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Götterlexikon: Epona
Herkunft, Bezeichnungen

Epona aus Belginum / Hunsrück
Epona ist eine gallo-römische Göttin, die – als einzige Göttin keltischer Herkunft – weite Verbreitung im römischen Reich erfuhr und sich auch über die Grenzen des keltischen Raumes hinaus bis nach Rom großer Beliebtheit erfreute, wo sie sogar Teil des Staatskultes wurde.
Epona ist in zahlreichen Bild- und Textquellen belegt, unter anderem aus 60 Weiheinschriften sowie Reliefs, Weihealtären und figürlichen Darstellungen, die aus ganz Westeuropa stammen, vor allem aus Frankreich, entlang der Mosel, West- und Süddeutschland, Spanien, Großbritannien, dem Donaubecken, Norditalien, Rom und dem Alpenraum. Auffällig hierbei ist eine besonders hohe Dichte an Funden entlang der befestigten Grenzen des Reichs, wie dem Limes, entlang des Rheins, der Donau und in Nord-Britannien.
Lediglich in zwei Regionen des Römischen Reiches scheint sie nicht verbreitet gewesen zu sein: In Nordafrika, wo man bislang nur eine Darstellung von ihr gefunden hat, sowie dem Nahen Osten, wo sie gar nicht auftaucht.
Ihre Verehrung scheint sich zudem auf das Gebiet des Römischen Reichs zu beschränken; jenseits des Limes im freien Germanien, aus dem Raum zwischen Rhein und Elbe, sind keine Darstellungen oder Inschriften von Epona bekannt.

Figürliche Darstellung der Epona, zu bewundern im Rheinischen Landesmuseum Bonn
Ihr Name ist gallischer Herkunft und kann etymologisch aus dem gallischen Wort „epos“ für Pferd hergeleitet werden, das wiederum auf die proto-Indo-Europäische Wurzel *ék̂u̯os zurückgeführt wird. Aus dieser Wurzel stammen auch andere Worte für Pferd, wie das lateinische Equus, das altirische Ech oder das litauische Esva. Durch die weibliche Endung -a und den Namensbestandteil -on wird ihr Name verschiedentlich als „große Stute„, „göttliche Stute“ oder „die, die wie eine Stute ist“ oder „große Reiterin“ gedeutet.
Trotz dieser Herleitung und ihrer überwiegenden Verbreitung im gallischen Raum gibt es keine Erwähnungen ihres Namens aus vor-römischer Zeit. Es gibt auch keine Inschriften auf Gallisch, sämtliche Inschriften sind auf Latein oder (seltener) Griechisch. Sie stammen zudem nicht nur von Personen keltischer Herkunft, sondern von Stiftern aus verschiedensten Teilen des Reiches, wie Germanen, Römern und sogar – wie bei einem Fund aus Mainz – einem Syrer.
Zwar ist die Möglichkeit gegeben, dass diese Göttin bereits vor der römischen Eroberung Galliens (im Jahre 52 v. Chr. durch Julius Caesar) von einheimischen keltischen Völkern verehrt wurde, es gibt jedoch bislang keine Quellen oder Belege dafür.
Tatsächlich stammen die frühesten Funde aus dem ersten Jahrhundert n. Chr., eine auffällige, fast explosionsartige Häufung beginnt aber erst mit dem zweiten Jahrhundert n. Chr., so dass man davon ausgehen muß, dass sich der spezifisch gallo-römische Kult um Epona erst um diese Zeit zu entwickeln und im Reich zu verbreiten begann. Mitte des zweiten Jahrhunderts, etwa ab dem Jahr 130 n. Chr. häufen sich auch die Inschriften aus Rom.
Der früheste absolut sicher datierbare Bildbeleg ist ein Wandgemälde in Pompeji, da wir von dort wissen, dass er nicht älter sein kann als 79 n. Chr.
Die erste zweifelsfreie namentliche Inschrift, in der Eponas Name genannt wird, stammt aus einem Tempel in Entrains-sur-Nohain, Frankreich aus dem frühen zweiten Jahrhundert. Sie lautet:
Augusto sacrum deae / Eponae / Connonius Icotasgi fil(ius) / templum cum suis orna/mentis omnibus de suo donavit l(ibens) m(erito) (CIL 13, 02902)
Der erhabenen Göttin Epona gibt Connonius, Sohn von Icotasgus, diesen Tempel mit all seinen Verzierungen und auf eigene Kosten.
Am gleichen Ort findet sich auch eine zweite Widmung an Epona (CIL 13, 2903), was ihre zentrale Bedeutung für diesen Tempel hervorhebt.

Epona im Landesmuseum Trier
Literarische Belege tauchen ab der hadrianischen Zeit auf (die Regierungszeit von Kaiser Hadrian war 117-138 n. Chr.).
Interessanterweise geht die Verbreitung Eponas nicht von Gallien aus, sondern die Funde sind in den frühen Jahren weit verbreitet überall im Reich zu finden, von Italien bis Britannien, von Rumänien bis Frankreich, während sie sich erst später auf den Raum Gallien und Germanien konzentrieren und dort gehäuft auftreten.
Wieso es bislang keine gesicherten Belege zwischen der Eroberung Galliens im Jahr 52 v. Chr. und der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. gibt, ist nicht eindeutig erklärt und schwierig mit der Hypothese zu vereinbaren, dass Epona eine Göttin ist, die aus vor-römischer Zeit stammt, denn dann dürfte es diese auffällige 100-jährige Überlieferungslücke eigentlich nicht geben.
Ihr relativ spätes Auftauchen ab der Mitte des ersten Jahrhunderts stützt jedoch die gegenläufige These, dass Epona und ihr Kult erst später durch Verschmelzung lokaler keltischer und römischer Götter entstand und sie keine keltische Vorläuferin hat, die 1:1 von den Römern übernommen wurde (vgl. Zeittafel aller bekannten Inschriften und Darstellungen von Epona, oder Auflistung von M. Euskirchen in ihrer Dissertation “Epona”. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission Deutsches Archäologisches Institut., 74: 607-838., 1993).
