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Musik: Aulos oder Tibia – das römische Rohrblattinstrument

Aulosspielerin

Aulosspielerin

Schon in der römischen Antike spielte Musik eine wichtige Rolle – so zahlreich wie die Anlässe, zu denen Musik gespielt wurde, so vielfältig waren die Musikinstrumente, die zum Einsatz kamen. Eine Einführung in die römische Musik und eine kurze Vorstellung der wichtigsten Musikinstrumente ist im 1. Teil unserer Artikelreihe zum Thema „Musik“ zu finden: „Einleitung – Musik in der Römischen Antike„. Da die darin enthaltenen Informationen als Grundlage für die hier folgenden Einzelartikel dienen und wir auf Wiederholungen verzichten möchten, empfehlen wir unbedingt, zuerst diese Einleitung zu lesen!

Im heutigen Artikel geht es um eines der sicherlich bekanntesten römischen Musikinstrumente, denn es ist das am häufigsten in antiken Darstellungen abgebildete Instrument und wird deswegen auch gerne als das römische „Nationalinstrument“ bezeichnet. Gleichzeitig existieren darüber die meisten irrigen Vorstellungen.

Es geht um die sogenannte „Doppelflöte“, den Aulos (griechische Bezeichnung) oder die Tibia (römische Bezeichnung). Wie wir später feststellen werden, handelt es sich bei diesem Doppelinstrument gar nicht um eine Flöte, doch zur Veranschaulichung lassen wir diese Bezeichnung für den Moment im Raum stehen.

Da ich (Q. Albia Corvina) ebenfalls dieses Instrument spiele, gehört dieses Teilgebiet der experimentellen Musikarchäologie zu meinen besonderen Interessengebieten und bildet – neben dem Cultus Deorum – einen meiner Schwerpunkte meiner persönlichen Verbundenheit mit der römischen Kultur . Deshalb möchte ich Euch dieses Instrument heute gerne näher vorstellen.

Aulos, Auloi oder Tibia? Wie nennt sich das Instrument denn nun?

Bacchische Prozession mit Satyren und Mänade

Bacchische Prozession mit Satyren und Mänade

Zuerst ein paar Worte zur Benennung des Instruments. Es kursieren unterschiedliche Bezeichnungen, einmal das zuvor erwähnte griechische Wort „Aulos„, das die Singular-Form darstellt, aber auch die Pluralform „Auloi„. Da es sich um zwei nicht miteinander verbundene Instrumente handelt, die gleichzeitig gespielt werden, wird in einigen Artikeln, die im Internet kursieren, auf die Pluralform „Auloi“ zur Bezeichnung beider Instrumente zurückgegriffen, während ein Einzelrohr als „Aulos“ bezeichnet wird.

Tatsächlich ist es aber so, daß beide Instrumente zu einer Einheit zusammengehören, denn sie sind nicht symmetrisch gebaut, sondern weisen unterschiedlich viele und unterschiedlich angeordnete Löcher auf, da sie nicht dazu gedacht waren, alleine und unabhängig voneinander gespielt zu werden (auch wenn das Spielen auf einem Instrument („Monaulos„), in der Literatur ebenfalls erwähnt wird, aber sehr selten). Durch die unterschiedliche Anordnung der Löcher und den damit verbundenen unterschiedlichen Klang wird deutlich, daß die beiden Instrumente nicht einstimmig gespielt wurden, sondern eine zweistimmige Einheit bildeten.

Der Aulos in einem etruskischen Gemälde aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.

Der Aulos in einem etruskischen Gemälde aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.

Im englischen Sprachraum werden die beiden Einzelinstrumente „Chanter“ genannt (wie die Sackpfeife des Dudelsacks, mit dem der Aulos verwandt ist). Da es keine vergleichbare deutsche Bezeichnung gibt (außer die – musikklassifikatorisch falsche Bezeichnung „Flöte“ oder – ebenfalls irreführend – „Pfeife“), wird auch im deutschsprachigen Raum heute unter Aulosspielern zur Vereinfachung der Kommunikation untereinander und mit Spielern aus dem internationalen Raum der Begriff „Chanter“ für die Einzelinstrumente verwendet. Einer der Chanter hat einen tiefen Klang und wird deswegen als „Low Chanter“ (L) bezeichnet, der andere Chanter hat einen hohen Klang und ist der „High Chanter“ (H).

Dabei ist es nicht, wie wir später ebenfalls sehen werden, so, daß der tiefe Chanter als Begleitung gespielt wird (und damit, wie in der Moderne oft üblich, mit links) und der hohe für die Melodie (und die rechte Hand) zuständig ist. Hier müssen wir uns von den modernen Gewohnheiten lösen, wie man in der experimentellen Musikarchäologie schnell herausfindet, wenn man zum ersten Mal eine Replik des Aulos in den Händen hält.

Beide Chanter bilden eine zusammengehörende Einheit und ein Instrumentenpaar, das man den „Aulos“ nennt. Die Pluralform „Auloi“ bezeichnet mehrere Paare von Aulos. Das römische Wort „Tibia“ bezeichnet ebenfalls das Paar und nicht die einzelnen Chanter, so daß die Pluralform „Tibiae“ sich ebenfalls auf mehrere Instrumentenpaare bezieht.

Die frühste Abbildung eines „oboenartigen“ Rohrblattinstruments stammt aus dem Jahr 3000 v. Chr. Auch bei den Etruskern war dieses Instrument bereits bekannt. Dort wurde es Subulo genannt und entsprach weitgehend dem klassischen griechischen Instrument. Die Römer übernahmen das Instrument zu Beginn von den Etruskern, bevor es sich unter griechischem Einfluß explosionsartig im Reich verbreitete.

Der Aulos wurde zu römischer Zeit stark weiterentwickelt und erfuhr zahlreiche Variationen.

In der heutigen „Szene“ der experimentellen Musikarchäologie hat sich der Begriff „Aulos“ vor dem römischen „Tibia“ durchgesetzt. Das hat historische Gründe, denn das Instrument wurde aus Griechenland nach Rom importiert und viele Musiker im römischen Reich waren griechischer Herkunft, oft griechische Sklaven. Auch sind viele der erhaltenen Musikstücke und Fragmente auf Griechisch oder wurden in den östlichen Provinzen des römischen Reichs gefunden (wie in Ephesos). Nicht zuletzt war der Begriff „Aulos“ auch in der römischen Antike bekannt und wurde dort ebenfalls verwendet, so daß beide Bezeichnungen in der Literatur zu finden sind.

Das lateinische Wort „Tibia“ bezieht sich auf das Material, aus dem die Instrumente ursprünglich gefertigt waren – Knochen. Das griechische Wort „Aulos“ bedeutet „Röhre“.

Die Spieler dieses Instruments werden „Aulet“ (Plural: „Auleten“) oder „Tibicen“ (Plural: „Tibicines“) genannt.

Der Einfachheit halber wird das Instrument in diesem Artikel als „Aulos“ bezeichnet, wobei „Tibia“ ebenso korrekt wäre.

Keine Flöte? Was für ein Instrument ist es dann?

Replik des „Louvre“-Aulos

Eines der am weitesten verbreiteten Mißverständnisse über den Aulos ist die Annahme, daß es sich dabei um zwei Flöten handelt, die gleichzeitig gespielt werden.

Der Aulos ist zwar ein Blasinstrument, hat aber nichts mit den in der Musikinstrumentenklassifikation als „Flöten“ bezeichneten Instrumenten zu tun. Eine Flöte ist der Definition nach ein Instrument, bei dem der Luftstrom über eine Anblaskante geführt wird, an der er in Schwingungen gerät. Beispiele dafür sind die Panflöte, bei der auf die Vorderkante des Rohrs geblasen wird, die Querflöte, die Blockflöte, die irische Tin Whistle oder geschlossene Flöten wie die Okarina.

Die Tonerzeugung beim Aulos erfolgt jedoch auf eine gänzlich andere Art: Das Mundstück wird durch ein Rohrblatt gebildet, womit der Aulos zur Blasinstrumentenfamilie der Rohrblattinstrumente gehört. Hierbei sind sowohl Einfachrohrblätter (unter anderem bei den Etruskern) als auch Doppelrohrblätter überliefert; welche Variante häufiger war, ist nicht geklärt. Heutige Repliken antiker Instrumente verwenden als Mundstücke meist Doppelrohrblätter. Damit steht der Aulos in direkter Verwandtschaft zu Oboe, Schalmei, Bombarde oder Fagott.

