Irgendwann ist es so weit: der römische Cultor entdeckt auf einem Römerfest, bei einem Replikenmacher oder in einem Museum die Replik einer Götterfigur, ein Relief oder eine Statue, die sich perfekt im Sacrarium oder Lararium machen würde!
Immer wieder geschieht es, daß wir solchen Gottheiten, die eine besondere Rolle in unserem privaten Cultus spielen, auf unseren Reisen durch das römische Reich begegnen – zum Beispiel in Form einer handgefertigten bronzenen Replik einer winzigen Mercurius-Larariumsfigur aus dem pfälzischen vicus Eisenberg bis hin zu Museumsrepliken lokaler oder überregional bedeutsamer Gottheiten (wie z.B. dem kleinen Matronen-Weihestein im Eifelzentrum Nettersheim, oder einer Figur der Sirona im Landesmuseum Trier) oder anderen Statuetten und Figuren.
Als römischer Cultor hat man neben dem Lararium, das das Kernelement des privaten Cultus, der Sacra Privata (auch Cultus Domesticus, also häuslicher Kult, genannt), bildet, meist noch einen oder mehrere persönliche „Hausgötter„, die man dem weiteren Kreis seiner Penaten zurechnet und in seinen Cultus integriert. Beispiele dafür sind Tutelargottheiten oder regionale (wie gallo-römische) Gottheiten, die in der Gegend eine wichtige Rolle spielen, in der man lebt, oder einige der „großen“ römischen Götter, denen man sich verbunden fühlt und die man in seinen persönlichen Cultus integrieren möchte.
Die Sacra Privata war schon in römischer Zeit, wie der Begriff nahelegt, Privatsache, in die der Staat sich nicht einmischte und für die es keine allgemeinverbindlichen Regeln, Vorschriften oder Verpflichtungen gab. Welchen Cultus man daheim praktizierte, welche Götter im persönlichen Leben eine Rolle spielten, war nicht geregelt und stand jedem frei. Lediglich der öffentliche Staatskult war durch feste Vorschriften reglementiert und von allen Einwohnern zu akzeptieren, da er Garant für die Einheit und den Frieden des Römischen Reichs mit den Göttern – und für ihre Schutzgewährung war, den Pax Deorum.
So lange man in seiner privaten Praxis nichts tat, was dem Staatskult zuwiderlief oder diesen gar ablehnte, war man frei darin, welche Götter man daheim verehrte und welche Praktiken man vollzog. Ausnahmen bildeten Praktiken, die gegen Gesetze verstießen, wie Menschenopfer, oder Magie, Schadenszauber und Verfluchungen (wie man es z.B. aus dem Kybele-Kult kennt), die in der Geschichte zeitweilig ebenfalls strafbar waren, weil sie die öffentliche Ordnung gefährdeten oder Kulte, deren Praktiken ebenfalls als Ordnungsstörung galten, wie der zeitweilig verbotene orgiastische Bacchus-Kult.
Es sprach theoretisch nicht einmal etwas dagegen, im heimischen Lararium eine Statue von Jesus Christus aufzustellen (Kaiser Alexander Severus soll dies getan haben), so lange man nicht mit seiner Ansicht an die Öffentlichkeit trat, daß der „eine Gott“ der einzig wahre sei und die römischen Götter nicht existierten und man sich weigerte, am Staats- und Kaiserkult teilzunehmen – denn auch das gefährdete den Pax Deorum.
Unser Artikel zu diesem Thema beschäftigt sich mit folgenden Fragen:
- Bedeutung der Götterfiguren im Privathaushalt
- Wo finde ich Figuren römischer Götter?
- Wohnt der Gott schon in der Statue oder muß ich ihn hineinrufen, invozieren?
- Wie wird eine Gottheit in eine Figur oder Statue invoziert?
- Wie sieht es mit synkretisierten Gottheiten aus, z.B. im gallo-romanischen Kontext, wie Lenus-Mars?
- Kultpraxis: Anleitung zur Durchführung des Rituals zur Invokation einer Gottheit
Bedeutung der Götterfiguren im Privathaushalt
Schon in der Antike schätzten die Einwohner des römischen Reichs anthropomorphe Darstellungen ihrer Götter.

Auch Figuren oder Büsten als sichtbares Zeichen der Verehrung deifizierter, d.h. vergöttlichter Kaiser waren im Römischen Reich Teil der Sacra Privata. Hier ein „Caesarium“ Divus Marcus Antoninus Pius gewidmet, wie der „Philosophenkaiser“ Marcus Aurelius nach seinem Tod genannt wurde.
Diese Mode kam bereits in der Frühzeit des Römischen Reichs auf, als die ursprünglich bildlose, animistische Sichtweise der urrömischen Götter sich mit der hellenistischen Kultur vermischte. Von den Griechen übernahmen die Römer nicht nur viele Götter, sondern auch deren anthropomorphe Darstellungsweise. Seit dieser Zeit wurden Götter bis in die Spätantike hinein in verkörperter Form in Reliefs, Statuen, Figuren, Statuetten, Wandmalereien, Bildern auf Objekten wie Krügen, Tellern und Vasen und dergl. dargestellt.
Wie wir aus zahllosen Funden in römischen Privathaushalten, zum Beispiel aus Pompeji, aber auch aus unserer gallo-römischen Provinz wissen, waren figürliche Darstellungen von Göttern weit verbreitet und grundlegender Bestandteil römischer Lebensweise. Man fand Götterfiguren also nicht nur auf Weihesteinen, Reliefs und als Votivgaben in Tempeln, sondern durchaus auch in privaten und öffentlichen Gebäuden, in Privathaushalten, Landgütern oder Raststationen. Häufig standen sie in Verbindung mit dem Lararium (vor allem in räumlich beengten Wohnungen) oder in eigens dafür eingerichteten Nischen oder an Orten, die Sacrarium oder Sacellum genannt werden (wie in großzügig gebauten Landgütern oder Herrschaftshäusern, den villae rusticae, die wir vor allem aus dem gallo-römischen Raum kennen).
Es gibt Funde, die darauf hindeuten, daß Götterfiguren auch explizit direkt in das Lararium integriert waren (wie die kleine Mercurius-Larariumsfigur aus Bronze, die im vicus Eisenberg in der Pfalz gefunden wurde), so daß alle Varianten der Verehrung von Gottheiten gleichermaßen authentisch sind, sei es in einem eigenen Bereich – zum Teil sogar in eigenen Räumen, wie man es aus größeren Landgütern kennt -, oder als Bestandteil des Larariumskultes, dessen Schwerpunkt die Verehrung der Laren und des Genius loci ist. Die Penaten (im engeren Sinn die Schutzkräfte der Speisekammer), allgemein die Geister des Ortes und des Hauses, wo man lebt (und die dort auch nach einem Umzug verbleiben, es sind also keine persönlichen Schutzgeister), sowie die Hausgötter, die die Familie bei einem Umzug mit sich nimmt, können alle im Lararium verehrt werden, auch wenn der Begriff etwas anderes nahelegt.
Im Laufe der Zeit wurden unter der Bezeichnung Penaten nicht nur die Geister der Speisekammer und Hüter des Haushaltes im engeren Sinne verstanden, sondern sie umfassen im weiteren Sinne alle Hausgeister und die Hausgötter, also die Gottheiten die für die Bewohner des Hauses eine Rolle spielen – das können sogar die höchsten kapitolinischen Götter wie Jupiter Optimus Maximus, Juno und Minerva sein, oder vergöttlichte Kaiser, die man im Rahmen des Kaiserkultes verehrt. Sie alle bilden die Gruppe der „Penaten“ im weiteren Sinne und damit den Kern des privaten Kultes, der Sacra Privata.
