurde. Unter anderem stellte Kardinal Ratzinger die Glaubenslehre, die Orthodoxie, der Orthopraxie im Sinne des gelebten Christentums in Form der Nächstenliebe gegenüber.

In diesem Sinne verwenden wir den Begriff an dieser Stelle nicht, sondern lösen ihn aus dem modernen christlichen Umfeld der Ökumene und nutzen ihn zur Beschreibung zweier Konzepte dem reinen Wortsinn nach.

Orthodoxie, d.h. die rechte Glaubensvorstellung, spielt in der Religio Romana – im Gegensatz zum Christentum, Judentum oder Islam -, keine Rolle. Zur römischen polytheistischen Religion (abgesehen vom Spezifikum der Mysterienkulte, in denen solche Ideen bereits angelegt waren) gehören keine theologischen Konstruktionen, Strömungen oder Schulen, Lehrmeinungen, religiöse Vorschriften (wie etwa die 10 Gebote oder Speisevorschriften), religiös motivierte Moralvorstellungen, festgelegte Gottesvorstellungen (zum Beispiel, ob man sich einen Gott körperlich vorzustellen hat oder als formloses Energiewesen, als Teil eines Ganzen oder als individuelles Einzelwesen etc.), Erlösungs- oder Jenseitsvorstellungen oder die Suche nach einem persönlichen Seelenheil.

Sie ist keine Heilsreligion, keine Offenbarungsreligion, die die Lehren eines bestimmten Gottes tradiert, es gibt kein niedergeschriebenes „Glaubensbekenntnis“ und keinen Religionsstifter. Der legendäre zweite König von Rom, Numa Pompilius, wird manchmal als Stifter bezeichnet, aber bei genauem Hinsehen entspricht seine Rolle nicht diesem Begriff in seiner umfänglichen Bedeutung – er war (sofern es ihn gegeben hat) der Stifter einiger wichtiger Kulte und setzte bestimmte Priesterämter ein, aber in einer polytheistischen Religion, die viele Kulte gleichberechtigt unter ihrem Dach vereint, lässt sich in diesem Sinne nicht von einem Religionsstifter sprechen, auf den die gesamte Religion zurückzuführen wäre.

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Marcus Tullius Cicero hat uns dank seiner Schriften viele detaillierte Informationen über die römische Religion hinterlassen (Thorvaldsen-Museum, Kopenhagen)

Natürlich gab es all diese zuvor aufgeführten Themen und Fragestellungen trotzdem auch in der römischen Antike und sie wurden dort eifrig und zum Teil erbittert diskutiert.

Federführend hierbei waren aber keine Priester oder religiöse Autoritäten, sondern die meisten dieser Fragen fielen in den Bereich der Philosophie. Über die Natur des Göttlichen stritten sich zum Beispiel die Stoiker mit den Epikureern (unter anderem nachzulesen in Ciceros Streitschrift „De natura deorum„, „Über die Natur der Götter“). Hierbei muß man als interessanten Punkt betonen, daß die Philosophie ursprünglich ein Import aus Griechenland war, der sich zwar durch lateinische Übersetzungen, Diskussionen und Systematisierungen von Lehraussagen dann auch als Teil des römischen intellektuellen Lebens etablierte, aber es zeigt, das solche Ideen dem römischen Verständnis erst einmal fremd waren.

Ähnlich auffallend ist das Fehlen einer ausgearbeiteten Mythologie in der römischen Religion, obgleich viele der griechischen Götter mit den römischen identifiziert wurden und in der griechischen Vorstellung eine Bandbreite an mythologischen Bildern und Geschichten im Umlauf waren. Die klassische Römische Religion blieb sowohl von einem wertenden philosophischen Überbau, als auch von einer mythologischen Verortung der in ihr verehrten Gottheiten weitestgehend frei und stellte somit eine reine, ritualisierte Kommunikationsform mit dem Göttlichen dar.

Verbreitete Verhaltens- und Moralvorschriften, die zum Teil recht strikt waren, entstammten demzufolge auch nicht religiösen, gottgegebenen Vorschriften, sondern basierten auf Kultur und Tradition des herrschenden Gesellschaftssystems. Gerechtigkeit und an ihr orientiertes Handeln, sowie die gültige Moral wurden als selbstverständlich vorausgesetzt und galten nicht als „Gesetz gegeben durch die Götter“ , sondern als ein der Natur innewohnendes Prinzip, welches sich im subjektiven Gewissen des Einzelnen reflektiert, aber in seinen gesetzten Ansprüchen (denen man nun Folge leisten mag oder nicht) von den Göttern unabhängig ist.

Es gab keine einheitliche, allgemeingültige Lehrmeinung darüber, was nach dem Tod geschah, sondern es gab verschiedene Jenseitsvorstellungen und Debatten über eine Seele oder eine anders geartete Existenz nach dem Tod.

Was der Einzelne über die Götter dachte, oder ob man sich überhaupt mit derlei theoretischen Fragen beschäftigte (selbst das war weder notwendig, noch allgemein in der Bevölkerung verbreitet), war Privatsache.

In der römischen Religion ging es auch nicht um eine individuelle, persönliche, spirituelle, emotionale Beziehung zu einem Gott. Man konnte zwar durchaus einem Gott mehr zugetan sein als einem anderen und diesen zu seinen persönlichen Hausgöttern zählen, an die man sich mit seinen Anliegen wandte, jedoch stand dies nicht im Vordergrund des religiösen Empfindens, sondern der römische Ansatz war tatsächlich sehr pragmatisch und nüchtern.

Götter als Staatsbürger

In der römischen Religion steht die Orthopraxie, d.h. die „rechte Handlungsweise“ im Zentrum, wobei es im Prinzip keine Rolle spielt, was der Handelnde im Einzelnen glaubt oder denkt. Wichtig ist nur, daß die Handlungsweise im Umgang mit den Göttern korrekt ist und festgelegten Vorschriften folgt.

Dies führt dazu, daß die römischen Rituale, aber auch andere kultische Handlungen, strikten Vorgaben folgen und wenig Spielraum für eigene Variationen erlauben, da Form und Funktion im Vordergrund stehen.

Grundlage für diese Herangehensweise ist die römische Vorstellung, daß die Götter, ebenso wie die Menschen, „Bürger“ und damit Teil der Civitas sind, daß sie mit den Menschen zu einer Gemeinschaft gehören und die Gesellschaft mittragen. Als cívitas (Bürgerschaft) wurden bestimmte Verwaltungsbezirke bezeichnet, in die das römische Staatsgebiet eingeteilt war, in weiterem Sinne ist darunter die Gemeinschaft der Bürger zu verstehen, die in einer solchen Verwaltungseinheit erfasst waren.

Die Götter sind nach römischer Vorstellung zwar allgegenwärtig, hingegen nicht unfehlbar, nicht allwissend und allmächtig, dem Menschen aber dennoch überlegen. Dabei sind sie jedoch nicht interessiert daran, ihre überlegenen Fähigkeiten ständig zur Schau zu stellen; im Alltagsleben verhalten sie sich nicht wie Tyrannen oder Herrscher, sondern eher wie „Patrone“ oder weisere Mitbürger (Seneca, Epistulae morales ad Lucilium, Dt: „Briefe über Ethik an Lucilius“).

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Das Fahnenheiligtum der XI. Legion, die jedes Jahr aus der Schweiz zur Villa Borg anreist, ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig der Kult in der Armee war – ohne sich der Gunst der Götter zu versichern, zog man in keine Schlacht

Wie alle Bürger haben dabei auch die Götter Rechte und Pflichten und tragen zum Gemeinwohl bei, um die Ordnung der Welt und ihre Verwaltung zu gewährleisten. Vorstellungen, daß die Götter sich nicht für die Menschen interessieren und sich aus ihren Angelegenheiten heraushalten, sind unrömisch und wurden schon in der Antike kritisiert (Cicero, De natura deorum I,3, Dt.: Vom Wesen der Götter).

Hier fällt deutlich auf, daß die Vorstellung von den römischen Göttern im Vergleich zu anderen Kulturen in vielen Aspekten gemäßigter war. Zum Beispiel galten bei den Griechen Götter als launisch und unberechenbar und mischten sich gerne aus selbstsüchtigen oder niederen Motiven in die Geschicke der Menschen ein. Eine solche Vorstellung paßt nicht zum römischen Konzept, eine Gottheit als pflichtbewußten Teil der Gemeinschaft zu sehen und auch in die Verantwortung zu nehmen.

Religio“ im römischen Sinne bezeichnet deshalb die grundsätzliche Annahme der Götter als wohlwollende und gutgesinnte Partner der Sterblichen in der Betreuung und Verwaltung der Welt. Nach Cicero entspricht dies auch dem Begriff „Cultus Deorum„, der die Bedeutung des praktischen kultischen Vollzuges betont, also die formal korrekte Verehrung der Götter durch Beachtung eines von alters her gültigen Bezugsrahmens, der durch bestimmte Objekte, Rituale, Zeitpunkte und Orte sowie durch die gewissenhafte Einhaltung von Regeln definiert wird.

Eine Verletzung dieser Strukturen, also etwa eine Opferung, die nicht dem gültigen sakralen Prozedere entsprach, oder Fehler in der Intonation der Anrufungen und andere Dinge dieser Art waren vitia“  (lat.: vitium = Fehler, Mangel, Gebrechen, Schaden) und führten zur Ungültigkeit des Ritus, so dass er von vorne begonnen werden mußte.