Bei einem Rohrblattinstrument wird der Ton durch ein oder zwei flache Schilfrohrblätter erzeugt, die durch das Anblasen in Schwingungen versetzt werden. Der dadurch entstehende Ton unterscheidet sich deutlich von dem einer Flöte und kann von durchdringend, wie bei der Schalmei, bis hin zum warmen Ton, wie man ihn von der Oboe kennt, reichen.

Sehr schön kann man den typischen Klang eines Aulos mit Doppelrohrblatt in diesem kurzen Film hören, den wir bei den Römertagen in Xanten 2014 aufgenommen haben. Es spielt Justus Willberg, ein sehr guter deutscher Aulet, der auch zahlreiche andere römische Musikinstrumente beherrscht:

Der Aulos bestand in der Antike aus Knochen, Schilfrohr oder Holz. Zur römischen Zeit kamen auch Modelle aus Elfenbein und Metall hinzu.

Heutige Repliken erhaltener Modelle sind in der Regel aus Holz gefertigt, wobei unterschiedliche Hölzer, je nach Verfügbarkeit und Vorliebe des Musikers, zum Einsatz kommen (Pflaumenholz, Olive, Weißdorn…). Mein Modell besteht aus Zwetschgenholz.

Aulosspielerin, Griechenland

Aulosspielerin, Griechenland

Zwischen dem Spielrohr (bombyx) mit den Fingerlöchern und dem Mundstück (zeugos) befindet sich ein leicht verdickter Bereich, das Hypholmion.

Aulos gab es in unterschiedlichsten Längen – und damit Klangfarben und Tonhöhen. Erhaltene Rohre sind in der Regel zwischen 30 cm und 50 cm lang. Abbildungen zufolge gab es jedoch auch deutlich längere und kürzere Modelle. Sehr lange Modelle wurden mit einer Mundbinde (Latein: capistrum, Griechisch: phorbeia) gespielt, die das Instrument zusätzlich stützte.

In der frühen Antike hatten die beiden Chanter je 5 Löcher – vier auf der Vorderseite sowie ein Daumenloch auf der Rückseite, das sich auf der Höhe des zweiten Vorderlochs befand. Andere frühe Exemplare hatten nur 4 Löcher, weil der kleine Finger (wie z.B. der römische Gelehrte Marcus Terentius Varro beschrieb) zum Abstützen des Instruments genutzt wurde. Zu griechisch-römischen Zeiten nahm die Anzahl der Löcher stark zu und variierte mit der Länge des Instruments. Da jeder Chanter jedoch nach wie vor mit nur einer Hand gespielt wurde, wurden „überzählige“ Löcher mit Wachs, Trichtern, Holzstöpsel oder Metallringen verschlossen. Durch die Möglichkeit, einzelne Löcher zu verschließen oder zu öffnen, erhöhte sich die Klangvariation enorm, da man – je nach Lied oder Anlaß – unterschiedliche Löcher und damit Stimmungen und Tonlagen verwenden konnte. Deshalb wird heute davon ausgegangen, daß die Varianten mit verschiebbaren Metallringen eher im Theater und öffentlichen Aufführungen gespielt wurden, wo ein Wechsel der Tonarten durch viele Melodien notwendig war (etwas, das bei den Stöpsel-Modellen eine Pause und einen gewissen Aufwand erfordert, während die Instrumente mit den Ringen bereits während des Spielens umgestellt werden konnten). Die einfacheren Instrumente mit Stöpsel gehörten eher in den privaten Rahmen oder dorthin, wo die meist gleichen Melodien oder nur eine Tonart erforderlich waren (zum Beispiel während eines Rituals).

Tibia in der Sonderausstellung „Römische Musik“ im Römisch-Germanischen-Museum Köln (2013)

Die meisten heutigen Aulos sind in der Regel Repliken zweier erhaltener Originalinstrumente aus Holz. Eines davon wird heute im Louvre aufbewahrt (ein 43 cm langer Aulos, Inv. 10962, gefunden in Alexandria). Es gilt als das besterhaltene Gesamtinstrument überhaupt. Ein kleineres Modell mit Doppelrohrblatt befindet sich in Berlin (Ägyptisches Museum, Inv. 12461).

Es laufen zur Zeit wissenschaftliche Projekte, die sich mit der Rekonstruktion weiterer Auloi beschäftigen. So wird im Moment an der Rekonstruktion eines Aulos aus Pompeji und des Poetovio-Aulos gearbeitet, um diese ebenfalls als spielbare Modelle zu replizieren.

Weitere (nahezu vollständige) Aulos-Funde gibt es u.a. aus Pompeji, Meroe (im heutigen Sudan), Italien und dem makedonischen Pydna. Daneben wurden viele Bruchstücke gefunden, unter anderem in Damaskus, Athen, Korinth, Rom und dem niederländischen Nijmegen, das ein wichtiges römisches Kastell am Rhein war. Hier wurde das Instrument in einem römischen Friedhof auf dem Koosterberg nahe Mook entdeckt, das aus dem Ellenknochen eines Gänsegeiers gefertigt war.

Eine Sonderform: der „Phrygische“ Aulos mit einem gebogenen Schalltrichter

Insbesondere aus Pompeji sind viele Exemplare erhalten, die verschiedene Längen und Löcher aufweisen. Da viele an einem Ort gefunden wurden, geht man davon aus, daß es sich bei dem Haus um die Werkstatt eines Musikinstrumentebauers gehandelt hat. Diese Pompeji-Exemplare sind aus Knochen gefertigt und mit dreh- und verschiebbaren Bändern aus Silber oder Bronze versehen, in die Löcher gebohrt sind. Dadurch ist es auf schnelle und bequeme Weise während des Spielens möglich, einzelne Löcher zu verschließen oder zu öffnen, um verschiedene Tonhöhen spielbar zu machen. Die Mundstückhalterung für das Rohrblatt besteht bei den Pompeji-Modellen aus Elfenbein.

Die sogenannten „Maenade Pipes“ aus Italien bestehen aus Holz und Bronze. Als Besonderheit sind sie am oberen Ende mit der Büste einer Mänade dekoriert.

Viele der gefundenen Instrumente zeigen besonders starke Abnutzungsspuren an bestimmten Löchern, aus denen man schließen kann, welche Löcher besonders häufig gespielt wurden.

Die Rohrblätter sind, da sie aus besonders vergänglichem Material gefertigt sind, so gut wie nie erhalten. Meist findet sich lediglich die Halterung, in die das Rohrblatt gesteckt wurde. Rohrblätter sind jedoch von zahlreichen Abbildungen auf Vasen, Reliefs, Mosaiken und Grabsteinen bekannt. Die Darstellung ist zwar schwierig, da Rohrblätter beim Spielen fast vollständig im Mund verschwinden, aber dennoch sind sie auf vielen Abbildungen gut zu erkennen. Auch die dargestellten Musiker zeigen durch die für Rohrblattinstrumente typische Mundhaltung und Backenform, daß es sich bei den Aulos um Instrumente mit Rohrblatt gehandelt hat, so daß mittlerweile als wissenschaftlich gesichert gilt, daß es sich um keine Flöten, sondern Einfach- und Doppelrohrblattinstrumente gehandelt hat.

Verwendung: Das Instrument für jeden Anlaß

Die Tibia / der Aulos war das wichtigste Instrument in der römischen Antike, von den Anfängen des Römischen Reichs bis zum Ende der Kaiserzeit, als das Christentum die vorherrschende Religion wurde.

Aulet mit Scabellum und Tänzerin mit Crotalum

Aulet mit Scabellum und Tänzerin mit Crotalum

Der Aulos spielte eine zentrale Rolle im (heidnischen) römischen Kult und war darin so fundamental wichtig, daß ein Ritual als ungültig galt und von vorne begonnen mußte, wenn der Tibicen während des Rituals zu spielen aufhörte. Als sich das Christentum als neue römische Staatsreligion durchzusetzen begann, waren die Kirchenväter bestrebt, alte Kultpraktiken auszumerzen. Tempelmusik wurde verboten und Musiker verdingten sich mit ihren Instrumenten nur noch in der Unterhaltung, als Wandermusiker und Gaukler, auf Festen und in Schauspieltruppen. Das hatte zur Folge, daß Instrumentalmusik nur noch im Rahmen der volkstümlichen Musik überlebte und dort ihre weitere Entwicklung nahm. In der christlichen Kirche war lange Zeit nur der Hymnen- und Chroalgesang üblich. Erst im 14. Jahrhundert, mit dem Konzil von Vienne, entdeckte die christliche Kirche den Wert von Instrumentalmusik im sakralen Kontext wieder und ließ sie – in Form der Orgel – zu. Mit der Renaissance hielten auch andere Instrumente Einzug und viele Komponisten begannen, explizit Kirchenmusik zu schreiben.