Daneben gibt es auch winzige Götterfiguren, die von Römern auf Reisen mit sich geführt wurden, zum Beispiel in einem Beutel. So konnte man „seine“ Götter immer mitnehmen, sich unterwegs mit Gebet und Opfer an sie wenden oder sich dadurch von ihnen Schutz für die Reise erhoffen. Viele Rasthäuser, wie die Römervilla in Ahrweiler, die in der Spätantike zu einer Herberge und Pferdewechselstation wurde, boten ihren Übernachtungsgästen eigens dafür kleine Nischen an, in denen man seine Götter, die man auf Reisen mitnahm, aufstellen konnte.

Weihegaben und Souvenirs der „einfachen Leute“: Figuren der Venus als billige Tonfiguren, in Massenware hergestellt (Landesmuseum Museum Trier, 2014)
Nicht zuletzt lebten ganze Wirtschaftszweige, wie eine blühende Souvenir-, Opferfiguren- und Mitbringsel-Branche vor allem an den großen Tempeln, Pilgerorten und in den Städten davon, den Durchreisenden tönerne oder steinerne Götterfiguren der hier verehrten Götter zu verkaufen. Diese waren oft in Serienproduktion hergestellte billige Repliken „berühmter“ Darstellungen aus einem großen Tempel oder gar Rom selbst, die in den Provinzen in recht einfacher, oft auch primitiver Machart, für wenig Geld „nachgemacht“ und verkauft wurden, so daß jeder sich eine solche Figur leisten konnte.
Statuen und Figuren römischer Götter spielten also eine wichtige Rolle im privaten Cultus. Ihnen wurde geopfert, sie wurden geschmückt und dekoriert, sie waren bunt bemalt und bildeten den zentralen Fokus für die religiöse Praxis der Hausbewohner, wenn sie mit dieser Gottheit in Kontakt treten wollten.
Wo finde ich Figuren und Statuen römischer Götter?
Auch heute ist es deswegen im römischen Rekonstruktionismus üblich, Darstellungen derjenigen Götter, die in der eigenen Sacra Privata eine Rolle spielen, in seine Kulthandlungen einzubeziehen.

Caesarium mit Augustus-Statue in Prima Porta-Darstellung, darüber Repliken von Reliefs, die die Deifikation von Augustus und Claudius zeigen
Ideal ist es natürlich, wenn man hochqualitative Repliken originaler Darstellungen findet. Diese sind oft in Museumsshops erhältlich, aber auch bei Replikenmachern und römischen Handwerkern, die auf den einschlägigen Römertreffen und Veranstaltungen zu finden sind. Viele von ihnen fertigen selbst die Repliken für Museen an, so daß die Qualität und Authentizität der von ihnen erstellten Statuen, Figuren und Reliefs oft sehr hoch ist. Oft haben sie Zugang zu den Original-Abformungen der Museumsstücke!
Daneben gibt es die (deutlich preisgünstigeren) typischen Museumsrepliken aus Gips oder anderen leichten Materialien, die in Serienproduktion (oft von Behindertenwerkstätten) für Museen hergestellt werden. Hier gibt es starke Qualitätsunterschiede; die Gipsfiguren, die meist nur wenige Euro kosten, überleben oft eine Reise nicht, weil sie im Karton bröckeln. Andere Repliken, die aus Ton, Kunstharz oder sonstigen Materialen erstellt werden, kosten nicht viel mehr, sind aber haltbarer und sehen oft auch erstaunlich gut aus.
Neben den einschlägigen Standard-Figuren, die es in fast jedem Römermuseum gibt, bieten einzelne Museumsshops auch Darstellungen lokaler Gottheiten an, die speziell in ihrem Museum ausgestellt sind oder regional eine Bedeutung hatten. Museumsshops sind deswegen immer die beste Quelle, weil sie eine relativ große Auswahl in unterschiedlichen Preisklassen bieten, von der kleinen Gipsreplik für 4,50€ bis zur fast 1m hohen Replik aus Bronze oder gehärtetem Alabasterstuck für 900€. Hierbei unterscheiden sich die Museen auch deutlich in ihrer Preisgestaltung; während gerade kleinere Museen oft schöne und günstige Repliken im Angebot haben, ist z.B. das Römisch-Germanische Museum in Köln preislicher Spitzenreiter.
Gerade die billigen Figuren sind ideal dazu geeignet, sich am Bemalen zu versuchen (z.B. mit Acrylfarbe). In römischer Zeit waren Figuren nicht einfach weiß, wie wir es heute von Büsten und Statuen kennen, sondern sie waren bunt und möglichst naturgetreu bemalt, von der Kaiserbüste bis hin zum Gott. Als Cultor hat man oft den Wunsch, seine Götterfiguren ebenfalls originalgetreu zu bemalen und wer nicht gerade geschulter Warhammer 40k-Spieler ist, benötigt sicherlich einige Übungsläufe, bevor er sich an eine teurere Figur heranwagt. Gerade die Billig-Repliken, die zwischen 4,50€ und 10€ Euro kosten, sind perfekt zum Üben und wenn sie danach gut aussehen, umso besser!

Apollo als bronzierte Veronese-Figur, daneben die (verkleinerte) Replik der Sirona aus Hochscheid im Hunsrück aus dem Landesmuseum Trier
Eine andere gute Quelle sind die kleinen Replikenmacher und Kunsthandwerker, die ihre Produkte in Online-Shops verkaufen. Hier bekommt man Handarbeit statt Massenware, die zwar ihren Preis hat, dafür auch eine gute Qualität. Wir haben z.B. sehr gute Erfahrungen mit dem Replik-Shop.de von Markus Neidhardt gemacht oder dem Römer-Shop des Forum Traiani.
Nicht zuletzt gibt es natürlich noch die einschlägigen Bezugsquellen wie Flohmärke, ebay und Konsorten. Hier finden sich oft auch modernere Darstellungen römischer Götter (auch im Jugendstil oder Renaissance-Stil) wie z.B. die bronzierten Polyresin-Figuren von Veronese-Design. Wem dieser Stil eher zusagt, der kann natürlich auch eine moderne Darstellung in seinen Cultus integrieren, hier ist man ebenso frei in seiner Gestaltung, wie man es zu römischer Zeit mit ihren vielen unterschiedlichen Modeströmungen war und es gibt keine „Verpflichtung“, nur Repliken alter Original-Statuen zu verwenden.
Wir sind zwar Rekonstruktionisten, aber wir leben natürlich nicht im 3. Jahrhundert AD, sondern in der heutigen Welt mit ihrer Vielfalt für jeden Geschmack. Wer sich gerne eine pinkfarbene Venus im Barbie-Stil samt Muschel auf den Nachttisch stellen will… bitte… es ist Sacra Privata, Privatsache. Persönlich bevorzugen wir Figuren, die entweder Repliken von Original-Figuren sind, oder die zumindest „klassisch“ aussehen. Wir schrecken aber auch nicht vor dem modernen Veronese-Design zurück, das einige sehr schöne Götterdarstellungen im Angebot hat.
Figuren der „großen“, bekannten Götter sind nicht sonderlich schwer zu finden. Schwieriger wird es bei lokalen und speziellen Gottheiten. Für Götter aus dem gallo-römischen Kulturkreis sind und bleiben Museen die beste Anlaufstelle (vor allem in Trier). Oft ist es auch so, daß man einem Gott „begegnet„, mit dem man sich zuvor gar nicht sonderlich beschäftigt hat. Eine kleine Figur in einem winzigen Museum auf dem Lande, oder ein handgefertigtes Einzelstück auf einem Römerfest einer besonderen Lokalgottheit findet mehr als einmal den Weg in das heimische Lararium!
Als letztes noch ein Tipp, wenn man unbedingt die Figur einer ganz bestimmten, lokalen, sehr speziellen Gottheit für seinen privaten Cultus wünscht, es von dieser Figur aber garantiert keine Replik gibt und man auch nicht handwerklich genug begabt ist, um sich selbst eine Figur herzustellen: eine Möglichkeit, eine solche Gottheit trotzdem in seinen heiligen Raum, in Sacrarium oder Lararium zu integrieren, ist, sich ein Bild davon aufzuhängen, zum Beispiel von einem Relief, einer Figur oder einem Weihestein, auf dem diese Gottheit abgebildet ist. Dieses Bild kann man rahmen, zum Beispiel als Foto, oder, wenn man es etwas ansprechender möchte, auf Leinwand drucken lassen. Das bieten alle Drogeriemärkte für wenig Geld an und es sieht optisch sehr ansprechend aus.