Wir erlauben uns an dieser Stelle kein Urteil und lassen deshalb die Herkunft der Göttin Epona offen – ob sie nun bereits zu vorrömischer Zeit von den einheimischen Galliern in unserer Region verehrt wurde oder ob sich ihre Vorstellung erst in gallo-römischer Zeit entwickelt hat, ist für den Praktizierenden des Gallo-Römischen Kultes unerheblich.
Wie bei den anderen keltischen Göttinnen, die von den Römern übernommen wurden, wurde ihr Name auch nicht um ein Epitheton erweitert, sondern sie wurde – wie z.B. Rosmerta oder Sirona – unter ihrem gallischen Namen verehrt. Dies ist anders bei männlichen Göttern keltischer Herkunft, die im Rahmen der Interpretatio Romana fast immer einen römischen Namenszusatz erhielten, wie Apollo-Grannus, Mars-Intarabus oder Lenus-Mars (der wiederum die Besonderheit aufweist, daß der keltische Name vor dem römischen genannt wird).

Epona aus dem Tempel in Tawern, wo sie in einem 9 Meter tiefen Brunnenschacht gefunden wurde
Im Gegensatz zu vielen anderen keltischen Göttinnen wurde Epona auch nicht mit einem männlichen Gott verpartnert, sondern blieb alleine. Gelegentlich wurde sie zusammen mit Herkules angerufen, der ebenfalls unter anderem für Schutz auf Reisen zuständig war.
Dafür wird sie oft mit Beinamen gekennzeichnet, aus der ihre große Bedeutung und Wertschätzung hervorgeht, wie Epona Regina (Königin Epona) oder – bei Anrufungen im Rahmen des Staatskultes – als Epona Augusta. Andere Beinamen waren Epona Dea (die Göttliche) und Epona Sancta (die Heilige).
In den meisten Inschriften wird sie „Epona“ genannt, daneben gibt es auch einige abweichende Inschriften, in denen sie „Epana“ oder „Epane“ geschrieben wird, zum Beispiel bei Funden im Norden Spaniens. Inwieweit es sich dabei um eine lokale Variante, künstlerische Freiheit oder Unwissenheit des Steinmetzes handelt, ist unklar.
Ikonographie
Das Aussehen der Göttin Epona ist durch zahlreiche archäologische Funde sehr gut belegt.
Neben Votivreliefs und Reliefs auf Altären taucht Epona auch in figürlicher Darstellung in Form von Statuetten und in Wandmalereien auf.
Es existierten mehrere typische Darstellungsformen (klassifiziert nach W. Schleiermacher):
- Epona, seitlich auf einem Pferd sitzend („gallischer Typus“)
- Epona, mittig auf einem Stuhl oder Thron sitzend und auf beiden Seiten flankiert von einem oder mehreren Pferden (der „Imperiale Typus“ genannt)
- Epona in einer Kutsche, die von mehreren Pferden gezogen wird
Seitlicher Sitz auf dem Pferd („Gallischer Typus“)

Epona im „gallischen Typus“ (Archäologisches Museum Arlon)
Diese Darstellungsform ist die häufigste Form in Gallien. Epona sitzt (anders als beim modernen Damensattel) seitlich mit herabhängenden Beinen auf einem (in der Regel nach rechts schauenden) stehenden oder laufenden Pferd.
Die Göttin ist in dieser Darstellung oft mit einem langen Gewand bekleidet, gelegentlich auch mit einer Kopfbedeckung in Form einer Haube oder eines Umhangs.
In vielen dieser Darstellungen berührt die Göttin mit einer Hand das Pferd oder hält Zügel (diese gibt es jedoch nicht immer), während sie in der anderen Hand ein Füllhorn (Cornucopia) oder eine Opferschale (Patera) hält. Manchmal hält sie auch Früchte, Getreideähren oder eine Schale oder Korb mit Früchten auf dem Schoß.
Diese Symbole deuten auf Fruchtbarkeit, Wohlstand und Üppigkeit hin.
Jupitergigantensäulen – eine gallo-römische Neuschöpfung

Die rekonstruierte Jupitergigantensäule von Schwarzenacker (Foto von Lokilech, lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons)
Die Jupitersäule – eine Säule, auf deren Sockel vier klassische römische Götter abgebildet sind, darüber Wochengötter, Jahreszeiten und zuletzt der oberste römische Gott selbst, der auf seinem Thron sitzend auf die Welt hinabblickt: wer vermutet dabei nicht, daß es sich um eine der ur-römischsten Darstellungsformen der römischen Götterwelt handelt?
Tatsächlich aber sind die Jupitersäulen, und insbesondere ihre gallische Unterart, die Jupiter-Gigantensäulen, ein Phänomen, das südlich der Alpen nahezu unbekannt ist und das ein spannendes Zeugnis der Verschmelzung keltischer und römischer Glaubensvorstellungen darstellt. Sie ist deswegen ganz typisch für den gallo-römischen Cultus, wie er hier, in unserer Region, praktiziert wurde, wo Hunderte dieser Säulen auf engem Raum gefunden wurden.
Der Cultus um die Jupitergigantensäulen gilt als eines der besten Beispiele für eine neue, von Italien und dem Kernland losgelöste Form und eigenständige Entwicklung der römischen Religion – Religio Romana – nördlich der Alpen, auf die vor allem keltische, zum Teil aber auch orientalische Einflüsse einwirkten.
Die „klassische“ Jupitersäule, gekrönt von einem auf dem Thron sitzenden Jupiter, wie man ihn auch von Darstellungen der kapitolinischen Trias aus Rom kennt, entstand in Obergermanien im Raum Mainz und verbreitete sich von dort aus entlang des Mittelrheins bis hinauf an den Niederrhein, im nördlichen Gallien und Britannien.
