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Der Ritus christianus in der Religio Romana – Teil III: Judenchristen und Heidenchristen

Zu Teil II: Aufstieg eines Mysterienkultes

Im vorherigen Teil haben wir skizziert, wie sich das Christentum innerhalb des heidnischen römischen Kontextes aus einem von vielen, damals durchaus konkurrierenden Mysterienkulten entwickelte. Im Gegensatz zu den anderen Kulten, die in der römischen Antike praktiziert wurden, nahm das Christentum aber schließlich eine dominante Stellung ein, bis es schließlich zur Staatsreligion erhoben wurde.

Es läßt sich im Rahmen dieser Reihe natürlich nicht die Christianisierung in allen Schritten nachzeichnen, dies ist auch nicht unser Anspruch. Hier kommt man um ein Selbststudium der entsprechenden Literatur nicht herum.

Ein wichtiger Aspekt des Urchristentums, wie es sich zu heidnischen Zeiten in der römischen Antike entwickelte, soll in diesem Teil jedoch besonders betrachtet werden:

Kulturelle Bruchlinien im Urchristentum

Was für uns relevant im Rahmen der behandelten Thematik ist, ist der allgemeine gesellschaftliche Tenor, der letztendlich überhaupt zur Erfolgsgeschichte der christlichen Religion im heidnischen Umfeld beitrug.

Besonders interessant ist hierbei die Tatsache, dass wir bereits relativ früh in der Zeit des Urchristentums (bezeichnet die Zeit nach der Kreuzigung Jesu) bestimmte Brüche feststellen können, die mit der griechischen Kultur verbunden sind – und zwar getragen durch in dieser Kultur sozialisierten Juden.

Diesen Sachverhalt wollen wir an dieser Stelle deswegen kurz skizzieren, weil er bezogen auf die oft in neopaganen Kreisen kolportierte Mär vom Christentum als „fremde jüdische Wüstenreligion“ doch ziemlich erhellend ist.

Das Christentum entwickelte sich anfangs in der Tat gänzlich innerhalb des Judentums. Jesus und seine Schüler darf man sicherlich als innerjüdische Sonder- oder evtl. auch Reformgruppierung ansprechen, die einerseits bereits im Judentum angelegte Ideen neu formulierte, teilweise auch verschärfte (etwa die generelle Herrschaft Gottes im Hier und Jetzt), andererseits einen expliziten heilsgeschichtlichen Fokus durch das Erleben Gottes besonders betonte (Heilungen, Wunder, Exorzismen etc.) sowie eine endzeitliche Naherwartung des Reiches Gottes vertrat.

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Jakobus, Fresko in der Kathedrale von Le Puy en Velay (Bild: gemeinfrei)

Nach der Kreuzigung Jesu um das Jahr 30, durch die die Erwartungen an seine Rolle massiv enttäuscht wurden, finden wir seine Anhängerschaft vorwiegend in Galiläa versammelt, obgleich wohl auch manche in Jerusalem verblieben waren (Mk 15,40f).

Durch im Umlauf befindliche Berichte von Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus festigte sich in diesen Kreisen dann aber wieder der Glaube an die Messianität und letztlich an die Wiederkunft Jesu. In der Folge und motiviert durch diese sich verbreitenden Erzählungen sammelten sich die Anhänger Jesu wieder verstärkt in Jerusalem, wo sie in der dortigen Gemeinde unter der Leitung von Petrus, Johannes und Jakobus agierten und wo sie sich nun offenbar eine neue Deutung der Ereignisse erarbeiteten, die ihnen eine tragende Zukunftsvision an die Hand gab.

Ihre anfängliche Erwartung an den – zunächst völlig im jüdischen Kontext verstandenen – Messias war ganz offensichtlich enttäuscht worden; die Tatsache, dass ihr Meister einen in damaligen Augen schändlichen Tod am Kreuz starb, musste einen verheerenden Eindruck hinterlassen haben und passte so gar nicht zur Vorstellung des jüdischen Messias. Aber die hartnäckig kursierenden Berichte von Begegnungen mit dem offenbar lebenden Jesus gaben nun Anlass zu denken, dass Gott selbst hier einfach in völlig unerwarteter Weise in das Leben der Menschen eingegriffen und Jesus in einer Rolle bestätigt hatte, die über die jüdische Messiasidee und damit über das, was seine Anhänger in ihm ursprünglich gesehen hatten, weit hinausging. Gerade im offensichtlich völligen Scheitern am Ende seines Lebens und Wirkens, dann aber gekrönt durch die Auferstehung, sahen seine Anhänger nun den eigentlichen Impuls des Sieges – des ultimativen Sieges, weil über den Tod – gegeben, der zum Impuls für ein Weiterwirken der Gemeinschaft werden sollte.

Bis auf diese spezifischen Glaubenspunkte, die die heilsgeschichtliche Rolle Jesu betrafen, fielen die Urchristen allerdings im jüdischen Umfeld erst einmal nicht weiter auf, denn sie verhielten sich ansonsten überwiegend traditionskonform – so beteten sie im Tempel, brachten Opfer dar, sprachen Aramäisch, die Beschneidung wurde traditionell praktiziert, die Speisevorschriften beachtet und das mosaische Gesetz besaß für sie volle Gültigkeit.

Ihre religiösen Sonderformen wie die Taufe oder regelmäßige Treffen in Hausgemeinden, wo sie das Herrenmahl zum Gedächtnis an das letzte Mahl Jesu feierten und auch die missionarische Tätigkeit unter ihren jüdischen Landsleuten, wo sie für ihre Überzeugungen zu werben suchten, hatten deshalb anfangs keinen wirklich trennenden Effekt bezogen auf die jüdische Gemeinschaft in der sie lebten. Diese ersten Judenchristen lebten bis zur angeordneten Hinrichtung des Jakobus im Jahre 62 n. Chr. durch den Sanhedrin, der bereits etwa 20 Jahre vorher Stephanus hatte steinigen lassen, in Jerusalem und wanderten erst danach in die Gebiete des Ostjordanlandes ab.

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Steinigung des Stephanus, des 1. Märtyrers des Christentums (Zerstörtes Fresko aus dem Dom zu Speyer, Bild: gemeinfrei)

Stephanus wiederum, der durch seine Hinrichtung wegen seines Bekenntnisses zu Jesus als dem Christus als Erzmärtyrer (erster Märtyrer der christlichen Geschichte) gilt, gehörte zu den sog. „Hellenisten“, sprich Juden in der Jerusalemer Gemeinde, die ursprünglich aus den Diasporasynagogen des östlichen Mittelmeerraumes, also Nordafrika, Ägypten und Syrien kamen und im Gegensatz zu den „Hebräern“ nicht Aramäisch, sondern von Haus aus Griechisch sprachen (das sog. Koine-Griechisch, eine aus verschiedenen Dialekten gebildete Allgemeinsprache (ἡ κοινὴ [διάλεκτος] / hē koinḕ [diálektos] = „der allgemeine [Dialekt]“)).

Ihre Sozialisierung in der griechischen Kultur hat sich dabei aber nicht nur auf die Sprache beschränkt, sondern war in umfassender Weise prägend – sie trugen griechische Namen, waren in dieser kulturellen Umgebung integriert und Träger ihrer Bildung. Diese griechisch gebildeten Juden hatten vor diesem besonderen Hintergrund auch bereits früh begonnen, ihre Religion neu zu reflektieren und zu interpretieren – man relativierte dabei ihren Status als Religion einer spezifischen Ethnie und nutzte auch allegorische Auslegungen der biblischen Texte, was grundsätzlich eine andere, eine offenere Herangehensweise an die im Judentum verankerte Gesetzesreligion belegt. Insofern gab es nicht nur Sprachgrenzen, die auch dazu führten, dass die „Hebräer“ und die „Hellenisten“ eigene Gemeindestrukturen entwickelten, sondern mit der Zeit eben auch eine divergente theologische Ausrichtung beider Gruppen.

Diejenigen Hellenisten, die nun in Kontakt mit der Botschaft von Jesus als dem Messias kamen und diese als für sich verbindlich adaptierten, brachten dabei diese kulturelle Eigenständigkeit mit, die nun wiederum auch ihre Sichtweise und Interpretation dessen färbte, was sie über Jesus und seine Lehre hörten. Wie schon in der genuin jüdischen Gemeinde, führte dies auch zu einer Zweiteilung in der judenchristlichen Jerusalemer Urgemeinde.

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Bild des Jesaja in der Synagoge von Dura Europos (im heutigen Syrien), eine Synagoge des hellenistischen Judentums, die vollkommen mit figürlichen Wandmalereien und biblischen Szenen dekoriert war (Bild: gemeinfrei)

Alleine schon wegen der sprachlichen Ausrichtung missionierten diese Judenchristen wiederum vor allem die hellenistischen Juden, was sie von den aramäisch sprechenden Judenchristen weiter entfernte, aber eben letztlich auch in Konflikte mit den konservativen Juden der hellenistischen Synagogen brachte.

Auch scheint es so zu sein, dass, bedingt durch ihre kulturelle Prägung, ihre Einstellung zu punktuellen religiösen Fragen eine andere war und so etwa die Kritik der hellenistischen Judenchristen an den gewachsenen Tempelstrukturen ausgeprägter war, als bei den aramäisch sprechenden Judenchristen.

Entsprechende gesetzeskritische Motive in der Jesusüberlieferung wurden dabei offenbar aufgenommen und konsequenter umgesetzt, was sich auch darin zeigt, dass Stephanus nach der Schilderung der Apostelgeschichte explizit eine Lästerung des Mose und des Tempels vorgeworfen wird (Apg 6:8-15), was diesen Konflikt zwischen den Juden und Judenchristen in den hellenistischen Gemeinden belegt.

Trennung von Judentum und Christentum

Das Palästina des 1. Jhd. war tief beeinflusst von hellenistischer Kultur, immerhin hatte Alexander der Große bereits 400 Jahre v. Chr. einen riesigen Bereich erobert – zu dem auch Palästina gehörte – und pflanzte in seinem Herrschaftsgebiet die Samen der griechischen Kultur und Sprache. Diese kulturelle Beeinflussung hörte mit dem Tode Alexanders nicht auf und blieb Teil der sich in der Folge entwickelnden Ideen und Strukturen, so das sich das Judentum in diesem Gebiet auf quasi natürliche Weise mit dem Hellenismus verband.