Wohnt der Gott schon in der Statue oder muß ich ihn invozieren, hineinrufen?
Diese Frage ist eine äußerst moderne Frage.
Zwar haben sich schon in der Antike Philosophen und andere Autoren ausgiebig mit der Frage nach der Natur des Göttlichen, nach den Göttern selbst, nach ihrem Wohn- und Aufenthaltsort beschäftigt und zum Teil leidenschaftlich darüber gestritten. Genauso ist der moderne Mensch, gerade wenn er einmal Kontakt mit der neuheidnischen oder magischen Szene hatte, an derlei Fragestellungen interessiert, ganz einfach, weil es ein Stück weit Gewohnheit – und auch Bedürfnis – geworden ist, solche Fragen zu debattieren, einfach, weil man es „richtig“ machen will.
An der Lebenswirklichkeit des normalen, einfachen Menschen auf der Straße zu römischer Zeit geht diese Diskussion jedoch vollkommen vorbei.

Nach Originalfund rekonstruierte, 2,08 Meter große Merkurstatue im Tempelkomplex Tawern, nach römischem Brauch bunt bemalt
Die römische Religion, gerade der Private Cultus, war eine Religion der Orthopraxie, nicht der Orthodoxie. Es gab keine Dogmen, Vorschriften oder allgemeinverbindliche Glaubensgrundsätze darüber, wie man sich die Götter und ihre Natur vorzustellen hatte. Das blieb im Großen und Ganzen Privatsache. Ebensowenig gab es Ritualvorschriften, die jemand einhalten mußte, wenn er sich eine Götterstatue auf dem Markt kaufte und diese dann im heimischen Wohnzimmer aufstellte, um den Gott dort fortan zu verehren.
Es gibt Hinweise darauf, daß es in der griechischen und römischen Antike Praktiken gab, mit denen Gottheiten in Statuen hineingerufen oder „eingeladen“ wurden. Eine wissenschaftliche Arbeit, die sich unter anderem damit beschäftigt, ist „Animating Statues: A case study in ritual“ von S. I. Johnston. In dieser Arbeit stehen zwar nicht römische oder griechische Praktiken und Vorstellungen im Vordergrund, werden aber gestreift und können einen Eindruck davon vermitteln.
Daneben gibt es einige überlieferte Schriften (unter anderem auf Papyrus), in denen Anrufungen aufgeführt sind, in denen Götter eingeladen werden, sich in Objekten (wie Statuen) niederzulassen. Hierbei muß man sich jedoch darüber im Klaren sein, daß diese Texte nicht der römischen „Mainstream“-Religion entstammen, sondern schon damals als magische oder esoterische Praktiken galten. Diese wurden nur von einer Minderheit praktiziert und oft auch nur in Verbindung mit speziellen Kulten, etwa Einweihungs- und Mysterienkulten (wie die Kulte für Isis, Mater Magna oder Mithras).
Zahllose Stellen der antiken Literatur belegen, daß die Römer (ebenso wie die Griechen oder Ägypter) einfach davon ausgingen, daß in Statuen, Figuren oder Abbildungen von Gottheiten, die man zur Verehrung verwendete, diese Gottheiten auch präsent waren.
Ansonsten gibt es keine überlieferten Quellen, Schriften oder Abhandlungen darüber, wie genau man es sich vorstellte, daß die Götter in die Statue hineingelangt seien. Es spielte einfach keine Rolle für die Lebenswirklichkeit des einfachen Menschen und das „wie“ und „warum“ war für seine religiöse Alltagspraxis vollkommen unerheblich. Wie unwichtig diese Fragen tatsächlich waren, kann durch die Tatsache belegt werden, wie wenig Quellen sich letztlich damit beschäftigen.
Der römische Normalbürger kaufte sich einfach eine Statue, stellte sie zuhause auf und begann, Rituale für den Gott zu machen, ihn über die Statue zu ehren und ihm zu opfern. Dadurch, daß er die Statue so behandelte, als sei sie geheiligt und von einer göttlichen Präsenz erfüllt, glaubte der Römer, daß der darin wohnende Gott durch die religiöse Praxis angerufen werden konnte und tat es einfach.
Die Mehrheit des Volkes verschwendete keinen Gedanken an die spirituellen Hintergründe einer solchen Aktivität, sondern handelte einfach, wie man es gelernt hatte – mit den typischen Opfergaben, die dem jeweiligen Gott gefielen, und mit den Anliegen, für die dieser Gott zuständig war.
Da sich der Staat nicht in den Privatkult einmischte und dafür keine oberste religiöse Autorität existierte, gab es – im Gegensatz zum gut dokumentierten Staatskult – auch keine Dogmen oder Verpflichtungen, ob und wie man eine solche Statue in seinen eigenen vier Wänden zu weihen hatte, bevor man sie benutzen oder ansprechen durfte. Deswegen konnten Menschen in ihrer Sacra Privata glauben, was sie wollten und ihre religiösen Handlungen begehen, wie sie es für richtig hielten. Hierbei gab es sicherlich auch noch Unterschiede zwischen lokalen Gewohnheiten (zum Beispiel waren die heimischen Praktiken eines einheimischen, romanisierten Kelten in der gallo-römischen Provinz sicher anders als die einer Großfamilie in ihrer Stadtvilla in Rom und wiederum anders, als die Praktiken in Syrien oder im Norden Britanniens), so daß aus rekonstruktionistischer Sicht nur so viel mit Sicherheit gesagt werden kann:
Nichts deutet darauf hin, daß jeder Römer jede Statue und Götterfigur erst „weihte“ und die jeweilige Gottheit einlud, darin Platz zu nehmen, bevor er begann, sie in seine privaten religiösen Handlungen zu integrieren. Ganz im Gegenteil deutet die spärliche Quellenlage eher auf das Gegenteil hin: daß es den meisten Leuten relativ egal war, wie die Götter dort hineinkamen, wichtig war nur, daß sie darin präsent waren, und daran glaubte man.

Lararium eines Schmieds mit (nach Original-Vorbild) selbst hergestellter Vulcanius-Figur (Römerfest Haltern, 2014)
Das bedeutet im Umkehrschluß aber nicht, daß es Praktiken der Invokation einer Gottheit in eine Statue oder Figur nicht gab oder daß sie unüblich war oder nur in geheimnisvollen Mysterienkulten praktiziert wurde. Unter sehr frommen, sehr engagierten Römern, die die Pietas , also die Ehrfurcht vor den Göttern, sehr ernst nahmen, oft ganze Räume ihres Hauses den Gottheiten widmeten und ihnen aufwendige Schreine und Altäre errichteten, gab des durchaus die Vorstellung, daß Götter förmlich und offiziell in eine Statue „eingeladen“ werden sollten. So gab es mit großer Wahrscheinlichkeit Römer, die so handelten – und welche, denen es egal war… und alle Facetten dazwischen, wie eine kurze, höfliche Einladung und Vorstellung seiner Person, bevor man die Statue in seine Nische oder das Lararium stellte, und sei es nur in einem Satz.
Da wir heute im 21. Jahrhundert leben und eine Welt gewohnt sind, in der viel theoretisiert und vorgegeben wird, ist es für den modernen Cultor normaler, sich mit sich derartigen Fragen zu beschäftigen, ob der Gott schon in der Statue wohnt, ob man ihn einladen muß oder ob er von selbst kommt, als es das für den römischen Handwerker, Bauern, Fuhrmann oder Händler im 1. Jahrhundert AD war.
