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Kultpraxis: Geburtstagsritual am Lararium

„Statuetten opfernder Männer und Frauen“ im RGM Köln. Oder Larariumsfiguren von Genius und Iuno? Fundort: Köln
Wie wir in unserem Einleitungsartikel „Der Geburtstag in der römischen Antike“ beschrieben haben, unterschieden sich römische Geburtstagsbräuche kaum von unseren heutigen – mit einem Unterschied:
Neben Essen, Trinken und Feiern nutzte man den Tag auch, um in einem Ritual am Lararium, dem Hausschrein, seines Genius / seiner Iuno zu gedenken, sich bei den Göttern für das vergangene Lebensjahr zu bedanken und mit einem Gelübde ihre Unterstützung für das kommende Lebensjahr zu erbitten. Hierbei wird immer Jupiter Optimus Maximus eingeschlossen, aber zusätzlich auch jeder andere Gott, der in der eigenen Sacra Privata eine Rolle spielt.
Dieses Ritual stellte die rituelle Eröffnungshandlung am eigenen Geburtstag dar und wird deswegen auch heute in der Religio Romana als Teil der Feierlichkeiten praktiziert.
Der Zweck dieses Rituals ist denkbar pragmatisch: sicherzustellen, daß man auch seinen nächsten Geburtstag erlebt.
Vorbemerkung zu Quellen und Authentizität:
Informationen zu Anrufungen des Genius und der Götter, zu typischen Opfergaben (wie Kuchen, Weihrauch) und zu Opferhandlungen (wie dem Schmücken der Figur des Genius) sind uns, wie im Einleitungsartikel bereits erwähnt, aus zahlreichen Quellen überliefert. Auch gibt es erhaltene antike Texte, die Geburtstags-Segenswünsche enthalten oder Anrufungen und Gelübde aus dem Staats- und Kaiserkult anläßlich des Geburtstags des Kaisers.
Texte, die ein vollständiges Geburtstagsritual im privaten Cultus, in der Sacra Privata beschreiben, sind allerdings nicht bekannt. Deswegen muß ein solches Ritual aus den Fragmenten an erhaltenen Informationen und aus den überlieferten Texten rekonstruiert werden.

Pontifex, Sacerdos, Quaestor und tief in der Religio Romana bewanderter Cultor Cn. Cornelius Lentulus führt eine Opferzeremonie anläßlich der Floralia 2015 durch (Foto mit freundlicher Genehmigung des Aquincum Museums Budapest http://www.aquincum.hu/)
Das hier im folgenden aufgeführte Ritual wurde uns freundlicherweise von Pontifex Cn. Cornelius Lentulus, einem der erfahrensten heute praktizierenden Cultores, zur Verfügung gestellt – genauer gesagt, zum Geburtstag geschenkt 🙂
Er ist zudem Lateindozent an der Universität Budapest und sehr bewandert in der antiken Quellenlage, so daß sein Versuch einer Rekonstruktion dieses Geburtstagsrituals nach bestem Wissen und Gewissen erfolgte, mit dem Anspruch, ein Ritual zu gestalten, das einem römischen Ritual aus der Antike so nahe wie möglich kommt und möglichst wahrscheinlich und authentisch ist.
Die Gelübde im Ritual orientieren sich an den überlieferten Gelübden der Arvalbrüder, des 12-köpfigen römischen Priesterkollegiums, anläßlich des Geburtstages des Kaisers. Die Opfergaben und Handlungen im Bezug auf den Genius entstammen den recht genauen Beschreibungen in den zahlreichen erhaltenen Texten über antike Geburtstagsfeiern, unter anderem von Ovid, Cicero und Tibull.
Ergänzt wurde der Ritualtext von uns durch praktische Handlungsanleitungen, die ebenfalls den antiken Quellen entnommen sind.
So stammt das folgende Ritual zwar nicht aus einer original römischen Quelle, ähnelt aber nach heutigem Kenntnisstand weitestgehend den Kulthandlungen, die Römer wahrscheinlich zu ihrem Geburtstag am Hausaltar abgehalten haben, so daß man es als heutiger Cultor und römischer Rekonstruktionist guten Gewissens in seine Sacra Privata einbinden kann.
Durchführung des Rituals
Vorbereitungen:
Wer eine Figur des Genius / Iuno in seinem Lararium hat, schmückt diese mit einem Kranz. Das Lararium kann zu diesem Anlaß auch mit frischen Blumen bedacht werden.
Neben einer Mischung aus honiggesüßtem Wein und Milch wird Räucherwerk benötigt. Hierzu wird Weihrauch verwendet, so daß man zur Vorbereitung Kohle entzünden und vorglühen sollte. Weihrauch zu räuchern, ist ein originär römischer Brauch, der bis heute seine Fortsetzung in den Bräuchen der römisch-katholischen und orthodoxen Kirche gefunden hat.
Da nur wenig Weihrauch benötigt wird, genügt auch ein kleines Stück Räucherkohle (die Kohletabletten lassen sich problemlos halbieren und vierteln) – es werden pro Rauchopfer jeweils nur ein paar kleine Stücke Weihrauch auf die Kohle gelegt und keine gewaltigen Rauchschwaden erzeugt, wie oftmals irrigerweise angenommen. Insofern gibt es keinen Grund auf Weihrauch als traditionelles Rauchopfer zu verzichten, auch wenn man in einer kleinen Wohnung lebt, zumal auch die Atmosphäre durch Weihrauch eine gänzlich andere ist, als durch die üblichen Räucherstäbchen.
Optional ist die Verwendung von Opferbrot (Libum) oder einem Stück des Geburtstagskuchens.
Bekleidung:
In der Antike war es üblich, daß man sich an seinem Geburtstag weiß kleidete (Ovid, Tristia V 5,8). Weiße Kleidung ist daher authentisch; wichtig ist aber vor allem, daß man saubere und ordentliche Kleidung trägt und das Ritual nicht im Schlafanzug oder Putzshirt durchführt.