Der Aulos, der niemals wieder in religiösem Kontext verwendet wurde, starb aus, beziehungsweise wurde von anderen Rohrblattinstrumenten abgelöst, wie Krummhorn, Duduk, Rauschpfeife, Cornamuse, Schalmei und Sackpfeifen, die die mittelalterliche Volksmusik dominierten. Bei vielen von ihnen liegt das Rohrblatt nicht mehr frei und wird direkt angeblasen, sondern das Rohrblatt wird durch eine „Windkapsel“ verborgen. Ab dem Barock ging die Popularität der Windkapselinstrumente zurück und es erschienen die ersten Oboen und Fagotte, die fortan bis heute die „klassische“ Musik dominieren.

Etruskischer Aulosspieler, 490 v.Chr.

Etruskischer Aulosspieler, 490 v.Chr.

Zur Zeit der römischen Antike, aber auch schon in Griechenland und bei den Etruskern, war der Aulos „das“ Blasinstrument schlechthin. Zu etruskischer Zeit wurde er vor allem anläßlich von Beerdigungen gespielt. Die ersten Auleten im frühen römischen Reich waren deswegen auch Etrusker, die man vorzugsweise für diese Zwecke engagierte.

Der Aulos wurde sehr schnell, bereits zur Zeit der frühen Republik, zu einem Musikinstrument, das eine zentrale Rolle sowohl im privaten als auch im öffentlichen Rahmen spielte. Er wurde in allen Bereichen eingesetzt, vom offiziellen Staatskult bis hin zum profansten volkstümlichen Theaterstück, vom privaten Bankett bis zum Staatsopfer.

Musische Bildung wurde für den gehobenen Bürger Roms als wichtig erachtet, jedoch war es nicht üblich, daß er den Aulos erlernte. Stattdessen galten Kithara und Lyra als „angemessener“, insbesondere für einen jungen Mann, aus dem einmal etwas werden sollte. Der Aulos hatte immer auch etwas Verruchtes, da er auch mit östlichen orgiastischen Kulten (wie dem Bacchuskult) oder dem Kybelekult in Verbindung gebracht wurde.

Auch hatten viele Musiker eine zweifelhafte Reputation, was sie beim einfachen Volk umso beliebter machte. Auleten waren in der Regel speziell in diesem Instrument ausgebildete Musiker, oft Sklaven griechischer oder östlicher Herkunft. Wenn sie Freie waren, so waren sie in der Regel schlecht bezahlt. Von Tempelauleten abgesehen, die trotz ihres Status als Sklaven einen hohen Rang innehaben konnten, galten die einfachen Musiker als verrucht, trinkfreudig und „leicht zu haben“. Insbesondere weiblichen Musikerinnen, die auf Jahrmärkten spielten und zu Musik- und Schauspieltruppen gehörten, hing der Ruf nach, auch als Prostituierte tätig zu sein. Männlichen wie weiblichen Auleten sagte man nach, extrem stark dem Alkohol zuzusprechen. Aus diesen Gründen ziemte es sich nicht für den gehobenen römischen Bürger oder die römische Dame, den Aulos zu erlernen, auch wenn es hier natürlich prominente Ausnahmen gab. Andererseits wurden Musiker, die sehr gut spielten und es zu hoher Virtuosität brachten, durchaus geschätzt und erlangten zum Teil überregionale Popularität.

Gerade bei Musikern war in der römischen Gesellschaft der Gegensatz zwischen ihrer hochqualifizierten Tätigkeit und ihrem geringen sozialen Ansehen besonders drastisch. Die überwiegende Mehrheit war von niederer gesellschaftlicher Stellung, Sklaven, Unfreie oder Freigelassene. Selbst wenn sie sich durch große Begabung auszeichneten und Anerkennung in der Öffentlichkeit fanden, verbesserte sich dadurch nicht unbedingt ihre soziale Stellung. Sklaven und Unfreie hatten keinerlei Möglichkeit, durch ihren Beruf und ihr Talent ihre Chancen in der Gesellschaft zu verändern. Sie blieben Eigentum und verbesserten allenfalls das Ansehen ihres Besitzers.

Lediglich Freigelassene hatten eine geringe Chance, durch großes Talent Ansehen und sozialen Aufstieg zu erlangen. Das dürfte jedoch nur für eine besonders talentierte Minderheit gegolten haben, die es schaffte, aus der Masse der Musiker hervorzustechen.

Cultus

Der sicherlich wichtigste Kontext, in dem der Aulos gespielt wurde, war der religiöse Kult.

Ein Aulet begleitet ein römisches Opferritual (Haltern, 2014)

Ein Aulet begleitet ein römisches Opferritual (Haltern, 2014)

Im offiziellen Staatskult waren Tibicen bei jedem Opfer anwesend und spielten während der Handlungen, um, wie Plinius beschreibt, dadurch negative Einflüsse von außen abzuwehren, negative Omen zu überdecken und zu verhindern, daß andere, nicht zum Ritus gehörende, Worte gehört wurden. Es war unmöglich, ein Opfer zu vollziehen, wenn kein Tibicen anwesend war. Eine berühmte Anekdote des römischen Geschichtsschreibers Titus Livius, der zur Zeit von Kaiser Augustus lebte, illustriert dies (und zeigt gleichzeitig den Ruf, den Aulosspieler in Rom hatten):

Als man den Tibicenes einst verbot, im Tempel ein Fest für Jupiter abzuhalten (die öffentliche Beköstigung im Jupitertempel war eines ihrer Privilegien), weigerten diese sich, weiterzuarbeiten und verließen Rom. Es blieb niemand zurück, der zu den offiziellen Opfern spielen konnte und dadurch kam das gesamte Staatsleben zum Erliegen, denn ein Ritual ohne Aulos durchzuführen, war undenkbar, ja unmöglich. Schließlich brachte man die Musiker mit einem Trick zurück nach Rom, indem man sie zu einem Gelage mit gutem Essen und viel Wein lockte und sie dort so betrunken machte, daß man sie in die Stadt zurücktragen konnte. Der Streit wurde schließlich beigelegt, indem man den Musikern Privilegien einräumte und das Quinquatros-Fest am 13. Juni etablierte, das der Gilde der Aulosspieler – dem Collegium Tibicinum – gewidmet war. Am Quinquatros-Fest zogen maskierte Tibiaspieler in langen Gewändern durch die Stadt, trieben dort ihr Unwesen und sangen altertümliche Lieder.

Mit dieser Geschichte schürt Livius auch das weit verbreitete Vorurteil der Trunksucht von Auleten, die auch von vielen anderen römischen Autoren beschrieben wird.

Viele Tempelauleten waren Sklaven, die entweder dem Priester oder dem Tempel selbst gehörten. Oft war es üblich, sie der jeweiligen Gottheit des Tempels zu weihen, dem sie gehörten. Das hatte für sie einen großen Vorteil: sie konnten nicht mehr verkauft werden und verblieben im Tempel, während für „weltliche“ Sklaven die Zukunft ungewiß war, da sie jederzeit den Besitzer wechseln konnten.

Das Collegium der sakralen Tibiaspieler in Rom versammelte sich in der Nähe einer Leichenbrandstätte. Es wurde stets von mehreren „Magistri“ geführt, die aus ihren eigenen Reihen für fünf Jahre gewählt wurden. Über den Status der Musiker sagt die Tatsache viel aus, daß von 14 bekannten Mitgliedern aus der Zeit Sullas 12 dem unfreien Stand angehörten.

Opferszene. Im Hintergrund ein Aulosspieler, der das Ritual begleitet

Opferszene. Im Hintergrund ein Aulosspieler, der das Ritual begleitet

Sakrale Tibiaspieler gelangten nicht als Einzelkünstler zu herausragendem Ruhm – anders als die „Stars“ aus der Unterhaltungsbranche, die sich als Solomusiker vor allem bei Musikwettbewerben hervortaten. Ihre Namen kennen wir fast ausschließlich aus den Listen der Collegien. Auch wird in Inschriften nie das musikalische Wirken und Können der Tempelauleten und der Collegien hervorgehoben, das offenbar eine nachrangige Bedeutung nach der kultischen Funktion hatte. Stattdessen werden sonstige, vor allem gesellschaftlich bedeutsame Handlungen der Collegien gewürdigt, wie die Wiederherstellung eines Marmormonuments oder andere gemeinnützige Taten.