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Waschung der Hände vor der Durchführung des Rituals (Haltern, 2014)

Der Religio gegenüber steht, als negatives Gegenstück, die „superstitio„, im römischen Verständnis als Begriff nach Varro und Cicero definiert als übertriebene, devote Frömmigkeit oder religiöse Ereiferung, religiöse Extremzustände und ungesunde sprituelle Fokussierung, zum Beispiel sich manifestierend in Form von tagelangem Beten und Opfern, als allgemeine Furcht vor den Göttern oder als  Angst vor einem konkret strafenden Gott. Aber auch lähmender Aberglaube, sowie Magie und Divination, also der Versuch, sich selbst göttliche Kräfte oder Wissen um die Zukunft durch magische Mittel anzueignen fällt darunter, wie auch die Vorstellung, daß Götter die Kontrolle über den Geist eines Menschen nehmen, um dessen Gedanken zu kontrollieren oder ihm solche einzugeben. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ist also wesentlich vielschichtiger und weitreichender als das Lehnwort im Englischen, das wir heute noch kennen (superstition, was rein Aberglaube bedeutet).

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Wie die Götter es manchmal fügen…

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Artikel © D. Gratius Ludovicus, 07/2016

Manchmal gibt es schöne Beispiele im Leben eines Cultors, wie die Götter die Dinge fügen… heute also eine kleine Geschichte aus der gelebten Religion eines römischen Rekonstruktionisten, die ja gerne von vielen „Neuheiden“ als unspirituell und trocken abgelehnt wird 😉

Ich habe immer schon eine gewisse Nähe zu Silvanus verspürt, dem Gott des Waldes und der Felder, der im Gegensatz zu Faunus nicht die wilde Natur, sondern deren Eingrenzung und damit gleichermaßen ihre Zähmung und Nutzung verkörpert, wodurch letztlich die Grenze zwischen Natur und Kultur geschaffen wird. Dadurch gehören zu seiner Sphäre ebenfalls die Gärten und die Grenzen der ländlichen Grundstücke, so daß er nicht nur – wie Horaz ihn nennt – tutor finium, also Beschützer der Grenzen ist, sondern als Silvanus domesticus, als häuslicher Silvanus, geradezu der Wächter (custos) des Grundbesitzes und Hauses wird, was seine Funktion sich mit der der Laren überschneiden lässt. In diesem Sinne finden wir ihn auch in Inschriften als Silvanus sanctus larum oder Silvanus sanctus sacer larum als den  Penaten zugehörig erwähnt.

 

Sucellus

Sucellus Hochrelief aus Kinheim an der Mosel, 3. Jahrhundert

Bis dato hatte dieser Gott für mich aber kein Gesicht und er blieb ein Numen, das man spüren kann, wenn man alleine durch Wald und Flur streift. Vor einiger Zeit besuchten wir eine römische Kelteranlage am Fuße des – wie die Römer ihn nannten – Dulcis mons, des „süßen Berges“ bei Brauneberg an der Mosel. Dort fiel uns eine recht große Statue auf, die hinter der Absperrung aufgestellt ist und die wir bis dato noch nicht kannten. Es stellte sich heraus, daß es sich um den keltischen Gott Sucellus handelte, der später auch in der gallo-römischen Religion eine große Rolle spielte und dessen Darstellung als Statue hier an der Kelter nach einem Fund aus Kindel/Kinheim angefertigt worden war.

 

In der nachfolgenden Recherche zu dieser Gottheit war ich nicht wenig überrascht über die gallo-römische Gleichsetzung des Sucellus mit… Silvanus! Jetzt hatte dieses Numen, das ich kannte, auf einmal ein Gesicht bekommen, zwar aus einer für mich unerwarteten Ecke, aber durch die zufällig erscheinende Begegnung im Sinne einer bewegenden Überraschung.

 

Leider kannte ich keine konkrete Darstellung des Sucellus, wie etwa die Statue an der römischen Kelter, die man erwerben konnte. Abseits der üblichen Götterdarstellungen, die in den diversen Museumshops erhältlich sind, oder direkt von Künstlern, die diese anbieten (und die oft eben jene sind, die diese Repliken auch für die Museen anfertigen) wird es generell schwierig für den normalen Gallo-Römer. Die Museen wachen mit Argusaugen darüber, daß Rechte nicht verletzt werden, daß von Statuen z.B. keine „illegalen“ Abgüsse kursieren und daß sie die Kontrolle darüber haben, was auf dem Markt für jedermann erhältlich ist.

 

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Die römische Kelteranlage bei Brauneberg an der Mosel

Als ich mich vor vielen Jahren im Rheinischen Landesmuseum in Bonn einmal nach der Möglichkeit erkundigte, ob es Möglichkeiten gäbe, daß ich als Privatperson mir einen Matronenstein anfertigen lassen könnte, wurde schnell abgewunken mit dem Hinweis „sowas sehen wir nicht gerne und erlauben es auch nicht, was Abgüsse angeht etc. – wir möchten wissen wer wo was stehen hat“ – eine seltsame und mich nicht wirklich überzeugende Aussage, aber so war es nun mal.

Insofern hatte ich nach der Begegnung an der Mosel mit dieser gallo-römischen Gottheit  natürlich spontan die Idee, eine Statue des Sucellus-Silvanus für meine sacra privata irgendwann einmal mein Eigen nennen zu können, wußte aber um die oben angesprochenen Probleme. So zeigte sich denn auch nach einer entsprechenden Recherche schnell, daß diese Gottheit nicht zu denjenigen gehört, die auf dem üblichen Weg erhältlich sind, was mir deutlich machte, daß aus diesem Wunsch nichts werden würde. Was sich noch einstellte, war die Verärgerung über diverse Richtlinien, die es Museen erlauben, hier eine solche restriktive Kontrolle auszuüben, gleich wie sie das begründen mögen. Es mag bestimmte Gründe geben, die man als mehr oder weniger überzeugend für diese Restriktion akzeptieren kann, aber für den heutigen Cultor ist das schon ein arger Einschnitt in die  Ausübung unserer Religion. Damit war das Thema erst einmal auch abgehakt für mich. Aber wohl nicht für Sucellus 😉

 

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Sucellus, in der Kelter bei Brauneberg an der Mosel

Denn kurze Zeit später weilten wir auf einem kleinen aber feinen Event – die Historischen Zeit-Reise-Tage/Antiken Tage auf der Burg Olbrück – dessen Initiator wir kennen und wo wir kurz mal „Salve!“ sagen wollten, da die Olbrück nicht weit von uns entfernt liegt und sich das für einen sonnigen Sonntagausflug anbot.

 

Nachdem wir uns an wohlschmeckenden keltischen Gerichten gelabt hatten, erwähnte jener Bekannte, er habe eine Replik des Sucellus darstellenden Hochreliefs, das bei Ausgrabungen einer römischen Villenanlage aus dem 3. Jahrhundert in Kindel gefunden wurde, erwerben können… und habe noch eine zweite! Ein mehr als guter Preis wurde schnell auf unkomplizierte keltisch-römische Art vereinbart und ein paar Wochenenden später konnten wir den Sucellus bei ihm daheim abholen.

 

Heute – Dies Iovis Nonis Iuliis MMDCCLXIX ab urbe condita – habe ich die Invocatio durchgeführt und die Auspizien nach dem Ritus waren eindeutig, das Sucellus-Silvanus die Einladung angenommen hat.
Die Art und Weise, wie sich die Dinge in kürzester Zeit entgegen jeglicher Erwartung gefügt haben, ist für mich wieder ein deutliches Zeichen dafür, daß eine Gottheit Wege findet, um sich zu offenbaren und auch eigentlich Unmögliches doch irgendwie möglich zu machen 🙂

Eine ungewöhnliche Gallo-Römische Gottheit: Oceanus-Cernunnos

Heute möchten wir Euch eine gallo-römische Kuriosität vorstellen – eine ungewöhnliche  Verschmelzung eines keltischen mit einem römischen Gott: Oceanus-Cernunnos.

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Kurzer Exkurs: Interpretatio Romana

Dank der Interpretatio Romana ist die Identifikation fremder Gottheiten mit römischen Gottheiten eigentlich nichts Außergewöhnliches; viele Gottheiten anderer Völker, seien es gallische, afrikanische oder orientalische Götter hielten auf diese Weise Einzug in den römischen Pantheon, indem sie mit bekannten römischen Gottheiten identifiziert oder assoziiert wurden. Beispiele dafür sind die gallischen Heilgötter Apollo-Grannus und Lenus-Mars, landwirtschaftliche Götter wie Mars-Intarabus, der orientalische Soldatengott Jupiter-Dolichenus, der ägyptische Jupiter-Ammon oder die keltische Waldgöttin Diana-Arduinna.

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Apollo-Grannus und Sirona, zwei beliebte gallo-römische Gottheiten

Andere fremde Götter wurden ohne römisches Gegenstück Teil der römischen Götterwelt, wie die keltischen Göttinnen Sirona, Rosmerta und – vor allem – Epona, die sich reichsweiter Beliebtheit erfreute.

In der Römischen Antike war es üblich, Lokalgötter aus den Provinzen des Imperiums durch funktionale Identifikation, d.h. aufgrund ihrer Attribute, Eigenschaften oder Zuständigkeiten, mit einer römischen Gottheit gleichzusetzen und dadurch in den eigenen Cultus aufzunehmen. Ausführliche Hintergrundinformationen zu dieser Praxis findet Ihr in unserem Artikel zur Interpretatio Romana, auf den wir an dieser Stelle verweisen möchten.