Heutzutage „studieren“ wir unsere Religion, wir befassen uns akademisch damit, wälzen Quellen, überlegen, wie sich der Römer vor 2000 Jahren seine Welt vorgestellt hat und wie sein Alltag und seine religiöse Praxis aussah, wobei wir hier ein riesiges Puzzle aus schriftlichen Quellen, archäologischen Befunden, bildlichen Darstellungen wie Malereien, Statuen und Reliefs zusammensetzen müssen – ein Puzzle, zu dem es keine Vorlage gibt und von dem zudem auch einige Teile fehlen. Der Römer damals „tat“ es einfach, ohne sich zu fragen, warum und was genau er tat, wenn er eine religiöse Handlung beging – genauso, wie viele Leute heute in die Kirche gehen, ohne sich mit der komplexen, dem römisch-katholischen Glauben zugrundeliegenden Theologie der Eucharistie oder der Dreifaltigkeit zu befassen. Sie machen einfach mit, weil sie es so seit Generationen gelernt haben, ohne Theologie zu studieren oder die Fragen mit Freunden und Familie in der Tiefe zu erörtern.

Lararium im römischen Stil mit Lar, Mater Magna und Sirona. Sacrarium für Hercules und die Matronen (links) und Caesarium (rechts)
Wenn man sich heute also als römischer Rekonstruktionist die Frage stellt, ob eine Gottheit in eine Statue invoziert werden sollte, bevor man sie in seinem privaten Cultus nutzt, gibt es dazu keine eindeutige Ja oder Nein-Antwort, denn es gab dazu schon in der Antike keine Vorschriften. Die Erfahrung hat gezeigt, daß es für den heutigen Menschen „besser“ ist, wenn er eine Statue einer bestimmten Gottheit weiht und diese offiziell einlädt, darin Einzug zu halten. Es ist weder verpflichtend, noch wird man in ewiger Verdammnis enden, wenn man es nicht tut, oder gar für alle Zeit von den Göttern mit Verachtung gestraft und fortan in einem leeren Haus leben, um das die Götter einen Bogen machen. Es fühlt sich einfach besser, richtiger an – was natürlich mit der Intention zu tun hat, es möglichst authentisch zu halten -, und ob das objektiv begründet ist, die Gunst der Götter und ihr Wohlwollen erhöht und oder in der psychologischen Natur des modernen Menschen liegt, spielt hierbei keine Rolle.
Wir beantworten die Frage, ob man eine Gottheit in eine Statue invozieren sollte, bevor man sie im privaten Cultus nutzt, also mit einem „Ja, es ist besser, es zu tun.“ Aber man braucht sich über diese Frage auch nicht unbedingt den Kopf zu zerbrechen denn auch hier gilt: römischer Pragmatismus trifft auf römischen Sinn für Form, Ritual, Cultus und Tradition.
Für den Staatskult oder öffentlichen Kult, die Sacra Publica, muß diese Frage anders beantwortet werden, hier besteht geradezu eine Pflicht, die korrekte Form und das Ritual einzuhalten. Das ist jedoch nicht Thema dieses Artikels, der sich mit der Statue „im Hausgebrauch“ befaßt.
Ein gesondertes Kapitel ist die „Aktivierung“ des Larariums vor dem ersten Gebrauch, in das man die Laren, Ahnen, Penaten, Hausgötter und den Genius loci einlädt. Dieses Thema wird demnächst in einem gesonderten Artikel behandelt, da hier das Ritual etwas aufwendiger ist.
Wie wird eine Gottheit in eine Statue oder Figur invoziert?
Da es keine detaillierten Anleitungen gibt, wie man im heimischen Cultus eine Statue weiht oder eine Gottheit einlädt, darin Platz zu nehmen, müssen wir uns gemäß der eingeschränkten Quellenlage auf die überlieferten Rituale aus dem öffentlichen Kult beziehen und die naheliegende Annahme treffen, daß die Vorgehensweise im privaten Cultus von der Struktur her ähnlich war. Alle römischen Rituale, ob privater oder staatlicher Natur, beinhalten einige feste Bestandteile, die sich immer und überall wiederholen und die in vielfältigen Bereichen gängig und verbreitet waren. Die Annahme, daß diese festen Bestandteile auch bei einer solchen Handlung durchgeführt wurden, ist deswegen nicht allzu spekulativ, sondern kann zumindest gut begründet werden.

Ein geweihter römischer Tempel vor Ort mit davor befindlichem Altar ist natürlich ideal zur Invokation eines Gottes in eine Figur (Tawern, 2014)
Als Vorlage oder Modell dafür, wie eine solche Invokation in eine Statue abgelaufen sein könnte, sind am besten die Rituale zur Weihung heiliger Orte oder Tempel geeignet, von denen uns zahlreiche überliefert sind. Tempelweihungen im Staatskult und der Ablauf der Weihung zahlreicher spezifischer Tempel sind gut durch antike Autoren dokumentiert. Ein Beispiel ist die Weihung des Doppeltempels Templum Urbis für Venus und Roma durch Kaiser Hadrian, die in das Volksfest der Parilia am 21. April eingebunden wurde, dem mythologischen „Geburtstag“ von Roma Aeterna.
Als zugrundelegenden Text, der je nach Gottheit abgewandelt wird, kann die Anrufung der Laren herangezogen werden, die auch im Rahmen des Rituals zur Einsetzung des Larariums verwendet wird. Es ist ein relativ kurzer Text, der ideal ist für die Weihung einer Statue (siehe Ritualdurchführung im Anschluß an diesen Artikel).
Das Ritual kann am heimischen Lararium oder Sacrarium durchgeführt werden, an dem Ort also, an dem die Statue später ihren Platz findet. Wer allerdings einen Tempel in der Nähe hat, der dieser Gottheit geweiht ist, kann natürlich auch diesen Ort wählen, was wir persönlich bevorzugen. So eignet sich für die Weihung einer Mercurius-Statue sehr gut der (rekonstruierte und offiziell geweihte) Merkur-Tempel bei Tawern. Für die Invokation einer Statue für Lenus-Mars kann man den Martberg an der Mosel nutzen. Auch für andere Gottheiten aus dem gallo-römischen Umfeld, aber auch für exotischere Götter (wie Isis und Serapis, die z.B. ebenfalls in Tawern verehrt wurden) gibt es im südwestdeutschen und luxemburgischen Raum zahlreiche antike Stätten. In dieser Rubrik auf unserem Blog findet Ihr zahlreiche Beschreibungen römischer Tempel mit Wegbeschreibungen, Hintergrundinformationen und nützlichen Tipps (wie Ungestörtheit und Zugänglichkeit).
Es war üblich, längere Anrufungen für Rituale auf eine Papyrusrolle zu schreiben. Ein Ritualdiener hielt das Schriftstück vor den Vortragenden, damit er bequem ablesen konnte und die Hände für Ritualhandlungen wie Räucherungen und Libationen frei hatte. Deswegen macht es auch im modernen Cultus Sinn, sich die Worte aufzuschreiben. Ideal ist hierbei auch eine Papier- oder Papyrusrolle, die es in den Römer-Shops oder bei römischen Veranstaltungen zu kaufen gibt. Auch römische Wachstafeln sind einfach zu erhalten, wenngleich sie nicht genug Platz für längere Texte bieten dürften. Wem Authentizität und „Optisches“ nicht so wichtig ist, kann den Text auch gut lesbar auf ein Blatt Papier schreiben (oder natürlich auswendig lernen ;-)).