Die Jupiter-Gigantensäule, als eigene Unterart, findet sich vor allem im östlichen Gallien, in Gallia Beligica, im Raum von Eifel, Mosel und Ardennen.
Einleitung: Was ist eine Jupitersäule?
Jupitersäulen (hier genutzt als Oberbegriff inklusive aller Unterarten) sind, vereinfacht gesagt, mehrere Meter hohe Säulen, auf deren Spitze sich eine Darstellung des Gottes Jupiter befindet – daher der Name.
Der Sockel einer Jupitersäule wird immer von einem „Viergötterstein“ gebildet, einem Quader, auf dessen vier Seiten vier Götter als Reliefs abgebildet sind. Die weitaus häufigste Götterkombination ist hierbei Herkules, Merkur, Minerva und Juno. Daneben treten auch Varianten mit anderen Göttern auf, z.B. mit Victoria, Fortuna, Apollo, Mars oder Proserpina.
Oberhalb des Sockels folgt ein kleinerer Sockel, der als „Wochengötterstein“ bezeichnet wird. In vielen Fällen enthält er Reliefs der klassischen Wochentags- oder Planetengötter Sol, Luna, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn. Oft aber finden sich hier auch andere Götter in beliebigen Kombinationen, wie z.B. Vulcanus, Apollo oder die Dioscuren.
Über diesem Sockelstein folgt oft ein Zwischenblock, in den die Weiheinschrift „IOM“ gemeißelt ist – die Abkürzung für den Namen des höchsten Gottes, Iupiter Optimus Maximus.
Es folgt eine mehrere Meter hohe Säule, deren Höhe zwischen 4 Metern bis hin zu 9 Metern (bei der höchsten bisher gefundenen Jupitersäule aus Mogontiacum/Mainz) variiert.
Es gibt dabei zwei Ausprägungen der Zwischensäule: beim „klassischen“ Typ, wie in Mainz, besteht die Säule aus einzelnen Säulentrommeln oder -blöcken, in die ebenfalls Bilder und szenische Darstellungen von Göttern gemeißelt sind.
Bei der gallischen Variante, der Jupitergigantensäule, sieht die Säule wie ein Baumstamm aus, es findet sich mehrheitlich ein markantes Schuppenmuster, seltener Eichenlaub, Weinranken oder andere Blätterdarstellungen.
Das korinthische Kapitell der Säule, auf dem der Abschlußstein ruht, ist mit Akanthusblättern verziert. Manche Kapitelle zeigen vier weibliche Gesichter an den vier Seiten, die als die vier Jahreszeiten gedeutet werden.
Auf dem Kapitell thront der Abschlußstein. Auf diesem befindet sich, je nach Region, eine von vier Jupiterdarstellungen. In Obergermanien und am Niederrhein bis nach Britannien zeigt diese Darstellung meist einen auf dem Thron sitzenden Jupiter, der ein Blitzbündel in der Hand hält. Auf den im ostgallischen Raum verbreiteten Jupitergigantensäulen ist Jupiter reitend auf dem Pferd dargestellt, wie er einen Giganten – oft in Form einer Schlange – niederreitet. Zwei seltenere Darstellungen zeigen Jupiter nackt und stehend, mit einem Blitz in der Hand, oder in einem von zwei Pferden gezogenen Streitwagen, der Biga. Oft trägt er dabei auch eine Rüstung, einen sogenannten Feldherrenpanzer.
Auf diese Darstellungen kommen wir später noch im Detail zurück.
Jupitersäulen waren in der Antike – wie auch andere Säulen, Statuen, Reliefs, Figuren, Grabsteine und Gebäude-, bunt bemalt, wodurch die dargestellten Götter und Szenen plastisch wurden. Eine nach historischem Vorbild rekonstruierte und bunt bemalte Jupitersäule befindet sich im Archäologischen Park Schwarzenacker und zeigt, wie eindrucksvoll und anschaulich eine solche Säule gewirkt haben mag.
Verbreitung der Säulen
Wie eingangs bemerkt, sind Jupitersäulen ein ausschließlich aus den Nordwestprovinzen des Römischen Reichs bekanntes Phänomen. Die weitaus größte Zahl wurde im Gebiet zwischen Obergermanien und Ostgallien gefunden. Einzelne Funde gibt es aus dem Donauraum. Eine einzige Säule soll in Rom vor dem Jupiterheiligtum auf dem Kapitol gestanden haben, diese ist jedoch nur aus der Erwähnung einer schriftlichen Quelle bekannt und archäologisch nicht erhalten.
Die größte und spektakulärste Jupitersäule wurde in Mainz gefunden, der ehemaligen Hauptstadt der Provinz Germania superior (Mogontiacum). Man geht davon aus, daß sie als Vorlage und Inspiration für die daraufhin überall entstehenden Säulen diente, die dann meist von lokalen Bildhauern kopiert und nach regionalen Vorlieben weiterentwickelt wurden.
Jupitersäulen fanden sich an verschiedenen Orten des öffentlichen Lebens, an den zentralen Plätzen von Ortschaften und Städten (im römischen Köln und Trier oder im belgischen Atuatuca Tungrorum), in ländlichen Siedlungen (wie z.B. im vicus von Bad Kreuznach, im vicus Belginum), vor allem in den Handwerkervierteln, in der Nähe von Militärkastellen (wie an der Saalburg), aber die meisten befanden sich tatsächlich im privaten Besitz und wurden von Einzelpersonen gestiftet und aufgestellt.
Die häufigsten Funde stammen von römischen Landgütern und Gutshöfen (villa rustica), wo sie oft vor dem Haupt-Wohngebäude oder im Eingangsbereich des Geländes zu finden waren. Das beweist, daß sie keine staatliche Einrichtung waren, die mit Staats- oder Kaiserkult in Verbindung stand, sondern daß sie auch eine wichtige Rolle im privaten Cultus, der Sacra Privata der Stadt- und Landbewohner spielten.
