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Der Gallo-Römische Cultus – die Religion im „Römischen Germanien“

Heute möchten wir mit einem weitverbreiteten Mißverständnis aufräumen, das sich im Zuge der – vor allem im neuheidnischen Spektrum angesiedelten – Vorstellungen der „Religion unserer Ahnen“ oder der „ursprünglichen, vorchristlichen Religion in Deutschland“ verbreitet und Verwirrung stiftet.

Der gallische Gott Intarabus, gleichgesetzt mit Mars (bzw. dessen Erscheinungsform als Mars-Silvanus)

Der gallische Gott Intarabus, gleichgesetzt mit Mars (bzw. dessen Erscheinungsform als Mars-Silvanus)

Den Folgen dieser Verwirrung begegnen wir gerade bei „Neueinsteigern“, die sich für den heidnischen römischen Rekonstruktionismus interessieren, leider immer wieder. Die allgemeinen Vorstellungen über vorchristliche Religion in Deutschland sind heutzutage so sehr durchsetzt von einem neuheidnischen Konglomerat aus „ur-germanischer“ Religion, Wikingerkulten aus Skandinavien, sowie modernen nicht-rekonstruktionistischen Strömungen, daß Ratsuchende, die sich speziell für die polytheistische Religion in „Roman Germany“ interessieren, mit einer ganzen Batterie aus ahistorischen und aus allen Richtungen zusammengeklaubten Vorstellungen bombardiert werden, deren Sinn und Authentizität, oder Mangel daran, sie noch nicht beurteilen können.

So braut man sich daraus oft eine eigene Mischung zusammen, die zwar eine persönlich befriedigende Religion darstellen mag (auf Neudeutsch nennt man diese Selfmade-Religionen heutzutage euphemistisch UPG  -„Unverified Personal Gnosis“), vom Römischen Rekonstruktionismus ist man damit jedoch abgekommen, noch bevor man die ersten Schritte auf diesem Weg gemacht hat. Wenn man sich dann allerdings dem intensiven Quellenstudium widmet und sich intensiv mit Geschichte und Archäologie auseinandersetzt, fällt schnell auf, daß romantische Vorstellungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert wenig mit der religiösen Wirklichkeit im romanisierten Teil Germaniens zu tun haben.

Epona, ursprünglich eine keltische Göttin, war sehr beliebt als Schutzgöttin der Pferde, Reiter, Reisenden und Fuhrleute

Epona, ursprünglich eine keltische Göttin, war im ganzen Reich sehr beliebt als Schutzgöttin der Pferde, Reiter, Reisenden und Fuhrleute

Nachdem wir kürzlich an einer ausgiebigen Diskussion teilnahmen, in der all diese Mißverständnisse wieder zutage traten, fanden wir es an der Zeit, einen Artikel zu dem Thema zu schreiben – der Informationsbedarf ist ganz offensichtlich da. Denn wenn sich diese Diskussionen immer nur im nicht-öffentlichen Rahmen abspielen, in persönlichen Unterhaltungen, per Email-Austausch oder geschlossenen Mailinglisten, dann führt das nur dazu, daß man die gleichen Diskussionen gebetsmühlenhaft wiederholen muß.

Dieser Artikel soll deshalb die immer wieder an uns herangetragenen Fragen und in epischer Länge von uns verfassten Antworten nun an einer zentralen Stelle zusammenfassen. Wir hoffen, dass dies sowohl ratsuchenden Neueinsteigern als auch generell interessierten Lesern (Heiden wie Nichtheiden) hilft, geschichtliche Entwicklungen und religiöse Vorstellungen im korrekten historischen Kontext zu verstehen.