Insofern ist die Aussage, dass sich das Christentum vor der Ausformung in Rom aus dem Judentum heraus entwickelte, zwar korrekt, aber eben nicht wie manchmal verstanden, aus einem unbeeinflussten Judentum im Gegensatz zur griechisch-römischen Kultur. Die jüdischen Revolten zielten somit auch nicht auf eine Abgrenzung zu dieser bereits mit dem Judentum eng verflochtenen hellenistischen Kultur, sondern auf die politische Unabhängigkeit.

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Elijas Opfer auf dem Berg Karmel, eine weitere Wandmalerei aus der jüdisch-hellenistischen Synagoge von Dura Europos. Die Opfernden sind in griechisch-römischem Stil in Toga und Tunika gekleidet (Bild: gemeinfrei)

Politische Gründe waren es denn auch, die eine Abgrenzung der Christen von den Juden förderten, da erstere nicht in den Ruch einer den Staat gefährdenden messianischen Bewegung geraten wollten. Die jüdischen Revolten der Jahre 66 – 70 n. Chr. und 132 – 135  n. Chr. führten dazu, das die Juden im Römischen Reich zunehmend argwöhnisch bis feindselig betrachtet wurden und Rom machte grundsätzlich mit Gruppierungen, die sich der Staatsräson nicht unterordnen wollten, kurzen Prozess.

Bereits in den Evangelien finden sich deshalb Relativierungen, was etwa die zugrundeliegenden Beweggründe für die Hinrichtung Jesu betrifft, die hier bewusst eher als innerjüdische Problematik dargestellt werden. So finden wir etwa die Zuweisung der Schuld an den jüdischen Sanhedrin, eine eher positiv gehaltene Darstellung des römischen Statthalters Pontius Pilatus und andere ähnliche Beleuchtungen der historischen Geschehnisse im Sinne einer relativierenden Absicht. In den Erzählungen der Evangelien wird diese Propagierung einer dem römischen Staat zumindest neutral gegenüberstehenden Einstellung sogar Jesus selbst zugeschrieben:

Einige Pharisäer und einige Anhänger des Herodes wurden zu Jesus geschickt, um ihn mit einer Frage in eine Falle zu locken. Sie kamen zu ihm und sagten: Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und dabei auf niemand Rücksicht nimmst; denn du siehst nicht auf die Person, sondern lehrst wirklich den Weg Gottes. Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht? Sollen wir sie zahlen oder nicht zahlen? Er aber durchschaute ihre Heuchelei und sagte zu ihnen: Warum stellt ihr mir eine Falle? Bringt mir einen Denar, ich will ihn sehen. Man brachte ihm einen. Da fragte er sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie antworteten ihm: Des Kaisers.
Da sagte Jesus zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört! Und sie waren sehr erstaunt über ihn. (Mk, 12: 13-17)

Wir haben deshalb schon in dieser ganz frühen Zeit einen sich deutlich abzeichnenden doppelten Bruch, einerseits zwischen Christen und Juden, andererseits in der christlichen Gemeinschaft bedingt durch die kulturelle Prägung der nicht in einem jüdischen Kontext aufgewachsenen sog. Heidenchristen.

Jesus Christos (von griechisch Χριστός, Christόs, = „der Gesalbte“), der Titel, der sich für Jesus in der christlichen Deutung etablierte, musste für pagane Griechen und Römer gleichermaßen unverständlich bleiben, aber auch für die in dieser Kultur aufgewachsenen Heidenchristen, denn Salbungen als sakrale Akte wie sie im Judentum vorkommen, kannten die im paganen Umfeld sozialisierten Heidenchristen nicht.

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Der Ritus christianus in der Religio Romana – Teil II: Aufstieg eines Mysterienkultes

Zu Teil 1: Ritus Christianus – Einleitung: das Christentum im Kontext der Religio Romana in Antike und Gegenwart

Roma locuta, causa finita

Dieses bekannte „Zitat“ des Kirchenlehrers Augustinus von Hippo (354–430), bedeutet „Rom hat gesprochen, der Fall ist beendet“ und soll verstanden werden im Sinne von „Wenn Rom gesprochen hat, ist die Diskussion über den Sachverhalt beendet, es gibt dazu nichts mehr zu sagen.“

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Älteste Darstellung des Augustinus,
Mosaik an der Kapelle Sancta
Sanctorum in Rom, 6. Jh.
(Wikimedia, gemeinfrei)

Zwar hat Augustinus den entsprechenden Teil seiner Predigt aus dem Jahr 417 n. Chr. (Sermo 131, 10) über die Entscheidung des Papstes bezüglich der Lehren des Pelagius genau in diesem Sinne verstanden wissen wollen, aber er hat wörtlich nur das „causa finita“ benutzt.

Es ist mittlerweile aber ein geflügeltes Wort in der oben genannten, ergänzten Form und bringt so einen Punkt prägnant zum Ausdruck, den wir als Ausgangspunkt für die folgenden Ausführungen für wichtig erachten, nämlich die Tatsache, dass das Christentum ab einem bestimmten Zeitpunkt zur Staatsreligion, zur Sacra Publica des Imperium Romanum geworden ist – ein Fakt, der sich nicht wegdiskutieren lässt.

Dies wurde also durch die Römer selbst entschieden – es geschah in ihrer Zeit und Lebenswirklichkeit, innerhalb der Kultur des römischen Reiches und eingebunden in den Kontext der traditionellen Kulte, was eine besondere Sichtweise auf Änderungen im öffentlichen religiösen Leben mit sich brachte. Deswegen stellt es für uns, die wir diese Geschichte studieren und anhand der Quellen zu verstehen versuchen, erst einmal nur einen weiteren organischen Schritt in der Entwicklung der römischen Geschichte dar, gegangen vom römischen Volk selbst.

Wir, die wir nach ihnen kommen, uns ihnen verbunden fühlen und in einer Kultur sozialisiert sind, die bereits selbst schon wieder einen weiteren Schritt in dieser fortlaufenden Geschichte und Kultur darstellt, müssen akzeptieren, dass wir in dieser historischen Entscheidung einerseits kein Mitspracherecht haben und wir sie andererseits auch nicht einfach ignorieren können.

Uns stellt sich nur die Frage, wie wir heute mit dieser Entscheidung derer, die vor uns waren, umgehen. Um hier zu einer befriedigenden Antwort zu kommen, gerade auch vor dem Hintergrund der Praxis der Religio Romana in unserer Zeit, ist es unabdingbar, sich von diversen Vorstellungen und Stereotypen zu verabschieden, die aus dem Blick auf die Geschichte durch eine quasi ideologische Brille erwachsen sind.

Wir müssen deshalb eine Perspektive einnehmen, die der entspricht, welche den religiösen wie politischen Entscheidungen im antiken römischen Staat zugrunde lag, um hierbei zu einer adäquaten Einschätzung kommen zu können.

Um diesen Punkt der Perspektive noch einmal konkret zu fassen, ist es wichtig zu betonen, Rekonstruktionismus ist keine Religion, auch nicht im Paganismus eine Denomination oder Konfession, sondern eine Herangehensweise, eine Methode.

Es geht dabei um die konstruktive Evaluation von Quellen, von tradiertem Wissen über eine Religion und Kultur, um diese in einem zeitgenössischen Kontext authentisch leben zu können. Im Rekonstruktionismus finden wir oft eine eher ganzheitliche Betrachtung, was aber besonders für den römischen Rekonstruktionismus gilt. Dies bedeutet, es geht nicht nur um den Teilaspekt der Religion, sondern grundsätzlich um die Kultur, um die „Romanitas“ von der die Religio – einschließlich der Sacra Publica – ein untrennbarer Teil ist.

Durch diese spezifische Betrachtungsweise kommt es naturgegebenermaßen zu einer natürlichen Einbeziehung von historischen Entscheidungen, die innerhalb der römischen Geschichte getroffen wurden und damit die Entwicklung des Römischen Reiches und der ihm zugrundeliegenden Kultur, wie auch der Aspekte, die in der Folge davon als römisches Erbe Europas immer noch aktuell sind, mitgestaltet haben. Durch diese Akzeptanz von historischen Entscheidungen kommt es generell zu einer anderen Sichtweise auf das Imperium Romanum, das wir zwar durch bestimmte Veränderungen in seiner historischen Entwicklung gekennzeichnet sehen, dem wir aber eine grundsätzliche Kontinuität zuschreiben, die kulturell bis heute nachwirkt.

Aus diesem Grunde sehen wir im Niedergang des weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert nicht den „Untergang des Römischen Reiches“ schlechthin, denn auch wenn man gerne vom Byzantinischen Reich spricht, gab es ein solches nicht im Selbstverständnis der Römer, die sich auch im östlichen Teil des Reiches immer als solche betrachteten und bezeichneten (grch.: Ῥωμαῖοι / Rhōmaîoi). Es vollzog sich zwar im Ostteil des Reiches schon früh eine Vermischung der römischen Kultur mit griechisch-orientalischen Elementen (wobei aber auch im westlichen Teil des Imperiums Griechisch seit jeher die Sprache der Gebildeten war), eine stärkere Gräzisierung des Römischen Reiches fand allerdings erst nach dem Niedergang des westlichen Herrschaftsbereiches statt.

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Byzantion wurde, nachdem Konstantin es für seine Neugründung Konstantinopel erwählt hatte, auf das Fünffache der ursprünglichen Fläche vergrößert, wie das Vorbild Rom auf sieben Hügeln errichtet und entsprechend der politischen und weltlichen Strukturen der alten Hauptstadt glanzvoll ausgebaut. So erhielt Konstantinopel ein Kapitol, einen dem Senat in Rom vergleichbaren Rat, einen Circus für 100.000 Zuschauer, ein Forum (Forum Constantini) und eine Hauptverkehrsachse in ost-westlicher Richtung. Es war das Zentrum der Wirtschaft, Kultur und Verwaltung des Oströmischen Reiches kontinuierlich von der Spätantike bis zum Beginn der Neuzeit. (Bild: Antoine Herbert, Portfolio Konstantinopel vom 4. bis 8. Jahrhundert, eine Bilderreihe zur Byzantinischen Architektur)

Das Oströmische Reich war also kein „Nachfolger“ des Weströmischen Reiches, wie man dies manchmal liest, sondern es gab immer nur ein einziges Imperium Romanum und die seit der sog. Reichsteilung 395 n. Chr. vollzogene Aufteilung in einen westlichen und östlichen Teil war im eigentlichen Sinne eine Herrschaftsteilung von 2 Kaisern, eine Aufteilung des „Imperiums“, also der höchsten exekutiven Macht im Staat, keine Aufteilung oder Trennung des Römischen Reiches an sich.