Die Anwesenheit von Tibicen zu Staatsopfern wird von vielen antiken Schreibern berichtet, unter anderem auch von Cicero, der ein Ritual anläßlich der Gründung der Colonia Capua im Jahre 83 v. Chr. beschreibt.

Auf zahlreichen Reliefs, die Opferhandlungen zeigen, sind Auleten abgebildet, die sich meist direkt neben dem Opfernden aufhalten. Ein Altar aus Bologna aus der augusteischen Zeit zeigt zum Beispiel einen Auleten neben einem Priester in Toga mit verhülltem Haupt, der an einem Altar steht. Ein bekanntes Beispiel ist der Konstantinbogen in Rom, auf dem in einer Serie von Reliefs ein Tibicen zu sehen ist, der neben Kaiser Marcus Aurelius steht, während dieser seinen Sieg über die Germanen und Sarmaten im Jahr 176 n. Chr. mit Opferhandlungen begeht. Auch von Kaiser Trajan gibt es ähnliche Darstellungen und immer findet sich ein Tibicen in unmittelbarer Nähe des Altars, der die Opferhandlungen musikalisch begleitet.

Unter den Tempelauleten dominierten die Männer, weil Frauen nur bei den Kulthandlungen spielen durften, zu denen Männer keinen Zutritt hatten. Juvenal beschreibt weibliche Tempelauleten zum Beispiel aus dem Kult der Bona Dea. Vor allem in den östlichen Kulten (wie dem Isis-, Bacchus- und Mater Magna-Kult) übten auch Frauen leitende religiöse Funktionen aus.

Lararium aus Pompeji mit Aulosspieler

Lararium aus Pompeji mit Aulosspieler

Aber auch im privaten Cultus war das Spielen von Aulos durchaus üblich, wie ein Wandgemälde in einem Lararium in einem Privathaus in Pompeji zeigt. Hier ist der Genius familiaris dargestellt, der an einem Altar steht und eine Patera in der Hand hält. Ihm gegenüber am Altar steht ein Tibicen, der gleichzeitig den Rhythmus mit einem Fußscabellum schlägt. Ein Sklave bringt ein Schwein herbei, das als Opfergabe dient. Die gesamte Szene wird von zwei Laren flankiert.

Staatsbedienstete

Neben kultischen Anlässen wurde der Aulos auch bei Staatsakten und zu offiziellen Anlässen gespielt. In Rom gab es eigene Staatsmusiker, aber auch jede Provinzstadt besaß ihre offiziellen Auleten für besondere Anlässe.

Diese Auleten werden als Staatsbedienstete aufgeführt, erhielten jedoch von allen Staatsbediensteten (neben den Textkopierern und Heralden) den geringsten Lohn: 300 Sesterzen. Zum Vergleich: Ein Lictor erhielt 600 Sesterzen, ein Leibdiener 700 und ein Schreiber 1200 Sesterzen.

Historische Beschreibungen der Tätigkeitsfelder dieser Staatsbediensteten schildern, daß es auch zu den Aufgaben dieser Auleten gehörte, Magistraten zu öffentlichen Auftritten begleiteten.

Auch in Triumphzügen marschierten Musiker mit. So gibt es Beschreibungen von Triumphzügen, in denen mehrere hundert Auleten gleichzeitig spielten.

Feste, Feiern, Beerdigungen, Privatleben

Der Aulos war auch ein wichtiges Instrument bei privaten Feiern aller Art.

Ursprünglich vor allem bei Beerdigungen gespielt, verlor das Instrument diese Bedeutung niemals und spielte bis in die späte Antike eine wichtige Rolle zu diesem Anlaß. Wie wichtig, zeigt Cicero, der ein Gesetz beschreibt, das die Höchstzahl der Auleten, die die Trauermusik bei einer Beerdigung spielen dürfen, auf 10 begrenzt. Zahlreiche Reliefs, Sarcophage und Grabmonumente zeigen Auleten in Trauerzügen, die vor der Bahre mit dem Toten gehen und dabei musizieren, oft auch begleitet von Musikern mit Cornu und Lituus.

Mit Musik geht auch das Backen besser

Mit Musik geht auch das Backen besser

Unter wohlhabenden Bürgern war es auch üblich, bei Banketten Auleten zur Musikuntermalung einzusetzen. Diese konnte man buchen, aber wer er es sich leisten konnte, besaß eigene Musiker als Haussklaven.

Auch bei Familienfesten wie Hochzeiten, Jubiläen, Geburten oder anderen Anlässen wurde der Aulos gespielt. Es galt, daß bei Geburtstagsfeiern die Musik so lange spielen sollte, „bis die Tibia heiser wird“.

Außerdem galt Tibiamusik als heilsam und wurde in der Therapie eingesetzt, unter anderem gegen Ischias und bei Schlangenbissen.

Im Arbeitsalltag, zur Erleichterung der Arbeit, war der Aulos ebenfalls verbreitet und einige Arbeitslieder sind überliefert. So ist bekannt, daß das Traubenkeltern und -stampfen von entsprechender Musik begleitet wurde.

Unterhaltung

Musikerszene in einem Mosaik in Herculaneum

Musikerszene in einem Mosaik in Herculaneum

Besonders populär war der Aulos in der Unterhaltung. Neben den Straßenmusikern, die in den Straßen der Städte oder auf Marktplätzen spielten, gab es ganze Musikertruppen, die durch die Provinzen tingelten und auf Bühnen auftraten.

Anders als bei den Tempelauleten, gab es in der Unterhaltungsbranche auch viele weibliche Auleten.

Eine zentrale Rolle spielte der Aulos in Theaterstücken, sowohl in Tragödien als auch in Komödien, die zum Teil recht derb und volkstümlich waren und vor allem beim einfachen Volk großen Anklang fanden.

Insbesondere die Komödien von Plautus und Terentius Lucanus hatten eigens für den Aulos komponierte musikalische Begleit- und Zwischenstücke, die den griechischen Stil mit traditionellen römischen Elementen kombinierten. Die Musikbegleitung zu bekannten Theaterstücken von Terenz wurde von einem Komponisten namens Flaccus geschrieben, der ein Sklave des Claudius war. Die Musikbegleitung zu Plautus schrieb ein Sklave namens Marcipor.

Theaterprobe mit Aulosspieler (Mosaik, Pompeji)

Theaterprobe mit Aulosspieler (Mosaik, Pompeji)

Römische Theaterstücke begannen mit einer von einem Auleten gespielten Overtüre, die oft so bekannt war, daß das Publikum das Stück an den ersten Tönen erkennen konnte. Im Zusammenhang mit der Theatermusik wird an mehreren Stellen die Verwendung eines Doppelrohrblatts beschrieben.

Viele Abbildungen zeigen den Aulos in Theaterszenen. Ein Mosaik aus dem „Haus des Tragischen Poeten“ in Pompeji zeigt eine Probeszzene aus einem griechischen Stück über Satyre, in der ein aufwendig gekleideter Aulosspieler auf zwei sehr langen Aulos musiziert, während zwei Tänzer daneben ihre Schritte proben.

In Pompeji fand man außerdem Wandgemälde und Mosaike, die nach griechischen Vorlagen gemalt wurden und eine Gruppe von Straßenmusikern zeigen. Eine Frau spielt den Aulos. Zwei Männer, die Zymbeln und Trommeln tragen, tanzen dazu. Zu dieser Truppe gehört auch ein Zwerg.

Reisende Musiker finden sich bei einer Terracottafigur aus Syrien, die eine weibliche Aulosspielerin und einen männlichen Trommler zeigt, die auf einem Kamel reiten.

Tibiaspieler spielten sowohl in Ensembles, als auch zur Begleitung von Chören und als Solisten.

Konzert mit Aulos und Kithara, Herculaneum

Konzert mit Aulos und Kithara, Herculaneum

Musikfestivals und Musikwettbewerbe waren im Römischen Reich sehr populär und zogen Musiker aus weiten Teilen des Landes an, um sich miteinander zu messen. Hierbei winkten zum Teil hohe Preisgelder und Ruhm. Eine solche Konzertszene gibt es in einem Wandgemälde aus Herculaneum, in der ein Duett aus Aulos und Kithara dargestellt ist. Andere Szenen, zum Beispiel aus einem Mosaik in Syrien, zeigen Aulos, Kithara und Orgel.