Ob man den Text auf Latein oder Deutsch (oder einer anderen Muttersprache) vorträgt, bleibt einem selbst überlassen. Es gilt der Konsens, daß die lateinische Sprache als „die“ Sprache der Götter ihnen gefällig ist und Freude bereitet, so daß sich ihre Bereitwilligkeit erhöht, den Anrufenden zu unterstützen und seinem Ansinnen zu entsprechen. Dennoch ist es genauso gut möglich, Texte in einer Sprache vorzutragen, die man selbst versteht, wenn man des Lateinischen nicht mächtig ist und sich komisch dabei vorkommt, Worte in dieser Sprache zu sprechen. (Abgesehen davon, sollte man als römischer Rekonstruktionist über kurz oder lang Latein lernen und bei vielen erwacht der Wunsch, das alte Schullatein aufzufrischen, ganz von selbst, wenn man anfängt, sich mit alten Quellen zu beschäftigen und erste Rituale durchführt oder sich etwas auf Latein übersetzen möchte, ohne auf die Hilfe anderer Cultores angewiesen zu sein, die fließend Latein schreiben und sprechen. Aber das ist ein anderes Thema.) Wichtig ist, den Text deutlich, klar und fehlerfrei vorzutragen, damit die Form gewahrt bleibt. Auch werden römische Anrufungen und Gebete laut durchgeführt und nicht, wie bei den Christen, schweigend oder im Stillen vor sich hingemurmelt, da damit dem paganen Verständnis der Götter als realer Manifestationen vor Ort, Ausdruck verliehen wird.

Merkurfigur mit Hahn im hellenistischen Stil aus dem Altbachtal bei Trier (Landesmuseum Trier, 2014)
Die drei Bestandteile, die man aus der Weihung eines Tempels oder heiligen Ortes kennt und die man deswegen auch für die Invokation einer Statue nutzt, sind dedicatio, inauguratio und consecratio. Abgeschlossen werden sollte das Ritual, wie jeder Ritus, in dem man den Rat der Götter für ein Ansinnen erbittet, mit Auspizien, um festzustellen, ob die Invokation erfolgreich war und die Statue von der Gottheit angenommen wurde.
Der Umfang, in dem man die Invokation durchführt, bleibt einem selbst überlassen. Vom einfachen Sprechen der eigentlichen Anrufung und einer kurzen Einladung bis hin zu einem vollen Ritus mit allen Bestandteilen ist eine große Bandbreite möglich.
Findet die Invokation an einem öffentlichen Ort statt (zum Beispiel einem Tempel), an dem plötzlich und unerwartet Touristenhorden auftauchen oder man nur wenige ruhige Minuten hat, kann man sich auch auf Kernelemente beschränken (und z.B. die Auspizien entfallen lassen oder stark verkürzen – gegebenenfalls hat man bei einem negativen Ergebnis ohnehin keine Zeit, das Ritual zu wiederholen und muß sich einen anderen Ort und Zeitpunkt suchen = römischer Pragmatismus). Auch ist es nicht ohne weiteres möglich, überall zu räuchern. Wenn man Ruhe und Zeit hat, ist es hingegen empfehlenswert, alle Elemente zu berücksichtigen.
Wie sieht es mit synkretisierten Gottheiten aus, zum Beispiel im gallo-romanischen Kontext, wie Lenus-Mars?
Wer, wie wir, den gallo-römischen Cultus in seine Sacra Privata einbezieht, trifft früher oder später auf die synkretisierten keltischen Götter, die Einzug in den römischen Pantheon fanden. Von allen polytheistischen Religionen ist diese Frage in der Religio Romana sicherlich besonders komplex, da die Integration fremder Götter und deren Relationen innerhalb des traditionellen Pantheons hier ein Ausmaß hat, wie es von keiner anderen Religion bekannt ist.

Verbindung aus Jupiter und dem ägyptischen Gott Ammon, gefunden in Erfstadt (Landesmuseum Bonn, 2014)
Einige Gottheiten wurden nicht mit römischen Göttern assoziiert, wie zum Beispiel Epona, Rosmerta oder Sirona, die ihre Eigenständigkeit behielten und sich unter ihren Namen schließlich im ganzen Reich verbreiteten.
Was jedoch ist mit „Aspekt-Gottheiten“ wie den Heilgöttern Apollo-Grannus und Lenus-Mars, dem Ackergott Mars-Intarabus oder dem Gott der Steinmetze, Hercules-Saxanus? Auch beschränkt sich diese Fragestellung nicht auf den gallo-römischen Raum, auch in den orientalischen Provinzen, Ägypten oder in Britannien wurden Götter synkretisiert und mit den typischen Doppelnamen verehrt, wie Jupiter-Ammon. Diese Kombination aus dem Gott Jupiter und dem ägyptischen Gott Ammon fand sogar ihren Weg in das Rheinland, wie ein Fund aus Erftstadt zeigt.
Eine oft gestellte Frage ist also eine in der Art: „Wenn ich mir eine Apollo-Statue ins Sacrarium stelle und sie Apollo weihe, gilt diese dann ausschließlich für den „klassischen“ Apollo oder umfasst sie auch Gottheiten wie Apollo-Grannus, Apollo-Atepomarus, Apollo-Cunomaglus und Apollo-Leschenorius? Oder muß ich, wenn ich spezifisch Apollo-Grannus in meinen Kult integrieren möchte (zum Beispiel, weil ich krank bin und mir von ihm besondere Hilfe erhoffe), für ihn eine eigene Figur aufstellen und diese Apollo-Grannus weihen? Irgendwann habe ich dann doch fünf Apollos in meinem Sacrarium…„
Auch in dieser Frage gilt: Man kann diese Frage nicht mit einem klaren „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Erst einmal ist, wie bereits erwähnt, die Religio Romana nicht in ihrer Vollständigkeit überliefert, sondern weist – trotz der ausgezeichneten Quellenlage – in Detailfragen Löcher auf.
Was wir wissen, ist folgendes: Die Römer glaubten an viele Dinge, die Religion war nicht einheitlich und reichsumspannend durch die Jahre und die Provinzen, sondern unterschied sich von Epoche zu Epoche, von Region zu Region und von Person zu Person. Verbindende, gemeinsame Elemente gab es natürlich, aber durch die Freiheit in der Sacra Privata gab es keine Vorschriften, wie man sich die Dinge im Detail „vorzustellen hatte“.
Zur Zeit des klassischen römischen Polytheismus (wobei wir die in der späteren Antike sehr populären, oft henotheistischen und mit einer gewissen orthodoxen Orientierung – also nicht mehr nur dem Ritus verpflichtet, sondern auch definierten religiösen Vorstellungen – einhergehenden Mysterienkulte außen vor lassen), war es eine allgemein verbreitete Vorstellung, daß die Götter als einzelne, individuelle Personen existierten. Sie waren in dem Sinne „menschen-ähnlich“, aber nicht körpergebunden, konnten an mehreren Orten gleichzeitig sein, waren aber nicht omnipräsent, sie konnten alles mögliche tun, waren aber nicht allmächtig, sie kannten die Zukunft und viele Geheimnisse, waren aber nicht allwissend. Sie galten als begrenzt und nicht perfekt, als der Welt immanent, nicht jenseits davon. Diese Vorstellung gilt auch heute als verbreiteter Konsens in der Religio Romana (wie auch in vielen anderen polytheistischen Religionen), ist aber keine orthodoxe Lehrmeinung oder die einzig legitime Sichtweise – einfach deswegen weil es weder in alter Zeit noch heute eine Autorität gibt, die über eine solche Lehrmeinung wachen würde.
Daneben glaubte man an eine mysteriöse Kraft, die auf den ganzen Kosmos wirkte und die man als „Schicksal“ oder „Fatum“ bezeichnen kann, aber bereits hier wird die Sache sehr unscharf und ungenau und vielfältige Glaubensansichten zu diesem Thema kommen in den Quellen zum Vorschein.
Der durchschnittliche, einfache Bewohner des römischen Reichs, der sich nicht den ganzen Tag mit Philosophie, Glaubensfragen und fundamentalen Überlegungen zur Natur der Welt und der Götter beschäftigte, sondern einfach die Religion so praktizierte, wie es Kultur, Brauch und Erziehung vorgaben, ging sicher nicht bewußt und reflektierend an seine religiösen Alltagshandlungen und Praktiken heran – ebenso wenig, wie es heute der Fall ist, wenn der durchschnittliche Christ Sonntags in die Kirche geht. Genauso machte man sich keine Gedanken über die „wahre Identität der einzelnen Aspekte eines theoretisch gleichen Gottes“. Was wir heute für ein gelebtes Heidentum aus den Quellen erschließen müssen, die Notwendigkeit einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema, entfiel in einer Zeit in der es gelebte Wirklichkeit war, getragen vom kulturellen Kontext und der Weitergabe durch die Generationen.