Ein römischer Meeresgott und der keltische Gehörnte?!

Da es, wie im verlinkten Artikel beschrieben, keine festen „Zuordnungstabellen“, Regeln oder gar Kommissionen gab, die bestimmten, welcher Gott mit welchem zu identifizieren sei, gab es in der Vermischung große persönliche Freiheiten und Interpretationsspielräume. Das führte dazu, daß wir heute auf Bildern, Weihesteinen oder Inschriften immer wieder auch auf ungewöhnliche Zuordnungen stoßen, die zwei Götter miteinander verschmelzen, deren Zusammenhang sich auf den ersten Blick nicht unmittelbar erschließt oder die aus den persönlichen Lebensumständen des Stifters zu deuten sind.

Ein Beispiel dafür ist auf einem großen Bodenmosaik in der Palastvilla von Bad Kreuznach zu bewundern, die wahrscheinlich einem erfolgreichen, einheimischen Geschäftsmann gallischer Herkunft und Händler für mediterrane Meeresfrüchte gehörte: er widmete das detailreiche Relief einem gallo-römischen Oceanus-Cernunnos.

Der Fundort

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Modell der Palastvilla von Bad Kreuznach

Die römische Luxusvilla liegt in der heutigen Stadt Bad Kreuznach an der Nahe, zu römischer Zeit eine kleinere Ansiedlung (vicus) mit einem nahegelegenen Militärkastell.

Es handelte sich um eine der größten Villen in der Region, deren wohlhabender Besitzer vermutlich in der eine Tagesreise entfernten Provinzhauptstadt Mogontiacum (das heutige Mainz) arbeitete und sich dann und wann auf sein „Landschlößchen“ zurückzog. Der repräsentative Bau deutet darauf hin, daß er auch dazu diente, Gäste und Geschäftsleute zu empfangen, sich in den ausschweifenden Thermen standesgemäß zu entspannen oder sich anderen Vergnügungen hinzugeben, wie man es als „Superreicher“ zur römischen Zeit tat.

Die Villa lag auf einem Südhang des Ellerbachtals mit Panoramablick auf den Fluß und das ganze Tal. Sie war im Stil einer Peristylvilla erbaut, einem Gebäude, das im mediterranen Stil um einen zentralen Innenhof herum errichtet war. Entlang der gesamten Nordseite, über die das Haus betreten wurde, zog sich ein Porticus, eine Säulenhalle.

Die dreistöckige Villa hatte gigantische Ausmaße und verfügte allein im Erdgeschoß über 50 Zimmer. Die Fenster waren verglast. Die beiden repräsentativen Empfangssäle waren jeweils mit einer Hypokaust-Fußbodenheizung beheizt. Es gab Wasserspiele, die mit eigenen Wasserleitungen versorgt wurden, einen Küchentrakt und eine dreisitzige Toilette. Tonleitungen, die von einer Quelle oberhalb des Hangs bis zum Haus führten, deuten auf eine eigene Versorgung mit fließendem Wasser, sowie den steten Abfluß von Brauchwasser hin. Auch im Keller des Hauses lag eine eigene Quelle, deren Wasser durch Risse im Fels sinnvoll genutzt wurde, um Vorräte zu kühlen.

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Die Römerhalle von Bad Kreuznach ist ein sehr sehenswertes Museum

An einigen Wänden fanden sich große, sehr hochwertig ausgeführte Wandmalereien, zum Teil mit Inschriftenresten, die auf Szenen griechischer Tragödien hindeuten und den hohen Bildungsanspruch des Besitzers darstellen sollen. Einige Wände sind mit echtem Marmor verkleidet, an anderen wiederum wurde Marmorimitat verwendet. Deckenmalereien mit Kassetten sind an stadtrömische Architektur angelehnt.

Zwei großflächige Mosaike (eines davon beheizt!) dienten dazu, den Reichtum des Besitzers zur Schau zu stellen – schon damals in gehobenen Kreisen überaus wichtig. Sie gehören heute zu den besterhaltensten Mosaiken nördlich der Alpen, zusammen mit dem Dionysos-Mosaik in Köln und dem Gladiatorenmosaik in der Villa Nennig.

Das erste Mosaik der Villa zeigt Gladiatorenszenen aller Art, wie sie überall im römischen Reich zu finden sind.

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Mosaik mit eingelassenem Sechseckbrunnen

Das zweite Mosaik zeigt das Portrait eines Gottes, der als „Oceanus-Cernunnos“ angesprochen wird, da sich in seiner Darstellung Attribute beider Götter vereinigen. Zwar gibt es nirgendwo in der Villa eine Inschrift, in der er ausdrücklich so genannt wird, aufgrund der eindeutigen Ikonographie wird diese Deutung allerdings allgemein akzeptiert – zumal nichts dagegen spricht, daß ein romanisierter Kelte diese beiden Götter, die beide für ihn in seinem Privatleben eine wichtige Rolle spielen, miteinander verbindet.

Das war gängige römische Praxis; nur die Mischung zweier augenscheinlich vollkommen unterschiedlicher Götter ist es, die diese Kombination besonders interessant macht (wenn auch nicht einzigartig, denn es sind einige weitere Oceanus-Cernunnos-Verbindungen bekannt, unter anderem aus Verulamium und Colchester in Britannien).

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Der vicus von Bad Kreuznach zur Römerzeit

Das Mosaik stammt wahrscheinlich aus dem Jahr 234 n. Chr., worauf eine Konsularinschrift bezogen auf die Konsuln Maximus und Urbanus hindeutet.

Die Villa ist heute in die Römerhalle Bad Kreuznach integriert, ein sehenswertes Museum mit Freigelände, das auf 1000 Quadratmetern Funde der Umgebung aus keltischer und römischer Zeit zeigt, sowie Fluchtafeln und eine große Auswahl an Viergöttersteinen. Neben den beiden Mosaiken gehört eine Sammlung von Soldatengrabsteinen aus dem nahen Militärlager zu den wichtigsten Ausstellungsstücken, da diese, oft lebensgroßen und sehr detaillierten Darstellungen, Aufschluß über den soldatischen Alltag und das Aussehen der Auxiliartruppen in der Region geben.

Ikonographie des Mosaiks

Das 1966 gefundene, sehr gut erhaltene Fußbodenmosaik ist 68 Quadratmeter groß. In seiner Mitte befindet sich ein marmorverkleidetes sechseckiges Wasserbecken. Einlassungen im Mosaikboden deuten darauf hin, daß sich darauf ein steinernes Triklinum – eine Liegebank für gesellschaftliche Anlässe – befand.

Die detaillierten Darstellungen auf dem Mosaik gelten als Indiz dafür, daß es sich bei dem Besitzer der Villa um einen Händler von Fisch- und Meeresprodukten gehandelt hat, also teuren Luxusgütern in dieser weit vom Meer entfernten Region, die in der Hauptstadt der Provinz Germania Superior, Mogontiacum, sehr begehrt waren (Dies wird unter anderem in der Arbeit „Der Besitzer der Bad Kreuznacher Peristylvilla – ein Händler ostmediterraner Lebensmittel?“ von Ulrike Ehmig ausführlich untersucht (erschienen in: Münstersche Beiträge zur Antiken Handelsgeschichte, Bd. XXIV, 2, 2005).

Es handelt sich nicht um die sonst üblichen stilisierten Meeres- und Fischereiszenen, die allgemein als Sinnbild für ein glückliches Leben in ländlicher Idylle fernab von Verpflichtungen gelten, sondern um sehr konkrete Darstellungen von Schiffen, Amphoren und Gegenständen, von Handel und Transportszenen, sowie um wirklichkeitsgetreue Abbildungen von Meerestieren, mit denen der Hausherr wahrscheinlich gehandelt hat und die den Gästen in diesem Raum sicherlich auch serviert wurden. In erster Linie diente es also der Selbstdarstellung seines Unternehmens, modern ausgedrückt könnte man sagen, war dieses Haus Teil des Marketings des Besitzers .

Das Mosaik zeigt im Zentrum den nackten Oberkörper eines Gottes mit langen blonden, gelockten Haaren und blondem langem Schnurrbart. Aus seinem Kopf wächst ein rotes, verästeltes Geweih, das einige Laubblätter zieren. Seinen Hals ziert ein Halsreif oder Torque in Form einer Schlange im keltischen Stil.

Hinter den beiden Schultern des Gottes befinden sich zwei Hippocampen (mythologische Meerpferdchen mit dem Oberkörper eines Pferdes und dem Unterkörper eines Fisches).

Um den Gott herum befinden sich detaillierte Darstellungen von Handelstätigkeiten, zum Beispiel dem Kauf von Amphoren und dem Transport von Waren mit Schiffen, mediterrane Küstenlandschaften und zahlreiche Fische und Meerestiere.

Oceanus

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Klassische Darstellung des Oceanus aus Petra (heute Jordanien)

Der römische Meeres- und Flussgott Oceanus wird für gewöhnlich mit Hummer- oder Krebsscheren auf dem Kopf dargestellt. Typisch römisch ist auch seine Darstellung mit wild gelocktem Haar. Oft werden bei den im ganzen römischen Reich beliebten Oceanus-Darstellungen die Enden des Schnurrbarts zu Meerestieren. Im Gegensatz zu Neptun, dem Meeresgott, der oft in aktiver Pose mit Dreizack dargestellt wird, ist Oceanus in der römischen Darstellung meist ruhig, allenfalls mit Anker oder einem Ruder, da er als Gott angerufen wird, wenn es um gute und ruhige Fahrt über ein Gewässer geht.