Das Imperium Romanum ging somit erst 1453 n. Chr. mit der Eroberung seiner Hauptstadt im Osten, Konstantinopel, entstanden durch den großzügigen Ausbau des ehemaligen Byzantion, tatsächlich als Staat zu Ende. Wir betonen dies, weil diese Kontinuität für unsere Herangehensweise an die römische Geschichte und Kultur entscheidend ist.

Die Wortverbindung „katholische Kirche“ wurde zwar bereits von Ignatius von Antiochien um das Jahr 110 n. Chr. verwendet, aber erst nachdem es unter Theodosius I. im Jahre 380 n. Chr. durch das Edikt Cunctos populos zur Erhebung und Einsetzung des Christentums – eben in seiner auf das Konzil von Nicäa im Jahre 325 n. Chr. zurückgehenden Form – als Sacra Publica kam und damit die Konsolidierung des Römisch-Katholischen belegte, wurde dieser nun christliche Charakter des Reiches später im Ostteil als staatlicher und kultureller Impuls weiter verstärkt (Zitat aus dem Wortlaut des Ediktes: „Hanc legem sequentes christianorum catholicorum nomen iubemus amplecti (…) / „Nur diejenigen, die diesem Gesetz folgen, sollen, so gebieten wir, katholische Christen heißen dürfen“) .

Die oft vorgetragene Idee, dass die Christianisierung des Imperium Romanum zu seinem Untergang im Westen führte oder diesen zumindest gefördert habe (betont bei Edward Gibbon in seinem Werk „The History of the Decline and the Fall of the Roman Empire“ und in der Folge immer wieder von diversen Seiten aufgenommen, heute jedoch von der historischen Forschung als widerlegt betrachtet), wird natürlich alleine durch die Tatsache hinfällig, dass sich das später dezidiert christliche Oströmische Reich bis ins 15. Jahrhundert behaupten konnte, auch wenn es anfangs nicht in dieser Form existierte.

Denn Kaiser Konstantin förderte zwar das Christentum, aber sein Konstantinopel wurde nicht als eine Art „christliches Rom“ gegründet, wie man manchmal zu lesen bekommt. Die traditionellen paganen Riten bei der Gründung der Stadt wurden ebenso selbstverständlich beachtet, wie die Renovierung von paganen Tempeln gefördert wurde.

In Hoc Signo Vinces… oder Götterdämmerung?

Wie konnte es nun zu einer solch breiten Akzeptanz eines ursprünglich so kleinen Kultes wie des Christentums und schließlich sogar zu seiner Erhebung zur Staatsreligon im Römischen Reich kommen?

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Römisch (oder) Katholisch? – heidnische Gedanken zum Christentum

St. Florian, Schutzpatron der Feuerwehr

St. Florian, Schutzpatron der Feuerwehr

Eines der regelmäßig wiederkehrenden Themen in den Diskussionen, die in diversen Foren geführt werden, welche heidnischer Spiritualität gewidmet sind, ist die deutliche Abgrenzung zum Christentum.

Dabei spielt es keine Rolle, welcher Tradition die Diskussionsteilnehmer sich selber zugehörig fühlen, eine – oft aggressive – antichristliche Einstellung scheint gleichermaßen der Selbstdefinition als „Heide“, wie auch als einigendes Band über alle paganen Traditionen hinweg, zu dienen. Man wird in jedem Forum mindestens eine Debatte finden, die thematisiert, wie die „einheimische Religion mit Folter und Schwert ausgerottet wurde„, wie die „Weisheit der Vorfahren“ brutal durch eine „geistige Besatzungsmacht“ ausgelöscht wurde, wie eine „Religion der Wüste ihre lebensfeindlichen Ideen in die heiligen Haine der stolzen lebensbejahenden Germanen“ trug und man kommt nicht umhin, hier ein recht verzerrtes Geschichtsbild zu sehen – das es aber schon seit den Anfängen der neopaganen Bewegung gibt.

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Das gerne und oft zitierte Bild der im Heiligen Hain lehrenden Druiden prägt bis heute das Bild des sog. heidnischen Naturkultes

Diese ideologische Verortung in der Geschichte gehört zum Selbstverständnis der meisten Heiden und sie ist ein Zeichen dafür, wie stark sich diese Bewegung bis heute über das Christentum definiert.

Das Neuheidentum ist dabei einerseits von einem kontinuierlichen Pioniergeist beflügelt, der eine Alternative in heutiger Zeit (wie eben auch in all den Zeiten zuvor, seit es diese religiöse Richtung gibt) bieten möchte – auch hier gerade wieder besonders in Bezug auf das negative Bild, was man von der christlichen Religion zeichnet-, was Weltsicht, Lebensführung, geistige Werte etc. betrifft, bleibt andererseits jedoch stets in einer Defensivhaltung, denn man nimmt sich selber vor allem in der Position der Entrechteten wahr. Dies zeigt sich in der Wahrnehmung dessen, wie und warum die paganen Religionen ihren Status in historischer Zeit verloren haben, aber auch darin, daß man sich in der heutigen Gesellschaft als immer noch marginalisierte Gruppe begreift und in seinem Anliegen missverstanden fühlt, wobei sich beides in gewisser Weise bedingt.

Denn das, was viele Heiden als geschichtliche Entwicklung, die zur Ablösung der paganen Kulte durch das Christentum führte, mehr oder weniger verinnerlicht haben, ist nicht nur oft konträr zu den historischen Fakten konstruiert, sondern zementiert auch ein Feindbild gegenüber der sich – spirituell oder kulturell – als christlich verstehenden Mehrheitsgesellschaft. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des Christentums, von den Anfängen als jüdische Splittergruppe in Palästina, über die Erhebung zur Staatsreligion im Römischen Reich bis hin zum Impulsgeber kultureller Entwicklung in späterer Zeit, wird dabei eine interessante Parallele deutlich zur Frage, wie sich ganz generell – eben auch heute – kleine gesellschaftliche Gruppen in einer Mehrheitsgesellschaft verhalten, resp. welche Optionen ihnen offenstehen, sich in dieser nicht nur zu behaupten, sondern in ihr zu einer maßgeblichen Kraft zu werden.

An der heiligen Quelle des Willibrodis in der Krypta des Doms von Echternach

An der Quelle des St. Willibrod in der Krypta des Doms von Echternach

Innerhalb des römischen Rekonstruktionismus gibt es aufgrund einer ganzheitlichen Sichtweise von Religion, Kultur und Geschichte aus einer Perspektive ganz konkret bezogen auf die Entwicklung des Römischen Reichs, oft ein wesentlich ausgewogeneres Verhältnis zum Christentum, als dies etwa in germanisch orientierten paganen Gruppen der Fall ist, so daß wir an dieser Stelle einmal versuchen wollen, diesen alternativen Ansatz zu vermitteln.

Ein Blick in die Geschichte ohne eine ideologische Brille erschliesst dabei nicht nur interessante Details zur Entwicklung der europäischen Kultur, sondern erlaubt es vielleicht auch, neue Wege zu finden, damit sich ein heute gelebtes Heidentum nicht mehr nur als blosser Reaktionskult zum Christentum versteht, der sich in manchmal recht bizarren Schattenkämpfen mit christlichen Missionaren wie Willibrod oder Bonifatius verfängt und sich damit in seiner möglichen Akzeptanz für eine breitere Zielgruppe selbst blockiert.

Das Christentum – eine jüdische Sekte aus der Wüste?

Einer der vom historischen Gehalt her eher diffusen Aspekte der Ablehnung des Christentums durch Neuheiden – verwenden wir an dieser Stelle ruhig diesen durchaus korrekt beschreibenden Begriff, eben für jene, die sich in der Geschichte neu als Heiden verstehen, nachdem die „alten“ sich zum Christentum bekehrt hatten (oder in neopaganer Lesart – bekehrt wurden) – wird erkennbar durch die simplifizierende Wahrnehmung als „fremde Religion“ und die oft plakativ gebrauchte Bezeichnung „(jüdische) Wüstenreligion“.

Simpel und plakativ, aber dafür schön als Beweis für mangelnde historische Bildung und Kulturverständnis geeignet

Simpel und plakativ, aber dafür schön als Beweis für mangelnde historische Bildung und Kulturverständnis geeignet

Besonders oft findet sich diese Klassifizierung im germanisch-heidnischen Spektrum, wobei man durchaus von einer (gewollten oder unbewußten) Rezeption völkischer Ideen sprechen darf. Das Christentum wurde im Zuge der Germanen-Idealisierung und eines religiös überhöhten nationalen Selbstverständnisses innerhalb der völkisch orientierten Kreise bereits im 19. Jahrhundert zu einem Feindbild stilisiert, durch das man in geradezu bequem erscheinender Weise einen Doppelschlag gegen die als eigentliche Bedrohung wahrgenommenen Kräfte ausholen konnte – Judentum und Überfremdung. Das Christentum rückblickend wahrgenommen im historischen Gewand römischer Besatzungsmacht, als im Kern aber jüdische Lehre, die sich nun als „Sieger“ letztlich wieder in Rom, als Katholische Kirche, manifestierte, erschien wie der rote Faden in der Geschichte der Unterdrückung germanischer Wesensart – prägnant formuliert im trotzigen Wahlspruch Georg von Schönerers „Ohne Juda, ohne Rom / wird gebaut Germaniens Dom!“

Wenngleich heute in germanisch-heidnischen Gruppen – abgesehen von dezidiert völkisch gesinnten Vertretern – diese antisemitischen Töne nicht mehr den definierenden oder auch nur dominierenden Faktor bilden, so bleibt die Wahrnehmung der christlichen Religion als „uns fremd“, als „kultureller Fremdkörper“ bestehen und auf vielen Ebenen weiter wirksam. Ein genauer Blick auf die Entwicklung dieser Religion und ihre objektive Einordnung in den Kontext der europäischen Kultur, macht allerdings zweierlei deutlich:

Erstens:

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Rekonstruktionismus

Der Begriff Rekonstruktionismus (oder im Englischen Reconstructionism) wirkt auf den ersten Blick etwas sperrig und wird in verschiedener Weise und auch in einem religiös unterschiedlich definierten Kontext verwendet, so daß wir an dieser Stelle auf diesen Begriff eingehen wollen, um deutlich zu machen, was wir darunter verstehen und warum wir ihn verwenden.