Eine Frage – und viele verworrene Antworten

Kürzlich führten wir eine Diskussion mit einem Amerikaner, der sich für die heidnische Römische Religion – den Cultus Deorum Romanorum oder Religio Romana – interessierte. Da er sich einerseits stark für das Antike Rom und die damit verbundene Geschichte, Kultur und Religion begeistert, daneben aber deutsche Vorfahren hat, suchte er nach Informationen über und Rat oder Erfahrungen bezüglich der „synkretistischen Religion des Römischen Germaniens„, wie er das nannte. Sich mit dieser speziellen, lokalen Form der Religio Romana zu beschäftigen, sah er als idealen Weg an, sowohl das antike Rom, als auch seine Wurzeln zu ehren und beides auf harmonische Weise miteinander zu verbinden.

Der Celius-Stein ist der einzige archäologische Hinweis auf die Varusschlacht. Mit dieser Niederlage endete die römische Präsenz in Germanien (Bonn, 2014)

Der Celius-Stein ist der einzige (!) archäologische Hinweis auf die Varusschlacht. Mit dieser Niederlage endete die römische Präsenz in Germanien (Bonn, 2014)

Seine Frage bezog sich deshalb ausdrücklich auf das „Römische Germanien“, das heißt, auf die Provinzen des Römischen Reichs, die westlich des Limes und vor allem westlich des Rheins lagen und auf deren romanisierte Einwohner.

Was daraufhin geschah, war typisch. Er erhielt Antworten, die vollkommen an seiner Frage vorbeigingen, irrige Vorstellungen über den Begriff „Germanien“ demonstrierten und die üblichen geografischen, politischen und religiösen Mißverständnisse wiederholten, auf die wir immer wieder stoßen – übrigens nicht nur bei Amerikanern oder Bewohnern anderer Länder, die nicht auf dem Gebiet des ehemaligen römischen Reichs liegen (wie Lateinamerika, Asien oder dem Pazifikraum), sondern durchaus auch bei Europäern, insbesondere Deutschen, von denen man erwarten würde, daß sie sich besser mit der Geschichte ihres Landes auskennen sollten, zumindest, wenn sie sich gehalten fühlen, ihre Vorstellungen über „Germanien“ und „Germanische Religion“ in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

Unqualifizierte Diskussionsbeiträge bezüglich der Römer, die (wie die Christen angeblich auch) die ursprüngliche germanische Religion mit Gewalt und Schwert „ausgerottet“ haben, kamen dabei wie selbstverständlich auch. Dieses Thema zu diskutieren, erfordert oft einen gewissen Langmut aufgrund der doch sehr verzerrten Sichtweise mancher Heiden, die mehr an emotional wirkenden Feindbildern interessiert sind, als an geschichtlichen Tatsachen, so daß ich das an dieser Stelle einmal höflich und dezent unter den Tisch fallen lassen möchte.

Eine der Antworten war zumindest „gut gemeint“. Sie stammte von einer jungen Frau aus Lateinamerika, die zugab, ebenfalls (wie der Fragesteller) neu im rekonstruktionistischen Cultus Deorum zu sein. Zwar bemüht sie sich redlich, den traditionellen römischen Riten und Praktiken zu folgen (wie Rituale am Lararium abzuhalten) und dabei auch die authentischen Quellen zu berücksichtigen und zu beachten. Daneben bezieht in ihre Sacra Privata, das heißt, in ihre persönliche religiöse Praxis, „germanische Götter“ ein und versucht, sie in ihre Kultpraxis zu integrieren, mixt dabei aufgrund ihrer eigenen, undifferenzierten Vorstellungen jedoch Elemente hinein, die aus rekonstruktionistischer Sicht nicht als authentisch betrachtet werden – etwas, auf das im Cultus Deorum jedoch Wert gelegt wird.