Wie bei römischen Ritualen nach dem Ritus Romanus üblich, wird das Ritual capite velato, d.h. mit verhülltem Haupt durchgeführt. Anrufungen erfolgen stehend, manu supina (mit erhobenen Händen).
Opfergabe:
Als Opfergabe wird in diesem Ritual durch Honig gesüßter Wein mit Milch verwendet. Wenn man möchte, kann man den Wein durch Libum (Opferbrot) ersetzen oder ihn damit ergänzen. In diesem Fall muß im Text der Ausdruck „vino lacte melleque mixto“ durch das Wort „libo“ ersetzt werden.
Ansprache des Genius / der Iuno:
Der Geburtstag eines Menschen ist auch der Geburtstag seines „Schutzgeistes“, der bei Männern „Genius“, bei Frauen „Iuno“ genannt wird. Frauen ersetzen im Ritual das Wort „Genius“ deshalb einfach durch „Iuno“ (also im Vokativ „Geni“ durch „Iuno„.)
Sprache:
Es gilt in der Religio Romana die Vorstellung, daß Latein den Göttern besonders gefällt und sie positiv stimmt (was ja insbesondere bei persönlichen Anliegen nie schaden kann). Grundsätzlich gilt Latein als sakrale Sprache mit besonderer Wirkung und Macht.
Nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, daß auch im römischen Vielvölkerstaat Gebete und Rituale durchaus in den vielen lokalen Sprachen (oder, insbesondere in der Osthälfte des Reichs, auf Griechisch) durchgeführt wurden, so daß nichts dagegen spricht, ein Ritual in seiner eigenen Muttersprache abzuhalten.
Unsere Präferenz ist die Durchführung in lateinischer Sprache.
Durchführung:
Dieses Ritual war und ist nicht „geheim“ oder privat (wie eigentlich kein römisches Ritual, solche, die in den Mysterien zur Anwendung kamen, einmal außen vor), sondern wenn man möchte, kann man Familienangehörige und andere Mitglieder des Haushalts, auch Geburtstagsgäste, daran teilnehmen oder zuschauen lassen.
Natürlich kann man es auch für sich alleine abhalten, um sich auf seine Anliegen und die Kulthandlungen zu konzentrieren; wir möchten nur darauf hinweisen, daß es in römischen Haushalten normal war, rituelle Handlungen sowohl gemeinsam, als auch alleine an seinem Lararium und Sacrarium durchzuführen.
I. PRECATIO IOVI (Gebet an Jupiter Optimus Maximus)
Am eigenen Geburtstag, nach dem Aufstehen, Waschen und Anziehen, tritt man vor sein Lararium.
Anrufung des Jupiter Optimus Maximus, vor dem Lararium stehend, capite velato und manu supina.
Der Geburtstag in der römischen Antike
Schon in der römischen Antike feierte man gerne seinen eigenen Geburtstag – und zwar mit Einladungen an Freunde und Verwandte, Geburtstagskuchen, Ständchen singen, Kerzen, Essen und Trinken! Eine römische Geburtstagsfeier unterschied sich in ihren geselligen Aspekten deshalb kaum von einer heutigen Feier.
Im Gegensatz zu heute hatte der Geburtstag jedoch auch eine religiöse Komponente, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielte und rituell in die Feierlichkeiten eingebunden war.
Exkurs: Kein Geburtstag ohne Kalender
Seit wann und wo in der Antike Geburtstag gefeiert wurde, ist nicht bekannt – es steht nur fest, daß eine Kultur ein Kalendersystem benötigt, um einen solchen wiederkehrenden Tag überhaupt feiern zu können, und dieser Kalender mußte allgemein verbreitet sein und im Alltag von der breiten Bevölkerung genutzt werden – also nicht nur von einer geistigen Elite, die Zugang zu astronomischem Wissen hatte und die die Hoheit über einen Kalender und wiederkehrende Ereignisse wie Sonnenwenden oder Tagundnachtgleichen besaß (in derartigen Kulturen feierte man deshalb oft nur den Geburtstag des Herrschers, da dieser Kenntnis über dieses genaue Datum hatte, nicht aber die Geburtstage der Leute aus der einfachen Bevölkerung).
Der römische Alltag war seit der späten Republik durch und durch in allen Schichten der Bevölkerung von einem in Monate und Wochentage differenzierten Kalender strukturiert. Besondere Schlüsseltage waren dabei die Kalenden, Iden und Nonen jedes Monats. Es gab eine exakte Jahreszählung, die die Jahre ab dem mythologischen Gründungsdatum der Stadt Rom (ab urbe condita, a.u.c.) im Jahr 753 v. Chr rechnete und der wir es noch heute zu verdanken haben, daß wir viele mit Datum signierte Funde, Inschriften und Münzen, sowie Regierungszeiten von Kaisern wie lokalen Verwaltungsbeamten aus römischer Zeit auf den Tag genau datieren können. Auch war sie dafür verantwortlich, daß jeder Römer sein aktuelles Alter kannte (wie man aus den zahlreichen Inschriften aus Grabsteinen entnehmen kann) – in der Antike keineswegs eine Selbstverständlichkeit.
Ein funktionierendes, allgemein gültiges Kalendersystem war für die römische Gesellschaft von grundlegender Bedeutung, da sich die Fasti, die religiösen Feiertage danach richteten, denn in der vorchristlichen Gesellschaft gab es noch keinen „freien Sonntag“.