Seine häufige Darstellung und praktische Verwendung als Wasserspender an Brunnen sowie die Attribute Schilf und Quelle weisen auf seine Funktion als Flussgott hin. Durch die Nähe zum Rhein, eine Tagesreise entfernt, über den der Besitzer der Villa sicherlich zum großen Teil den Transport seiner leicht verderblichen Luxusgüter abwickelte, erklärt sich seine Verbundenheit zu einem Gott, der sowohl die Meere und dessen Bewohner repräsentiert, aber auch als Vater der Flüsse gilt. Seine zentrale Bedeutung für die Sacra Privata, den privaten Hauskult des Villenbesitzers, zeigt sich auch in einem weiteren Fund – Oceanus in Form eines fein gearbeiteten Türbeschlags.

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Klassischer Ocenaus mit Krebsscheren auf dem Kopf, die Bartenden werden zu Delphinen (Cordoba, Spanien)

Die Abwandlung der klassisch römischen Darstellung des Oceanus in eine keltisch beeinflusste Form zeigt sich in der Umwandlung der Hummerscheren in ein Geweih. Zwar könnte man es aufgrund der roten Farbe auch als aus Koralle bestehend deuten, die Form und die daran haftenden Blätter identifizieren es aber eindeutig als Geweih.

Gleiches gilt für den Halsschmuck in Form eines typisch keltischen Halsreifs, der klassischerweise nichts an einem Oceanus zu suchen hat. Auch die Schlangen an seinen Enden entspringen nicht der Ikonographie des Ocenaus, sondern sind in der Gedanken- und Vorstellungwelt eines romanisierten Galliers zu verorten, der sich einerseits ganz dem römischen Lebensstil verschrieben hat, andererseits aber einen unkomplizierten Umgang mit der lokalen gallo-römischen Glaubenswelt pflegt und deshalb keine Probleme damit hat, einen für sein Volk wichtigen Gott mit einem für ihn persönlich wichtigen römischen Gott zu vermischen und ihre Attribute in einer völlig neuen Form zu kombinieren.

Daß ein Gallier von den Krebsscheren auf dem Kopf des Oceanus an das Hirschgeweih einer keltischen Geweihgottheit erinnert wird und diesen in einem heimischen Mosaik entsprechend darstellen läßt, ist im Rahmen des gallo-römischen Kontextes nicht weiter befremdlich. Ebensowenig verwundert es, daß er den Gott Oceanus mit dem in einheimischer Tracht üblichen Halsschmuck darstellt.

Cernunnos (?)

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Cernunnos auf dem Kessel von Gundestrup, sicherlich die bekannteste Darstellung

Cernunnos, der keltische Gott des Waldes und der Waldbewohner, ist aufgrund der Überlieferungslage generell problematisch in der Deutung.

Der Name des Gottes, der aus einer bruchstückhaften Inschrift der Pariser Nautensäule stammt, wurde in der Neuzeit auf zahlreiche namenlose keltischen Gottheiten mit Hirschgeweih übertragen, ohne daß sichergestellt ist, daß es sich bei ihnen immer um ein und denselben Gott handelt und nicht vielmehr um lokale Gottheiten unbekannten Namens.

Es gibt keinerlei Erwähnung oder Beschreibung seiner Symbole, Kultpraxis oder Attribute in schriftlichen römischen Quellen, so daß bei diesem Gott viel (moderne) Interpretation im Spiel ist. So ist die Verwendung des Namens „Cernunnos“ für alle gallischen Geweihgottheiten an sich schon fragwürdig.

Cernunnos trägt auf seinen Darstellungen ein Hirschgeweih oder hat zuweilen sogar einen vollständigen Hirschkopf. Meist sitzt er in ruhiger, geradezu an eine Meditationshaltung erinnernde Pose und ist von Tieren umgeben. In den bekannten Darstellungen trägt er oft ebenfalls einen eng anliegenden Halsreif. In der Gundestrop-Darstellung hält er zudem eine Schlange in der linken Hand und einen Torque in der rechten. Diese Schlange findet sich in mehreren Darstellungen quer durch den gallischen Raum.

Die Schlange spielt allerdings auch in der römischen Vorstellungswelt eine wichtige Rolle als positives, glücks- und erfolgsverheißendes Symbol und Torques mit Enden in Form von Schlangenköpfen sind aus dem gallo-römischen Raum bekannt, zum Beispiel wurden sie gerne von Legionären getragen.

Daß sich Cernunnos im romanisierten Gallien auch zur Römerzeit noch großer Beliebtheit erfreute, belegen Weihesteine, Brunnenfunde, Figur- und Reliefdarstellungen, die bis in die späte Kaiserzeit hinein populär waren. Auf Inschriften wird er in latinisierter Form Cernenus, Cornunus oder Cornutus genannt, worin sich das lateinische Wort „Cornu“ (Horn) wiederfindet (daß der aus dem luxemburgischen Waldtempel im Alzettetal bekannte Cerunincus etwas mit Cernunnos zu tun hat, ist hingegen unwahrscheinlich).

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Götterwelt: Arduinna

Herkunft, Bezeichnungen:

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Diese Bronzefigur wird als Arduinna angesprochen; ob es sich bei ihr tatsächlich um diese Göttin handelt, ist nicht gesichert

Arduinna ist eine gallo-römische Berg- und Waldgottheit und Göttin des Ardennenwaldes. In der Interpretatio Romana wird sie der Göttin Diana zugeordnet.

Alternative Schreibweisen sind Ardbinna oder Ardvinna. In einer Weiheinschrift wird sie auch als Dea Ardbinna bezeichnet.

Als „Ardennen“ (Arduenna silva) bezeichneten die Römer das zusammenhängende Mittelgebirge und geschlossene Waldgebiet von den (heutigen) Ardennen in Belgien und Luxemburg über Hohes Venn, Eifel bis an die Mosel und den Rhein (Provinzen Belgica und Germania inferior). Dieses Gebiet war zur Zeit des Gallischen Krieges (54-53 v. Chr) vor allem von den Treverern und Eburonen besiedelt und diente als Rückzugsgebiet des eburonischen Königs Ambiorix. Eine ausführliche geographische Beschreibung findet sich bei Caesar, De bello gallico, V, 3; VI, 31. Auch Strabon beschreibt in seiner „Geographica“ (IV, 3, 5) die Ardennen und zählt die keltischen Stämme auf, die in diesem Gebiet leben.

Ähnlich wie die gallo-römische Berggöttin Abnoba (römisch: Diana-Abnoba) die Personifikation des Schwarzwaldes war, gilt Arduinna als Personifikation der Ardennen. Weihesteine und figürliche Funde sind aus mehreren Gegenden des Eifel-Ardennengebiets bekannt, jedoch ist die Fundlage spärlicher als bei Abnoba. Verehrung erfuhr sie vor allem im Nordwesten Galliens.

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Replik des Weihesteins aus Gey

Ein Weihestein für Arduinna wurde in Gey (Hürtgenwald) gefunden, wo er heute auf dem Dorfplatz als Replik aufgestellt ist (das Original befindet sich im Rheinischen Landesmuseum Bonn). Die Inschrift (CIL 13, 07848) lautet: „Deae Ardbi/nnae T(itus) Iuli/us Aequalis / s(olvit) l(ibens) m(erito)“ – „Der Göttin Ardbinna hat Titus Iulius Aequalis sein Gelübde froh, gerne und nach Gebühr eingelöst“.

Ihre Verehrung ist bis in das Jahr 565 n. Chr. belegt, als der langobardische Mönch und luxemburgische Säulenheilige St. Walfroy (Wulfilaïc) im belgischen Florenville eine Abkehr vom Kult der Arduinna forderte und ein Heiligtum der Diana zerstörte.

Zuständigkeiten, Attribute und Darstellungen:

Ein Weihestein (CIL 6, 46) ist aus Rom bekannt, den M. Quartinius Sabinus, Soldat einer römischen Kohorte, ein Gallier aus dem Stamm der Remer, mehreren Göttern stiftete – an erster Stelle zwei Lokalgöttern seiner Heimat, Ardvinne und Mars-Camulus. Da sein Weihestein neben einer Inschrift auch ein Relief enthält, wissen wir, daß Arduinna ikonographisch im klassischen römischen Stil wie Diana mit Bogen und Köcher dargestellt wurde.

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Die Wälder und engen Täler der Ardennen (hier: Blick von der Burg in Esch-sûr-Sure)

Eine weitere Darstellung der Arduinna ist in Form einer kleinen, aus römischer Zeit stammenden Bronzestatuette erhalten, die eine jugendliche Göttin mit Pfeil und Bogen zeigt, die auf einem Eber reitet und eine kurze, gegürtete Tunika trägt und wahrscheinlich diese Göttin zeigt.

Der Fundort dieser Figur ist unbekannt, ebenso kann nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden, daß es sich bei dieser Figur tatsächlich um Arduinna handelt, da keine begleitenden Inschriften gefunden wurden. Die Zuordnung zu dieser Göttin stammt aus dem 19. Jahrhundert und erfolgte durch den Antiquaren, der sie entdeckte – möglicherweise aufgrund der Tatsache, daß das Wappentier der Ardennen der Eber ist. Die Figur befindet sich heute im Musée des Antiquités Nationales in Saint-Germain-en-Laye.