Apollo-Grannus, gallo-römischer Heil- und Quellgott. Darstellung mit Krug und Heilwasser (Bonn, Rheinisches Landesmuseum, 2014)

Apollo-Grannus, gallo-römischer Heil- und Quellgott. Darstellung mit Krug und Heilwasser (Bonn, Rheinisches Landesmuseum, 2014)

Die Integration fremder Götter ist aus Sicht der Religio Romana erst einmal überhaupt nicht verwerflich, sondern vollkommen in Ordnung. Die heidnische römische Religion zeichnete sich durch große Flexibilität und Aufnahmefähigkeit aus, was ein Grund für ihren Erfolg im gesamten Reich war – von Afrika bis Kleinasien, von Britannien bis Spanien. Römer leugneten niemals die Existenz anderer Götter, – ganz im Gegenteil – sie gingen davon aus, daß diese in ihren angestammten Siedlungsgebieten mächtig waren und Einfluß hatten. Diese einheimischen Göttern zu missachten, war nicht im Interesse Roms, weswegen man immer bestrebt war, diese Götter zu besänftigen, oder sogar auf die Seite Roms zu ziehen. Ihnen wurden Tempel errichtet und viele, ursprünglich lokale Gottheiten wie die ägyptische Isis, kleinasiatische Gottheiten wie Mithras und Kybele oder die gallische Epona gelangten im ganzen Reich zu großer Popularität und erhielten sogar Tempel in Rom selbst.

Jeder Einwohner des römischen Reichs war frei in seiner Religionsausübung und konnte privat im heimischen Kult verehren, wen auch immer er wollte, natürlich auch seine eigenen, lokalen Götter – wenn er sich an die gesetzlichen Grundregeln hielt, das hieß, keine Menschenopfer durchführte, die öffentliche Ordnung nicht gefährdete und die römische Staatsreligion respektierte. Viele lokale Gottheiten wurden mit römischen Gottheiten gleichgesetzt, wie der keltische Grannus, der zu Apollo-Grannus wurde, oder der germanische Magusanus, der als Hercules-Magusanus vor allem in Niedergermanien entlang des Rheins verehrt wurde. Details zur Integration „fremder“ Götter in die römische Religion finden sich in unserem ausführlichen Artikel zur „Interpretatio Romana.

Am Limes fand Handel und

Am Limes fand Handel und „kleiner“ Grenzverkehr zwischen dem freien Germanien und dem Römischen Reich statt (Limeskastell Pohl, 2014)

Germanen, die als Zivilisten im römischen Reich lebten, oder in der Armee als Auxiliarkräfte dienten, brachten ganz selbstverständlich ihre eigenen Gottheiten mit und trugen sie in die entlegensten Winkel des Reichs. Kleine Altäre und Votivgaben für germanische Gottheiten wurden sogar in Legionskastellen in Nordbritannien gefunden, wo Germanen als militärische Hilfskräfte stationiert waren. Insofern steht es außer Frage, daß romanisierte Germanen, die im Römischen Reich lebten, ganz selbstverständlich auch ihre eigenen, lokalen Götter in ihre religiöse Praxis einbezogen. Deshalb ist es auch heute im rekonstruktionistischen Cultus Deorum Romanorum vollkommen normal, daß Cultores nicht nur „die großen 12“ verehren, sondern durchaus auch jene Götter einbeziehen, die zu römischer Zeit in ihrer Gegend und Kultur eine wichtige Rolle spielten.

Neben den später im ganzen Reich beliebten, ehemals einheimischen Provinzgöttern, sind uns (vor allem durch Weiheinschriften und Votivsteine) zahlreiche lokale Gottheiten überliefert, die ausschließlich regional von Römern wie Einheimischen verehrt wurden und die es niemals bis nach Rom schafften. Beispiele sind Arecurius, der in Britannien am Hadrianswall verehrt wurde, der gallische Mercurius-Gebrinius, der bisher ausschließlich aus Bonn bekannt ist, die Göttin Caiva aus dem Raum Gerolstein, die Matronae aus der Eifel, die bei Galliern, Germanen und Römern gleichermaßen beliebt waren, Mars-Intarabus aus dem heutigen deutsch-luxemburgischen Grenzgebiet, oder Cerunincus, der in einem Waldtempel im Alzettetal verehrt wurde. Das alles zeigt, daß in der römischen Religion eine bunte Vielfalt an Göttern vertreten war und daß diese Vermischung aus zentralen, überregional bedeutsamen Gottheiten und lokalen Göttern die Norm war.