Stattdessen gab es festgelegte Tage, an denen Markttag war, Gerichtsverfahren durchgeführt und Geschäfte getätigt wurden, und Tage, an denen das untersagt war. Am Dies ater, dem Unglückstag, der jeweils auf die Kalenden und Iden folgte, vermied man es sogar, Reisen zu unternehmen oder Geschäfte abzuschließen, man opferte den Göttern nicht und führte keine Auspizien oder große Rituale durch, sondern praktizierte ausschließlich die kleinen Hausrituale am Lararium. An Markttagen kaufte man für die nächsten 8 Tage ein und die Landbevölkerung kam in die Städte, um ihre Waren zu verkaufen. Diese Tage waren so wichtig, daß Gesetze regelten, was an ihnen erlaubt und verboten war – so durften z.B. an Markttagen keine Volksversammlungen abgehalten werden, da sie für die Stadtbevölkerung die einzige Möglichkeit waren, für die nächsten 8 Tage einzukaufen.
Da das ganze Leben und die Alltagsstruktur der römischen Gesellschaft vom Kalender geprägt war – der römische julianische Kalender ist bis heute, in angepaßter Form, Grundlage unseres modernen Kalenders -, war es in der römischen Antike natürlich für jedermann, selbst innerhalb der einfachen Landbevölkerung, normal, Geburtstage nachzuhalten und jedes Jahr am jeweils gleichen Tag zu feiern. Denn auch für die Bevölkerung auf dem Lande und in den Provinzen war der römische Kalender verbindlich, die festgelegten Feiertage der jeweiligen Kulte und Gottheiten, sowie der ländlichen Rituale und Opferfeste waren für die Gesellschaft wichtige zeitliche Bezugspunkte.
In einer orthopraktischen Religion wie der Religio Romana war die Einhaltung der korrekten Form eines Rituals oder Opfers von grundlegender Bedeutung, so daß man ein Fest z.B. wie die Volturnalia, die das Getreide vor der Hitze des Spätsommers schützten sollten, exakt am 27. August feierte und nicht „irgendwann Ende des Sommers“.
Interessant ist, daß den einfachen Leuten im späteren Mittelalter ihr Geburtstag oft nicht bekannt war, obwohl zu dieser Zeit längst ein Kalender etabliert war und die durch den Sonntag gegliederte 7-Tage-Woche allseits im Gebrauch war. Mitverursacht wurde dies dadurch, daß die Kirche die Feier des eigenen Geburtstages lange als „heidnisches Relikt“ ablehnte und stattdessen die Feier des Namenstages im Gedenken an den Heiligen dieses Tages in den Vordergrund stellte. Private Geburtstagsfeiern wurden erst ab dem 19. Jahrhundert wieder üblich, während sie vorher allenfalls vom Adel und gehobenen Kreisen abgehalten wurden, und kamen zuerst in protestantischen Kreisen wieder in Mode. Erst in jüngerer Zeit setzte sich auch bei Katholiken das Feiern des Geburtstages durch und drängte die Bedeutung des Namenstages allmählich zurück.
Das römische Geburtstagsopfer
Ihren Geburtstag feierten in der römischen Antike sowohl Kinder als auch Erwachsene.
An seinem Geburtstag kleidete man sich ganz in weiß (Ovid, Tristia V 5,8).
Als erste Handlung des Tages ging man zu seinem Hausschrein, dem Lararium, um dort (als Mann) seinem Genius oder (als Frau) seiner Iuno ein Opfer zu bringen (überliefert unter anderem in Tibull, I 7,52). Genius und Iuno sind, sehr vereinfacht gesagt, die persönlichen „Schutzgeister“ eines Menschen und Ausdruck seiner Persönlichkeit. Ursprünglich wurden sie verstanden als Ahnengeister, die über einen Menschen wachten, wandelten im Laufe der Zeit aber ihre Form und Bedeutung hin zu einem Wirkungsprinzip, das nicht nur einzelnen Menschen innewohnte, sondern sogar in Orten, ganzen Städten, dem Reich, aber auch Legionen oder anderen Personengruppen wirksam gedacht wurde. Im Kaiserkult wurde der Genius Augusti verehrt, der Genius des Kaisers.
Im privaten Alltagskult wandte man sich an seinen Genius bzw. seine Iuno, wenn man Hilfe brauchte, Rat suchte oder eine schwierige Lebenssituation meistern mußte, dies oft in Verbindung mit seinen jeweiligen Hausgöttern, an die man sich ebenfalls mit Anliegen aller Art richtete.
Zu seinem Geburtstag, der gleichzeitig auch der Geburtstag des Genius oder der Iuno war, ehrte man diesen durch das Opfern eines kleinen Opferbrotes – libum genannt. Dieses wurde, wie von Cato in De Agriculta 84 beschrieben, aus Mehl, Käse und Eiern hergestellt (ein Libum-Rezept findet Ihr in unserer Reihe „Essen und Trinken“).
Außerdem entzündete man für ihn/sie eine Öllampe oder Kerze. Sofern man eine kleine Figur oder Statue des Genius in seinem Lararium hatte, schmückte man diese mit einem kleinen Kranz. Weitere beliebte Opfergaben waren ein Stück des Geburtstagskuchens, Wein und Weihrauch.
Das Ganze war verbunden mit einer rituellen Danksagung an den „Schutzgeist“ für die Unterstützung im vergangenen Lebensjahr und der Bitte, auch im kommenden Lebensjahr gut über einen zu wachen und einem mit Rat und Hilfe zur Seite zu stehen. Dies wurde verbunden mit einem Ritual, in das man bei Bedarf auch die persönlichen Götter einbezog und ihnen für ihre Hilfe dankte und um Unterstützung im neuen Lebensjahr bat. Hierbei schloß man auch Jupiter Optimus Maximus, als höchsten aller Götter, in die Gebete ein.
Dieses Ritual hatte, plakativ gesprochen, nur einen Zweck: sicherzustellen, daß man auch seinen nächsten Geburtstag noch erlebte.
Eine übliche Formel dafür lautete, daß „dieser Tag noch oft wiederkehren möge“ (Tibullus, 1,7,49-54 und Ovid: Tristia 3,13).