Durch ihre Identifikation mit Diana wird sie als Natur-, Jagd- und Waldgöttin angesprochen, daneben durch ihren Bezug zu den Ardennen und Parallelen zu Abnoba als Berggöttin und Beschützerin der Region, die sie als Lokalgöttin personifiziert.

Sonstiges:

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In den Ardennen sind wir gerne und häufig unterwegs. Hier: Blick vom Chateau La Roche

Zu Arduinna ist (anders als bei den gallischen Gottheiten Sirona oder Rosmerta) kein Begleiter bekannt.

Es sind keine Orte oder Tempel erhalten oder bekannt, an denen sie verehrt wurde.

 

 

 

 

 

 

 

Rezepte: Libum – römisches Opferbrot

Kleine römische Opferbrote für besondere Anlässe

Kleine römische Opferbrote für besondere Anlässe

Das „Libum“ ist mehr als ein Brot – es spielte in der römischen Antike als traditionelles Opferbrot eine wichtige Rolle. Es wurde zu besonderen Anlässen gebacken und geopfert, zum Beispiel anläßlich des Rituals zum eigenen Geburtstag.

Daneben war es auch eine beliebte Beilage zum Essen, die würzig oder süß serviert werden konnte.

Das Libum wird in mehreren antiken Quellen erwähnt und, was ein besonderer Glücksfall ist, darüber hinaus existiert ein vollständiges überliefertes Backrezept: Marcius Porcius Cato beschreibt in „De Agricultura“ (75-76), wie das Opferbrot hergestellt wird.

„Libum hoc modo facito: casei p. II bene disterat in mortario; ubi bene disteriverit, farinae siligineae libram aut, si voles tenerius esse, selibram similaginis solum eodem indito permiscetoque cum caseo bene; ovum unum addito et una permisceto bene. Inde panem facito, folia subdito, in foco caldo sub testu coquito leniter.“

„Ein Libum mache so: Man zerreibe 2 Pfund Käse in einem Mörser; wenn man das fein zerrieben hat, gib ein Pfund sehr weißes Weizenmehl oder, wenn du es zarter willst, nur ein Halbpfund Weizenmehl dazu hinein und vermische es gut mit dem Käse; gib ein Ei hinzu und mische es gut mit hinein. Daraus forme einen Laib, lege Blätter darunter, backe es langsam auf warmem Herd unter einer Schüssel.“ (Übersetzung aus: O.Schönberger, „Marcus Porcius Cato – Vom Landbau – Fragmente“)

Lararium mit Libum als Opfergabe

Lararium mit Libum als Opfergabe

Hierzu muß man wissen, daß das römische „Pfund“ („pondus“) nicht mit dem modernen Pfund übereinstimmt, sondern ein Pondus entspricht 327,45 g.

Wie dem Rezept zu entnehmen ist, handelt es sich beim Libum nicht um ein „klassisches“ Brot, sondern eher um eine Art Käsegebäck. Es kann nach dem Backen mit Honig bestrichen werden, schmeckt aber auch hervorragend, wenn man es warm zu Kräuterbutter oder Moretum serviert.

Die Technik des Abdeckens mit einer Schüssel ist nicht sonderlich geheimnisvoll – hier wird, ganz pragmatisch, ein Backofen ersetzt, so daß man das Opferbrot auch dort backen kann, wo man keinen aufwendigen Backofen in der Nähe hat, sei es in einer kleinen Küche oder draußen. Wir können deshalb heute problemlos auf einen Backofen zurückgreifen und müssen keine Schüssel-Herd-Experimente machen, nur um es besonders „authentisch“ zu machen. Es sei denn, man möchte diesen mobilen Reisebackofen experimentalarchäologisch ausprobieren 😉

Mit den Mengenangaben muß man etwas experimentieren. Wie geschmeidig der Teig wird, hängt von einigen Faktoren ab: in erster Linie vom Feuchtigkeitsgehalt des verwendeten Käses (wir bevorzugen eingelegten Schafs- oder Ziegenkäse, andere backen das Libum mit Ricotta) und der Größe des Eies. Deswegen empfehlen wir, das Mehl nur sehr zaghaft nach und nach zuzugeben, da der Teig bei zu trockenem Käse schnell bröselig werden kann und beim Formen der Kugeln dazu neigt, auseinanderzufallen. Deshalb lieber etwas weniger Mehl oder mehr Flüssigkeit hinzufügen, als im Rezept angegeben.

Unsere Empfehlung zur Herstellung von 4 kleinen Opferbroten:

Die Zutaten sind sehr einfach!

Die Zutaten sind sehr einfach!

Zutaten:

  • 200 Gramm Schafs- oder Ziegenkäse (in Salzlake)
  • 200-300 Gramm helles Mehl (abhängig von der Feuchtigkeit des Käses)
  • 1 Ei
  • Lorbeerblätter
  • ggfs. Honig

Die typischen Gewürze, die sich sonst in römischem Brot finden, sind nicht notwendig, da das Brot aufgrund der Verwendung des eingelegten Schafskäses und des Backens auf Lorbeerblättern schon salzig ist.

Zubereitung:

Den Schafskäse in eine Schüssel bröseln und mit einer Gabel zerdrücken.

Den Schafskäse mit einer Gabel zerdrücken

Nach und nach das Mehl hinzugeben und immer wieder vermischen und zerdrücken.

Das Ei hinzugeben und ebenfalls gut untermischen.

Nun beginnt die Kneterei: Den Teig auf ein gemehltes Brett legen und gut durchkneten, bis er gleichmäßig, geschmeidig und glatt ist. Wenn der Teig zu feucht ist, vorsichtig Mehl nachgeben, bis er gut formbar ist.

03_Libum_Kneten

Aus dem Teig vier gleichmäßige, etwa brötchengroße runde Laibe formen. Diese nach Geschmack oder entsprechend des geplanten Rituals sternförmig einschneiden oder mit einem anderen Muster versehen.

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Ein Backblech mit Lorbeerblättern auslegen und die Laibe auf das Bett aus Blättern legen.

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Bei etwa 200 Grad (Umluft 180 Grad) backen, bis der Teig durch ist und die Laibe eine goldbraune Farbe angenommen haben. Dies dauert bei der beschriebenen Größe etwa 30 Minuten.

Opferbrot für Apollo und Sirona

Opferbrot für Apollo und Sirona

Für die süße Variante werden die Brote direkt nach dem Backen (noch heiß) mit Honig bestrichen und trocknen gelassen.

Für die würzige Variante entfernt man nur die eventuell an der Unterseite haftenden Lorbeerblätter.

Schmeckt Menschen und Göttern gleichermaßen ;)

Schmeckt Menschen und Göttern gleichermaßen 😉

Das Brot kann sowohl heiß als auch kalt verzehrt werden, wird nach einiger Zeit aber etwas hart, so daß man es lieber frisch und warm servieren sollte.

Zur Verwendung als Opferbrot, zum Beispiel beim morgens durchgeführten Geburtstagsritual, kann es problemlos am Tag zuvor vorgebacken werden.

 

Kultpraxis: Geburtstagsritual am Lararium

„Statuetten opfernder Männer und Frauen“ im RGM Köln. Oder Larariumsfiguren von Genius und Iuno? Fundort: Köln

Wie wir in unserem Einleitungsartikel „Der Geburtstag in der römischen Antike“ beschrieben haben, unterschieden sich römische Geburtstagsbräuche kaum von unseren heutigen – mit einem Unterschied:

Neben Essen, Trinken und Feiern nutzte man den Tag auch, um in einem Ritual am Lararium, dem Hausschrein, seines Genius / seiner Iuno zu gedenken, sich bei den Göttern für das vergangene Lebensjahr zu bedanken und mit einem Gelübde ihre Unterstützung für das kommende Lebensjahr zu erbitten. Hierbei wird immer Jupiter Optimus Maximus eingeschlossen, aber zusätzlich auch jeder andere Gott, der in der eigenen Sacra Privata eine Rolle spielt.

Dieses Ritual stellte die rituelle Eröffnungshandlung am eigenen Geburtstag dar und wird deswegen auch heute in der Religio Romana als Teil der Feierlichkeiten praktiziert.

Der Zweck dieses Rituals ist denkbar pragmatisch: sicherzustellen, daß man auch seinen nächsten Geburtstag erlebt.

Vorbemerkung zu Quellen und Authentizität:

Informationen zu Anrufungen des Genius und der Götter, zu typischen Opfergaben (wie Kuchen, Weihrauch) und zu Opferhandlungen (wie dem Schmücken der Figur des Genius) sind uns, wie im Einleitungsartikel bereits erwähnt, aus zahlreichen Quellen überliefert. Auch gibt es erhaltene antike Texte, die Geburtstags-Segenswünsche enthalten oder Anrufungen und Gelübde aus dem Staats- und Kaiserkult anläßlich des Geburtstags des Kaisers.

Texte, die ein vollständiges Geburtstagsritual im privaten Cultus, in der Sacra Privata beschreiben, sind allerdings nicht bekannt. Deswegen muß ein solches Ritual aus den Fragmenten an erhaltenen Informationen und aus den überlieferten Texten rekonstruiert werden.