Einige Musiker, die sich besonders durch ihre Fähigkeiten hervortaten, erlangten einen hohen Status. Berühmt ist etwa der Aulet Antigenidas, der im 2. Jahrhundert das Ehrenbürgerrecht von Neapel erhielt. Er errang mehrere Siege bei wichtigen Musikwettbewerben, insbesondere den renommierten Capitolia in Rom, wo er in einer Inschrift an erster Stelle genannt wird. Als der populärste Aulet aller Zeiten gilt Ti. Scandilianus Zosimus, der in Wettbewerben im ganzen Reich 356 Erfolge errang.

Aber auch andere Musiker sind als Gewinner dieser Wettbewerbe überliefert, die nicht zu Stars mit großem Ansehen wurden, sondern die offenbar eher aus finanziellen Gründen an den Veranstaltungen teilnahmen. Berüchtigt ist hierbei zum Beispiel ein Musiker namens Pollio, der sich laut den Quellen großer Beliebtheit in der Damenwelt erfreute. Eine seiner Verehrerinnen wandte sich sogar an Janus und Vesta, um seine Siegchancen zu erhöhen. Er verdiente seinen Lebensunterhalt dadurch, daß er in reichen Haushalten Musikunterricht gab, war jedoch ständig aufgrund seiner Verschwendungssucht in Geldnöten. Die Teilnahme an den Musikwettbewerben war für sein Ansehen gesellschaftlich sehr förderlich und brachte ihn in Kontakt mit den gewünschten Kreisen.

Bekannte Tibia-Musikerinnen waren die Freigelassene Fulvia Copiola sowie die Choraulosbläserin Licina Selene, ebenfalls eine Freigelassene.

Praxis: Wie wird der Aulos gespielt?

Den „einen“ Aulos gibt es nicht, deshalb gibt es auch keine eindeutige Tonzuordnung zu den einzelnen Löchern (wie zum Beispiel bei den Saiten einer Gitarre, die immer auf EAGDAE gestimmt sind).

Aulet mit Phorbeia, dem Mundband, für besonders lange Aulos

Aulet mit Phorbeia, dem Mundband, für besonders lange Aulos

Dennoch gibt es zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten aus dem Bereich der Musikwissenschaften und der Archäologie, die sich mit dem Aulos, dem Klang, der Stimmung und der Spielweise beschäftigen. Die vielen erhaltenen Musikinstrumente sind nicht einheitlich gebaut, sie unterscheiden sich in der Länge, im Material, in der Anzahl der Bohrungen und im Abstand der Löcher voneinander. Das hat zur Folge, daß die unterschiedlichen Typen unterschiedlich klingen. Ebenfalls einen Unterschied macht es, ob ein Aulos mit Einfach- oder Doppelrohrblatt gespielt wird.

Wissenschaftliche Arbeiten, wie die hervorragende musikwissenschaftliche Analyse von Dr. Stefan Hagel, „Ancient Greek Music: A Technical History„, setzen sich detailliert mit dem Stimm-, Ton- und Harmoniesystem des Aulos auseinander, wobei hier insbesondere Bezug auf den Louvre- und den Berlin-Aulos genommen wird. Beide Instrumente dienen als Vorlage für originalgetreue Repliken, wie sie von heutigen Aulosspielern und experimentellen Archäologen gespielt und beispielhaft erforscht werden.

Einer der in der heutigen römischen Musikerszene am weitesten verbreitete und am besten erforschte Aulos ist der „Louvre-Aulos“, von dem Grifftabellen, Tonübersichten und Fingersatztafeln existieren, die die unterschiedlichen Lochöffnungen und die daraus resultierenden Tonarten und Harmonien beschreiben. Auch treffen sich Aulos-Musiker aus ganz Europa regelmäßig in London und einmal jährlich zum „Workshop des Dionysos“ des EMAP Revival Teams (European Music Archeology Project) in Italien, in dem gemeinsam gearbeitet und musiziert wird, sowie spezielle Themen wie das Herstellen von Rohrblättern oder Atemtechniken diskutiert und praktiziert werden. Am Ende des einwöchigen Workshops steht dann ein gemeinsames Konzert. Voraussetzung zur Teilnahme ist, daß man einen Aulos des Louvre- oder Berlintypus besitzt, um mit den anderen Musikern gemeinsam spielen zu können.

Conrad Steinmann demonstriert einen Schilf-Aulos:

Wie bereits beschrieben, ist ein Chanter der „hohe“ Chanter und einer der „tiefe“ Chanter.

Ein Aulosspieler mit Scabellum

Ein Aulosspieler mit Scabellum

Ein Beispiel für die Fragestellungen, mit denen man sich in der praktischen Experimentalarchäologie konfrontiert sieht, ist die Tatsache, daß die Löcher auf den Instrumenten des Louvre-Typs nicht geradlinig untereinander gebohrt sind, sondern radial zueinander versetzt. Das Interessante an der Sache: sie sind auf beiden Chantern in die gleiche Richtung versetzt, wo hingegen man aus der modernen Perspektive bzw. Ergonomie erwarten würde, daß eine Drehrichtung den Fingern der linken Hand und eine der rechten Hand entsprechen würde. Tatsächlich drehen sich die Löcher der tiefen Töne auf beiden Chantern radial nach links, was drauf hindeutet, daß die tiefen Töne auf beiden Chantern möglicherweise immer mit links gespielt wurden und die hohen Töne immer mit rechts. Daraus folgt, daß nicht ein Instrument fest einer Hand zugeordnet war, sondern die Hand wechselte, je nachdem, welche Löcher man freigab und welche man verschloß. Links wäre immer für den Chanter zuständig, dessen tiefe Töne man freigibt und rechts immer für die hohen Töne. Das ist jedoch nur eine spekulative Theorie, die aus der Spielpraxis erfolgt, und keineswegs historisch belegt ist.

Das jedoch macht auch den Reiz der experimentellen Archäologie aus, sei es in der Musik, sei es im Militärwesen, sei es in der Gladiatur – erst wenn man etwas selbst ausprobiert, bemerkt man Dinge, die einem „auf dem Papier“ niemals aufgefallen wären. Oder Theorien, die von theoretischen Wissenschaftlern seit Jahrzehnten gepredigt werden, erweisen sich in der Praxis als haltlos und unrealistisch. Auf jeden Fall ist es spannend, solche Fragestellungen zu entdecken und nach einer Antwort zu forschen.

Auf dem Gebiet des Aulos ist die praktische Forschung sehr lebendig, Spieler tauschen ihre Erfahrungen, ihre Ideen und Entdeckungen aus und überprüfen sie gemeinsam auf ihre Praxistauglichkeit. Immer wieder erscheinen auch neue wissenschaftliche Arbeiten, die wertvolles neues Hintergrundwissen liefern.

Die Muse Euterpe mit Hyagnis, dem „Erfinder“ des Flötenspiels; Monnus-Mosaik, Trier

Wie genau gespielt wurde, weiß im Endeffekt niemand – man kann es nur selbst erkunden. Die zahlreichen Abbildungen zeigen Musiker mit Instrumenten und daraus, sowie aus den Originalfunden, weiß man bereits eine Menge über die Art und Weise, wie der Aulos gespielt wurde: daß nicht benötigte Löcher mit Stöpseln oder Ringen oder verschiebbaren Metallklappen verschlossen wurden, daß ein Rohblatt das Mundstück bildete und daß zwei asymmetrische Aulos gleichzeitig gespielt wurden. Wir kennen einige antike Musikstücke samt Notenschrift und viele Fragmente. Wir kennen die theoretischen Abhandlungen über Musiktheorie, die in der Antike von griechischen und römischen Philosophen verfaßt wurden.

Was wir natürlich nicht haben, sind antike Grifftabellen, schriftliche Spielanleitungen oder Fingersatztabellen. Es ist davon auszugehen, daß die Weitergabe mündlich durch einen Lehrer an seinen Schüler erfolgte und daß das Spielen praktisch durch Nachahmen und Zeigen erlernt wurde.

Die vielen schriftlichen Abhandlungen aus der Antike, die über den Aulos existieren, wurden in erster Linie von Geschichtsschreibern und Philosophen verfaßt und nicht von Musikern. Deshalb sind vor allem die praktischen Einsatzbereiche überliefert (vor allem bei Opferhandlungen und auf der Bühne), aber nicht, wie ein Musiker das Spielen erlernte, welche Harmonien und Töne darauf gespielt wurden oder welche Löcher man bevorzugt verschloß. Das alles kann nur durch Experimente, theoretische musikwissenschaftliche Überlegungen, Vergleiche, Studien der antiken Instrumente und praktisches Spielen herausgefunden werden.