Von Albius Tibullus, dem römischen Dichter, sind zwei Genethliaka (eine aus dem hellenistischen Raum stammende besondere Form von Geburtstagsgedichten mit Segenswünschen) überliefert und zwar an seine Freunde Messala und Cornutus (der uns auch aus einer Inschrift aus dem Jahre 21 v. Chr. bekannt ist). Ovid verfasste Gedichte auf seinen eigenen Geburtstag und den seiner Frau. Auch sind Geburtstagsgedichte von Ausonius und Statius erhalten.
In Tibullus‘ Text „Cornutus Geburtstag“ (aus den „Elegien“) sind Segensworte und Geburtstagswünsche überliefert, aus denen auch die typischen Opferhandlungen und -gaben anläßlich eines Geburtstages zu augusteischer Zeit hervorgehen. So gibt er nach einer Anrufung des Genius die folgenden Segensworte wieder:
„Segensworte wollen wir sagen: es tritt des Geburtstags Gott zum Altar, Mann und Frau, wer sich auch naht, schweige still!
Brennen soll Weihrauch, der Göttern gefällt, und Düfte sollen brennen, die unser Araber schickt üppig aus Landen gar reich.
Selbst soll der Genius sich nahen und beschauen, was wir ihm bereiten:
ehren mit weichen Gebinden Zierde sein heiliges Haar.
Von seinen Schläfen soll tropfen die reine Feuchte der Narde, (Anmerkung: das wohlriechende, ätherische Öl eines Strauches aus Indien, das in der Antike im Mittelmeerraum sehr beliebt war und für teure Öle und Salben verwendet wurde )
satt soll er sein vom Kuchen, reichlich benäßt auch von Wein.
Möge, Cornutus, was immer Du bittest, sein Nicken verheißen.
Auf denn! Was zögerst Du noch? Nickt er doch bitte zu! (…)“
Die Geburtstagsfeier
Nach dem morgendlichen Opfer an den Genius schlossen sich die Feierlichkeiten an.
Wie wir z.B. von Briefen aus Vindolanda am Hadrianswall im Norden Britanniens wissen, verschickten Römer, wie wir heute auch, schriftliche Einladungen zu Geburtstagsfeiern an entfernt lebende Freunde und Verwandte. Ein Beispiel ist der Brief einer Claudia Severa, die die Frau des Kohortenkommandeurs darin zu ihrem Geburtstag einlud: „Claudia Severa grüßt ihre Lepidina! Am 11. September, Schwester, an meinem Geburtstag, lade ich dich ganz herzlich ein zu kommen!„.
Familienangehörige und Freunde kamen zu Besuch und gratulierten, wobei sie Geschenke mitbrachten. Beliebt war Schmuck für Frauen, aber auch Obst- und Präsentkörbe, Einrichtungsgegenstände für das Haus, Kerzen oder Götterfiguren. Kindern schenkte man Spielzeug oder sie bekamen von ihren Lehrern ein Buch geschenkt. Es galt die Devise, je näher man einer Person stand, desto aufwendiger sollte das Geschenk sein – dies wurde laut Ovid (amores 1,8) von einem geliebten Menschen erwartet, wobei dies sicherlich auch eher für die wohlhabenden Kreise galt, bei denen ein teures Geschenk auch ein Statussymbol war, das Bewunderung und Anerkennung einbrachte.
Je nach Geldbeutel und sozialem Stand fiel die Feier unterschiedlich groß aus. Während bei einfachen Leuten ein gemeinsames Essen mit Kuchen und Gesang, sowie gemeinsamen unterhaltsamen Spielen im Vordergrund stand, konnte bei wohlhabenden Römern die Feier auch schon mal sehr üppig ausfallen.
Es gab sogar Geburtstagskollegien, bei denen man Mitglied wurde und einen Jahresbeitrag zahlte und von denen man sich im Gegenzug dann die Geburtstagsfeier ausrichten ließ. Wohlhabende Stifter hinterließen diesen Vereinen oft beträchtliche Summen, damit diese auch nach ihrem Tod noch Geburtstagsfeiern für sie abhielten.
Wohlhabendere Geschäftsleute und Politiker luden zu ihrem Geburtstag auch Geschäftskollegen und Klienten ein. Wer es sich leisten konnte, richtete ein mehrgängiges Menü aus, dessen Details und Speisefolgen bei Ovid und Cicero beschrieben werden, bestehend aus Vorspeisen wie Oliven, Salat, Eiern und Gemüse, gefolgt von einem Hauptgericht aus Fleisch wie Schwein, Wild oder Geflügel, Fisch und Meeresfrüchten. Als Nachspeise gab es Obst und eben den Geburtstagskuchen.
Nach dem Essen stand Unterhaltung auf dem Programm. Während man, wie es heute auch bei uns üblich ist, bei Kindergeburtstagen Spiele spielte, wie z.B. Geschicklichkeitsspiele, wurden die Geburtstage Erwachsener oft feucht-fröhlich begangen und es wurde das veranstaltet, was wir auch heute als Trink- und Party-Spiele kennen.
Im Haushalt der normalen Bürger wurde für den Gastgeber gesungen und es wurden Glückwünsche, oft in Gedichtform vorgetragen. Wohlhabende Kreise engagierten Musiker, die auf ihrer Feier spielten, oft auch Sänger und Tänzer, um die Gäste zu unterhalten.
Gäste, die eingeladen waren, aber nicht persönlich kommen konnten, schickten zumindest Grüße, oft in Reimform, und kleine Geschenke.
Geburtstag des Kaisers und der Stadt Rom
Eine besondere Rolle spielte der Geburtstag des Kaisers, der seit Augustus ein nationaler Feiertag war. Dieser Tag wurde im Rahmen des Kaiserkultes gefeiert.