Pontifex Cn. Cornelius Lentulus führt eine Opferzeremonie anläßlich der Floralia durch (Foto mit freundlicher Genehmigung des Aquincum Museums Budapest http://www.aquincum.hu/)

Pontifex, Sacerdos, Quaestor und tief in der Religio Romana bewanderter Cultor Cn. Cornelius Lentulus führt eine Opferzeremonie anläßlich der Floralia 2015 durch (Foto mit freundlicher Genehmigung des Aquincum Museums Budapest http://www.aquincum.hu/)

Das hier im folgenden aufgeführte Ritual wurde uns freundlicherweise von Pontifex Cn. Cornelius Lentulus, einem der erfahrensten heute praktizierenden Cultores, zur Verfügung gestellt – genauer gesagt, zum Geburtstag geschenkt 🙂

Er ist zudem Lateindozent an der Universität Budapest und sehr bewandert in der antiken Quellenlage, so daß sein Versuch einer Rekonstruktion dieses Geburtstagsrituals nach bestem Wissen und Gewissen erfolgte, mit dem Anspruch, ein Ritual zu gestalten, das einem römischen Ritual aus der Antike so nahe wie möglich kommt und möglichst wahrscheinlich und authentisch ist.

Die Gelübde im Ritual orientieren sich an den überlieferten Gelübden der Arvalbrüder, des 12-köpfigen römischen Priesterkollegiums, anläßlich des Geburtstages des Kaisers. Die Opfergaben und Handlungen im Bezug auf den Genius entstammen den recht genauen Beschreibungen in den zahlreichen erhaltenen Texten über antike Geburtstagsfeiern, unter anderem von Ovid, Cicero und Tibull.

Ergänzt wurde der Ritualtext von uns durch praktische Handlungsanleitungen, die ebenfalls den antiken Quellen entnommen sind.

So stammt das folgende Ritual zwar nicht aus einer original römischen Quelle, ähnelt aber nach heutigem Kenntnisstand weitestgehend den Kulthandlungen, die Römer wahrscheinlich zu ihrem Geburtstag am Hausaltar abgehalten haben, so daß man es als heutiger Cultor und römischer Rekonstruktionist guten Gewissens in seine Sacra Privata einbinden kann.

Durchführung des Rituals

Vorbereitungen:

Wer eine Figur des Genius / Iuno in seinem Lararium hat, schmückt diese mit einem Kranz. Das Lararium kann zu diesem Anlaß auch mit frischen Blumen bedacht werden.

Neben einer Mischung aus honiggesüßtem Wein und Milch wird Räucherwerk benötigt. Hierzu wird Weihrauch verwendet, so daß man zur Vorbereitung Kohle entzünden und vorglühen sollte. Weihrauch zu räuchern, ist ein originär römischer Brauch, der bis heute seine Fortsetzung in den Bräuchen der römisch-katholischen und orthodoxen Kirche gefunden hat.

Da nur wenig Weihrauch benötigt wird, genügt auch ein kleines Stück Räucherkohle (die Kohletabletten lassen sich problemlos halbieren und vierteln) – es werden pro Rauchopfer jeweils nur ein paar kleine Stücke Weihrauch auf die Kohle gelegt und keine gewaltigen Rauchschwaden erzeugt, wie oftmals irrigerweise angenommen. Insofern gibt es keinen Grund auf Weihrauch als traditionelles Rauchopfer zu verzichten, auch wenn man in einer kleinen Wohnung lebt, zumal auch die Atmosphäre durch Weihrauch eine gänzlich andere ist, als durch die üblichen Räucherstäbchen.

Optional ist die Verwendung von Opferbrot (Libum) oder einem Stück des Geburtstagskuchens.

Bekleidung:

Der Paterfamilias opfert am Lararium

Der Paterfamilias opfert am Lararium

In der Antike war es üblich, daß man sich an seinem Geburtstag weiß kleidete (Ovid, Tristia V 5,8). Weiße Kleidung ist daher authentisch; wichtig ist aber vor allem, daß man saubere und ordentliche Kleidung trägt und das Ritual nicht im Schlafanzug oder Putzshirt durchführt.

Wie bei römischen Ritualen nach dem Ritus Romanus üblich, wird das Ritual capite velato, d.h. mit verhülltem Haupt durchgeführt. Anrufungen erfolgen stehend, manu supina (mit erhobenen Händen).

Opfergabe:

Als Opfergabe wird in diesem Ritual durch Honig gesüßter Wein mit Milch verwendet. Wenn man möchte, kann man den Wein durch Libum (Opferbrot) ersetzen oder ihn damit ergänzen. In diesem Fall muß im Text der Ausdruck „vino lacte melleque mixto“ durch das Wort „libo“ ersetzt werden.

Ansprache des Genius / der Iuno:

Der Geburtstag eines Menschen ist auch der Geburtstag seines „Schutzgeistes“, der bei Männern „Genius“, bei Frauen „Iuno“ genannt wird. Frauen ersetzen im Ritual das Wort „Genius“ deshalb einfach durch „Iuno“ (also im Vokativ „Geni“ durch „Iuno„.)

Sprache:

Es gilt in der Religio Romana die Vorstellung, daß Latein den Göttern besonders gefällt und sie positiv stimmt (was ja insbesondere bei persönlichen Anliegen nie schaden kann). Grundsätzlich gilt Latein als sakrale Sprache mit besonderer Wirkung und Macht.

Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, daß auch im römischen Vielvölkerstaat Gebete und Rituale durchaus in den vielen lokalen Sprachen (oder, insbesondere in der Osthälfte des Reichs, auf Griechisch) durchgeführt wurden, so daß nichts dagegen spricht, ein Ritual in seiner eigenen Muttersprache abzuhalten.

Unsere Präferenz ist die Durchführung in lateinischer Sprache.

Durchführung:

Dieses Ritual war und ist nicht „geheim“ oder privat (wie eigentlich kein römisches Ritual, solche, die in den Mysterien zur Anwendung kamen, einmal außen vor), sondern wenn man möchte, kann man Familienangehörige und andere Mitglieder des Haushalts, auch Geburtstagsgäste, daran teilnehmen oder zuschauen lassen.

Natürlich kann man es auch für sich alleine abhalten, um sich auf seine Anliegen und die Kulthandlungen zu konzentrieren; wir möchten nur darauf hinweisen, daß es in römischen Haushalten normal war, rituelle Handlungen sowohl gemeinsam, als auch alleine an seinem Lararium und Sacrarium durchzuführen.

I. PRECATIO IOVI (Gebet an Jupiter Optimus Maximus)

Am eigenen Geburtstag, nach dem Aufstehen, Waschen und Anziehen, tritt man vor sein Lararium.

Anrufung des Jupiter Optimus Maximus, vor dem Lararium stehend, capite velato und manu supina.

(mehr …)

Der Geburtstag in der römischen Antike

Römisches Fest (Roberto Bompiani)

Römisches Fest (Roberto Bompiani)

Schon in der römischen Antike feierte man gerne seinen eigenen Geburtstag – und zwar mit Einladungen an Freunde und Verwandte, Geburtstagskuchen, Ständchen singen, Kerzen, Essen und Trinken! Eine römische Geburtstagsfeier unterschied sich in ihren geselligen Aspekten deshalb kaum von einer heutigen Feier.

Im Gegensatz zu heute hatte der Geburtstag jedoch auch eine religiöse Komponente, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielte und rituell in die Feierlichkeiten eingebunden war.

Exkurs: Kein Geburtstag ohne Kalender

Seit wann und wo in der Antike Geburtstag gefeiert wurde, ist nicht bekannt – es steht nur fest, daß eine Kultur ein Kalendersystem benötigt, um einen solchen wiederkehrenden Tag überhaupt feiern zu können, und dieser Kalender mußte allgemein verbreitet sein und im Alltag von der breiten Bevölkerung genutzt werden – also nicht nur von einer geistigen Elite, die Zugang zu astronomischem Wissen hatte und die die Hoheit über einen Kalender und wiederkehrende Ereignisse wie Sonnenwenden oder Tagundnachtgleichen besaß (in derartigen Kulturen feierte man deshalb oft nur den Geburtstag des Herrschers, da dieser Kenntnis über dieses genaue Datum hatte, nicht aber die Geburtstage der Leute aus der einfachen Bevölkerung).

Römischer Steckkalender aus AugustaTreverorum (Trier), 4. Jhd.

Römischer Steckkalender aus Augusta Treverorum (Trier), 4. Jhd.

Der römische Alltag war seit der späten Republik durch und durch in allen Schichten der Bevölkerung von einem in Monate und Wochentage differenzierten Kalender strukturiert. Besondere Schlüsseltage waren dabei die Kalenden, Iden und Nonen jedes Monats. Es gab eine exakte Jahreszählung, die die Jahre ab dem mythologischen Gründungsdatum der Stadt Rom (ab urbe condita, a.u.c.) im Jahr 753 v. Chr rechnete und der wir es noch heute zu verdanken haben, daß wir viele mit Datum signierte Funde, Inschriften und Münzen, sowie Regierungszeiten von Kaisern wie lokalen Verwaltungsbeamten aus römischer Zeit auf den Tag genau datieren können. Auch war sie dafür verantwortlich, daß jeder Römer sein aktuelles Alter kannte (wie man aus den zahlreichen Inschriften aus Grabsteinen entnehmen kann) – in der Antike keineswegs eine Selbstverständlichkeit.

Ein funktionierendes, allgemein gültiges Kalendersystem war für die römische Gesellschaft von grundlegender Bedeutung, da sich die Fasti, die religiösen Feiertage danach richteten, denn in der vorchristlichen Gesellschaft gab es noch keinen „freien Sonntag“.