Der Begriff – Ursprünge und Inhalte

Gibt man den Begriff in eine Internetsuchmaschine ein, so findet man Ergebnisse wie jüdischen Rekonstruktionismus, christlichen Rekonstruktionismus, polytheistischen Rekonstruktionismus etc., so daß schnell deutlich wird, daß wir es hier nicht mit etwas zu tun haben, was typisch für eine bestimmte Religion ist, sondern das es sich um einen Terminus handelt, der etwas beschreibt, was traditionsübergreifend zu finden ist.

Grundsätzlich ist mit einer rekonstruktionistischen Haltung gemeint, daß man zu den Wurzeln einer Religion zurückkehrt, respektive zu dem, was eine bestimmte Person oder Gruppe darunter versteht, wobei diese Religion nicht losgelöst von ihrem kulturellen Umfeld betrachtet wird, sondern beides miteinander in besonderer Beziehung steht.

Rousas Rushdoony (1916–2001) – Gründer und Vordenker des Christlichen Rekonstruktionismus

In diesem Sinne etwa versteht sich der Christliche Rekonstruktionismus, der als ultrafundamentalistische, evangelikale Strömung in den USA zu finden ist. Diese auf den stark calvinistisch geprägten Theologen Rousas Rushdoony zurückgehende Bewegung ist bestrebt, unter Ablehnung der als unbiblisch verstandenen Demokratie, eine Theonomie, wenn nicht sogar Theokratie und eine strikte Anwendung des mosaischen Gesetzes in der heutigen Zeit und Gesellschaft zu etablieren, die Gesellschaft also auf Grundlage der in der Bibel zu findenden Vorstellungen neu zu gestalten, in ihrem Sinne zu „rekonstruieren“. Die Bibel wird hier nicht nur als Ausdruck des göttlichen Willens verstanden, sondern in ihr findet sich eine ganze Kultur abgebildet, die für diese Bewegung als normierend gilt. Christlicher Rekonstruktionismus sieht sich demnach ganz bewußt als eine auf diese Kultur bezogene Weltanschauung, die ihre Ziele auch und gerade politisch durchsetzen will, wie sie dies als Selbstbezeichnung ihrer theologischen Ausrichtung, der sog. Dominion Theology zum Ausdruck bringt.

Mordecai Kaplan

Mordecai Menahem Kaplan (1881-1983) – Begründer des Jüdischen Rekonstruktionismus

Rekonstruktionismus als eigene jüdische Richtung (neben orthodoxem, konservativem und Reformjudentum) hingegen findet sich auf der völlig entgegengesetzten Seite dieses Spektrums: es ist eine Bewegung, die dem progressiven Judentum nahesteht und von Rabbi Mordecai Kaplan begründet wurde. Im Gegensatz zu einer fundamentalistischen Lesart wird hier Religion als ein Teil der generellen jüdischen Kultur verstanden und die Zugehörigkeit zu dieser Kultur definiert für den Einzelnen seine Weltanschauung. Dabei gilt etwa das, was in der Thora geschrieben steht, nicht als historischer Fakt oder als unumstößlich wahr, sondern wird als Ausdruck der Gedanken der eigenen Vorfahren betrachtet. Aussagen etwa über Gott oder die Beschreibung des Exodus, sind immer in erster Linie Aussagen einer ganz bestimmten Zeit und von Personen, die darüber berichten, die eigene Kultur also verstanden als Rezeptionsgeschichte der Erfahrungen von einzelnen Angehörigen dieser Kultur.

Es geht nicht darum, diese Vorstellungen in heutiger Zeit zu bewahren, nur weil sie in den heiligen Schriften niedergelegt sind, sondern darum, vor dem Hintergrund einer sich durch die Geschichte hindurch entwickelnden jüdischen Kultur zu eigenen Vorstellungen zu gelangen und damit die Entwicklung dieser Kultur mitzutragen und weiter voranzutreiben. Rekonstruiert wird hier also viel eher ein kulturelles Selbstverständnis, das auch religiöse Ideen umfasst, sich aber nicht darin erschöpft. Kaplan fasste das Grundprinzip seines so verstandenen rekonstruktionistischen Ansatzes, Judentum als Zivilisationsmodell zu verstehen, in drei Worten programmatisch zusammen: belonging, behaving, believing

An erster Stelle steht demnach die Zugehörigkeit (belonging) zur jüdischen Kultur, diese führt zur Beschäftigung mit den in ihrer Geschichte tradierten Werten, welche einen Rahmen für die eigene Positionierung in der Gesellschaft bieten. Diese Ideale und Werte, an die man sich hält (behaving) begründen wiederum den Kontext, innerhalb dessen sich die persönlichen religiösen Überzeugungen ausbilden können (believing).

Diese Form eines rekonstruktionistischen Ansatzes ist dem in gewissen Punkten ähnlich, was uns an dieser Stelle interessiert – Rekonstruktionismus im Paganismus, genauer natürlich im römischen Kontext.

Wobei als interessante Tatsache anzumerken ist, daß alle diese Ideen zeitlich nahe beieinander aufgetreten sind, denn es sind die 70er bis 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, die sowohl die christlich-fundamentalistische, die jüdisch-progressive, wie auch die heidnische Variante des Rekonstruktionismus hervorgebracht oder etabliert haben, obwohl sie nur ansatzweise etwas miteinander gemeinsam haben.

Obwohl Aleister Crowley sich auf die „alten ägyptischen“ Mysterien berief, sah er die paganen Religionen als auch das Christentum durch seine neue Lehre als überholt an

Im Neopaganismus, also in den Bewegungen, deren Anliegen die Wiederbelebung vorchristlich/heidnischer Religionen ist, findet sich ebenfalls in dieser Zeit eine Diskussion, die sich darum drehte, wie man eigentlich diese ursprünglichen religiösen Vorstellungen und Praktiken in unserer Zeit leben kann, ja ob das überhaupt geht, oder auch nur sinnvoll ist und vor allem, was tatsächlich zu diesen ursprünglichen Aspekten gehört und was nicht.

Die Wurzeln der „neuheidnischen“ Ideen liegen im 18./19. Jahrhundert in den Strömungen des Philhellenismus, des Klassizismus und der Romantik, wobei hier allerdings eine – oft schwärmerische – Rückbesinnung auf die Antike begrenzt war auf Architektur, Literatur und Kunst und es sich nicht um eine Bewegung handelte, die in besonderer Form eine religiöse Alternative geboten hätte, oder bieten wollte.

In den esoterisch-hermetischen Gemeinschaften, wie etwa den Rosenkreuzern oder dem Hermetischen Orden der Goldenen Dämmerung, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts aktiv wurden, findet sich eine Vorstellung, die die alten Religionen als Bewahrer eines besonderen – esoterischen – Wissens ansah, dabei aber vorrangig von ägyptischen Mysterien fasziniert und daran orientiert blieb. Aleister Crowley sprach, wenn auch eher in Nebensätzen, generell von den Vorzügen der heidnischen Religionen gegenüber dem Christentum, betrachtete aber beide Traditionen durch seine Thelema-Offenbarung als abgelöst und überholt. In England formierten sich die ersten Druidenorden in Anlehnung an die Freimaurerei und verbanden den Bruderschaftsgedanken mit einer allgemeinen Keltenbegeisterung, ohne daß hier eine tatsächliche Wiederbelebung keltischer Religion praktiziert wurde.

Gerald Brosseau Gardner (1884–1964) – „Vater“ der Wicca Bewegung

Erst als der Okkultist Gerald Gardner die Wicca-Bewegung ins Leben rief und mit der Behauptung öffentlich auftrat, er sei in England in eine solche „uralte pagane Traditionslinie“ initiiert worden, traten die indigenen Religionen abseits der geheimnisvollen Mysterien Ägyptens stärker in den Vordergrund.

Da es aber für den in diesem Bereich bewanderten Interessierten schnell klar wurde, daß man es bei Wicca nicht mit einer im Untergrund überlebenden paganen Tradition zu tun hat, sondern es sich um eine synkretistische Neuschöpfung handelt, bestehend aus mythologischen Versatzstücken mit starken Anleihen aus der hermetischen Magie und generellen okkultistischen Aspekten, kamen schnell grundsätzliche Fragen auf. Diese bestanden einerseits darin, die Behauptungen der sogenannten „Hexenreligion“ auf ihre historische Relevanz und Validität hin zu überprüfen und andererseits darin, generell zu überlegen, wie sich indigene pagane Traditionen wohl entwickelt hätten, wenn es nicht zu einer Christianisierung gekommen wäre und welche konkreten Spuren sie nach dieser tatsächlich hinterlassen haben.

Solche Überlegungen waren der Beginn dafür, daß sich Einzelne besonders mit dem zu beschäftigen begannen, was spezifische kulturelle Traditionen – also die der Germanen, der Kelten, der Römer etc. – sozusagen in ihrem „Nachlass“ noch an Ideen und Praktiken für die heutige Zeit bieten konnten.

Traditionen zwischen Mythen & Märchen

Sveinbjörn Beinteinsson (1924–1993) – Gründer der isländischen Ásatrúarfélagið

In der Folge wurde vor allem für die Germanische Religion – die im neopaganen Spektrum schon früh und stark präsent war – versucht, eine gewisse ungebrochene Traditionslinie zu finden, die, wie man überzeugt war, unter einem offensichtlich nur oberflächlichen christlichen Anstrich verborgen lag.

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Auspizien vs. Aberglaube im römischen Cultus

Die Bedeutung von Zeichen im römischen Cultus wurde bereits in unserem ersten Teil, dem Einführungsartikel über die Auspizien: „Deuten des Götterwillens aus Zeichen“ ausführlich dargelegt.

Da dieser Artikel als Ergänzung dazu dient und keine Hintergrundinformationen wiederholt, empfehlen wir unbedingt, zuerst die Einleitung zu lesen!


Ein Augur mit Krummstab und Vogel

Ein Augur mit Krummstab und Vogel

Römer waren im Alltag generell sehr darauf bedacht, Zeichen zu beachten. Besondere Vorkommnisse, außergewöhnliche Ereignisse, Naturerscheinungen oder Begegnungen wurden als Botschaften der Götter interpretiert, durch die diese ihren Willen oder ihre Meinung kund taten. Wenn man wegen eines privaten Anliegens an sie herangetreten war, so wurde kritisch nach Zeichen Ausschau gehalten, die als Zustimmung gewertet werden konnten. Aber auch sonst war man überzeugt davon, daß sich die Götter gelegentlich auch ungefragt „von sich aus“ mitteilten.