Oft standen Jupitersäulen auch in Tempelanlagen für andere Götter, wie zum Beispiel im Merkur-Tempelkomplex von Tawern. Viele dieser Heiligtümer waren lokalen, einheimischen Gottheiten geweiht, wie das Apollo-Grannus-Heiligtum von Alzey.
Vor der Säule befand sich oft ein Altar, auf dem Kulthandlungen vollzogen wurden. Auch standen die Säulen gelegentlich in eigenen, umgrenzten Arealen, in denen sich weitere Götterbilder, Reliefs oder Statuen befanden, wie für Epona oder den Genius loci des Ortes..
Die berühmte Mainzer Säule stammt aus dem Jahr 59 n. Chr. und wurde anläßlich eines vereitelten Attentats auf Kaiser Nero errichtet. Daher ist ihre Datierung sehr exakt möglich.
Die frühesten Gigantenreiter stammen aus der flavischen Kaiserzeit (ab 69 n. Chr.), der Höhepunkt ihrer Beliebtheit und Verbreitung lag jedoch zwischen 170 und 240 n. Chr..
Es gibt zahlreiche archäologische Funde gut erhaltener Säulenteile. Im Verbund erhaltene Säulen sind leider selten, meist sind die Säulen zertrümmert oder in verschiedene Teile zerbrochen. Auch die Mainzer Säule wurde aus zahlreichen Einzelstücken in aufwendiger Kleinarbeit wieder zusammengesetzt. Aufrecht stehende Säulen sind in Deutschland nicht erhalten; die einzige oberirdisch erhaltene Jupitergigantensäule Galliens stammt aus Cussy-la-Colonne in Frankreich.
Am häufigsten finden sich ihre Sockel – die Viergöttersteine -, die aufgrund ihrer symmetrischen Form oft bis ins Mittelalter hinein als beliebtes Baumaterial genutzt wurden, vor allem beim Bau von Kirchen. Als sogenannte „Spolien“ (wiederverwertete Teile von Bauwerken älterer Kulturen) fanden sich gut erhaltene Viergöttersteine in Altären (wo sie oft zu Darstellungen von Heiligen umgedeutet wurden oder den Sieg des Christentums über die heidnischen Götter demonstrierten) und in den Wänden mittelalterlicher Kirchen und Kapellen. Ein Beispiel dafür ist der Viergötterstein in der Dorfkirche von Hottenbach im Hunsrück, der erst Teil des Altars war und nach der Reformation als Baumaterial oberhalb der Kirchentür verwendet wurde.
Aber auch geschuppte Säulen und Kapitelle sind in großer Zahl erhalten, ebenso wie die verschiedenen Jupiterdarstellungen auf dem Abschlußstein.
Die vielen gut erhaltenen Funde von Säulenteilen erlauben einen guten Überblick über die räumliche und zeitliche Verteilung der Jupitersäulen, sowie über die geographische Verbreitung der unterschiedlichen Darstellungsformen.
Die Jupitergigantensäule – germanisch oder keltisch?
Schon früh fielen interessierten Forschern die Jupitergigantensäulen mit ihren schuppigen, baumstammartigen Säulen und dem berittenen Jupiter auf der Spitze auf, die so gar nicht zu typisch römischen Darstellungen des höchsten aller Götter passten.
Während der auf dem Thron sitzende Jupiter aus dem Raum Mainz noch eindeutig von der Darstellung der kapitolinischen Trias aus Rom übernommen worden war, wußte man mit dem berittenen Jupiter, der den Giganten vom Pferd aus niederreitet, zuerst nichts anzufangen. Zwar ist die Niederschlagung der rebellierenden Giganten durch Jupiter – unterstützt von Herkules – ein klassisches Thema der griechisch-römischen Mythologie, aber in keiner einzigen Darstellung südlich der Alpen oder gar in Rom selbst wurde Jupiter jemals auf einem Pferd reitend dargestellt. Ein reitender Jupiter entspricht einfach so gar nicht der traditionellen römischen Ikonographie dieses Gottes.
Im 19. Jahrhundert, im Rahmen der Germanen-Romantisierung, deutete man die schuppigen Säulen als Irminsul, den heiligen Baum der Sachsen, und vermutete germanische Wurzeln in der Darstellung des reitenden Jupiter als Odin mit seinem Pferd Sleipnir oder als blitzeschleudernder Donnergott Thor. Abgesehen davon, daß diese beiden skandinavischen Götter nicht wirklich etwas mit dem Glauben der hier ansässigen Südgermanen zu tun hatten, sprachen auch archäologische Siedlungsbefunde in den Verbreitungsgebieten dieser Säulen gegen einen germanischen Einfluß oder gar eine germanisch-römische Synkretisierung aus Donar-Herkules, Donar-Jupiter oder Wodan-Jupiter samt Irminsul, die man gerne hineininterpretierte.
Stattdessen wurde die überwältigende Mehrzahl der Jupitergigantensäulen auf eindeutig keltisch besiedeltem Gebiet gefunden, die meisten davon in Gallien und im eindeutigen Kontext von typisch keltischen und gallo-römischen Siedlungsspuren.

Im 19. Jahrhundert, im Zuge der Germanen-Romantisierung, deutete man den Gigantenreiter gerne als Odin auf seinem Pferd Sleipnir
Heutzutage ist der keltisch-römische Hintergrund der Jupitergigantensäulen in der Forschung unstrittig, auch wenn es aus dem neuheidnischen germanischen Lager immer wieder Stimmen gibt, die es gerne anders sehen würden. Aber eine massenhafte Verbreitung der sächsischen Irminsul in den Weiten Galliens, in gallo-römischen Gutshöfen und Ansiedlungen, in eindeutig keltischen Siedlungsgebieten an der Mosel, in der Eifel und in Luxemburg, macht selbst bei oberflächlicher Betrachtung keinen Sinn.