Aber zurück zum Thema!

Der Matronentempel bei Nettersheim zieht auch allerlei Neuheiden und andere Gruppierungen an

Der Matronentempel bei Nettersheim zieht Neuheiden aus allen möglichen Traditionen an

Die besagte, gut meinende Diskussionsteilnehmerin aus Lateinamerika, war ebenfalls sehr an „Germanien“ interessiert. Ihre Informationen stützten sich, was ebenfalls erst einmal kein schlechter Ansatz für einen angehenden römischen Rekonstruktionisten ist, auf einen Klassiker: die „Germania“ des römischen Historikers Publius Cornelius Tacitus. Quellenstudium ist auf jeden Fall nie verkehrt, von Caesars „Gallischer Krieg“ bis zu Catos „Über die Landwirtschaft„, in der viel über den privaten Kultus der Landbevölkerung geschrieben wird, gibt es viele Werke aus der Zeit, die uns interessiert, die ein genuin römisches Verständnis der Dinge vermitteln.

Ob Tacitus nun als verlässliche Quelle über Brauch, Religion, Leben und Kultur der freien Germanen betrachtet werden sollte, ist hingegen eine andere Diskussion und würde an dieser Stelle zu weit führen. Schließlich ist nicht einmal gesichert, ob Tacitus überhaupt jemals in Germanien war; in der heutigen Forschung unstrittig ist, daß er sich beim Verfassen seines Werks zum großen Teil auf literarische Vorgängerquellen stützte, wie die Werke über Germanien von Titus Livius und Plinius dem Älteren.

Problematisch war nun aber vor allem, daß die junge Diskussionsteilnehmerin dem Fragesteller (der, wie wir uns erinnern, nach der „typischen synkretistischen Religion des Römischen Germaniens“ fragte), die Lektüre von Tacitus empfahl, um einen Eindruck der Religion in Germanien zu erhalten.

Die Römerwarte auf dem Kastellberg bei Mayen diente dem Schutz der einheimischen Bevölkerung vor marodierenden Germanen, die zwecks Überfällen über den Rhein kamen

Die Römerwarte auf dem Kastellberg bei Mayen diente dem Schutz der einheimischen Bevölkerung vor marodierenden Germanen, die zwecks Überfällen über den Rhein kamen

Dann faßte sie die wichtigsten Glaubenspraktiken der Germanen für den Fragesteller folgendermaßen auf der Grundlage ihrer eigenen Überlegungen zusammen: Germanen machten (wie auch die Römer) Tieropfer und sie deuteten Zeichen, indem sie Stäbchen zogen (was sie mit den römischen Auspizien verglich). Außerdem gab es bei ihnen den Kult einer „jungfräulichen Prophetin“ und „möglicherweise“ auch mit der Natur verbundene Kulthandlungen. Ihre zentrale Hauptgöttin sei Nerthus gewesen, die ihren eigenen heiligen Hain hatte.

Sie empfahl dem Fragesteller deshalb als Fazit als „spirituelle Praktik“, wenn er – wie die germanischen Stämme – besonders nah an der Natur sein wollte, seine Rituale und Libationen draußen in freier Natur durchzuführen.

Diese Empfehlung löste nicht nur beim Fragesteller Irritation aus. Denn erst einmal enthielt ihre Antwort gar nichts, was seine Suche nach der römischen Komponente der Religion beantwortete. Schließlich hatte er nicht nach germanischen Praktiken in den Weiten der Wälder des freien Germaniens gefragt. Vielmehr hatte seine Frage ja römischer Kultur und der klassischen synkretistischen Vermischung römischer und einheimischer Religionen im Land seiner „German Ancestors“ nach der Interpretatio Romana gegolten.