Während im Staatskult Auguren für die Durchführung der öffentlichen Auspizien zuständig waren, konnte im privaten Kult jeder für sich Auspizien durchführen. Sie waren eine Privatsache zwischen der Person und der Gottheit, an die sie ihr Anliegen richtete.

Man unterschied im Alten Rom aber sehr differenziert zwischen Zeichen, die als Botschaften der Götter verstanden wurden und zum Beispiel durch Auspizien und Haruspizien interpretiert wurden, und „abergläubischen“ Praktiken, die verpönt – und zum Teil verboten – waren. Hierbei hatte „Aberglaube“ (superstitio) für die Römer eine weiterreichende Bedeutung als in der modernen Zeit.

Aberglaube oder Zeichen der Götter? 

Während eine Gottheit sich durch ein spezielles Zeichen oder Tier mitteilen konnte, das ihr als spezifisches Attribut zugeordnet war (sei es Vulcanus durch einen Vulkanausbruch, Minerva durch eine Eule, Isis durch eine Kuh), gab es auch allgemeingültige Zeichen, die jedem Römer geläufig waren, weil sie kulturell von Generation zu Generation weitergegeben wurden und ihre Kenntnis zum Allgemeingut gehörte.

Vergleichbares, d.h. Zeichen, die jeder kennt und interpretieren kann, gibt es auch heute noch bei uns, auch wenn sie spöttisch in den Bereich des „Aberglaubens“ oder Volksglaubens geschoben werden. Sie sind aber tatsächlich so weit in der Bevölkerung verbreitet, daß sie als Teil unserer europäischen Kultur angesehen werden können, der auch heute noch von Generation zu Generation weitergetragen wird.

Diese Zeichen verheißen in der Regel „Glück“ oder „Unglück“, was sich vom Effekt her nicht von einem zustimmenden oder ablehnenden Zeichen der Götter unterscheidet. Jeder Angehörige unseres Kulturkreises kennt die Vorstellung, daß eine schwarze Katze, die von links nach rechts läuft, Unglück bringt, genauso wie verschüttetes Salz oder ein zerbrochener Spiegel. In Flugzeugen gibt es keine Sitzreihe 13, in Wolkenkratzern keine 13. Etage. Findet man ein Hufeisen oder ein Kleeblatt mit vier Blättern, ist das ein gutes Zeichen und verheißt Glück.

Nun wird offiziell heutzutage nicht mehr sonderlich viel auf derartige Zeichen gegeben, aber es gibt auch heute noch bemerkenswert viele „rituelle Handlungen“, die zur Abwehr guter und böser Zeichen und zur Erzwingung des Glücks durchgeführt werden – selbst von ganz bodenständigen, modernen Menschen, die nichts mit „Aberglauben“ am Hut haben oder sich der Hintergründe überhaupt nur bewußt sind – so tief ist sind die Handlungen im kollektiven Kulturgut verwurzelt.

So wirft man sich Salz über die Schulter, wenn der Salzstreuer umfällt, man klopft dreimal auf Holz, um das Gute zu beschwören. Bei Sternschnuppen wünscht man sich etwas, selbst das Anstoßen mit den Gläsern beim Trinken soll Glück bringen und Böses fernhalten, Trinksprüche beschwören Gesundheit, Geld oder Erfolg. Zu Silvester werden Glücksschweine und Kleeblätter verschenkt, Hufeisen werden an die Tür genagelt, und zwar so, daß das Glück nicht herausfallen kann. Auf Polterabenden wird Porzellan zerschlagen, um böse Geister zu vertreiben und insbesondere ältere Leute sind davon überzeugt, daß man zwischen Weihnachten und Neujahr – „zwischen den Jahren“ – keine Wäsche waschen darf.

Ein solches Zeichen am Wegesrand würde jeder moderne Mensch sofort zu deuten wissen!

Ein solches Zeichen am Wegesrand würde jeder moderne Mensch sofort zu deuten wissen!

Den Glauben der Römer an Zeichen deswegen pauschal als „Aberglauben aus früherer Zeit“ und „Volksglauben der primitiven Leute aus der Antike“ abzutun, wäre zu kurz gegriffen, denn diese Vorstellungen sind unbewußt auch tief im modernen Menschen verwurzelt und einfach Teil unserer mitteleuropäischen Tradition und Geschichte, nur daß sie heutzutage nicht mehr systematisch und quasi-wissenschaftlich betrieben werden wie in der römischen Antike.

Auch bei den Römern wurde unterschieden zwischen „Zeichen“, die ganz selbstverständlich als von den Göttern kommend betrachtet wurden, und „Superstitio„, dem Aberglauben. Dieser Begriff war jedoch weitreichender als bei uns, denn er umfaßte auch übertriebene, devote Frömmigkeit, die Furcht vor einem strafenden und zürnenden Gott, dessen Wohlwollen man sich unterwürfig erflehte, und den unangemessenen Wunsch, sich göttliche Macht durch magische Mittel anzueignen, die dem Menschen nicht zustand.

Sich deshalb die Menschen der römischen Antike als naive abergläubische Leute vorzustellen, die in allem und jedem Zeichen sahen, ständig Glück und Unglück fürchteten und beim falschen Zeichen das Haus nicht verließen, wäre falsch, da es der Arroganz des modernen Menschen entspringt, der mit seinem heutigen Wissensstand auf die Welt vor 2000 Jahren herabblickt und sich für aufgeklärt hält. Aber dann am nächsten Abend zum Polterabend geht, seinem Schwager mit einem Trinkspruch zuprostet und dann ein Glücksschwein aus Marzipan verschenkt, bevor er ihm erzählt, er hat einen gut bezahlten neuen Job in Aussicht, was er wie selbstverständlich mit ‚toi toi toi‘ dreimal auf den Holztisch klopfend zur Realität werden lassen möchte – bewusst oder unbewusst.

Schon der Römer vor 2000 Jahren wußte ganz genau zwischen den unterschiedlichen Praktiken und Vorstellungen zu differenzieren, auch wenn er das – religiös und kulturell bedingt – aus einem anderen Blickwinkel tat als der moderne Mensch.

Zeichen deuten als Wissenschaft

Tatsächlich gab es in der römischen Antike, genau wie in der modernen Zeit, alle Färbungen und Ausprägungen in Bezug auf das Lesen von Zeichen, von einer hochwissenschaftlichen und sachlichen Betrachtungsweise bis hin zu „abergläubischen“ magischen Praktiken.

Die Auspizien waren eine hochwissenschaftliche Angelegenheit, die sachlich, nüchtern und mit großem Ernst und Kalkül betrieben wurden.

Gelegentlich wurde, um ein politisch erwünschtes Ergebnis zu erzielen, ein Vogel von einem Gehilfen auch gezielt fliegen gelassen....

Römischer Pragmatismus: Gelegentlich wurde, um ein politisch erwünschtes Ergebnis zu erzielen, ein Vogel von einem Gehilfen auch gezielt fliegen gelassen….

Sie wurden aus politischem Kalkül und Machterhalt genauso praktiziert wie aus dem ehrlichen Bedürfnis heraus, den Segen der Götter für ein Unterfangen zu erlangen. Die Kunst, die Zeichen zu deuten, wurde jahrelang erlernt und von Augur zu Augur weitergegeben. Die Riten der Auspizien wurden nach festgelegten Regeln und Vorschriften durchgeführt, die jahrhundertelangen Erfahrungen entsprachen und von denen nicht abgewichen werden durfte, um das Ergebnis nicht unwirksam werden zu lassen. Die Interpretation der Ergebnisse folgte festgelegten Regeln, auch wenn der Augur immer einen gewissen Interpretationsspielraum hatte, und es gab Gesetze und Vorschriften darüber, was welches Zeichen wann bedeutete und wie damit umzugehen war.

Bisweilen kam es sogar vor, daß zu besonders wichtigen Entscheidungen, die zwingend auf ein positives Urteil der Auguren angewiesen waren, ein Vogel von einem Gehilfen zum richtigen Zeitpunkt fliegen gelassen wurde – römischer Pragmatismus.

Auch machte man sich den allgemeinen Glauben an spontan geschickte Zeichen der Götter zunutze, indem man zu einem wichtigen Anlaß, zum Beispiel bei einem Triumphzug oder anlässlich eines anderen öffentlichen Spektakels, einen Schwarm Vögel aus einem Käfig aufsteigen ließ, den man zuvor strategisch günstig positioniert hatte, so daß auch in der Bevölkerung kein Zweifel darüber bestand, daß die Götter wohlgesonnen waren.

Als fundamentaler Bestandteil des Staatsgeschehens wurde, wie im Einführungsartikel beschrieben, nichts ohne vorherige Auspizien durchgeführt, so daß diese einen Pfeiler für das perfekte Funktionieren des Staates bildeten. Und bekanntermaßen war der römische Staat über tausend Jahre lang sehr erfolgreich – oft erstaunlich erfolgreich, bedenkt man seine internen Querelen und oft massiven Probleme angesichts der schieren Größe und Ausdehnung des Reichs.

Da alle staatstragenden Entscheidungen seit der frühen Republik bis zur Ablösung durch das Christentum nur nach Beratung durch die Auguren getroffen wurden, ist es fehl am Platz, die Auspizien als „abergläubische Praktiken“ abzutun. Sie trugen ganz im Gegenteil wesentlich zu einem erfolgreichen Staat bei, sowohl in politischen als auch militärischen und zivilen Fragen und waren ein legitimes Werkzeug, das die Römer zu ihrem Vorteil zu nutzen verstanden, im öffentlichen wie im privaten Bereich.

Verbotene „abergläubische“ Praktiken 

Ganz im Kontrast dazu gab es auch im alten Rom schon Praktiken, die als „abergläubische“ Handlungen abgelehnt wurden und die man einzudämmen versuchte.

Hierbei stand nicht die Vorstellung im Vordergrund, daß es sich dabei um „Aberglauben“ handelte, denn ihre potentielle Wirksamkeit wurde nicht angezweifelt oder bestritten. Sie war nur einfach nicht Thema der Diskussion, denn diese Praktiken, die in den Bereich der Superstitio fielen, störten die Grundordnung der Gesellschaft und verstießen gegen die römischen Werte und Tugenden. Aus diesem Grund gefährdeten sie den inneren Frieden und wurden verboten.