Stattdessen gab es festgelegte Tage, an denen Markttag war, Gerichtsverfahren durchgeführt und Geschäfte getätigt wurden, und Tage, an denen das untersagt war. Am Dies ater, dem Unglückstag, der jeweils auf die Kalenden und Iden folgte, vermied man es sogar, Reisen zu unternehmen oder Geschäfte abzuschließen, man opferte den Göttern nicht und führte keine Auspizien oder große Rituale durch, sondern praktizierte ausschließlich die kleinen Hausrituale am Lararium. An Markttagen kaufte man für die nächsten 8 Tage ein und die Landbevölkerung kam in die Städte, um ihre Waren zu verkaufen. Diese Tage waren so wichtig, daß Gesetze regelten, was an ihnen erlaubt und verboten war – so durften z.B. an Markttagen keine Volksversammlungen abgehalten werden, da sie für die Stadtbevölkerung die einzige Möglichkeit waren, für die nächsten 8 Tage einzukaufen.

Römischer Fasti-Kalender (Foto: Kleuske, Lizenziert unter CC BY 2.5 über Wikimedia Commons)

Römischer Fasti-Kalender (Foto: Kleuske, Lizenziert unter CC BY 2.5 über Wikimedia Commons)

Da das ganze Leben und die Alltagsstruktur der römischen Gesellschaft vom Kalender geprägt war – der römische julianische Kalender ist bis heute, in angepaßter Form, Grundlage unseres modernen Kalenders -, war es in der römischen Antike natürlich für jedermann, selbst innerhalb der einfachen Landbevölkerung, normal, Geburtstage nachzuhalten und jedes Jahr am jeweils gleichen Tag zu feiern. Denn auch für die Bevölkerung auf dem Lande und in den Provinzen war der römische Kalender verbindlich, die festgelegten Feiertage der jeweiligen Kulte und Gottheiten, sowie der ländlichen Rituale und Opferfeste waren für die Gesellschaft wichtige zeitliche Bezugspunkte.

In einer orthopraktischen Religion wie der Religio Romana war die Einhaltung der korrekten Form eines Rituals oder Opfers von grundlegender Bedeutung, so daß man ein Fest z.B. wie die Volturnalia, die das Getreide vor der Hitze des Spätsommers schützten sollten, exakt am 27. August feierte und nicht „irgendwann Ende des Sommers“.

Interessant ist, daß den einfachen Leuten im späteren Mittelalter ihr Geburtstag oft nicht bekannt war, obwohl zu dieser Zeit längst ein Kalender etabliert war und die durch den Sonntag gegliederte 7-Tage-Woche allseits im Gebrauch war. Mitverursacht wurde dies dadurch, daß die Kirche die Feier des eigenen Geburtstages lange als „heidnisches Relikt“ ablehnte und stattdessen die Feier des Namenstages im Gedenken an den Heiligen dieses Tages in den Vordergrund stellte. Private Geburtstagsfeiern wurden erst ab dem 19. Jahrhundert wieder üblich, während sie vorher allenfalls vom Adel und gehobenen Kreisen abgehalten wurden, und kamen zuerst in protestantischen Kreisen wieder in Mode. Erst in jüngerer Zeit setzte sich auch bei Katholiken das Feiern des Geburtstages durch und drängte die Bedeutung des Namenstages allmählich zurück.

Das römische Geburtstagsopfer

Figur des Genius (Foto: Luis García, Licensed under CC BY-SA 3.0 Wikimedia Commons)

Figur des Genius (Foto: Luis García, Licensed under CC BY-SA 3.0 Wikimedia Commons)

Ihren Geburtstag feierten in der römischen Antike sowohl Kinder als auch Erwachsene.

An seinem Geburtstag kleidete man sich ganz in weiß (Ovid, Tristia V 5,8).

Als erste Handlung des Tages ging man zu seinem Hausschrein, dem Lararium, um dort (als Mann) seinem Genius oder (als Frau) seiner Iuno ein Opfer zu bringen (überliefert unter anderem in Tibull, I 7,52). Genius und Iuno sind, sehr vereinfacht gesagt, die persönlichen „Schutzgeister“ eines Menschen und Ausdruck seiner Persönlichkeit. Ursprünglich wurden sie verstanden als Ahnengeister, die über einen Menschen wachten, wandelten im Laufe der Zeit aber ihre Form und Bedeutung hin zu einem Wirkungsprinzip, das nicht nur einzelnen Menschen innewohnte, sondern sogar in Orten, ganzen Städten, dem Reich, aber auch Legionen oder anderen Personengruppen wirksam gedacht wurde. Im Kaiserkult wurde der Genius Augusti verehrt, der Genius des Kaisers.

Im privaten Alltagskult wandte man sich an seinen Genius bzw. seine Iuno, wenn man Hilfe brauchte, Rat suchte oder eine schwierige Lebenssituation meistern mußte, dies oft in Verbindung mit seinen jeweiligen Hausgöttern, an die man sich ebenfalls mit Anliegen aller Art richtete.

Zu seinem Geburtstag, der gleichzeitig auch der Geburtstag des Genius oder der Iuno war, ehrte man diesen durch das Opfern eines kleinen Opferbroteslibum genannt. Dieses wurde, wie von Cato in De Agriculta 84 beschrieben, aus Mehl, Käse und Eiern hergestellt (ein Libum-Rezept findet Ihr in unserer Reihe „Essen und Trinken“).

Lararium mit Geburtstagskuchen

Lararium mit Geburtstagskuchen

Außerdem entzündete man für ihn/sie eine Öllampe oder Kerze. Sofern man eine kleine Figur oder Statue des Genius in seinem Lararium hatte, schmückte man diese mit einem kleinen Kranz. Weitere beliebte Opfergaben waren ein Stück des Geburtstagskuchens, Wein und Weihrauch.

Das Ganze war verbunden mit einer rituellen Danksagung an den „Schutzgeist“ für die Unterstützung im vergangenen Lebensjahr und der Bitte, auch im kommenden Lebensjahr gut über einen zu wachen und einem mit Rat und Hilfe zur Seite zu stehen. Dies wurde verbunden mit einem Ritual, in das man bei Bedarf auch die persönlichen Götter einbezog und ihnen für ihre Hilfe dankte und um Unterstützung im neuen Lebensjahr bat. Hierbei schloß man auch Jupiter Optimus Maximus, als höchsten aller Götter, in die Gebete ein.

Dieses Ritual hatte, plakativ gesprochen, nur einen Zweck: sicherzustellen, daß man auch seinen nächsten Geburtstag noch erlebte.

Eine übliche Formel dafür lautete, daß „dieser Tag noch oft wiederkehren möge“ (Tibullus, 1,7,49-54 und Ovid: Tristia 3,13).

Von Albius Tibullus, dem römischen Dichter, sind zwei Genethliaka (eine aus dem hellenistischen Raum stammende besondere Form von Geburtstagsgedichten mit Segenswünschen) überliefert und zwar an seine Freunde Messala und Cornutus (der uns auch aus einer Inschrift aus dem Jahre 21 v. Chr. bekannt ist). Ovid verfasste Gedichte auf seinen eigenen Geburtstag und den seiner Frau. Auch sind Geburtstagsgedichte von Ausonius und Statius erhalten.

In Tibullus‘ Text „Cornutus Geburtstag“ (aus den „Elegien“) sind Segensworte und Geburtstagswünsche überliefert, aus denen auch die typischen Opferhandlungen und -gaben anläßlich eines Geburtstages zu augusteischer Zeit hervorgehen. So gibt er nach einer Anrufung des Genius die folgenden Segensworte wieder:

„Segensworte wollen wir sagen: es tritt des Geburtstags Gott zum Altar, Mann und Frau, wer sich auch naht, schweige still!
Brennen soll Weihrauch, der Göttern gefällt, und Düfte sollen brennen, die unser Araber schickt üppig aus Landen gar reich.
Selbst soll der Genius sich nahen und beschauen, was wir ihm bereiten:
ehren mit weichen Gebinden Zierde sein heiliges Haar.
Von seinen Schläfen soll tropfen die reine Feuchte der Narde, (Anmerkung: das wohlriechende, ätherische Öl eines Strauches aus Indien, das in der Antike im Mittelmeerraum sehr beliebt war und für teure Öle und Salben verwendet wurde )
satt soll er sein vom Kuchen, reichlich benäßt auch von Wein.
Möge, Cornutus, was immer Du bittest, sein Nicken verheißen.
Auf denn! Was zögerst Du noch? Nickt er doch bitte zu! (…)“

Die Geburtstagsfeier

Nach dem morgendlichen Opfer an den Genius schlossen sich die Feierlichkeiten an.

Wie wir z.B. von Briefen aus Vindolanda am Hadrianswall im Norden Britanniens wissen, verschickten Römer, wie wir heute auch, schriftliche Einladungen zu Geburtstagsfeiern an entfernt lebende Freunde und Verwandte. Ein Beispiel ist der Brief einer Claudia Severa, die die Frau des Kohortenkommandeurs darin zu ihrem Geburtstag einlud: „Claudia Severa grüßt ihre Lepidina! Am 11. September, Schwester, an meinem Geburtstag, lade ich dich ganz herzlich ein zu kommen!„.