„Unsere liebe Frau von Guadalupe“ um Hilfe zu bitten ist segensreicher als die „allgemeine“ Jungfrau Maria
Ein guter Bekannter von uns, der sehr tiefe Kenntnisse über römische Religion, Sprache und Geschichte besitzt, erklärte uns seine Sicht einmal folgendermaßen: er verglich es mit der ländlichen Volksreligiösität in den sehr traditionalistischen Landstrichen in Süditalien oder Griechenland, oder den südamerikanischen Indios, die ein fast polytheistisches Christentum praktizieren. In Südamerika wird zum Beispiel strikt unterschieden zwischen „Unserer lieben Frau von Guadalupe“ und „Unserer lieben Frau von Lourdes“ und der „Jungfrau Maria„, als ob diese voneinander getrennte Heilige oder gar eigene Gottheiten wären. Die Gläubigen dort pilgern nach Guadalupe, um dort am Wallfahrtsort zu Maria zu beten, obwohl sie das natürlich auch in ihrer eigenen Dorfkirche vor Ort tun. Sie sagen natürlich, daß beide – die liebe Frau von Guadalupe und die Jungfrau Maria ein und die selbe Person sind, aber unbewußt ist man der Ansicht, daß die liebe Frau von Guadalupe in ihrer reinsten und stärksten Form nur in Guadalupe existiert, während die „normale“ Maria überall ist, aber weniger Vorteile und nicht diese besonderen Segnungen bietet, wie diese spezielle Form.
Römer sahen es genauso – wenn nicht sogar noch strikter. Hätte man seinerzeit den durchschnittlichen Römer auf der Straße gefragt, ob er der Ansicht ist, ob Jupiter Stator der gleiche Gott wie Jupiter Tonans ist, hätte er – abhängig von seiner Laune, dem Tag, dem Anlaß – geantwortet: „ja“ oder „nein“ oder „ich weiß es nicht“ oder „ich habe nie darüber nachgedacht“ oder „was für eine dumme Frage“ oder „Was ist eigentlich dein Problem?!?“.
Wenn er bewußt darüber nachdachte, ging er wahrscheinlich davon aus, daß diese zwei Jupiter-Aspekte ein- und dieselbe Person waren. Aber wenn an einem bestimmten Feiertag ein besonderes Fest für Jupiter Stator gefeiert wurde, das mit speziellen Bräuchen und Riten verbunden war, bei denen er mitfeierte und in die er involviert war, hätte er Stator wahrscheinlich als eine vollkommen eigenständige Gottheit erlebt, die in dem Moment nichts mit den anderen Aspekten, wie Tonans, Ammon oder Jupiter Optimus Maximus zu tun hatte.
Oder, wie unser Freund formulierte: ähnlich, wenn nicht sogar noch stärker, wäre es bei einer lokalen Gottheit in der gallo-römischen Provinz, fernab von Rom gewesen, zum Beispiel bei Lenus-Mars. Der römische Einheimische würde, so lange er zu diesem Heilgott pilgerte, um Gesundheit betete oder bei Feiern und Ritualen zu Ehren dieses Gottes beteiligt war, ihn als vollkommen unabhängige Gottheit vom klassischen römischen „Mars“ betrachten. Doch wenn die Feiern erst vorüber waren und er wieder zuhause seinen Alltagsgeschäften nachging, glitt man zurück in den „Bequemlichkeits-Modus“ und betrachtete diese Götter als ein- und dieselben.
Auf diese Weise funktioniert römische Theologie: je genauer man sich eine Gottheit anschaut, umso unterteilter und vielfältiger wird sie. Was „Jupiter“ für den oberflächlichen und bequemen Cultor ist, ist für den stark gläubigen und diesem speziellen Gott besonders zugewandten Cultor Tonans, Ammon, Stator, Feretrius, Dapalis etc. Diese „persönliche Theologie“ verstärkt und vervielfältigt sich noch, wenn man die geografische Herkunft oder Volkszugehörigkeit des Cultors betrachtet.
Alles in allem gibt es keine religiöse Autorität oder eine allgemeingültige Theorie darüber, die einen Cultor „zwingt“, Lenus und Mars als identischen Gott oder als zwei vollkommen getrennte Gottheiten zu betrachten. Der Gläubige selbst entscheidet ganz allein, wie tief seine Verehrung dieses Gottes geht und inwieweit die zahlreichen Details und Ausdrucksformen für ihn eine Rolle spielen.
Jemandem, der keinen besonderen Bezug zu einem Gott, sei es Jupiter, Apollo oder Mars hat, und in dessen Sacra Privata dieser Gott keine Rolle spielt, kann es vollkommen egal sein, welche Aspekte von ihm existieren. Jemand, der eine besondere Beziehung zu einem dieser Götter hat und einen ganz speziellen Teilaspekt davon für besonders wichtig in seiner privaten Glaubenspraxis betrachtet, wird diesen Aspekt besonders hervorheben und kultisch betonen. Ob es für ihn so weit geht, den Aspekt als eigenständige, getrennte Gottheit zu verehren und die anderen Aspekte sowie den klassischen „Hauptgott“ sogar auszuklammern, obliegt allein ihm.

Apollo-Grannus aus dem Quellheiligtum Hochscheid in klassischer Darstellung mit Kithara (Landesmuseum Trier, 2014)
Deswegen bleibt es – um auf die Anfangsfrage zurückzukommen – auch jedem Cultor selbst überlassen, ob er für Apollo und Apollo-Grannus eine Statue oder zwei Statuen weiht. Es ist keine Frage von richtig oder falsch, mit der man sich für immer die Gunst der Götter verspielt, es bleibt eine persönliche Einschätzung, basierend auf theoretischen Überlegungen oder spirituellem Erleben.
Die Frage, ob man zwei Ausdrucksformen eines Gottes durch ein und dieselbe Statue verehren möchte, hängt also davon ab, wie wichtig es einem persönlich ist, zwischen diesen Göttern zu unterscheiden, davon, wie die persönlichen Kulthandlungen bezüglich dieser Gottheit aussehen, und es hängt von den persönlichen Bedürfnissen ab.
Es gab in der Antike Lararien, in der sich getrennte Statuen für verschiedene Aspekte einer Gottheit befanden (wie der kapitolinische Jupiter und Jupiter-Ammon). Andererseits gab es in den größeren Städten Tempel, in denen z.B. sowohl die lokal verbreitete Variante von Jupiter als auch der Staatsgott Jupiter Optimus Maximus verehrt wurden – also Tempel für zwei verschiedene Ausdrucksformen der Gottheit an einem Ort, oder für zwei Gesichter des gleichen Gottes, oder für zwei getrennte Götter mit der gleichen Funktion, oder wie auch immer man sich persönlich diese Aspekt-Gottheiten erklären mag.

Apollo-Grannus, gallo-römischer Heil- und Quellgott. Darstellung mit Krug und Heilwasser (Bonn, Rheinisches Landesmuseum, 2014)
Deswegen können wir sozusagen Entwarnung geben: egal, ob man der Ansicht ist, Apollo-Grannus ist nur ein Aspekt oder Alter-Ego von Apollo, oder ob man glaubt, daß Apollo-Grannus eine eigenständige, lokale Gottheit ist – man kann sich zwei Statuen aufstellen, oder eine Statue, die – je nach Situation und Anliegen – als der eine oder andere Aspekt oder Gott angesprochen wird. Beides ist gleichermaßen in Ordnung und obliegt der persönlichen Entscheidung, den Räumlichkeiten und den Ansprüchen des Cultors.