Ob sie nun wirksam waren oder nicht, war dabei unerheblich – wobei sich wieder der römische Pragmatismus zeigt.

Inschrift einer Fluchtafel im Isis-Mater Magna-Heiligtum in Mainz

Inschrift einer Fluchtafel im Isis-Mater Magna-Heiligtum in Mainz

Insbesondere in den Mysterienkulten (wie dem Kybele-Kult), gab es magische Praktiken und Schadenszauber, mit denen man anderen Personen zu schaden versuchte. Flüche und Verwünschungen auf Fluchtafeln (defixio), die zahlreich in den entsprechenden Tempeln und Kultstätten überall in Europa gefunden wurden, zeichnen hiervon ein deutliches Bild. Diese Praktiken waren jedoch nicht auf die Mysterienkulte beschränkt; die meisten defixiones wurde im römischen Britannien gefunden, wo sie sich auf den Mercurius-Tempel in Ulay und das Quellheiligtum der Sulis Minerva in Bath konzentrieren. In Ulay richten sich bemerkenswert viele dieser Tafeln gegen Diebe, die ein großes Problem gewesen zu sein schienen.

Auch gab es Praktiken, die fast an den Voodoo-Kult erinnern, indem Abbilder einer unerwünschten Person geformt und dann mit Nadeln durchbohrt oder Körperteile zerbrochen und falsch herum angesetzt wurden. Die Rituale, um die Gegenstände herzustellen, magisch zu binden und schließlich am Zielort abzulegen, sind zum Teil recht komplex. Im Isis- und Mater Magna-Heiligtum in Mainz sind zahlreiche dieser Fundstücke ausgestellt und zeichnen ein lebhaftes Bild dieser verbreiteten Praxis des Analogiezaubers.

Solche Praktiken gehörten nicht zum Alltag jedes Römers, die meisten praktizierten den traditionellen römischen Cultus, der im Einklang mit den Gesetzen und Traditionen des römischen Staates stand.

Bislang ist wissenschaftlich umstritten, in welchen Kreisen diese Schadenszauber vorwiegend praktiziert wurden. Aus den Inhalten der Fluchtafeln geht der Trend dahin, daß vor allem untere Kreise, das heißt Sklaven, Einwohner ohne römisches Bürgerrecht oder Personen mit niedrigem Sozialstatus, von diesen Praktiken Gebrauch machten, zum Beispiel Gladiatoren oder Wagenlenker, um dem Gegner zu schaden, wie aus Fluchtafeln aus dem Amphitheater in Karthago ersichtlich ist. Dennoch gibt es auch Tafeln, auf denen die Namen hochrangiger Politiker und wohlhabender Bürger erscheinen. Abgesehen von Liebeszaubern und erotischen Flüchen trifft die überwiegende Mehrheit der gefundenen Flüche Männer.

Tatsächlich waren Fluchtafeln, genauso wie magische Handlungen, im Römischen Reich trotz der teilweise starken Popularität, vor allem im 2. und 3. Jahrhundert n.Chr., verboten (im Gegensatz zum antiken Griechenland, wo sie erlaubt waren, man jedoch für dadurch hervorgerufene Todesfälle belangt werden konnte). Es gab Gesetze gegen „heimtückische Verbrechen“, zu denen neben Giftmischerei und Brandstiftung auch Schadenszauber gerechnet wurden und es wurden auch Senatsbeschlüsse gegen Zauberei und „bösartige Kulthandlungen“ (mala sacrificia) verhängt.

Ab der Kaiserzeit wurden derartige Praktiken und jede Form von Magie rigoros verfolgt, wobei hierbei nicht immer nur die Erhaltung römischer Werte und Ordnung im Vordergrund standen, sondern auch politische Verfolgung oder ideologische Gründe.

Figur eines Mannes, die zum Schadenszauber verwendet wurde. Isis-und Mater Magna-Heiligtum, Mainz

Figur eines Mannes, die zum Schadenszauber verwendet wurde. Isis-und Mater Magna-Heiligtum, Mainz

Kaiser Tiberius ließ 130 als Magier und Magierinnen bezichtigte Personen hinrichten. Auch unter Nero und Claudius wurde die Anwendung von Magie verfolgt. Es sind durch Tacitus mindestens 10 Gerichtsprozesse überliefert, deren Anklage sich auf „magisches Handeln“ stützt, so zum Beispiel gegen den Statthalter der Provinz Syra, der gemeinsam mit seiner Frau durch magische Mittel einen Konkurrenten getötet haben soll. Allerdings stützte sich die Anklage in den meisten Fällen nicht ausschließlich auf die Magie (die vor den römischen Gerichten allein kaum Bestand gehabt hätte), untermauerte die anderen Anklagepunkte jedoch, weil die Intention des Beschuldigten deutlich wurde, schaden zu wollen.

Mit dem Aufkommen des Christentums wurde der Ton gegen magische Praktiken immer schärfer. Ab dem 4. Jahrhundert nahmen die Prozesse wegen magischer Praktiken deutlich zu, wobei der Historiker Ammianus Marcellinus von einer wahren „Prozeßhysterie“ spricht (hierbei ist jedoch anzunehmen, daß ein Großteil der Magie-Anklagen als Vorwand genutzt wurde, um unliebsame Gegner aus dem Weg zu räumen). Strafen für die Ausübung von Magie reichten von Verbannung bis Hinrichtung. Ab dem 3. Jahrhundert stand auf Schadenszauber und Verwünschung, d.h. die Erstellung von Fluchtafeln und Figuren, die Höchststrafe wie Kreuzigung, Verbrennung oder die Hinrichtung ad bestias, d.h. durch wilde Tiere in der Arena.

Spätere kaiserliche, christlich geprägte Edikte gingen schließlich so weit, Schadenszauber und Wahrsagung im spätantiken Codex Theodosianus (438) und Codex Iustinianus (529) zusammenzufassen und die zuvor erwähnten, im 3. Jahrhundert eingeführten Höchststrafen der Kreuzigung, Verbrennung und Hinrichtung ad bestias, schriftlich festzuschreiben.

Während Auspizien also die allgemein akzeptierte und staatlich geforderte Art und Weise waren, Zeichen von den Göttern zu erbeten, galt es als unangemessen und superstitio, sich mit Hilfe der Götter durch Flüche und Schadenszauber gegen andere Personen zu richten.

Auch dies zeigt, daß die Römer sehr wohl zwischen unterschiedlichen Formen der Kommunikation mit den Göttern unterschieden und eine sehr differenzierte Vorstellung davon hatten, welche Kommunikationsform angemessen war – und welche die öffentliche Ordnung und die Erhaltung der römischen Werte störte.

Auspizien im Privatkult

Wie es im Staatskult üblich war, die Götter um Zeichen für geplante Vorhaben zu bitten, so war es im Privatkult ebenso üblich, die Zustimmung der Götter zu einem geplanten Unterfangen zu erbitten.

Auch war es für jeden Römer selbstverständlich, die Augen nach Zeichen offenzuhalten, die nicht erbeten waren, von den Göttern aber ungefragt geschickt wurden.

Darin lag nichts Verwerfliches und der Glaube daran, daß sich die Götter über Zeichen mitteilten, war ein allgemein verbreiteter Grundsatz der Religio Romana bis zur Ablösung des alten Glaubens durch das Christentum als Staatsreligion.

Ganz grundsätzlich drückt sich in dieser Zeichendeutung eine besondere Wahrnehmung der Welt aus, die sich von unserem heutigen sachlichen bis gelangweilten Blick auf das, was uns umgibt, unterscheidet. Es geht um eine besondere spirituelle Aufmerksamkeit, geschult durch eine willentlich und strukturiert ausgearbeitete Schablone aus Bedeutungen, die über die bekannte Welt gelegt wird, um durch sie Ahnungen, die man in seinem Inneren wahrnimmt, nach außen zu spiegeln und somit externalisiert fassbar werden zu lassen. Ebenso wie Tarotkarten, basierend auf einer fixierten Bedeutung der einzelnen Elemente, in ihrem tatsächlich gelegten Bild eine Möglichkeit bieten können, einer inneren Schau mit Hilfe der traditionellen Bilder Ausdruck zu verleihen, um sie in Worte fassen zu können, kann sich der Himmel als Spiegel der Seele nutzen lassen.

Die traditionellen Zuweisungen des Auguren, der den Himmel in Richtungen und damit in Bedeutungen einteilt, das Warten auf Zeichen, die vorher genau bestimmt werden, die rituellen Schweigeregeln etc., all das dient einer Entprofanisierung des Raumes, in dem sich der Augur aufhält, um sich für die heilige Schau zu öffnen, um einen Blick hinter die Welt werfen und mit den Göttern kommunizieren zu können.

Über die Interpretation der Zeichen und die praktische Anwendung der Auspizien im privaten Cultus informiert der dritte Teil dieser Serie.

Götterwelt: Isis

Herkunft, Zuständigkeiten und Bezeichnungen:

Die ägyptische Göttin Isis zog im Laufe des 1. Jahrhunderts v. Chr. in die römische Glaubenswelt ein und erlangte dort insbesondere während der Kaiserzeit große Popularität. Ihr Kult hielt sich bis in die Spätantike (ca. 500 n.Chr.), ihr großes Fest Navigium Isidis am 5. März wurde in Italien bis ins Jahr 416 n. Chr. gefeiert.

Isis in typisch römischer Darstellung mit Sistrum, Situla und Isisknoten

Isis in typisch römischer Darstellung mit Sistrum, Situla und Isisknoten

Einzug fand Isis über die Griechen, die große Verehrer der ägyptischen Kultur waren, und Isis bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. in ihren Pantheon integrierten. Mit dem Fall Ägyptens, das im Jahr 30 v. Chr. zu einer römischen Provinz wurde, etablierte sich der Kult endgültig auch im Römischen Reich.

Mit Legionären breitete er sich über das ganze Reich aus, so daß Isis-Tempel bis hin ins entfernte Britannien (London) und Germanien (Mainz) zu finden waren. Inschriften und Schreine für sie sind aus allen Provinzen des Reichs bekannt, so aus Spanien, Gallien, Arabien oder Pannonien (das heutige Ungarn) und im Noricum (Donauraum). Auch in Pompeji fand man zahlreiche Wandgemälde und Statuen dieser Göttin.