Die Darstellung des Blitze schleudernden Gottes auf dem galoppierenden Pferd interpretiert als Odin auf Sleipnir, Wotan, Thor oder Donar ist in germanischen Kreisen nach wie vor ein beliebtes Diskussionsthema, wobei man sich hier bezüglich der Entsprechungen – die meist aus der Germania von Tacitus abgeleitet werden – nicht ganz einig ist. Denn einerseits wird Wodan mit Merkur gleichgesetzt, während Donar die Entsprechung von Jupiter, aber auch von Herkules ist. Da die Jupitersäulen – auch aus der Inschrift IOM – eindeutig als dem höchsten römischen Gott geweihte Säulen zu erkennen sind, wären sie nach germanischem Verständnis Donar-Säulen und keine Wodan-Säulen. Diese Spekulationen überlassen wir an dieser Stelle aber denjenigen, denen es ein Anliegen ist, ein antikes, vereintes und religiös in sich geschlossenes Germanentum im gesamten Raum links des Rheins zu beweisen 😉
Wir halten uns an die provinzial-archäologischen Befunde und das, was für uns – als Praktizierende des Cultus Deorum Romanorum mit gallo-römischem Schwerpunkt – als im wissenschaftlichen Kontext historisch wahrscheinlich und damit sinnvoller erscheint.
Die „klassische“ Jupitersäule aus Obergermanien
Die fast 10 Meter hohe Jupitersäule von Mainz, deren Repliken heute sowohl vor dem Mainzer Landtag als auch bei der Saalburg im Taunus zu bestaunen sind, gilt als die „Mutter aller Jupitersäulen„. Sie löste einen regelrechten Trend aus und führte zu einem fast explosionsartigen Auftauchen weiterer, meist jedoch deutlich kleinerer Säulen, rund um Mainz im Raum Obergermanien.
Diese Form mit dem sitzenden Jupiter und den bildlich gestalteten Säulen verbreitete sich schnell nördlich entlang des Rheins bis nach Niedergermanien und schaffte auch den Sprung nach Britannien.
Die Darstellungsweise des auf dem Thron sitzenden Jupiters ist, wie bereits erwähnt, typisch römisch und stammt aus dem Kapitol in Rom. Sie ist an die klassisch griechische Darstellung des Zeus angelehnt und betont Jupiters Funktion als Göttervater, der an der Spitze der römischen Götter steht – als Iupiter Optimus Maximus meist dargestellt in der Trias mit seiner Frau Juno und seiner Tochter Minerva.
Diese sitzende Darstellung als Teil der kapitolinischen Trias entspricht auch der Darstellung des Jupiter, wie er im römischen Staats- und Kaiserkult, vor allem in den Städten und Fahnenheiligtümern der Legionen verehrt wurde. Daß diese enge Verbindung des Jupiter zum Kaiserkult auch in den nördlichen Provinzen eine wichtige Rolle spielte, beweist die ab dem 3. Jahrhundert häufig auftretende Weiheformel „IHDD“, „In Honorem Domus Divinae“ – „zu Ehren des göttlichen Kaiserhauses“, die oft in Verbindung mit IOM zu finden ist.
Das Militär in den Provinzen, vor allem in den Limeskastellen wie in der Saalburg, verehrte Jupiter als IOM Stator, als „Jupiter, der die flüchtenden Heere zum Stehen bringt“ und demnach als Schlachtengott den Sieg bringt.
Das Blitzbündel in seiner Hand betont seine Funktion als Gewitter-, Donner- und Blitzgott, der in den Erscheinungsformen von Jupiter tonans („dem Donnernden“) und Jupiter fulgur („dem Blitzenden“) auftritt.
Diese Jupitersäulen zeigen, im Gegensatz zu den mit Schuppen oder Blättern dekorierten Jupitergigantensäulen, oft reiche bildliche Darstellungen weiterer Götter oder anderer vergöttlichter Elemente (wie der Genius des Kaisers Nero in Mainz) auf den Säulentrommeln.
Der stehende Jupiter als Himmelsgott
Eine zweite Darstellungsweise des Jupiter, die in den Nordwestprovinzen vorkommt, folgt ebenfalls der klassischen römischen Ikonographie.
Hier wird Jupiter als Göttervater und Himmelsgott stehend dargestellt, bärtig, nackt und nur mit einem Schulterüberwurf bekleidet. In seiner rechten ausgestreckten Hand sitzt ein Adler, in der linken Hand hält er eines seiner anderen typischen Attribute, entweder Zepter, Patera (Opferschale) oder das Blitzbündel.
Diese Darstellung ist weitaus seltener als die klassische sitzende, kapitolinische Form und der Jupitergigantenreiter.
Der Jupitergigantenreiter
Eindeutig nicht-römischer Herkunft ist die Darstellung des Jupitergigantenreiters, der sich auf zahlreichen Säulen im östlichen Gallien findet.
Jupiter sitzt hier auf einem galoppierenden Pferd, das einen Giganten in Form eines Riesen oder einer Schlange niedertrampelt, wobei der Gott oft ein Blitzbündel schleudert. Mit der anderen Hand hält er oft ein Rad, in dessen Speichen er greift.
Die Darstellung eines auf einem Pferd reitenden Jupiters ist aus dem südlichen Bereich des Römischen Reichs nicht bekannt, sondern entstammt keltischen Vorstellungen. Ebensowenig gehört das Rad zu Jupiter, es ist ebenfalls ein typisch keltisches Symbol.
Bevor wir uns dieser keltischen Variante des Jupiters zuwenden, betrachten wir die ebenfalls keltische Darstellung der Säulen mit ihrem Schuppen- oder Blätterbewuchs.