Geburtstag - schon in Rom ein Familienfest. (Foto: Agnete, lizenziert unter CC BY 3.0 über Wikimedia Commons)

Geburtstag – schon in Rom ein Familienfest

Familienangehörige und Freunde kamen zu Besuch und gratulierten, wobei sie Geschenke mitbrachten. Beliebt war Schmuck für Frauen, aber auch Obst- und Präsentkörbe, Einrichtungsgegenstände für das Haus, Kerzen oder Götterfiguren. Kindern schenkte man Spielzeug oder sie bekamen von ihren Lehrern ein Buch geschenkt. Es galt die Devise, je näher man einer Person stand, desto aufwendiger sollte das Geschenk sein – dies wurde laut Ovid (amores 1,8) von einem geliebten Menschen erwartet, wobei dies sicherlich auch eher für die wohlhabenden Kreise galt, bei denen ein teures Geschenk auch ein Statussymbol war, das Bewunderung und Anerkennung einbrachte.

Je nach Geldbeutel und sozialem Stand fiel die Feier unterschiedlich groß aus. Während bei einfachen Leuten ein gemeinsames Essen mit Kuchen und Gesang, sowie gemeinsamen unterhaltsamen Spielen im Vordergrund stand, konnte bei wohlhabenden Römern die Feier auch schon mal sehr üppig ausfallen.

Es gab sogar Geburtstagskollegien, bei denen man Mitglied wurde und einen Jahresbeitrag zahlte und von denen man sich im Gegenzug dann die Geburtstagsfeier ausrichten ließ. Wohlhabende Stifter hinterließen diesen Vereinen oft beträchtliche Summen, damit diese auch nach ihrem Tod noch Geburtstagsfeiern für sie abhielten.

Lehrer schenkten ihren Schülern zum Geburtstag gerne ein Buch

Lehrer schenkten ihren Schülern zum Geburtstag gerne ein Buch (Schulrelief, Landesmuseum Trier)

Wohlhabendere Geschäftsleute und Politiker luden zu ihrem Geburtstag auch Geschäftskollegen und Klienten ein. Wer es sich leisten konnte, richtete ein mehrgängiges Menü aus, dessen Details und Speisefolgen bei Ovid und Cicero beschrieben werden, bestehend aus Vorspeisen wie Oliven, Salat, Eiern und Gemüse, gefolgt von einem Hauptgericht aus Fleisch wie Schwein, Wild oder Geflügel, Fisch und Meeresfrüchten. Als Nachspeise gab es Obst und eben den Geburtstagskuchen.

Nach dem Essen stand Unterhaltung auf dem Programm. Während man, wie es heute auch bei uns üblich ist, bei Kindergeburtstagen Spiele spielte, wie z.B. Geschicklichkeitsspiele, wurden die Geburtstage Erwachsener oft feucht-fröhlich begangen und es wurde das veranstaltet, was wir auch heute als Trink- und Party-Spiele kennen.

Im Haushalt der normalen Bürger wurde für den Gastgeber gesungen und es wurden Glückwünsche, oft in Gedichtform vorgetragen. Wohlhabende Kreise engagierten Musiker, die auf ihrer Feier spielten, oft auch Sänger und Tänzer, um die Gäste zu unterhalten.

Gäste, die eingeladen waren, aber nicht persönlich kommen konnten, schickten zumindest Grüße, oft in Reimform, und kleine Geschenke.

Geburtstag des Kaisers und der Stadt Rom

Eine besondere Rolle spielte der Geburtstag des Kaisers, der seit Augustus ein nationaler Feiertag war. Dieser Tag wurde im Rahmen des Kaiserkultes gefeiert.

Der Kaiser veranstaltete eine Prozession durch Rom, vollzog ein öffentliches Staatsopfer mit anschließendem Bankett, dem sich weitere Feierlichkeiten für die Bevölkerung anschlossen, an die auch kleine Geschenke verteilt wurden – Panem et circenses (Brot und Spiele), wie wir es vom römischen Dichter Juvenal als stehenden Ausdruck kennen. Besonders beliebt waren hierbei Gladiatorenspiele und Tierhatzen, wie es dem Geschmack der Zeit entsprach.

Auch die Legionen vollzogen am Geburtstag des Kaisers spezielle Kulthandlungen.

Es ist eine antike Aufzeichnung eines Gebets der Fratres Arvales (der Arvalbrüder, eines zwölfköpfigen römischen Priesterkollegiums) aus dem Jahr 91 n. Chr. erhalten, in dem diese einen Eid auf Kaiser Domitian ablegen. Solche Eide wurden traditionell an den Geburtstagen, sowie anderen wichtigen Ereignissen im Leben des Kaisers erneuert, so daß wir deswegen eine gute Vorstellung haben, wie ein solches Gebet, das an Jupiter Optimus Maximus gerichtet wurde, aufgebaut war (nachzulesen unter anderem in Bleeker und Widengren: Historia Religionum Volume I, Handbook for the History of Religions, 1969).

Auch der Geburtstag der Stadt Rom am 21. April („Natalis urbis„) wurde im Staatskult mit einem großen öffentlichen Ritual und einem volkstümlichen Fest mit Spielen gefeiert.

Gladiatorenkämpfe durften weder am Geburtstag des Kaisers noch am Geburtstag der Stadt Rom fehlen! (hier: Gladiatorengruppe Amor Mortis in Xanten, 2014)

Gladiatorenkämpfe durften weder am Geburtstag des Kaisers noch am Geburtstag der Stadt Rom fehlen! (hier: Gladiatorengruppe Amor Mortis in Xanten, 2014)

Legendär ist hierbei bis heute die 1000-Jahr-Feier im Jahre 248 n.Chr. (das sogenannte Miliarium saeculum), das als eine der spektakulärsten Feiern in die römische Geschichte einging. In der Millionenstadt Rom erhielt jeder Einwohner, trotz leerer Staatskassen, einen großzügigen Geldsegen und es gab Gladiatorenspiele und Tierkämpfe von gewaltigen Ausmaßen. So wurden unter anderem 6 Flußpferde, 10 Giraffen, 32 Elefanten, 10 Elche, 10 Tiger, 60 Löwen und 10 Hyänen in die Arena gebracht. Außerdem wurden Wagenrennen, Musiker- und Sängerwettbewerbe abgehalten und es gab große öffentliche Opferhandlungen. Die Details über dieses 3-tägige Fest sind so genau überliefert, daß wir heute sogar den Namen des Gewinners des damaligen Sängerwettbewerbes kennen: Valerius Eclectus. Dieses Fest war auch eine der größten Propagandamaßnahmen des Römischen Reichs, denn es fiel in eine der schlimmsten Reichskrisen des 3. Jahrhunderts.

Geburtstagswünsche auf Latein

Der Geburtstag auf Latein heißt „Dies natalis„.

Will man jemandem auf Latein zum Geburtstag gratulieren, so kann man das mit folgenden Formulierungen tun:

Felicem diem natalem“ oder „Fortuna dies natalis“ – „Viel Glück zum Geburtstag“. Dies kann ergänzt werden durch „Ad multos annos“ – „Auf viele (weitere) Jahre“.

Ein beliebtes Geburtstagsgedicht (dessen Quelle uns allerdings unbekannt ist), lautet:

Tibi diem natalem felicem opto
Sit novus vitae annus
ut purus tibi pannus,
qui tempore detritus
non tamen erit situs

Dir einen glücklichen Geburtstag!
Das neue Lebensjahr sei
wie ein reines Tuch
das durch die Zeit verbraucht,
aber dennoch nicht schmutzig wird.“

Der Geburtstag in der Religio Romana

Auch Spiele, wie hier das Knochenspiel, gehörten zu einer zünftigen Geburtstagfeier

Auch Spiele, wie hier das Knochenspiel, gehörten zu einer zünftigen Geburtstagfeier

Wie beschrieben, unterschieden sich die eigentlichen Festlichkeiten zum Geburtstag nicht von den heutigen Gebräuchen. Eine Feier mit Freunden und Verwandten, auf der es Geschenke gibt, Kuchen gegessen, gesungen, gedichtet und gratuliert wird, ist also auch heute überaus römisch. Auch ein feucht-fröhlicher Umtrunk am Abend, Musik und Tanz sind etwas, das man auch schon vor 2000 Jahren schätzte.

Wer jedoch neben dem „öffentlichen“ Teil des Geburtstages auch die religiöse Praktik übernehmen möchte, an diesem Tag seinem Genius (oder der Iuno) und den Hausgöttern zu danken, sowie sich ihren Beistand für das kommende Jahr zu sichern, dem empfehlen wir das Geburtstagsritual am Lararium, das wir Euch in unserer Rubrik „Kultpraxis“ vorstellen.

Auch der Geburtstag der Stadt Rom, Natalis urbis, wird in der Religio Romana noch heute am 21. April jeden Jahres gefeiert. Das Ritual zu diesem Anlaß umfasst Opfergaben aus Räucherwerk, Libum, Lorbeerblätter, Milch und Wein. Angerufen werden hierbei Janus, Jupiter, Quirinus und die altrömische Göttin Pales, da das Fest aus den Parilia hervorging, einem alten römischen Hirtenfest, das an diesem Tag ursprünglich zu Ehren der Pales begangen wurde und von Ovid in seinen Fasti ausführlich beschrieben wird. Mit dem Fest, das mit Reinigung und Erneuerung zusammenhing, verbanden die Römer bald die mythologische Gründung der Stadt Rom durch Romulus. Später wurde deshalb auch die Göttin Roma zum Kreis der verehrten Gottheiten hinzugefügt.