Eine absolute Koryphäe auf dem Gebiet des Aulos ist der Wiener Musikforscher Dr. Stephan Hagel, der auch zahlreiche Fachbücher und Artikel zur römischen und griechischen Musik der Antike geschrieben hat. Er demonstriert im folgenden Video die Spielweise einer besonderen Art des Aulos.

Anders als bei den „normalen“ oder einfachen Aulos, deren überzählige Löcher mit Wachs oder Holz verschlossen wurden, ist es hier bereits während des Spielens möglich, durch das Verschieben beweglicher Metallringe Löcher zu verschließen und zu öffnen, so daß bei diesen Modellen (die auch in Pompeji gefunden wurden), die volle Bandbreite des musikalischen Spektrums genutzt werden kann – während man sich bei den Aulos des Louvre-Typs im Vorfeld überlegen muß, welche Löcher man für das nächste Lied benötigt.

In diesem Video, in dem der Aulos mit Mundband gespielt wird, ist diese komplexe Technik gut zu erkennen (ebenso wie die als „Zirkularatmung“ bekannte Atemtechnik, die ein Spielen ohne Absetzen und hörbare Pause erlaubt):

Woher bekomme ich ein Instrument?

Den Aulos gibt es natürlich nicht im Musikinstrumente-Fachhandel, insbesondere nicht, da es sich bei den Modellen oft um originalgetreue Repliken antiker Instrumente handelt. Das bedeutet, daß man sich ein Instrument bei einem Instrumentenbauer als Einzelstück selbst anfertigen lassen muß. Es gibt nur wenige Instrumentenbauer in Europa, die darauf spezialisiert sind. Aber dadurch, daß es sich um Einzelstücke handelt, die nur nach Auftrag angefertigt werden, hat man die Möglichkeit, bei der Anfertigung mitzureden, zum Beispiel durch die Wahl eines bestimmten Holzes oder Rohrblattes. Die Kosten beginnen bei etwa 350 Euro für beide Instrumente und sind – je nach den eigenen Wünschen – nach oben offen.

Ein sehr guter Instrumentenbauer, von dem viele Musiker und Archäologen ihren Aulos bauen lassen, ist Thomas Rezanka aus Österreich. Er ist vom Schwerpunkt her Dudelsackbauer, bietet aber auch den Louvre-Aulos in zwei Versionen bzw. Rekonstruktionen an.

Aulosspielerin auf dem Ludovisi-Thron, Rom

Aulosspielerin auf dem Ludovisi-Thron, Rom

Ich selbst habe mir von ihm das Modell Louvre-2 bauen lassen, das nach einem Plan von Dr. Stefan Hagel konstruiert wurde und sehr nah am Original ist. Bei diesem Modell sind die Tonlöcher auf beiden Chantern radial zueinander versetzt und die Positionen und Durchmesser der Löcher entsprechen exakt dem Originalfund. Die Wicklung des Mundstücks, die beim Original nicht mehr erhalten war, wurde aufgrund von musikarchäologischen Erkenntnissen und Spuren der Wicklung auf die wahrscheinlichste Weise rekonstruiert.

Zum Verschließen von nicht benötigten Löchern werden zu jedem Chanter maßgebohrte Holzstöpsel mitgeliefert, mit denen die einzelnen, nicht benötigten Löcher verschlossen werden können. Da die Löcher unterschiedlich groß sind, sind die Stöpsel nummeriert, damit man weiß, welcher zu welchem Loch gehört.

Das Instrument hat einen ausgezeichneten Klang und ist 1A gearbeitet, so daß wir diesen Instrumentenbauer uneingeschränkt empfehlen können. Da er den Aulos nebenberuflich baut und jedes Stück einzeln angefertigt wird, so ein Instrument natürlich nicht über Nacht erhältlich, sondern die Anfertigung nimmt einige Monate in Anspruch. Dafür kann man sich sicher sein, so nah am Original zu sein, daß es damit möglich ist, experimentalarchäologisch zu arbeiten und sich an dem Klang zu erfreuen, wie man ihn schon vor 2000 Jahren schätzte. Bei Interesse also einfach mal bei ihm nachfragen!

Der Musiker Michael Vereno spielt im folgenden Video auf einem Louvre-Aulos aus der Werkstatt von Thomas Rezanka; überzählige Löcher sind hier mit Ringen verschlossen:

Wie fange ich am besten an, wie lerne ich das Aulosspielen?

Anders als bei modernen Instrumenten, gibt es keine Kurse an Musikschulen, keine Spielanleitungen im Internet, Youtube-Lernvideos oder Selbstlern-Bücher mit CD.

Aber vieles ist über den Aulos bekannt und gerade in den vergangenen Jahren, in denen sich eine rege internationale Aulosspieler-Gemeinde gebildet hat, und in den Zeiten des Internets, sind so viele Informationen verfügbar wie nie zuvor.

Erst einmal empfiehlt es sich, sich theoretisch mit dem Instrument auseinanderzusetzen. Das ist eine ideale Beschäftigung, um die Wartezeit bis zur Fertigstellung des Instruments zu überbrücken. Es gibt sehr gute wissenschaftliche Fachbücher und Schriften, die sich mit dem Aulos und den Auleten befassen. Empfehlenswert sind unter anderem:

Auch sonst bietet das Internet eine Fülle an Informationen, um sich in das Thema einzulesen. Es gibt eine Auloi Players Group auf Facebook (die allerdings nicht sehr rege ist, bei Fragen findet man dort aber einen Ansprechpartner zum privaten Austausch), die Website des Workshop of Dionysus mit interessanten Abhandlungen zur Praxis und viele weitere Artikel, die sich mit römischer Musik und dem Aulos befassen.

Wer sich selbst in die Musik hineinhören möchte, wird bei den CDs von Musica Romana (Pugnate!) und Synaulia fündig (Teil 1: Blasinstrumente), die überall erhältlich sind.

Außerdem hat man während der „Römersaison“ im Sommer viele Möglichkeiten, römische Musiker live und in Farbe zu treffen, ihre Musik zu hören und sich die Instrumente und Spielweise erklären zu lassen. Gute Termine dafür sind die größeren Römerfeste in Deutschland, Österreich und Schweiz, wo häufig Musiker wie Justus Willberg und Hagen Pätzold anzutreffen sind.

Auch andere erfahrene Spieler, darunter Musikwissenschaftler, Archäologen und Berufsmusiker, die in die römische Szene involviert sind, stehen für Fragen zur Verfügung und helfen gerne weiter.

Aulos auf einem Sarcophag, Rom

Aulos auf einem Sarcophag, Rom

Um den Aulos zu erlernen, ist es auf jeden Fall hilfreich, Erfahrung mit Musikinstrumenten zu haben und Grundkenntnisse der Musiktheorie zu besitzen. Hierbei helfen insbesondere Erfahrungen mit Blasinstrumenten (selbst die Blockflöte ist hier zu nennen, auch wenn die Anblastechnik vollkommen unterschiedlich ist), idealerweise natürlich Kenntnisse von Rohrblattinstrumenten.

Ohne jegliche Vorerfahrungen mit Musikinstrumenten und ohne jegliche Kenntnisse von Musiktheorie wird der Einstieg sicherlich schwer, es sei denn, man hat ein ausgesprochen gutes musikalisches Gehör und sehr viel Talent, Gehörtes umzusetzen.

Eine genaue Anleitung würde natürlich den Rahmen dieses Artikels sprengen, aber ein paar Tipps für den Anfang wollen wir trotzdem mit auf den Weg geben. Diese geben vielleicht Anregungen oder Ansatzpunkte, um sich selbst weiter mit dem Thema zu beschäftigen und zu forschen.

Wenn man den Aulos erhält, muß man zuerst das Rohrblatt einsetzen. Ein Rohrblatt ist mit „H“ markiert und gehört in den hohen Chanter (den mit den 8 Löchern+Daumen beim Louvre-Modell) und das andere „L“ in den tiefen Chanter (den mit den 6 Löchern+Daumen). Das ist der erste Fallstrick für den Einsteiger.