Ich wies die Diskussionsteilnehmer daraufhin auf einen kleinen, aber feinen Unterschied hin: „Germany ist nicht gleich Germanien“ – eine Tatsache, die offenkundig nicht allgemein bekannt ist.

Der Matronentempel bei Nöthen-Pesch in der Eifel

Der Matronentempel bei Nöthen-Pesch in der Eifel, heute noch von einer starken Präsenz erfüllt…

Im Gegensatz zum amerikanischen Fragesteller und der lateinamerikanischen Antworterin, haben wir natürlich den unschlagbaren Vorteil, direkt im „Römischen Germanien“ zu wohnen, in der Eifel, im Grenzland zwischen den Stammesgebieten der Treverer und der Eburonen, in einer Gegend, die geradezu übersät ist von antiken römischen Stätten, Tempeln (zum Teil rekonstruiert!), Industrieanlagen, Landgütern, Thermen, Gehöften, römischen Schnellstraßen, Kastellen, Zivileinrichtungen, bis hin zur alten Kaiserstadt „Roma Secunda“, Augusta Treverorum, besser bekannt als Trier, einst die zweitgrößte Stadt des Römischen Reichs.

Die „synkretistische römische Religion in Germanien“ ist uns allein deswegen nah, da wir zahlreiche ihrer Tempel quasi direkt vor unserer Haustür haben und die Museen in Bonn, Köln und Trier zahllose lokale Weihesteine und Altäre zeigen, auf denen die hier bedeutsamen Gottheiten durch Inschriften, Statuen und Reliefs belegt sind.

Aufgrund der Nähe zu den vielen Tempeln, durch die romanisierten Treverer, die früher in unserer Gegend lebten und die viele Spuren hinterlassen haben, wegen der Informationen, die uns durch die archäologisch erschlossenen Stätten bekannt sind, aber auch durch Schriften, wissenschaftliche Arbeiten und andere Quellen zur Verfügung stehen, ist es für uns selbstverständlich, daß wir den römischen Kult so praktizieren, wie er für unsere Region typisch war – und nicht, wie man ihn auf dem Lande in Süditalien, in Rom selbst, im fernen Thrakien oder in Kleinasien praktizierte.

Gallo-Römischer Tempelkomplex auf dem Martberg an der Mosel

Gallo-Römischer Tempelkomplex auf dem Martberg an der Mosel

Ebenso selbstverständlich wie die Römer einst, beziehen wir die lokalen Gottheiten ein, die für die Einwohner unserer Region wichtiger waren als die hohen Götter im fernen Rom. Wer hier lebte, sei es als römischer Soldat oder Verwalter, als einheimischer Pferdezüchter, Landgutbesitzer oder Weinbauer, pilgerte zum Beispiel im Krankheitsfall zum gewaltigen Lenus-Mars-Tempelkomplex auf dem Martberg an der Mosel (er ist heute übrigens wieder aufgebaut und in einen kleinen archäologischen Park eingebettet!). Der Tempel steht auf einem ehemaligen keltischen Oppidum und war schon in vorrömischer Zeit ein Zentralheiligtum der Treverer. Bewohner der römischen Eifel- und Moselregion wandten sich im Krankheitsfall an Lenus-Mars und baten in seinem Tempel um Heilung, denn er war ihnen näher als etwa Aesculapius, an den man sich mit dem gleichen Anliegen wandte, wenn man in Rom lebte.

Auch andere lokale Gottheiten wurden den Göttern im fernen Rom vorgezogen, fanden aber schließlich ihren Weg dorthin – wie Apollo-Grannus (nach dem die Stadt Aachen benannt ist, Aquae Granni) und seine gallische Gefährtin Sirona, oder Rosmerta, die zur Gefährtin des Mercurius wurde – und natürlich eine der beliebtesten Gottheiten aus unserer Region: die Göttin Epona, Schutzgöttin der Pferde und Maultiere, Reiter und Fuhrleute, später zur universellen Schutzgöttin auf Reisen avanciert.