In meinem Sacrarium befindet sich eine Statue von Apollo sowie seiner gallischen Begleiterin Sirona. Je nach Bedarf und Anliegen, spreche ich ihn als „generischen“ Apollo an (vor allem in musischen und kreativen Angelegenheiten oder in seiner Funktion als Sonnen- und Lichtgott) oder als Apollo-Grannus, dann immer in Verbindung mit Sirona, wenn es um Gesundheitsfragen geht. Das steht in keinerlei Widerspruch zueinander und ich habe damit auch keine negativen Erfahrungen gemacht. Die Zeichen in den Auspizien, die einem römischen Ritual folgen, waren in beiden Fällen stets wohlwollend in Bezug auf Anliegen und Anrede, so daß ich keinen Grund sehe, zwei Apollo-Statuen aufzustellen, zumal die römische Darstellung des Gottes Grannus absolut identisch ist mit der klassischen römischen Darstellung, von einem Relief in einem Quellheiligtum einmal abgesehen, wo er zwar auch als schlanker, nackter Jüngling mit Umhang gezeigt wird, jedoch einen Wasserkrug mit Heilwasser in der Hand hält.
Sinn machen würde das allenfalls, wenn sich die gallo-römische Darstellung eines solchen synkretisierten Gottes deutlich von der römischen Darstellung unterscheiden würde und man die Möglichkeit hat, die authentische Replik einer solchen lokalen Figur zu erhalten (so wie sich Jupiter-Ammon durch seine charakteristischen Widderhörner eindeutig von der kapitolinischen Darstellung des Jupiters unterscheidet). Dies ist im Fall von den in unserer Region sehr verbreiteten Göttern Apollo-Grannus oder Lenus-Mars jedoch nicht der Fall; auch Lenus-Mars wird in allen gefundenen Votivfiguren auf die klassische Weise wie der römische Mars mit Helm und Speer dargestellt und nicht in einer abweichenden lokalen Ausprägung – die Deutung seiner Attribute ist nur eine andere, also Speer, Rüstung und Schild nicht als Kriegsattribute, sondern als Ausdruck von aktiver Abwehr von Unheil und Krankheit.
Auch zum Beispiel der aus Bonn bekannte Mercurius-Gebrinius folgt der klassischen römischen Merkur-Darstellung mit Heroldsstab, Hahn, Ziegenbock, Flügelhelm, Geldbörse und Pinienzapfen, so daß es in seinem Fall keinen optischen „Mehrwert“ bringt, eine generische römische Merkurdarstellung neben ein solches Bild eines lokalen Merkur-Aspekts zu stellen, wenn man beide in seinen Cultus einbeziehen möchte – obwohl es natürlich toll ist, wenn man eine Replik einer solchen lokalen Figur, Weihesteins oder Reliefs bekommt und diese als lokal orientierter Cultor natürlich einer gängigen Standard-Götterfigur vorzieht.
Wer ganz sicher gehen will, kann natürlich alle Aspekt-Gottheiten in seine Statue einladen, die für ihn wichtig sind, und Auspizien bezüglich dieses Anliegens abhalten. Ich denke jedoch nicht, daß der durchschnittliche Römer, ob nun aus dem Mittelmeerraum zugezogen, oder Einheimischer, in der Eifel einen solchen Aufwand betrieben hat, wenn er sich daheim an einem Tag an Mars-Intarabus und an einem anderen Tag an Lenus-Mars wandte.
Kultpraxis: Anleitung zur Durchführung des Rituals zur Invokation einer Gottheit
Das Ritual wird capite velato durchgeführt, das heißt mit verhülltem Haupt. Das dient, ganz praktisch, vor allem der Ausblendung etwaiger negativer, ungünstiger Zeichen, die man ansonsten aus dem Augenwinkel wahrnehmen könnte. Wir Römer sind da ja ziemlich empfindlich… 😉
Anrufungen erfolgen im römischen Cultus manu supina, das heißt mit zum Gebet erhobenen Händen.
Vorbereitung
Die Statue wird an den Ort gestellt, an dem sie später ihren Platz finden soll.
Führt man das Ritual außerhalb des eigenen domus durch, etwa in einem dieser Gottheit geweihten Tempel, ist der Altar vor der Cella der ideale Ort (wie in Tawern). Gibt es keinen Altar an dieser Stätte, eignet sich ein Ort inmitten der Cella (sofern es sich um einen Umgangstempel handelt) oder an einen sonstigen exponierten Platz inmitten der Tempelanlage – auch hier kann man durchaus nach dem gehen, was sich an dem besuchten Platz als „richtig“ anfühlt.
Sind der Gottheit besondere Attribute oder Gegenstände zugeordnet, die ihn oder sie erfreuen oder bestärken könnten, können diese ebenfalls neben oder vor der Statue drapiert werden (wie eine Muschel für Venus, eine Herkuleskeule für Herkules o.ä.). Dieser Bestandteil ist nicht explizit überliefert, es ist jedoch bekannt, daß Römer ihre Figuren und Statuen schmückten, behängten und mit Gegenständen verzierten, so daß dies einfach dem römischen Brauchtum entspricht und damit als passend empfunden wird. Auch die Dekoration der Statue und des Ortes mit Blumen, Kränzen oder Girlanden ist ein römischer Brauch, der vielfach belegt ist.
Der Ort wird nun mit Wasser aus einem fließenden Gewässer oder mit Salzwasser gereinigt, einige Sprenkler genügen. Hat man einen Fluß in der Nähe, wie Ahr oder Mosel, kann man sich zuvor etwas Wasser in eine kleine Flasche abfüllen. Salzwasser sollte man daheim zumindest mit Mineralwasser herstellen, nicht mit Leitungswasser frisch aus der Kläranlage.
Weihen der Statue
Platziere eine Schale und eine Kerze oder Öllampe vor der Statue. Ideal ist auch eine Schale, in deren Mitte sich die Kerze befindet, so kann man Libationen (Trankopfer) in die Schale schütten, ohne daß die Flamme erstickt wird. Das ist die Alternative dazu, etwas in der offenen Flamme zu verbrennen, was gerade in Innenräumen und modernen Wohnungen nicht uneingeschränkt möglich ist. Auch in Wäldern und öffentlichen Tempeln sollte nicht unbedingt frei herumgekokelt werden, damit Altäre und Weihesteine nicht beschädigt werden und außerdem die Waldbrandgefahr berücksichtigt wird. Hier ist ein symbolisches Feuer in Form einer Kerze oder Öllampe vorzuziehen.
Die Kerze oder die Lampe wird entzündet. Dazu wird eine Räucherung durchgeführt. Wer es betont römisch mag, nimmt Weihrauch und/oder Kräuter, die in einer Räucherschale auf Kohle verbrannt werden. Wer wenig Rauch machen kann (zum Beispiel in einer Wohnung mit Rauchmelder oder geruchsempfindlichen Nachbarn), oder wenn es schnell und weniger aufwendig gehen soll, kann auch zur modernen Variante des Räucherstäbchens greifen. Räucherstäbchen sind allerdings vollkommen unrömisch; manche Cultores lehnen die Verwendung deshalb ab, andere haben kein Problem damit. Auch hier ist Pragmatismus gefragt, der im Zweifelsfall die Entscheidung trifft.
Für eine männliche Gottheit wird mit Honig gesüßter Wein angeboten. Für eine weibliche Gottheit Milch, ebenfalls mit Honig gesüßt. Es gibt einige Göttinnen, die ebenfalls Wein statt Milch erhalten, andere, bei denen niemals Wein gegeben wird. Hier muß man sich im jeweiligen Einzelfall vor dem Ritual mit „seiner“ Göttin vertraut machen, aber wir gehen davon aus, daß jemand, der eine Statue weiht, um die kultische Verehrung einer Gottheit in seine Sacra Privata aufnehmen, sich zuvor ohnehin ausführlich mit ihm oder ihr beschäftigt hat und weiß, auf was er sich einläßt (denn einmal aufgenommene Götter sollten danach nicht vernachlässigt werden, sondern erfordern Aufmerksamkeit und Pflege der freundschaftlichen Beziehungen, zumindest zu bestimmten Tagen).