Je nachdem, ob man ein Rohrblatt aus Kunststoff oder Naturmaterialien gekauft hat, muß dieses vor dem Spielen noch spielbar gemacht werden (Wässern). Wer keine Erfahrung mit Rohrblättern hat, sollte sich in das Thema vorher unbedingt einlesen, denn Rohrblätter sind – wenn man sie nicht selbst anfertigen kann, was einem Anfänger sicher nicht gelingt – empfindlich und teuer. Es sind zwar Verbrauchsmaterialien, die ohnehin mit der Zeit erneuert werden müssen, aber wenn man sie direkt zu Beginn falsch behandelt, ist es ein kurzes Vergnügen und man wird auch nicht viel Spaß am Aulos haben.

Für den Anfänger, der keinerlei Erfahrung mit Rohrblättern hat, empfehle ich deshalb Rohrblätter aus Kunststoff (Polystyrol). Diese sind weniger empfindlich und halten länger, auch wenn der Klang nicht ganz so schön ist wie von „echten“ Rohrblättern aus Arundo Donax (Pfahlrohr). Sie sind aber etwas leichter in der Ansprache und bringen schneller den gewünschten Ton hervor und sind außerdem unempfindlich gegen Feuchtigkeit.

Erhaltene Instrumente aus Pompeji

Erhaltene Instrumente aus Pompeji

Wobei wir beim zweiten Thema wären… wer noch nie ein Rohrblatt angeblasen hat, wird erst einmal schockiert von der Tatsache sein, daß… zu Beginn gar nichts herauskommt. Der Aulos ist nicht kaputt! Es dauert seine Zeit, bis man die Technik herausgefunden hat, wie tief das Rohrblatt in den Mund genommen werden muß, wie man hineinblasen muß, damit die Rohrblätter schwingen, und daß man nicht zu fest und nicht zu schwach bläst. Die Rohrblätter sind mit Draht aneinander befestigt, diese Drahtschlinge muß gegebenenfalls weiter geöffnet oder geschlossen werden, um den idealen Luftstrom zu erzeugen. Ist der Draht zu eng, kommt keine Luft hindurch, ist er zu weit, neigt man zum „Überblasen“ und es erklingen hohe, quietschende Töne.

Wobei wir beim dritten Thema wären… die hohen, quietschenden, schreienden Töne, die ein Aulos zu Beginn möglicherweise erzeugt, sind nicht der gewünschte Ton. So klang das Instrument in der Antike nicht, sondern es hat den warmen, dunklen, weichen Klang einer Oboe oder, je nach Rohrblatt und Größe, den durchdringend-nasalen Klang einer Schalmei. Aber es ist auch vollkommen normal, daß es am Anfang quietscht und kreischt, bis man die richtige Technik gefunden hat (das ist bei jedem Blasinstrument zu Beginn der Fall). Auch davon darf man sich nicht beirren lassen, es heißt einfach: üben, üben, üben.

Gegebenenfalls – wenn man nur quietscht oder gar nichts kommt – kann man auch Anleitungen für andere Rohrblattinstrumente im Internet lesen, in vielen Foren tauschen sich Rohrblatt-Musiker (auch Anfänger und Laien) darüber aus, wie man das Anblasen erlernt und das Quietschen vermeidet. Geduld ist, wie bei jedem Instrument, notwendig, und der Aulos ist – wie jedes Rohrblattinstrument – nicht gerade das einfachste Blasinstrument. Aber die langweilige Blockflöte spielt halt jeder 😉

Duett aus Aulos und Lyra

Duett aus Aulos und Lyra

Geduld und vor allem regelmäßiges Üben sind hier der Schlüssel. Denn selbst wenn man irgendwann plötzlich den Kniff heraus hat und der Ton genauso klingt, wie er soll, so vergißt man die richtige Technik auch schnell wieder, wenn man nicht am Ball bleibt und weiterübt, bis die Anblastechnik in die „Körpererinnerung“ übergegangen ist und auf Anhieb reproduziert werden kann. Selbst erfahrene Musiker müssen sich eine Weile „warmspielen“ und auch Rohrblätter wollen eingespielt werden.

Nach dem Musizieren ist es wichtig, das Instrument austropfen zu lassen, denn natürlich fließt, wie bei jedem Blasinstrument, eine Menge Speichel. Deshalb sollte man den Aulos nach Gebrauch nicht in eine luftdichte Tüte packen und irgendwo hinlegen, sonst kann der Aulos, wie eine Flöte auch, von innen schimmeln. Man sollte das Instrument stattdessen offen hinstellen (auf einen Lappen oder ein Handtuch) und erst einmal gründlich trocknen lassen.

Besitzt man Rohrblätter aus Naturmaterial, müssen diese ebenfalls getrocknet und speziell aufbewahrt werden. Im Internet sind zahlreiche Anleitungen zur Behandlung von Rohrblättern zu finden, da sich mit dieser Frage ganze Heerscharen von Musikern konfrontiert sehen, von Oboen- und Klarinettenspielern bis hin zu Saxophonisten, Dudelsackspielern und Mittelaltermusikern. Hier sollte der Anfänger, unabhängig vom Instrument, gute Tipps bekommen.

Leider gibt es auch keine Notenbücher für antike Musikstücke (auch wenn einige Stücke, wie das Seikilos-Epitaph in moderner Notenumschrift existieren). Welche Töne der Aulos spielt, hängt auch immer davon ab, welches Modell man hat und welche Löcher man verschließt.

Moderne Umschrift eines antiken Musikstücks:

Athenan Notes

Antikes Musikstück in Original-Notation:

Seikilos.svg

Repliken großer und kleiner Auloi

Repliken großer und kleiner Auloi

Um einen Einstieg zu finden, ist es eine gute Idee, sich ein antikes Musikstück auszuwählen, von dem es viele (Video- und CD-Vorlagen) gibt. Beispiele dafür sind das Seikilos-Epitaph oder die Hymne an Nemesis oder ein anderes Stück, das gerne und häufig gespielt wird.

Das im oben eingefügten Video aus Xanten ist ebenfalls eine gute Einsteiger-Vorlage, da die Melodie einfach ist und in der Tonhöhe von einem Chanter auf den anderen Chanter wechselt, so daß man gleich üben kann, mit dem tiefen Chanter die Melodie zu beginnen, während der Hohe begleitet und dann mit der Melodie auf den hohen Chanter zu wechseln, während der Tiefe begleitet. Auch ist es möglich, das Lied ohne Daumenloch zu spielen, da nur die unteren Löcher benötigt werden, was für den Einsteiger einfacher ist.

Wenn man ein Lied in- und auswendig beherrscht, kann man sich an weitere Experimente wagen, zum Beispiel die Stimmung des Instruments durch andere Lochöffnungen verändern und verschiedene Klangbilder auszuprobieren.

Der Aulos im modernen Cultus

Kann man erst auf dem Aulos spielen, sind den Anwendungsbereichen natürlich keine Grenzen gesetzt. Auf römischen Treffen im Rahmen des Re-enactments kann man damit ebenso Spaß haben, wie im privaten oder öffentlichen Cultus.

Bei Ritualen anläßlich von Veranstaltungen wird ein Aulet / Tibicen immer geschätzt, der das Ritual begleitet (wie das Eröffnungsritual, das wir in Haltern 2014 gefilmt haben, leider schmälern auf dem Video der Wind und der Bauer mit seinem Traktor, der genau zum Ritual loslegte, etwas die Akustik 😉 )

Im privaten Cultus kann man natürlich ebenfalls im Rahmen von Ritualen am Lararium oder Sacrarium (oder auch in einem Waldtempel, wie dem römischen Tempelbezirk in Tawern) den Aulos spielen. Als „Aufmerksamkeitserreger“ für die Götter ist es auf jeden Fall geeignet und es ist davon auszugehen, daß der Klang den Göttern wohlgefällig ist und sie erfreut.

Aulos im Cultus Deorum Romanorum: Altar für Apollo und Sirona

Aulos im Cultus Deorum Romanorum: Altar für Apollo und Sirona

Welche Lieder in der Antike für welchen Gott und anläßlich welchen Rituals gespielt wurden, ist nicht überliefert. Es gibt, im Sinne der Authentizitätsbestrebungen im römischen Rekonstruktionismus, jedoch einige Annahmen über römische Sakralmusik, die man guten Gewissens vertreten und begründen kann, auch wenn klar sein muß, daß historische Belege in diesem Punkt fehlen.

Ein weiterführender Artikel über Musik in der heutigen Kultpraxis des Cultus Deorum, sowie weitere Artikel zu römischer Musik folgen demnächst in diesem Blog! Fragen und Anregungen für weitere Themen oder zur Beleuchtung einzelner Aspekte könnt Ihr gerne als Kommentar hinterlassen.