Der Kaiser veranstaltete eine Prozession durch Rom, vollzog ein öffentliches Staatsopfer mit anschließendem Bankett, dem sich weitere Feierlichkeiten für die Bevölkerung anschlossen, an die auch kleine Geschenke verteilt wurden – Panem et circenses (Brot und Spiele), wie wir es vom römischen Dichter Juvenal als stehenden Ausdruck kennen. Besonders beliebt waren hierbei Gladiatorenspiele und Tierhatzen, wie es dem Geschmack der Zeit entsprach.
Auch die Legionen vollzogen am Geburtstag des Kaisers spezielle Kulthandlungen.
Es ist eine antike Aufzeichnung eines Gebets der Fratres Arvales (der Arvalbrüder, eines zwölfköpfigen römischen Priesterkollegiums) aus dem Jahr 91 n. Chr. erhalten, in dem diese einen Eid auf Kaiser Domitian ablegen. Solche Eide wurden traditionell an den Geburtstagen, sowie anderen wichtigen Ereignissen im Leben des Kaisers erneuert, so daß wir deswegen eine gute Vorstellung haben, wie ein solches Gebet, das an Jupiter Optimus Maximus gerichtet wurde, aufgebaut war (nachzulesen unter anderem in Bleeker und Widengren: Historia Religionum Volume I, Handbook for the History of Religions, 1969).
Auch der Geburtstag der Stadt Rom am 21. April („Natalis urbis„) wurde im Staatskult mit einem großen öffentlichen Ritual und einem volkstümlichen Fest mit Spielen gefeiert.

Gladiatorenkämpfe durften weder am Geburtstag des Kaisers noch am Geburtstag der Stadt Rom fehlen! (hier: Gladiatorengruppe Amor Mortis in Xanten, 2014)
Legendär ist hierbei bis heute die 1000-Jahr-Feier im Jahre 248 n.Chr. (das sogenannte Miliarium saeculum), das als eine der spektakulärsten Feiern in die römische Geschichte einging. In der Millionenstadt Rom erhielt jeder Einwohner, trotz leerer Staatskassen, einen großzügigen Geldsegen und es gab Gladiatorenspiele und Tierkämpfe von gewaltigen Ausmaßen. So wurden unter anderem 6 Flußpferde, 10 Giraffen, 32 Elefanten, 10 Elche, 10 Tiger, 60 Löwen und 10 Hyänen in die Arena gebracht. Außerdem wurden Wagenrennen, Musiker- und Sängerwettbewerbe abgehalten und es gab große öffentliche Opferhandlungen. Die Details über dieses 3-tägige Fest sind so genau überliefert, daß wir heute sogar den Namen des Gewinners des damaligen Sängerwettbewerbes kennen: Valerius Eclectus. Dieses Fest war auch eine der größten Propagandamaßnahmen des Römischen Reichs, denn es fiel in eine der schlimmsten Reichskrisen des 3. Jahrhunderts.
Geburtstagswünsche auf Latein
Der Geburtstag auf Latein heißt „Dies natalis„.
Will man jemandem auf Latein zum Geburtstag gratulieren, so kann man das mit folgenden Formulierungen tun:
„Felicem diem natalem“ oder „Fortuna dies natalis“ – „Viel Glück zum Geburtstag“. Dies kann ergänzt werden durch „Ad multos annos“ – „Auf viele (weitere) Jahre“.
Ein beliebtes Geburtstagsgedicht (dessen Quelle uns allerdings unbekannt ist), lautet:
„Tibi diem natalem felicem opto
Sit novus vitae annus
ut purus tibi pannus,
qui tempore detritus
non tamen erit situs“
„Dir einen glücklichen Geburtstag!
Das neue Lebensjahr sei
wie ein reines Tuch
das durch die Zeit verbraucht,
aber dennoch nicht schmutzig wird.“
Der Geburtstag in der Religio Romana
Wie beschrieben, unterschieden sich die eigentlichen Festlichkeiten zum Geburtstag nicht von den heutigen Gebräuchen. Eine Feier mit Freunden und Verwandten, auf der es Geschenke gibt, Kuchen gegessen, gesungen, gedichtet und gratuliert wird, ist also auch heute überaus römisch. Auch ein feucht-fröhlicher Umtrunk am Abend, Musik und Tanz sind etwas, das man auch schon vor 2000 Jahren schätzte.
Wer jedoch neben dem „öffentlichen“ Teil des Geburtstages auch die religiöse Praktik übernehmen möchte, an diesem Tag seinem Genius (oder der Iuno) und den Hausgöttern zu danken, sowie sich ihren Beistand für das kommende Jahr zu sichern, dem empfehlen wir das Geburtstagsritual am Lararium, das wir Euch in unserer Rubrik „Kultpraxis“ vorstellen.
Auch der Geburtstag der Stadt Rom, Natalis urbis, wird in der Religio Romana noch heute am 21. April jeden Jahres gefeiert. Das Ritual zu diesem Anlaß umfasst Opfergaben aus Räucherwerk, Libum, Lorbeerblätter, Milch und Wein. Angerufen werden hierbei Janus, Jupiter, Quirinus und die altrömische Göttin Pales, da das Fest aus den Parilia hervorging, einem alten römischen Hirtenfest, das an diesem Tag ursprünglich zu Ehren der Pales begangen wurde und von Ovid in seinen Fasti ausführlich beschrieben wird. Mit dem Fest, das mit Reinigung und Erneuerung zusammenhing, verbanden die Römer bald die mythologische Gründung der Stadt Rom durch Romulus. Später wurde deshalb auch die Göttin Roma zum Kreis der verehrten Gottheiten hinzugefügt.
Tutelar Gottheiten
Wie bereits im Artikel zum Aufbau eines Larariums erwähnt, ist es für die Praxis des Cultus nicht entscheidend, möglichst viele Götter miteinzubeziehen, ja, auch nicht anzuraten.