Möglich ist auch das Opfern von selbstgebackenem Opferbrot (einfache kleine Fladen aus Olivenöl, Mehl, Honig und Salz), das danach an Ort und Stelle verbleiben kann, wenn man in einem Tempel ist (anderen Müll und nicht vergängliche Opfergaben, sowie Kerzen danach unbedingt entsorgen!).
Wichtig ist, daß das Anliegen möglichst knapp, möglichst eindeutig, möglichst präzise und unzweifelhaft formuliert wird. Außerdem ist es wichtig, Wiederholungen zu verwenden, um dem Ansinnen Nachdruck zu verleihen (etwa im Sinne von: „ich frage Dich, ich bitte Dich, ich ersuche Dich…“). Typisch ist auch die Verwendung von Synonymen („bewahre mich vor Gefahr, vor Unbill, vor Unheil, vor Negativem, das mir zustoßen könnte“) um eine möglichst breite Abdeckung von Eventualitäten zu berücksichtigen.
Eine klassische Eröffnungsformel, die in jedem Ritual verwendet werden kann, in dem man ein Ansinnen vorträgt, eröffnet die Invokation. Hierbei richtet sich der Text nach der Gottheit und der Opfergabe.
Cuius rei ergo, macte hoc vino/lacte/libo libando
Zum Wohle und Gelingen dieses Ansinnens, gesegnet durch die Gabe von Wein/Milch/Opferbrot
esto fito volens propitius (für eine männliche Gottheit)
esto fito volens propitia (für eine weibliche Gottheit)
Sei wohlwollend und gut gewogen
mihi domo familiae.
Mir, meinem Haus und meiner Familie.
Die eigentliche Bitte, in der Statue Einzug zu halten, kann mit einer Formulierung wie der folgenden vorgetragen werden. An die Stelle des Striches kommt der Name der Gottheit, die man invozieren möchte. Hierbei ist, wenn man es auf Latein durchführt, unbedingt darauf zu achten, daß der Name im Vocativ verwendet werden muß, um grammatikalisch korrekt zu sein (sprich, aus „Lenus Mars“ wird „Lene Mars“ etc.).
Dieser Satz wird in einer monotonen, erhobenen Stimme vorgetragen.
O, tu, ______________, te precor veneror quaeso, ut in hanc statuam, inque hanc effigiem tuam immoveas, utique corpus sacrum hanc ad te venerandum et precandum habeas, utique domum sempiternam praesentiae tuae sacrae hanc facias.
Oh, Du __________________, ich frage Dich, ich bitte Dich, ich ersuche Dich, daß Du in diese Statue einziehst, dieses Symbol Deiner selbst. Nimm es an als geheiligten Körper für Verehrung und Anbetung, mache es für immer zu Deinem Zuhause für Deine geheiligte Präsenz.
Im Anschluß erfolgt das Anbieten des Weihrauchs.
Cuius rei ergo, macte ture obmovendo
Zum Wohle und Gelingen dieses Ansinnens, gesegnet durch die Gabe von Räucherwerk
esto fito volens propitius (für eine männliche Gottheit)
esto fito volens propitia (für eine weibliche Gottheit)
Sei wohlwollend und gut gewogen
mihi domo familiae.
Mir, meinem Haus und meiner Familie.
Auspizien
Im Anschluß an dieses Ritual werden Auspizien durchgeführt, um in Erfahrung zu bringen, ob die Gottheit einverstanden war und die Statue als Verkörperung akzeptiert hat. Unser Artikel zur praktischen Durchführung der Auspizien im privaten Cultus beschreibt, wie diese durchgeführt werden und was als positives Zeichen zu werten ist.
Hat man das Ritual in einem geschlossenen Zimmer durchgeführt, kann man nur „ex diris“-Zeichen deuten, da es keine Vögel oder Wetterbeobachtungen oder andere Naturzeichen gibt. Das bedeutet, daß alles als Zeichen gilt, was während der Wartezeit eintrift – Geräusche, optische Erscheinungen, Feuerflackern, plötzliche Bewegung im Raum – nahezu alles, was man bemerkt.
Hierbei gilt: alles, was sich links von einem ereignet, gilt als Zustimmung. Also, was man links von sich bemerkt, sei es ein Geräusch, eine Stimme, eine Bewegung, etwas, das man sieht, bedeutet die Zustimmung der Gottheit und daß die Statue nun bereit und geweiht ist. Alles, was man rechts von sich bemerkt, gilt als Zeichen der Ablehnung. In diesem Fall muß das Ritual so oft wiederholt werden, bis es erfolgreich ist. Hierbei kann man es sofort wiederholen oder an einem anderen Tag. Es gibt keine Grenze, wie oft es wiederholt werden kann.

Zu besonderen Anlässen und Feiertagen (wie den Saturnalien oder besonderen Festen für die jeweilige Gottheit) werden Lararium und Götterfiguren nach römischem Brauch geschmückt
Wenn man sich unsicher ist, ob etwas von links oder rechts kam, gilt es nicht als Zeichen. In dem Fall muß man weiter warten, bis sich etwas Eindeutigeres ereignet.
In einem Fall, als ich eine Statue in einem geschlossenen Zimmer weihte, war der erste Versuch erfolglos. Ein zweiter Versuch am gleichen Tag gelang, bestätigt durch ein sehr auffälliges Zeichen: zu meiner Linken befand sich die geschlossene Zimmertür. Während ich auf das Zeichen wartete, hörte ich am unteren Teil der Tür ein lautes Schaben oder Kratzen, wie von einer Katze, die herein wollte. Nur, daß sich zu dem Zeitpunkt keine Katze und auch kein anderes Tier im Haus befand. Es war so laut und eindeutig, daß ich es als Zeichen nicht ignorieren konnte.
Ein anderes Beispiel für ein Zeichen sind zum Beispiel Rauchschwaden, die sich wie von einem unsichtbaren Luftzug nach links bewegen, ohne daß ein Luftzug herrscht, während sie während des ganzen Rituals senkrecht und kerzengerade in die Höhe gestiegen sind. Auch stark flackernde Öllampen oder Kerzen, bei denen die Flamme plötzlich in eine bestimmte Richtung zeigt, sind typische Zeichen, die wir aus Erfahrung kennen.
Natürlich hat der praktisch veranlagte Römer Mittel, eine Antwort der Götter zu beschleunigen oder überhaupt herbeizuführen, wenn sich innerhalb der vereinbarten Zeitspanne (idealerweise 15 Minuten) nichts ereignet. Eine beliebte Praxis war es, die Götter zu einer Antwort zu „zwingen“, indem man sein Haustier zur Hilfe nahm – idealerweise einen Vogel (aber jedes andere Tier ist auch möglich). Dem Tier wird vor der Statue etwas zu Essen gereicht. Ißt das Tier schnell und mit großem Appetit, gilt das als zustimmendes Zeichen. Wenn das Tier nicht ißt oder nur einen Teil davon (innerhalb von 5 Minuten), lehnt der Gott es ab, in die Statue einzuziehen und das Ritual muß wiederholt werden.
Hat man kein Haustier, kann man weiter auf ein Zeichen warten (aber nicht länger als 1 Stunde). Hat man nach einer Stunde immer noch keine Antwort, gilt das Schweigen als ein Zeichen für den Frieden mit den Göttern, dem Pax Deorum, und daß sie keine Einsprüche gegen das Ansinnen haben. Schweigen signalisiert, daß die Gottheit in die Statue eingezogen ist und darin „schläft“.
Willkommensritual
Nachdem die Gottheit in die Statue eingezogen ist, kann man sein erstes Opfer für ihn oder sie durchführen und sich mit einem Anliegen an diese Gottheit wenden.
Hierfür wird eines der gängigen Rituale aus dem Cultus verwendet, die man für den regelmäßigen Kontakt mit einer Gottheit nutzt. Sie sind, wie das Ritual zuvor, aus den üblichen Teilen Anrufung, Libation, Räuchern, Opfergabe und Vortragen des Anliegens aufgebaut und richten sich in Struktur, Opfergaben und Durchführung nach den jeweiligen spezifischen Anforderungen für die Gottheit.