„Roman Germany“

Im Mayener Grubenfeld wird seit 7000 Jahren Basalt abgebaut - schon die Kelten bauten hier im industriellen Stil Mühlsteinlava ab, bevor die Römer daraus endgültig einen Exportschlager machten

Im Mayener Grubenfeld wird seit 7000 Jahren Basalt abgebaut – schon die Kelten bauten hier im industriellen Stil Mühlsteinlava ab, bevor die Römer daraus endgültig einen Exportschlager machten

Ich erläuterte den Diskussionsteilnehmern, daß das heutige Deutschland („Germany“) nicht mit dem verwechselt werden darf, was die Römer „Germania“ nannten. Denn dies stimmt weder geografisch, noch ethnografisch mit „Germany“ überein und war weder einheitlich von „Germans“ besiedelt, noch überhaupt durchgehend römisch geprägt.

Relativ schnell kristallisierte sich heraus, daß die Diskussionsteilnehmer ihre Informationen aus gängigen neuheidnischen Quellen hatten, die häufig verbreiten, daß das vor-christliche „Germany“ von einer polytheistischen, ur-germanischen Religion dominiert war.

Das mag insofern richtig sein, wenn es sich auf die Gebiete östlich des Limes, auf die Weiten des Elbraums, die Ostseeküste, die Gebiete nördlich der Donau bis in die Regionen Ostdeutschlands bezieht. Dort wurden natürlich originär germanische Religionen praktiziert (wobei wiederum die Frage im Hintergrund steht, inwieweit nicht hier auch nach Stämmen und sehr lokalen Kulten unterschieden werden muß, und ob nordgermanische Wikingerkulte, die die germanische Szene heute dominieren, überhaupt mit den Religionen der ersten vier Jahrhunderte im kontinentalgermanischem Raum verglichen werden können, aber auch das ist nicht unser Thema an dieser Stelle).

Kein Ritual für Merkur-Loki! (Haltern, 2014)

Kein Ritual für Merkur-Loki! (Haltern, 2014)

Oft ist zwar bekannt, daß im römischen Germanien, wie überall im Reich, einheimische Götter in die römische Religion integriert worden waren, aber die seltsame Vorstellung, daß es sich dabei um „dieklassischen Götter des Germanentums handelte, schwingt darin immer mit. Wobei viele Menschen, allein aufgrund der germanischen Informationsoffensive im Internet (und dank Marvel ;)), Götter wie Odin, Thor, Loki, Freyr, Heimdall oder Balder für die Gottheiten halten, die auch in den ersten Jahrhunderten n. Chr. in den Wäldern und Hügeln des Freien GermaniensGermania Magna – verehrt wurden. Hier einiges klarzustellen, sollte ein Anliegen germanischer Heiden sein, die sich um Authentizität und historische Korrektheit in der Darstellung bemühen.

Die Einsicht, daß es zu römischer Zeit mehr als ein „Germanien“ gab, führt in Unterhaltungen oft zu Überraschung. Tatsächlich ist es so, daß die Begriffe „Germanien“ – „Germania“ – „Germany“ oft erschreckend undifferenziert, ja synonym, verwendet werden.

Dabei unterschieden die Römer allein schon verwaltungstechnisch zwischen den Provinzen Germania superior (Obergermanien), Germania inferior (Niedergermanien) und sie bezeichneten die Gegenden außerhalb des Römischen Reichs, die sie nicht erobern konnten, als Germania Magna oder Germania Liberata (Großes Germanien oder Freies Germanien).