In der Religio Romana werden die einzelnen Götter verstanden als Teilaspekte einer als umfassend begriffenen Wirklichkeit, in die unsere Welt und unser Leben eingebunden ist. Die Beziehung des Einzelnen zu dieser Wirklichkeit gestaltet sich deswegen auch im Sinne einer besonderen Auswahl und basiert auf dem oft sehr engen Verhältnis zu einer oder mehreren Gottheiten. Dabei kann es sein, dass ein Cultor aus diversen Gründen ein besonderes Verhältnis zu einer Gottheit entwickelt, mit der er sich dann im Laufe der Zeit näher beschäftigt, was diese persönliche Beziehung dann begründet und festigt, oder es kommt vor, wie wir es auch aus den mythischen Erzählungen kennen, dass eine Gottheit sich im Leben eines Menschen manifestiert, ihn quasi erwählt.
Werden solche besonderen Beziehungen zwischen Menschen und bestimmten Göttern gepflegt, die sich eben auch in einem kultischen Dienst an der Gottheit ausdrücken, spricht man von einer „Tutelargottheit“.
Was bedeutet Tutelar?
Der Begriff geht auf das lateinische Wort „tutela“ zurück, was je nach Kontext Obhut, Schutz, Fürsorge, Schutzherr oder auch Schützling bedeutet und einen der grundlegenden Aspekte der römischen Religion anspricht. Generell war die Idee schon früh präsent, dass Orte, bestimmte Berufe und Tätigkeiten, einzelne Personen, ja ganze Städte und das Imperium Romanum als ganzes unter dem Schutz einer göttlichen Kraft stehen konnten und oft genug auch standen. Diese Sichtweise war in gewisser Weise geprägt durch die Tatsache, dass im Leben der Römer solche Schutzverhältnisse generell eine besondere Rolle spielten.
Der Paterfamilias etwa, das Oberhaupt einer Familie, übte eine Vormundschaft (patria potestas), die eben auch Schutz beinhaltete, über alle Mitglieder der Familie aus. Diese Verfügungsgewalt übte er nicht nur über seine Frau und seine Kinder aus, sondern sie bezog sich auch auf die angeheirateten Frauen seiner Söhne, deren Kinder, auf alle Sklaven im Haushalt, sowie grundsätzlich auf das gesamte Vermögen. Es war ebenfalls seine Aufgabe für die ganze Familie den häuslichen Kult mit allen religiösen Verpflichtungen wahrzunehmen. Starb der Vater, wurden die Söhne freie Männer im rechtlichen Sinne (sui iuris), während die Töchter in eine tutela mulierum, eine neue Vormundschaft, eintraten, die entweder der Vater im Testament verfügte, oder welche durch die Tochter selbst gewählt werden konnte. Die Person, die mit der Obhut betraut wurde, hieß Tutor (was heute noch an der Universität oder in anderen akademischen Bereichen als Begriff für jemanden gebraucht wird, der andere unterweist, ihnen hilft, sie anleitet. Studenten die sich in einem Tutorium befinden, besuchen Kurse, in denen sie studienrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten durch einen Tutor vermittelt bekommen).
Es war also nur konsequent, dass man davon ausging, dass es zwischen Menschen und Göttern ähnliche Schutzverhältnisse geben konnte, die sich entweder durch das Einbinden in den häuslichen Kult äußerten, das Mitführen von kleinen Figuren der Gottheit oder auch bestimmte Eidverpflichtungen zur Folge haben konnten. (Im nordgermanischen Heidentum kennt man den sog. fulltrui, also den Gott seines Vertrauens, den Gott, in den man sein volles Vertrauen setzt und mit dem man auf ähnlich enge Weise verbunden war – resp. im heutigen Asatru immer noch ist).

Göttin Tutela
Im römischen Reich selbst, welches im Grunde genommen wie ein übergrosses Äquivalent zur Familie gesehen wurde, nahm quasi der Imperator die Stelle und Funktion des Paterfamilias ein, die von ihm ausgeübte Verfügungsgewalt – im Idealfall verstanden als Proklamation einer moralischen Selbstverpflichtung des Kaisers, als Schutzherr über alle Schutzbedürftigen im Imperium zu agieren -, wurde entsprechend als Tutela Augusti bezeichnet.
Die Schirmherrschaft über das Reich wurde später in der Kaiserzeit als eigene Göttin personifiziert und unter die vergöttlichten Tugenden wie Spes, Victoria, Concordia, Aequitas etc., auf denen das Imperium im Ideal basierte, aufgenommen.
Im Verständnis der Menschen damals blieb dies aber nicht einfach ein vom Alltagsleben getrennter Aspekt des Staatskultes, welcher durch allegorische Personifikation seinen Idealen Ausdruck verlieh, sondern es hatte ganz praktische Bedeutung für den Cultus eines jeden. In diesem Sinne wurde Tutela im Zuge dieser neuen Entwicklung in den häuslichen Kult integriert, wo sie in enger Beziehung zum Genius stand und sie wurde vor allem in den westlichen Provinzen des Reiches als Schutzherrin ganzer Städte verehrt, die nicht in Beziehung zu einer anderen Gottheit standen. Dadurch wurde dieses Vakuum gefüllt und die Stadt und ihre Bewohner unter die Göttin der Schutzherrschaft selbst gestellt, anstatt unter den allgemeinen Schutz eines bestimmten Gottes. Besonders aus Gallien sind entsprechende Statuen und symbolisch aussagekräftige Darstellungen dieser Göttin bekannt.
Wie findet man ’seinen‘ Gott?