Es gibt mehrere römische und griechische literarische Quellen, die eine Verbindung zwischen Jupiter (oder seiner griechischen Entsprechung Zeus) und einem keltischen Baumkult herstellen.
Schon im 2. Jahrhundert v. Chr. berichtete der Grieche Maximos von Tyros, daß die „Kelten als Götterbild des Zeus eine hohe Eiche verehren“. Auch der römische Dichter Valerius Flaccus beschreibt um 70 n. Chr. in seiner „Argonautica“ einen einheimischen Stamm an der unteren Donau, der Baumstämme mit der Statue Jupiters darauf verehren würde („truncae Iovis simulacra coumnae„). In beiden Quellen wird eine baumartige Säule mit dem Gott Jupiter in Verbindung gebracht.
Daß für die Kelten Bäume in ihrer kultischen Praxis eine wichtige Rolle spielten, ist unumstritten. Der nemetom – die keltische Bezeichnung für einen Kultplatz, etymologisch verwandt mit dem griechischen νέμος / némos (Waldung) und dem lateinischen nemus (Hain) – wird oft als Wald- oder Baumheiligtum gedeutet, auch wenn die Kelten, entgegen populärer romantischer Vorstellungen ihre Religion nicht nur im „Heiligen Hain“ praktizierten, sondern durchaus auch fest errichtete Tempelgebäude nutzten und ihre Oppida – Großsiedlungen – städtische Formen hatten, so daß mit nemetom vielfältige Formen einer „geheiligten Stätte“ gemeint sein können.
Auch wird oft eine Verbindung zwischen den Druiden mit einem Eichenkult postuliert; Plinius der Ältere vermutete, daß die Bezeichnung auf das altgriechische Wort für „Eiche“ zurückgeht. Auch die keltische Wurzel „dru“ für „Eiche“ steckt in dem Wort, so daß die Übersetzung des Wortes „Druide“ als „Eichenkundiger“ in der Wissenschaft heute gängig ist.
Ein gutes Beispiel für diese Übertragung keltischer Kultvorstellungen ist die 1964 gefundene Jupitergigantensäule aus Hausen an der Zaber, deren Säulentrommeln statt mit Schuppenbewuchs mit Eichenlaubblättern geschmückt sind.
Hierbei muß jedoch auch beachtet werden, daß die Eiche nicht nur ein typisch keltisches Symbol ist, sondern auch Jupiter selbst – beziehungsweise seinem griechischen Äquivalent Zeus – als heiliger Baum gilt, der in der Mythologie eine wichtige Rolle spielt, da Zeus im Orakel von Dodona aus dem Rauschen der Blätter einer Eiche weissagt. Insofern paßt die Verzierung einer Säule mit Eichenlaub zu beiden Kulturkreisen und kann in beide Richtungen gedeutet werden.
Die Baumstamm- und Schuppensymbolik der gallischen Jupitergigantensäulen ist deswegen zwar ein gut belegbares Indiz für einen Zusammenhang mit keltischem Baumkult, eindeutiger auf keltische Einflüsse hinweisend ist jedoch die Darstellung des Jupiters mit dem Rad.
Jupiter mit dem Rad
Die Verbindung Jupiters mit dem Rad ist auch von anderen bildlichen Darstellungen aus dem gallo-römischen Raum bekannt. In Alzey gibt es die Darstellung eines auf dem Thron sitzenden Jupiters, dessen Thron an der Seite ein Radsymbol zeigt.
Das Rad gilt generell als ein Himmelssymbol, wobei es nicht nur als Sonnenrad auftritt, sondern auch als Donnerrad, was sich aus dem rumpelnden Geräusch eines fahrenden Wagens leicht erklären läßt.
Ein Mosaik aus einem Landgut aus St.-Romain-en-Gal zeigt einen Mann und eine Frau, die vor einer Jupitersäule ein Opfer an Jupiter frugifer darbringen, um für gute Ernte zu bitten. Die dargestellte Jupitersäule zeigt auf der Spitze einen stehenden Jupiter, der in der rechten Hand ein Blitzbündel hält und mit der linken Hand auf ein Rad gestützt ist.
Die eindeutigste Verbindung stammt jedoch aus Köln, wo auf einem Jupiteraltar mit der Inschrift IOM ein achtspeichiges Rad abgebildet ist. Es gibt auch Bildnisse ohne Jupiterfigur, wo nur das Rad in Kombination mit dem Blitzbündel dargestellt ist. Der mit Blitz und Rad assoziierte Gott wird in allen erhaltenen Inschriften als Jupiter identifiziert und ist deswegen eindeutig.
Kultpraxis: Götterstatuen und -figuren im römischen Cultus
Irgendwann ist es so weit: der römische Cultor entdeckt auf einem Römerfest, bei einem Replikenmacher oder in einem Museum die Replik einer Götterfigur, ein Relief oder eine Statue, die sich perfekt im Sacrarium oder Lararium machen würde!
Immer wieder geschieht es, daß wir solchen Gottheiten, die eine besondere Rolle in unserem privaten Cultus spielen, auf unseren Reisen durch das römische Reich begegnen – zum Beispiel in Form einer handgefertigten bronzenen Replik einer winzigen Mercurius-Larariumsfigur aus dem pfälzischen vicus Eisenberg bis hin zu Museumsrepliken lokaler oder überregional bedeutsamer Gottheiten (wie z.B. dem kleinen Matronen-Weihestein im Eifelzentrum Nettersheim, oder einer Figur der Sirona im Landesmuseum Trier) oder anderen Statuetten und Figuren.
Als römischer Cultor hat man neben dem Lararium, das das Kernelement des privaten Cultus, der Sacra Privata (auch Cultus Domesticus, also häuslicher Kult, genannt), bildet, meist noch einen oder mehrere persönliche „Hausgötter„, die man dem weiteren Kreis seiner Penaten zurechnet und in seinen Cultus integriert. Beispiele dafür sind Tutelargottheiten oder regionale (wie gallo-römische) Gottheiten, die in der Gegend eine wichtige Rolle spielen, in der man lebt, oder einige der „großen“ römischen Götter, denen man sich verbunden fühlt und die man in seinen persönlichen Cultus integrieren möchte.