Im Jahr 80 v.Chr. errichtete Sulla auf dem Kapitol in Rom einen Isis-Tempel. Da der Isiskult eine Mysterienreligion war (durch die einige Kaiser und auch der Senat sich aufgrund der „Geheimniskrämerei“ bedroht fühlten), war seine Geschichte wechselhaft; einige Kaiser verboten ihn, unter anderem Augustus, der eine Rückkehr zu traditionellen römischen Glaubenswerten anstrebte und seit Marcus Antonius und Kleopatra alles Ägyptische hasste und ihn deshalb innerhalb der Stadtmauern Roms verbot, oder Tiberius, der Isis-Anhänger vertreiben ließ.

Andere Kaiser, die sich zum Ägyptischen hingezogen fühlten, förderten ihn, wie Hadrian, der sich sogar eine Villa im ägyptischen Stil errichten ließ, Trajan, die Flavier und Commodus. Unter Caligula wurde der Isiskult zu einem sacrum publicum erklärt, einem öffentlichen Kult als Teil des Staatskultes. Er war es, der das öffentliche Fest der Navigium Isidis einführte und anläßlich der ersten Feier in Frauenkleidern persönlich an den Mysterienspielen teilnahm.

Gerade in der späten Kaiserzeit war der Isiskult äußerst populär, wie unzählige Statuen und Münzen beweisen. Ihr Haupttempel wurde erst im 6. Jahrhundert durch Kaiser Justinian geschlossen (und alle Priester verhaftet), aber die Zerstörung von Isis-Heiligtümern im ganzen Reich begann unter dem christlichen Kaiser Theodosius im Jahr 391. Im privaten Bereich lebte der Kult lange nach seinem öffentlichen Verbot weiter.

In der ägyptischen Mythologie war Isis die Gattin des Gottes Osiris, der von seinem Bruder Seth zerstückelt wurde. Isis sammelte seine überall im Land verstreuten Körperteile ein und setzte sie wieder zusammen. Daraufhin erwachte Osiris für einen kurzen Moment zum Leben, den Isis nutzte, um sich – in Falkengestalt über seiner Leichenbahre schwebend – von ihm mit einem Sohn schwängern zu lassen, bevor er schließlich verstarb und in die Unterwelt hinabstieg. Der Sohn, Horus, nahm Rache an Seth.

Im griechisch-römischen Kult wurde Isis zur Besiegerin des Todes, der Herrin der Unterwelt und einer Muttergottheit. Im römischen Kultus gab es spezielle Priesterämter und andere Funktionsträger, die aus Ägypten in dieser Weise nicht überliefert sind, so daß der Kult in Rom eine ganz eigene Form annahm und zum Teil henotheistische Züge einer Universalgottheit trug.

Insbesondere unter Frauen und Sklaven war der Kult sehr populär, er stand aber allen Schichten und Geschlechtern gleichermaßen offen, ein Vorteil, den er gegenüber dem Mithraskult hatte, der nur Männern vorbehalten war.

Bedeutende Zentren des Isis-Kultes lagen in Gallien, vor allem in Mittelmeernähe im Raum Massilia (Marseille), von wo aus der Kult sich weiter in das gallische Inland verbreitete. Weitere Zentren des Kultes lagen in Köln, wo sieben Weiheinschriften gefunden wurden, und in Mainz, wo sich das große Isis- und Mater Magna-Heiligtum befand, der aus dem 1. Jahrhundert, vermutlich der Zeit der flavischen Kaiser, stammte und das heute besichtigt werden kann.

Neben ihren Funktionen als Unterwelts- und Muttergöttin galt sie im Römischen Reich auch als Beschützerin der Seefahrer. Auch wandten sich viele Frauen mit Kinderwunsch an sie. Ihre wichtigste und mächtigste Funktion war ihre Fähigkeit, ein vorherbestimmtes Schicksal zu überwinden.

Sphäre:

Himmlisch und Unterwelt.

Attribute und Darstellungen:

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„Isis mit dem Horusknaben“

Isis wurde im römischen Cultus nicht in ihrer ägyptischen, sondern in einer stark romanisierten Form und in römischer Kleidung verehrt.

Römische Darstellungen zeigen Isis mit den typischen Attributen Sistrum (ein rasselndes Hand-Musikinstrument) und einer Kanne (Situla) mit Schlangengriff, die mit Nilwasser gefüllt ist. Ihr Gewand ist mit einem typischen Knoten („Knotenpallas“, „Isisknoten“) vor der Brust geschlossen. Ein charakteristischer Haarschmuck ist ein Uraeus, eine Art Diadem mit einer aufrechten Schlangenfigur und Getreideähren.

Daneben hat sie häufig große Ähnlichkeit mit Fortuna und wird mit deren Attributen dargestellt, dem Füllhorn und dem Steuerruder. Eindeutig erkennbar bleibt sie in ihrer Fortuna zum Verwechseln ähnlich sehenden Darstellung dennoch am Sistrum, das sie oft in einer Hand hält, sowie an einer ägyptisch anmutenden Kopfbedeckung mit Sonnenscheibe oder Kuhhörnern, sowie dem Isisknoten.

In Italien wurde Isis häufig gemeinsam mit ihrem Gefährten Osiris verehrt (der in Griechenland kaum eine Rolle spielte), begleitet von Anubis und ihrem kindlich dargestellten Sohn Horus („Harpokrates„). Mit Osiris wird insbesondere der Aspekt der Auferstehung in den Vordergrund gestellt, die im Isis-Kult des Mittelmeerraums eine zentrale Rolle spielte.

Im gallo-römischen Nordwesteuropa verschob sich der Kult zugunsten des göttlichen Paares Isis und Serapis, indem eine gräzisierte Version des Serapis Osiris als Partner der Isis ersetzte. Er war ein Unterweltsgott, der vor allem mit Jupiter oder Sol identifiziert wurde und im Laufe der Zeit fast die Rolle eines henotheistischen Alleingottes annahm. Das Motiv der Zerstückelung und Auferstehung des Osiris wird hier durch durch den Aspekt des Unterweltsgottes als Bringer des Getreides und der Ernte und dadurch auch der Fruchtbarkeit abgelöst, was durch seine Kopfbedeckung, den „Modius“ (ein Meßbecher für Getreide) symbolisiert wird. Zuerst tritt er als „Osiris-Apis“ in Erscheinung, eine Vermischung von Osiris mit dem kultisch verehrten Apis-Stier, was über die Verkürzung von Osarapis zu Serapis wurde. Seine ikonographische Darstellung im römischen Cultus ähnelt stark der des Jupiter als älterer, bärtiger Mann mit gelocktem Haar.

In der Interpretatio Romana erfuhr Isis viele Gleichsetzungen mit anderen Göttinnen, so vor allem mit Ceres, Diana und Juno. Auch wurde sie zum Teil mit der ägyptischen Göttin Maat zu Dikayosyne – der Personifikation der Gerechtigkeit – sowie mit Persephone verschmolzen. Sie erhielt so viele Beinamen und Bezeichnungen, daß sie auch als „Isis Myrionyma„, „Göttin mit den tausend Namen“ bezeichnet wurde (unter anderem bei Plutarch in De Isiride et Osiride). Ein anderer häufiger römischer Beiname war „Isis Invicta„, die Unbesiegte.

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Relief der Isis und des Serapis im Tempel von Tawern

In Mainz wurde Isis als Isis Panthea verehrt, „Isis Allgöttin“, die ebenfalls in henotheistischer Weise andere Götter und Göttinen vereint und ersetzt. Dies ist bei diversen Funden an einer Attributhäufung zu erkennen, indem Attribute zahlreicher anderer Götter und Göttinnen in einer Darstellung vereint werden. Neben der zuvor erwähnten Fortuna finden sich auch die Schlange, der Blitz des Jupiter, der Hirtenstab des Pan, Hammer des Vulcanus, Jagdköcher der Diana und der Spiegel der Venus.

Eine Inschrift aus Capua deutet ebenfalls auf die Konzentration der Isis als Allgöttin hin: „Una quae es omnia dea Isis“ – „Die eine, die Du alle bist, Göttin Isis“. Dies ist typisch für den Isis- und Serapiskult, da auch Serapis zahlreiche göttliche Funktionen und Götter in sich vereinte, vom Unterwelt- und Fruchtbarkeitsgott bis zum Sonnengott.

Die Funktion der Isis als Allmutter, die zahlreiche Göttinnen in sich vereinte, geht sehr gut aus diesem Gedicht des Apuleius in „Der Goldene Esel“ hervor (11,5):

Ich, Allmutter Natur, Beherrscherin der Elemente, erstgeborenes Kind der Zeit, Höchste der Gottheiten, Königin der Geister, Erste der Himmlischen;

ich, die ich in mir allein die Gestalt aller Götter und Göttinnen vereine, mit einem Wink über des Himmels lichte Gewölbe, die heilsamen Lüfte des Meeres und der Unterwelt vielbeklagtes Schweigen gebiete.

Die alleinige Gottheit, welche unter so mancherlei Gestalt, so verschiedenen Bräuchen und vielerlei Namen der ganze Erdkreis verehrt: mich nennen die Erstgeborenen aller Menschen, die Phrygier, Göttermutter von Pessinous; ich heißte bei den Athenern, den Ureinwohnern Attikas, kekropische Minerva, bei den inselbewohnenden Zypriern Venus von Paphos, bei den bogenschießenden Kretern netzwerfende Diana, bei den dreisprachigen Siziliern unterweltliche Proserpina, bei den Euleusiniern Urgöttin Ceres.

Andere nennen mich Juno, andere Bellona, andere Hekate, Rhamnousia wieder andere. Sie aber, welche die aufgehende Sonne mit ihren ersten Strahlen beleuchtet, die Äthiopier beider Länder, und die Besitzer der ältesten Weisheit, die Ägypter, die mich mit den angemessensten eigensten Gebräuchen verehren, geben mir meinen wahren Namen: Königin Isis.