Gründe, sich einer bestimmten Gottheit näher zu fühlen, mag es viele geben und sie sind so individuell wie die Cultores, die die Religio Romana praktizieren. Es kann eine Verbundenheit sein, die aus bestimmten Interessen erwächst, etwa wenn ein Arzt sich ganz natürlicherweise dem Aeskulapius nahe fühlt, in ihm Inspiration und Vorbild gleichermassen zu finden hofft. Oder es gibt ein einschneidendes Erlebnis an einem Ort, welcher einer bestimmten Gottheit heilig ist, es mag ein Traum sein, der symbolträchtig genug ist, dass er auf einen bestimmten Gott hinweist, ein Gedicht, das einen berührt.
Ich möchte beispielhaft an meinem Fall darlegen, wie so ein Tutelar das ganz konkrete Gesicht einer langen und natürlichen Entwicklung sein kann und sich als solches am Ende einer persönlichen Reflektion als Schlusstein in diesen Prozess einfügen kann.
Es gab es zu Anfang keinen besonderen Bezug zu einer einzelnen Gottheit, die Religio Romana war – und ist – für mich durch den Charakter der Sacra Privata gekennzeichnet, sprich, es geht mir in erster Linie nicht um eine gemeinschaftliche Ausübung oder ein primär nach außen gerichtetes Praktizieren (dieser Blog mag dem auf den ersten Blick widersprechen, ist aber eher im Sinne einer öffentlich zugänglichen Reflektion über unseren Weg zu verstehen, wir wollen sicherlich informieren, aber nicht missionieren), sondern darum, diesen spirituellen Weg als meinen persönlichen zu sehen und mit meiner Lebensgefährtin zu gestalten.
Das hängt sicherlich damit zusammen, daß ich früher viele Jahre im Asatru aktiv war und in dieser Zeit weitaus eher im Sinne der – bleiben wir einmal bei den römischen Begriffen – Sacra Publica handelte und dachte. Heidentum war lautstarkes Bekenntnis für unsere ‚germanischen Wurzeln‘ und gegen die ‚fremde christliche Besatzungsreligion‘ und war geprägt durch eine aktive Mitgliedschaft in den namhaften internationalen Organisationen, die heute die germanische Religion vertreten, am Anfang der Odinic Rite, später The Troth. Gründung einer lokalen Gruppe, eines sogenannten Hearths, ergab sich dabei folgerichtig aus diesem nach aussen wirkenden Ansatz.
Als Asatruar war ich besonders den Göttern Odin und Thor verbunden, die mich auf verschiedenen Ebenen gleichermassen ansprachen, durch meine Studien der Runenmagie war zu Anfang für viele Jahre Odin mein Fulltrui. Später allerdings, als ich mich mehr und mehr davon abwandte, was mir als reine Projektion hermetisch-magischer Vorstellungen auf eine wie auch immer geartete germanische Zeit erschien, wurde mir der bodenständige Rotbart ein guter Freund und damit der Gott, in den ich ‚mein volles Vertrauen setzte‘, was wie schon erwähnt, die eigentliche Bedeutung des nordischen Wortes Fulltrui ist.
Über die Zeit hinweg kam es zu einer Abwendung vom Asatru, bedingt durch persönliche Enttäuschungen, die ich auf dieser Ebene widerspiegelte, durch eine Unzufriedenheit mit der Gestaltung dieser Religion durch die diversen Gruppen und ganz zum Schluss auch durch die immer mehr sich Bahn brechende Erkenntnis, das in der Region, in der ich lebe, das so lautstark verkündete ‚Nordische‘ weitaus weniger historischen Anspruch auf eine Verwurzelung hat – nämlich gar keinen -, als etwa das Christentum, das zumindest in seiner Römisch-Katholischen (aber auch Orthodoxen Form) im Grunde eine Mysterienreligion nach genuin römischem Verständnis darstellt und in ungebrochener Traditionslinie aus eben heidnischer Zeit stammt, in der es seine Form fand. Die eigene Verortung in diesem germanisch-heidnischen Bezugsrahmen, oder das, was man dafür hält, funktionierte nicht mehr und die Bilder verblassten nach und nach, weil sie aufgesetzt wirkten – und letztendlich auch waren.
Nach einer 10-jährigen Phase intensiver buddhistischer Studien und Praxis, in der ich viel gelernt habe, gerade auch über Symbole und was sie ausdrücken können, kam das alte Unwohlsein wieder zum Vorschein, welches mich bereits bei meinem ’nordischen Weg‘ befallen hatte – das starke Gefühl, dass spirituelle Praxis sehr wohl etwas mit Geschichte und Ort zu tun hat, es in beidem ganz konkret zu finden sein muss, soll es authentisch sein. Und da passte Buddha ebensowenig in das Land, in dem ich lebe, wie Odin; japanische Rezitationen wirkten irgendwann ähnlich fremd wie Anrufungen auf Altnordisch (das ich mit Begeisterung an der Universität erlernt hatte) – wobei ich in all den Jahren gleichwohl immer gefühlsmässig Heide geblieben war (was sich grundsätzlich mit buddhistischer Praxis nicht beisst, die verstanden als Erkenntnislehre ganz praktischer Art mit diversen religiösen Vorstellungen kompatibel ist).
Im Zuge einer Rückbesinnung auf diese gefühlsmässige Ebene, die ich wieder als Basis für mich anerkannte, begann ich erneut, mich mit dem zu beschäftigen, was man den Alten Weg nennt und auf einmal, quasi befreit von den unreflektierten Ideen einer romantisch-naiven ‚Wikingerbegeisterung‘ (die für einen Grossteil der heutigen Asatrugemeinschaft prägend ist) trat dieser Weg in seinem Kontext recht schnell sehr deutlich zutage. Dass wir heute in einer Kultur leben, die als Transformation der römischen angesehen werden kann, dass das Imperium Romanum, welches in einem sehr grossen Teil Deutschlands absolut prägend war (und es bis heute ist) unsere so mühsam angestrebte und eher mangelhaft umgesetzte Idee eines Europa bereits als perfekt funktionierende Struktur vorwegnahm, dass Germanen von mir heute – ähnlich wie von den Römern in ihrer Zeit – ebenfalls eher als ‚barbarisch‘ weil oft genug zerstörend wirkend, denn als Garanten einer hochstehenden Zivilisation angesehen werden, dass hier in meiner Geschichte und meinem Ort der Alte Weg eben nicht mit dem nordischen Begriff ‚Forn Sidhr‚ (‚Alte Sitte‘) treffend bezeichnet werden kann, sondern eher mit dem lateinischen Mos Maoiorum!