Die Sacra Privata war schon in römischer Zeit, wie der Begriff nahelegt, Privatsache, in die der Staat sich nicht einmischte und für die es keine allgemeinverbindlichen Regeln, Vorschriften oder Verpflichtungen gab. Welchen Cultus man daheim praktizierte, welche Götter im persönlichen Leben eine Rolle spielten, war nicht geregelt und stand jedem frei. Lediglich der öffentliche Staatskult war durch feste Vorschriften reglementiert und von allen Einwohnern zu akzeptieren, da er Garant für die Einheit und den Frieden des Römischen Reichs mit den Göttern – und für ihre Schutzgewährung war, den Pax Deorum.
So lange man in seiner privaten Praxis nichts tat, was dem Staatskult zuwiderlief oder diesen gar ablehnte, war man frei darin, welche Götter man daheim verehrte und welche Praktiken man vollzog. Ausnahmen bildeten Praktiken, die gegen Gesetze verstießen, wie Menschenopfer, oder Magie, Schadenszauber und Verfluchungen (wie man es z.B. aus dem Kybele-Kult kennt), die in der Geschichte zeitweilig ebenfalls strafbar waren, weil sie die öffentliche Ordnung gefährdeten oder Kulte, deren Praktiken ebenfalls als Ordnungsstörung galten, wie der zeitweilig verbotene orgiastische Bacchus-Kult.
Es sprach theoretisch nicht einmal etwas dagegen, im heimischen Lararium eine Statue von Jesus Christus aufzustellen (Kaiser Alexander Severus soll dies getan haben), so lange man nicht mit seiner Ansicht an die Öffentlichkeit trat, daß der „eine Gott“ der einzig wahre sei und die römischen Götter nicht existierten und man sich weigerte, am Staats- und Kaiserkult teilzunehmen – denn auch das gefährdete den Pax Deorum.
Unser Artikel zu diesem Thema beschäftigt sich mit folgenden Fragen:
- Bedeutung der Götterfiguren im Privathaushalt
- Wo finde ich Figuren römischer Götter?
- Wohnt der Gott schon in der Statue oder muß ich ihn hineinrufen, invozieren?
- Wie wird eine Gottheit in eine Figur oder Statue invoziert?
- Wie sieht es mit synkretisierten Gottheiten aus, z.B. im gallo-romanischen Kontext, wie Lenus-Mars?
- Kultpraxis: Anleitung zur Durchführung des Rituals zur Invokation einer Gottheit
Der Gallo-Römische Cultus – die Religion im „Römischen Germanien“
Heute möchten wir mit einem weitverbreiteten Mißverständnis aufräumen, das sich im Zuge der – vor allem im neuheidnischen Spektrum angesiedelten – Vorstellungen der „Religion unserer Ahnen“ oder der „ursprünglichen, vorchristlichen Religion in Deutschland“ verbreitet und Verwirrung stiftet.

Der gallische Gott Intarabus, gleichgesetzt mit Mars (bzw. dessen Erscheinungsform als Mars-Silvanus)
Den Folgen dieser Verwirrung begegnen wir gerade bei „Neueinsteigern“, die sich für den heidnischen römischen Rekonstruktionismus interessieren, leider immer wieder. Die allgemeinen Vorstellungen über vorchristliche Religion in Deutschland sind heutzutage so sehr durchsetzt von einem neuheidnischen Konglomerat aus „ur-germanischer“ Religion, Wikingerkulten aus Skandinavien, sowie modernen nicht-rekonstruktionistischen Strömungen, daß Ratsuchende, die sich speziell für die polytheistische Religion in „Roman Germany“ interessieren, mit einer ganzen Batterie aus ahistorischen und aus allen Richtungen zusammengeklaubten Vorstellungen bombardiert werden, deren Sinn und Authentizität, oder Mangel daran, sie noch nicht beurteilen können.
So braut man sich daraus oft eine eigene Mischung zusammen, die zwar eine persönlich befriedigende Religion darstellen mag (auf Neudeutsch nennt man diese Selfmade-Religionen heutzutage euphemistisch UPG -„Unverified Personal Gnosis“), vom Römischen Rekonstruktionismus ist man damit jedoch abgekommen, noch bevor man die ersten Schritte auf diesem Weg gemacht hat. Wenn man sich dann allerdings dem intensiven Quellenstudium widmet und sich intensiv mit Geschichte und Archäologie auseinandersetzt, fällt schnell auf, daß romantische Vorstellungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert wenig mit der religiösen Wirklichkeit im romanisierten Teil Germaniens zu tun haben.

Epona, ursprünglich eine keltische Göttin, war im ganzen Reich sehr beliebt als Schutzgöttin der Pferde, Reiter, Reisenden und Fuhrleute
Nachdem wir kürzlich an einer ausgiebigen Diskussion teilnahmen, in der all diese Mißverständnisse wieder zutage traten, fanden wir es an der Zeit, einen Artikel zu dem Thema zu schreiben – der Informationsbedarf ist ganz offensichtlich da. Denn wenn sich diese Diskussionen immer nur im nicht-öffentlichen Rahmen abspielen, in persönlichen Unterhaltungen, per Email-Austausch oder geschlossenen Mailinglisten, dann führt das nur dazu, daß man die gleichen Diskussionen gebetsmühlenhaft wiederholen muß.
Dieser Artikel soll deshalb die immer wieder an uns herangetragenen Fragen und in epischer Länge von uns verfassten Antworten nun an einer zentralen Stelle zusammenfassen. Wir hoffen, dass dies sowohl ratsuchenden Neueinsteigern als auch generell interessierten Lesern (Heiden wie Nichtheiden) hilft, geschichtliche Entwicklungen und religiöse Vorstellungen im korrekten historischen Kontext zu verstehen.