Aus dem Tempelkomplex bei Tawern an der Mosel kennt man ein Relief, das Isis und Serapis als Paar zeigt. Interessant ist an dieser Darstellung, daß Serapis ein für ihn untypisches Gewand trägt, wie man es von Darstellungen des Sucellus kennt, einem an der Mosel sehr beliebten Weingott. Isis trägt in diesem Relief eine Situla mit heiligem Wasser und ein Sistrum. Aus diesem Fund allein ist jedoch nicht darauf zu schließen, daß Isis und Serapis in diesem (hauptsächlich Merkur geweihten) Tempelkomplex verehrt wurden; vielmehr geht die Forschung davon aus, daß ein Reisender dieses Relief zwecks Einlösung eines Gelübdes in den Tempel gebracht hat, der an der stark frequentierten Fernstraße von Metz nach Trier lag.

Eine ebenfalls verbreitete Darstellung in der Ikonografie ist die sitzende Mutterfigur mit dem Horuskind auf dem Schoß („Isis mit dem Horusknaben„). Diese Darstellung findet sich in der Figur der Muttergottes mit dem Jesuskind wieder, die möglicherweise von den frühen Christen – ebenfalls ein römischer Mysterienkult – übernommen wurde, da nicht auszuschließen ist, daß die römischen Mysterienkulte sich gegenseitig beeinflußten.

Auch wurden ihre Attribute als „in der Not helfende Muttergöttin“ in das Christentum übertragen, so daß diese überaus populäre Göttin auf diese Weise auch für die frühen Christen erhalten blieb, ohne daß sie weiter „heidnischen“ Kulten folgen mußten. Auch die im Konzil von Ephesus im Jahre 431 festgelegte Rolle der Maria als „Gottesgebärerin“ schreibt diese Rolle der Maria theologisch fest, so daß viele Elemente des (spezifisch römischen) Isis-Kultes im Marienkult erhalten blieben.

Opfergaben: 

Weihegaben aus dem Isis-Tempel in Mainz (August 2013)

Weihegaben aus dem Isis-Tempel in Mainz (August 2013)

Opfergaben sind insbesondere aus den Isistempeln in Mainz und London überliefert.

Zu den typischen Opfergaben gehörten Öllämpchen, Weihrauch und Früchte. Auf Altären (in Mainz ein Opferaltar aus Muschelkalk) verbrannt wurden Datteln, Feigen, Getreidekörner und Pinienkerne. Zahllose Funde von Tierknochen (unter anderem kleine Singvögel, Fische und Hühner) zeigen, daß auch Tieropfer üblich waren.

Daneben fanden sich in Mainz kleine Statuetten wie ein umschlungenes Liebespaar, ein Stier mit Opferbinde, eine Venusstatuette und ein kleiner Mercurius mit Geldsack, tönerne Tierfiguren sowie Münzen und Inschriftentafeln.

Brandopfer waren eine gängige Praxis zur Erflehung zur Hilfe und Beistand durch die Göttin.

Kulttiere: 

Kuh und Stier, Vögel und Fische.

Feiertage:

Die wichtigsten Feiertage sind Navigium Isidis („Schiff der Isis“) am 5. März und Inventio Osiridis („Das Auffinden des Osiris“) vom 28. Oktober bis 3. November.

Navigium Isidis ist ein Frühlingsfest, das an Isis‘ Schiffsfahrt nach Byblos erinnert, wo sie Osiris suchte. Mit einer Prozession wurde an diesem Festtag die Schiffahrt wieder eröffnet, die in den Wintermonaten ruhte. Das Fest lag ursprünglich auf dem „ersten Vollmond des Himmelsmonats“ und damit auf einem wechselnden Termin, wurde aber später auf den 5. März festgeschrieben.

Iventio Osiridis symbolisiert das Ende der Suche, als sie Osiris findet und die zerstückelte Leiche zusammensetzt und sie zum Leben erweckt. Diese Geschichte wurde anläßlich des Festes als Mysterienspiel aufgeführt.

Der Isiskult als Mysterienkult

Der Isiskult gehörte, zusammen mit dem Mithraskult, dem Kybele-Kult („Mater Magna“) und dem Christentum zu den wichtigsten römischen Mysterienkulten. Es gab eine eigene römische Priesterhierarchie, Schreiber, Musiker, Astrologen, eine „Schmückerin des Heiligtums“ (ornatrix farni) und Sänger, die Funktionen innerhalb des Kultes ausübten und die im ägyptischen Kult so nicht existierten.

Es sind uns zahlreiche Details der Ritualpraxis aus dem Isiskult überliefert, da ein römischer Dichter ausführlich über sie geschrieben hat: Apuleius beschreibt in seinem Werk „Metamorphosen oder der goldene Esel“ eine Isisprozession und rituelle Handlungen, die verkleidete Priester im Rahmen dieses Umzugs durchführen. Überlieferte Praktiken des Mysterienkultes umfassten unter anderem kultische Bäder, Fasten und das Kleiden in kultische Gewänder und Masken sowie „exotische“ Rituale, die deswegen von vielen als ansprechend empfunden wurden. Das Fasten und die Reinigung durch das Bad symbolisierten den rituellen Tod und die damit mögliche Wiedergeburt.

Auch Kultpraktiken des Serapiskultes, der den ursprünglich mit Isis verbundenen Osiris verdrängt hatte, sind uns durch Quellen überliefert. So spottet der christliche Autor Quintus Septimius Florens Tertullianus über die opulenten Kultmahle, die offenbar das Grillen über offenem Feuer beinhalteten: „Der Rauch beim Serapismahl alarmiert die Feuerwehr“ (Apol 39,15).

Apuleius selbst war in den Isis- und Serapiskult eingeweiht und beschreibt auch einige nicht-öffentliche Rituale aus dem Mysterienkult. Nur das eigentliche Mysterium verrät er nicht, sondern deutet es nur an, mit Verweis auf ein Schweigegelübde: „ich würde es Dir sagen, wenn ich es sagen dürfte: du würdest es erfahren, wenn du es hören dürftest„.

Daß das Mysterium etwas mit der Todeserfahrung und Auferstehung zu tun hat, deutet er zumindest dadurch an, daß er beschreibt, daß er „die Schwelle des Todes übertreten habe, den Göttern gegenüber getreten sei und mitten in der Nacht den Sonnengott habe leuchten sehen“. Auch beschreibt Apuleius ausführlich die Schlange, die eine wichtige Rolle im Isiskult zu spielen schien, und verweist auf Harpokrates, der neben seiner kindlichen Form oft auch mit dem Schlangengott Agathos Daimon gleichgesetzt wurde und in einem korbartigen Weidengefäß, einer Cista mystica, mitgeführt wurde.

Weitere Hinweise auf kultische Handlungen sind auf archäologischen Funden zu finden, wie z.B. einem tönernen Gefäßdeckel aus Westheim bei Augsburg. Auch in Tonmedaillons aus dem 3. Jahrhundert, die möglicherweise aus einer Isis-Wallfahrtsstätte stammten und dort als Devotionalien erhältlich waren, sind Praktiken aus dem Isiskult zu erkennen. Wiederkehrende Motive zeigen hier Isis und Serapis bei einem Kultmahl, begleitet von Anubis und dem als Kind dargestellten Harpokrates mit Füllhorn.

Immer wieder taucht auch in archäologischen Funden das Symbol der Cista mystica auf, zum Beispiel auf Tongeschirr aus Köln, wie es bereits von Apuleius beschrieben wurde.

Männer und Frauen waren im Kult gleichgestellt.

Isis-Tempel in Mainz (August 2013)

Isis-Tempel in Mainz (August 2013)

Im Gegensatz zu der sehr Diesseits-orientierten römisch-heidnischen Religion, war der Isis-Kult (genau wie das Christentum) stark Jenseits-orientiert und verhieß Paradiesvorstellungen nach dem Tod. Eine Kernaussage des Kultes war, daß derjenige, der ein anständiges Leben geführt hatte und ihren Geboten folgte, im Jenseits belohnt werden würde, das also der Zweck des religiösen Lebens im Diesseits eine Belohnung im Jenseits war. Dies machte den Kult für Römer sehr attraktiv, da das Totenreich in der herkömmlichen römischen Religion ein eher unerfreulicher Ort war, mit dem man sich zu Lebzeiten so wenig wie möglich beschäftigte.

Diese Heilserwartung verbindet den Isis-Kult mit dem Mithras-Kult und dem Christentum. Als Mysterienreligion ist diese Heilserfüllung jedoch nur für eingeweihte Mitglieder möglich, so daß eine Aufnahme in den Kult durch Einweihung und Initiationsrituale (wie ein Taufbad) eine Bedingung ist. Durch die vielfältigen Rituale und direktes Erleben der Mysterien ist für die Anhänger eine direkte Erlebbarkeit und Nähe ihrer Göttin gegeben, was ebenfalls ein Charakteristikum für Mysterienkulte ist.

Isis galt als eine sehr „keusche“ Göttin, ihr Kult wurde in späteren christlichen Kreisen (u.a. vom Heiligen Clemens) für seine asketische und asexuelle Ausrichtung gelobt. Praktizierende schoren sich oftmals die Haare und es war üblich, regelmäßig zu besonderen Anlässen für einen bestimmten Zeitraum (meist 10 Tage) zölibatär zu leben. Ihre Tempel galten als Zufluchtsort für Frauen, die sexuell bedrängt wurden.

Hierbei nahm der Kult insbesondere unter Frauen zum Teil auch sehr extreme Züge an, bis hin zu Bußen und Selbstkasteiungen in ekstatischer Frömmigkeit, wie dem Untertauchen im eisigen Tiber im Winter, gefolgt vom Rutschen auf den Knien über das Marsfeld, bis die Knie bluteten.

Caligula ließ auf dem Marsfeld einen gigantischen Isistempel errichten, der aus einer Säulenhalle mit einer Allee bestand, die von Löwen, Obelisken und Sphinxen gesäumt war. Nach einem Feuer im Jahr 80 n.Chr. wurde dieser Tempel – noch prächtiger ausgestattet – von Kaiser Domitian wieder aufgebaut.

Quellen / Weiterführende Literatur:

  • Apuleius: Metamorphosen (der goldene Esel)
  • Plutarch: De Iside et Osiride
  • Imperium der Götter: Isis – Mithras – Christus. Kulte und Religionen im Römischen Reich (Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Hrsg.)
  • Gschlössl, Roland: Im Schmelztiegel der Religionen. Göttertausch bei Kelten, Römern und Germanen
  • Merkelbach, Reinhold: Isis regina – Zeus Sarapis. Die griechisch-ägyptische Religion nach den Quellen dargestellt
  • Religio Romana – Wege zu den alten Göttern im antiken Trier (Rheinisches Landesmuseum Trier, 1996)

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