Ausgehend von dieser Erkenntnis und der damit einhergehenden Neupositionierung, aber eben durchaus im Sinne meiner alten Orientierung, war auch der Weg wieder frei zu den Kräften, in die ich früher mein Vertrauen setzte. Die Präsenz, die man im Norden Thor nennt und die in Germania Magna wohl Donar genannt wurde, wurde von den Kelten, Germanen und Römern, die im ‚deutschen‘ Teil des Imperiums lebten, als Hercules bezeichnet, je nach Region mit anderem Beinamen versehen und etwa als Hercules Magusanus, Hercules Deusonianus oder Hercules Saxanus angesprochen. Ihm wurden mannigfach Altäre geweiht und er gab Kraft und Zuversicht, die Aufgaben zu erfüllen, die einem das Leben stellt. Man trug hier keinen Thorshammer, sondern eine Herkuleskeule als Miniatur am Hals, um sich seiner Kraft und seines Schutzes zu versichern. Ebenso wie der germanische Gott Wodan hier von den Römern mit ihrem Mercurius identifiziert wurde und wir deshalb überall Merkurtempel finden können, die Zeuge seiner Beliebtheit sind. Diese als Interpretatio Romana bekannte Methode der Angleichung und Eingliederung fremder Götter in den römischen Pantheon war der Grundstein der Religionsfreiheit und des Religionsfriedens im Römischen Reich.
Zu dieser Neufindung meiner persönlichen Götter im Rahmen eines ‚Heidentums‘, authentisch in Bezug auf die Historie, das genuin aus unserer Geschichte und Region erwachsen ist, kam die Tatsache hinzu, dass Herkules ebenfalls erwählter Gott der Stoiker war, die in ihm das Idealbild sahen, welches die Selbstdisziplin und Ausdauer verkörpert, die für den Lebensweg des Philosophen essentielle Eigenschaften darstellen. Seine Entscheidung für ein beschwerliches, aber tugendhaftes Leben und gegen ein müheloses, aber verwerfliches Dasein wie es im Mythos ‚Herkules am Scheideweg‘ oder auch manchmal mit ‚Die Wahl des Herkules‘ wiedergegeben, geschildert wird, erinnerte die Stoiker an eben jene Entscheidung, die sie selber getroffen hatten.
Meine buddhistischen Studien vermittelten mir Einsichten, die man in der Stoa wiederfindet, oftmals wörtlich identisch formuliert, und die allegorische Deutung der herkuleischen Mythen im Sinne des stoischen Lebensideals festigten meine Beweggründe, Herkules als meinen Tutelar zu wählen – resp. anzuerkennen, dass er es ganz natürlich ist, mag ich ihn früher auch Thor genannt haben.
Dies soll zeigen, wie gehaltvoll die Figur einer solchen Tutelargottheit sein kann, wie sehr darin persönliche Geschichte und das Ringen (bleiben wir bei einem herkuleischen Bild) um die eigene Lebenspositionierung manifest werden können. Ist dies der Fall, dann wird das Numen eines Gottes zu einer machtvollen Präsenz im Leben des Einzelnen, die unabänderlich mit seinem Sein und Werden verbunden ist und bleibt. Vor dem Hintergund einer solchen persönlichen Beziehung werden die Orte, die mit der Verehrung dieser Gottheit verbunden sind, werden die Mythen, die man sich von ihm oder ihr seit alters her erzählt, zu einem besonderen Kraftquell und individuellen Bezugsrahmen.
Allerdings zeigt dieses Beispiel hoffentlich auch, dass eine oberflächliche Wahl, eine ohne wirklichen (Hinter)grund getroffene Entscheidung für einen solchen Tutelar, dies nicht erreichen kann und wenig Sinn macht. Auch hier wieder die Betonung, dass in der Religio Romana weniger oftmals mehr ist… es geht nicht um das Sammeln von Göttern in seinem Sacrarium, sondern um das Hinhören in die gehaltvolle Stille bei Gebet und Opfer, damit man eine möglicherweise bereits bestehende, oder sich anbahnende Beziehung zu einer der Gottheiten nicht überhört.
Was bleibt zu beachten?
Wenn man einen Tutelar gefunden hat, dann sollte man dies ganz natürlich in die rituelle Gestaltung des Cultus miteinfliessen lassen. Neben der Tatsache, dass er oder sie immer Erwähnung finden sollte, wenn man sein tägliches Gebet und Opfer bringt (oder zumindest an den Kalenden, Nonen und Iden), sind die der persönlichen Gottheit gewidmeten Feiertage im Kalender besondere Zeiten und sollten beachtet werden.
Grundsätzlich bietet sich an, diese persönliche Beziehung zum Anlass zu nehmen, in den Quellen alles über diese Gottheit in Erfahrung zu bringen, etwas was einem sehr schnell wie ein immer besseres Kennenlernen erscheinen wird und hilft, tatsächlich eine Beziehung zu dieser Präsenz aufzubauen. Findet man Hymnen und Invokationen, die schon in alter Zeit zur Verehrung dieser Gottheit gesprochen wurden, bringt es für den eigenen Cultus eine völlig neue Relevanz, wenn man sie integriert. Aber letztlich ist die Gestaltung dieses persönlichen Bezugsrahmens ebenso vielfältig wie die Zahl der Götter selbst… 🙂