Wir hoffen, daß diese Einleitung in das weite Feld eines des beliebtesten und wichtigsten römischen Musikinstruments Eure Neugier geweckt hat 🙂


 

Artikel © Q. Albia Corvina, 01/2015

Artikel © Q. Albia Corvina, 01/2015


15 Kommentare

  1. Kamila sagt:

    Salve Albia Corvina

    Pro optimo articolo gratias tibi ago. Unum te interrogare vellem: quo venit haec photogramma tibias Pompeianas ostendens ERHALTENE INSTRUMENTE AUS POMPEJI subscripta? Ubi illam invenisti?

    Cura ut valeas quam optime
    Camilla

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    • Salve Camilla,

      vielen Dank für Deinen Kommentar! Ich antworte auf Deutsch, damit auch Latein-unkundige Leser etwas von der Info haben!

      Die Illustration der erhaltenen Instrumente stammt aus der Doktorarbeit „Musical Instruments in the Roman World“ von Mary Angela Wardle, University of London, Institute of Archeology aus dem Jahr 1981, Volume 2. Es handelt sich um Tafel 2 (wobei aufgrund der Beschriftung in der Doktorarbeit widersprüchlich ist, ob nur die Instrumente aus Tafel 1 aus Pompeji stammen oder beide. Falls die Instrumente in Tafel 2 nicht aus Pompeji stammen, sind es erhaltene Auloi aus Meroe, Sudan aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.).

      Tafel 1 in dieser Doktorarbeit zeigt übrigens ebenfalls erhaltene Auloi, diese gesichert aus Pompeji. Die Originale befinden sich im Museo Nazionale in Neapel.

      Ich hoffe, ich konnte Dir mit der Antwort weiterhelfen!

      Viele Grüße und vale bene,

      Q. Albia Corvina

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      • Camilla sagt:

        Camilla Albiae Corvinae SD

        Vielen Dank für Deine Antwort. Es scheint mir, dass beide Tafeln (1 und 2) die gleiche Ausstellung zeigen. Was wir da vermutlich sehen sind ein paar Auloi aus Fondo Prisco (1903 aufgefunden), mindestens zwei Trompeten und wahrscheinlich einige von 1-4 Pompeji Auloi (1888). Es wäre sehr interessant zu wissen, ob die Autorin selbst das Foto gemacht hat. Falls ja, würde es bedeuten, dass die Instrumente noch in der 70. Jahren fast vollständig waren. Die sind jetzt leider im schlechten Zustand.

        Bene valeas
        Camilla

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  2. Max Brumberg sagt:

    Thema versetzte Grifflöcher:
    Wenn die jeweils oberen fünf Grifflöcher einer Hand zugeordnet sind und man die tiefere Spielpfeiffe in die rechte Hand nimmt erweist sich der Versatz der Grifflöcher als sehr ergonomisch. Bei einem Nachbau habe ich versehentlich zwei der Grifflöcher des tiefen Chanters noch weiter nach links versetzt und durch meine großen Hände erwies es sich als noch angenehmer.
    in dem Video unten kann man erkennen wie ich die Instrumente halte, bei Bedarf kann ich gerne auch ein Foto machen.
    Die unteren (Griff)Löcher dienen dann eher um verschiedene tiefere Grundtöne zu erzeugen.
    Es gibt noch viel zu experimentieren.

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  3. soph sagt:

    Hallo Q.Albia Corvina,
    für meine Seminararbeit würde ich gerne ein paar Zitate aus Ihrem Artikel einbringen. Soll ich Koch oder Ludwig angeben, da ich Corvina ja nicht wissenschaftlich zitieren darf?
    Vielen Dank
    Sophia

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    • Hallo Sophia,
      als Urheberin des Artikels können Sie Q. Albia Corvina [Daniela Koch] angeben. Worum geht es in der Seminararbeit?

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      • soph sagt:

        Hallo Q.Albia Corvina,
        vielen Dank für die schnelle Antwort! ich schreibe über den Aulos und vergleiche, bzw. untersuche, ob heutige Instrumente davon abstammen.

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        • Max Brumberg sagt:

          Hallo soph, das interessiert mich sehr, vielleicht besteht die Möglichkeit das ich informiert bleibe?
          Ich bin Instrumentenbauer und beschäftige mich intensiv mit Aulos.
          hier mal ein Link zu einer Aufnahme von mir, die Rohrblätter sind von mir gebaut. https://youtu.be/YQQAsEEZorQ

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          • soph sagt:

            Hallo Herr Brumberg, vielen Dank für Ihr Interesse! Ich bin jedoch erst in der zwölften Klasse und schreibe bloß in einem kleinen Rahmen über den Aulos. Ich bezweifle, dass ich Ihnen da viele Informationen bieten kann. Gerne kann ich Ihnen meine Arbeit, wenn sie fertig ist, zukommen lassen.
            LG soph

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  4. Max Brumberg sagt:

    Spannender Artikel, danke für die umfangreiche Information!
    Ich beschäftige mich seit etwa einem Jahr mit den Aulos. Spiele eine Version des Louvre Aulos, von Robin Howell gebaut. Gerade bin ich auf dem Rückweg von Toronto, habe eine Woche mit ihm verbracht um meine Kenntnisse im Rohrblattbau zu vertiefen. Die Rohrblätter von Robin sind erstklassig. Falls es interessiert, es gibt ein Video in dem Callum Armstrong ein solches Instrument spielt 8:39m https://youtu.be/4hOK7bU0S1Y
    Viele Grüße

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    • Hallo Max, vielen Dank für Dein Lob und Deinen interessanten Kommentar!

      Ich habe auch einen Louvre Aulos und finde, er hat einen tollen, erstaunlich vollen Klang – Leute, die nie zuvor einen Aulos gehört haben und nur diese „kleinen Flöten“ sehen, sind erstaunt, welche Lautstärke und Volumen damit zustandekommt, wenn man ihnen damit etwas vorspielt.

      Leider hatte ich noch nie die Gelegenheit, mich mit Rohrblattbau zu beschäftigen – hier muß ich bislang leider auf vorgefertigte Rohrblätter zurückgreifen und nutze zum Üben, der Haltbarkeit und Unempfindlichkeit wegen, Rohrblätter aus Polystyrol, was natürlich nicht ganz stilecht ist 😉

      Rohrblattbau ist aber auf jeden Fall etwas, das noch auf der To Do-Liste steht!

      Das verlinkte Video ist hochinteressant, wir haben es auf unserer Facebook-Seite geteilt.

      Viele Grüße!
      Corvina

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  5. sjklö sagt:

    Hallo zusammen,

    Ich habe gehört, dass man eine ganz vereinfachte Form eines Aulos auch mit Strohhalmen nachbauen kann. Natürlich nur zum Ausprobieren und nicht zum professionellen Spielen. Stimmt das und kann ich das irgendwie hinbekommen, dass es sich ein bisschen anhört wie eine echte Aulos, oder ist das alles totaler Quatsch?
    PS: Ich bräuchte das für ein Experiment in der Schule und will nicht nur deswegen einen Aulos kaufen…

    Vielen Dank für eure Tipps 🙂

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  6. Kai sagt:

    Was halten Sie persönlich denn von den Auloi, die Anton Platonov anbietet? Sie sind offenbar nicht wirklich nach antikem Vorbild gearbeitet, aber geben ebenfalls einen schönen Klang. Und da es sicherlich eine riesige Fülle an verschiedenen Auloi gab, wird das Bestreben, ein möglichst originalgetreues Exemplar zu haben, sowieso recht vernachlässigbar sein…

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    • Salve Kai,

      die Auloi von Anton Platonov kann ich nicht beurteilen, da ich sie noch nie gespielt habe und auch niemanden kenne, der sie verwendet.

      Wenn Ihnen der Klang persönlich gefällt und Sie kein Bestreben haben, eine originale Replik eines antiken Vorbildes zu nutzen, sehe ich nicht, was dagegen spricht, dass Sie sich ein solches Instrument zulegen. Das ist und bleibt dem persönlichen Geschmack vorbehalten und dem, was man selbst für Ansprüche an ein Instrument stellt.

      Wenn Sie den Klang nach eigenem Bekunden schön finden und ohnehin keine authentischen Auloi wünschen, dann wäre meine persönliche Meinung zu diesen Auloi sowieso vernachlässigbar… 😉

      Vale
      Q. Albia Corvina

      Gefällt 1 Person

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