Eine Frage – und viele verworrene Antworten
Kürzlich führten wir eine Diskussion mit einem Amerikaner, der sich für die heidnische Römische Religion – den Cultus Deorum Romanorum oder Religio Romana – interessierte. Da er sich einerseits stark für das Antike Rom und die damit verbundene Geschichte, Kultur und Religion begeistert, daneben aber deutsche Vorfahren hat, suchte er nach Informationen über und Rat oder Erfahrungen bezüglich der „synkretistischen Religion des Römischen Germaniens„, wie er das nannte. Sich mit dieser speziellen, lokalen Form der Religio Romana zu beschäftigen, sah er als idealen Weg an, sowohl das antike Rom, als auch seine Wurzeln zu ehren und beides auf harmonische Weise miteinander zu verbinden.

Der Celius-Stein ist der einzige (!) archäologische Hinweis auf die Varusschlacht. Mit dieser Niederlage endete die römische Präsenz in Germanien (Bonn, 2014)
Seine Frage bezog sich deshalb ausdrücklich auf das „Römische Germanien“, das heißt, auf die Provinzen des Römischen Reichs, die westlich des Limes und vor allem westlich des Rheins lagen und auf deren romanisierte Einwohner.
Was daraufhin geschah, war typisch. Er erhielt Antworten, die vollkommen an seiner Frage vorbeigingen, irrige Vorstellungen über den Begriff „Germanien“ demonstrierten und die üblichen geografischen, politischen und religiösen Mißverständnisse wiederholten, auf die wir immer wieder stoßen – übrigens nicht nur bei Amerikanern oder Bewohnern anderer Länder, die nicht auf dem Gebiet des ehemaligen römischen Reichs liegen (wie Lateinamerika, Asien oder dem Pazifikraum), sondern durchaus auch bei Europäern, insbesondere Deutschen, von denen man erwarten würde, daß sie sich besser mit der Geschichte ihres Landes auskennen sollten, zumindest, wenn sie sich gehalten fühlen, ihre Vorstellungen über „Germanien“ und „Germanische Religion“ in der Öffentlichkeit zu verbreiten.
Unqualifizierte Diskussionsbeiträge bezüglich der Römer, die (wie die Christen angeblich auch) die ursprüngliche germanische Religion mit Gewalt und Schwert „ausgerottet“ haben, kamen dabei wie selbstverständlich auch. Dieses Thema zu diskutieren, erfordert oft einen gewissen Langmut aufgrund der doch sehr verzerrten Sichtweise mancher Heiden, die mehr an emotional wirkenden Feindbildern interessiert sind, als an geschichtlichen Tatsachen, so daß ich das an dieser Stelle einmal höflich und dezent unter den Tisch fallen lassen möchte.
Eine der Antworten war zumindest „gut gemeint“. Sie stammte von einer jungen Frau aus Lateinamerika, die zugab, ebenfalls (wie der Fragesteller) neu im rekonstruktionistischen Cultus Deorum zu sein. Zwar bemüht sie sich redlich, den traditionellen römischen Riten und Praktiken zu folgen (wie Rituale am Lararium abzuhalten) und dabei auch die authentischen Quellen zu berücksichtigen und zu beachten. Daneben bezieht in ihre Sacra Privata, das heißt, in ihre persönliche religiöse Praxis, „germanische Götter“ ein und versucht, sie in ihre Kultpraxis zu integrieren, mixt dabei aufgrund ihrer eigenen, undifferenzierten Vorstellungen jedoch Elemente hinein, die aus rekonstruktionistischer Sicht nicht als authentisch betrachtet werden – etwas, auf das im Cultus Deorum jedoch Wert gelegt wird.

Apollo-Grannus, gallo-römischer Heil- und Quellgott. Darstellung mit Krug und Heilwasser (Bonn, Rheinisches Landesmuseum, 2014)
Die Integration fremder Götter ist aus Sicht der Religio Romana erst einmal überhaupt nicht verwerflich, sondern vollkommen in Ordnung. Die heidnische römische Religion zeichnete sich durch große Flexibilität und Aufnahmefähigkeit aus, was ein Grund für ihren Erfolg im gesamten Reich war – von Afrika bis Kleinasien, von Britannien bis Spanien. Römer leugneten niemals die Existenz anderer Götter, – ganz im Gegenteil – sie gingen davon aus, daß diese in ihren angestammten Siedlungsgebieten mächtig waren und Einfluß hatten. Diese einheimischen Göttern zu missachten, war nicht im Interesse Roms, weswegen man immer bestrebt war, diese Götter zu besänftigen, oder sogar auf die Seite Roms zu ziehen. Ihnen wurden Tempel errichtet und viele, ursprünglich lokale Gottheiten wie die ägyptische Isis, kleinasiatische Gottheiten wie Mithras und Kybele oder die gallische Epona gelangten im ganzen Reich zu großer Popularität und erhielten sogar Tempel in Rom selbst.
Jeder Einwohner des römischen Reichs war frei in seiner Religionsausübung und konnte privat im heimischen Kult verehren, wen auch immer er wollte, natürlich auch seine eigenen, lokalen Götter – wenn er sich an die gesetzlichen Grundregeln hielt, das hieß, keine Menschenopfer durchführte, die öffentliche Ordnung nicht gefährdete und die römische Staatsreligion respektierte. Viele lokale Gottheiten wurden mit römischen Gottheiten gleichgesetzt, wie der keltische Grannus, der zu Apollo-Grannus wurde, oder der germanische Magusanus, der als Hercules-Magusanus vor allem in Niedergermanien entlang des Rheins verehrt wurde. Details zur Integration „fremder“ Götter in die römische Religion finden sich in unserem ausführlichen Artikel zur „Interpretatio Romana„.