Verteilung der Provinzen des Römischen Reichs

Verteilung der Provinzen des Römischen Reichs

Die römischen Provinzen Germania superior und Germania inferior zogen sich entlang des Rheins und lagen auf dem linksrheinischen, d.h. westlichen Gebiet. Die Grenze zwischen diesen beiden römischen Provinzen bildete das Vinxtbachtal in der Osteifel. Der Name „Vinxt“ leitet sich denn auch vom lateinischen Wort für „Grenze“, Finis, her.

Diese beiden „Germania“-Provinzen erstreckten sich aber keineswegs über das gesamte Landesgebiet West- und Südwestdeutschlands westlich des Rheins. Tatsächlich war gerade Germania inferior eine relativ kleine Provinz, die vor allem den Niederrhein und die angrenzenden Gebiete bis in die Niederlande umfasste. Ihre Hauptstadt war Colonia Claudia Ara Agrippinensium, das heutige Köln. Die Provinz Germania Superior verlief in südlicher Richtung entlang des Rheins, bis sie auf die Provinz Raetien südlich der Donau stieß. Die Hauptstadt von Germania Superior war Mogontiacum, das heutige Mainz.

Die gesamten Gebiete des heutigen Deutschlands, die weiter westlich des Rheins liegen, also die ganze Region der Eifel bis zu den Ardennen und ins Hohe Venn, das Moseltal, der Hunsrück und das Saarland, gehörten zur römischen Provinz Gallia Belgica, das zu Gallien gezählt wurde.

Der Vinxtbach bildete die Grenze zwischen Niedergermanien und Obergermanien

Der Vinxtbach bildete die Grenze zwischen den römischen Provinzen Niedergermanien und Obergermanien

Wenn sich also jemand für die „typische römische Religion“ interessiert, die im „römischen Teil Deutschlands“ praktiziert wurde, sind Gebiete östlich des Rheins per se schon einmal außen vor, da sie nie romanisiert wurden. Zwar stießen römische Legionen bis zur Elbe vor, erobert wurden die Gebiete jenseits des Limes jedoch niemals. Mit der Niederlage in der Varusschlacht wurden die Gebiete rechts des Rheins aufgegeben und die großen Legionslager, wie man sie zum Beispiel aus Haltern und Bergkamen kennt, verlassen. Spätere Expeditionen dienten der Erkundung, Bestrafung oder der Schließung von Bündnissen, aber niemals wurde Germania Magna zu einer römischen Provinz.

Spuren römischer Religion finden sich natürlich überall entlang und jenseits der Grenze, an der Lippe ebenso wie im Taunus, denn sie wurde von römischen Legionären dorthin mitgenommen und dort praktiziert. Sie vermischte sich dort aber nicht mit den einheimischen Kulten oder bildete gar eine eigenständige synkretistische „römisch-germanische“ Religion – daran hatte keine Seite ein Interesse. Einen Kulturaustausch gab es kaum, von kleinem Grenzverkehr und Handel einmal abgesehen, und rechtsrheinisch gab es auch keine großen Städte, die als Kulturzentren dienten und eine Romanisierung begünstigten, wie es am linksrheinischen Ufer in Nijmegen, Neuss, Köln, Bonn, Koblenz oder Mainz der Fall war, die allesamt wichtige Zentren bildeten und durch ihre zivilisatorischen, modernen Errungenschaften wie fließende Wasserversorgung und Steingebäude auch für Einheimische attraktiv waren, die den „Roman Way of Life“ erstrebenswert fanden und ihm nacheiferten.

Gallier in Germanien?

Faktencheck Nummer 1: Die römischen Gebiete Deutschlands lagen also westlich des Rheins.

Faktencheck Nummer 2: Ein Großteil West- und Südwestdeutschlands gehörte nicht zu „Germanien“, sondern zu Gallien.

Die drei Matronae wurden besonders in der Eifel verehrt, von hier sind zahlreiche Weihesteine überliefert

Die drei Matronae wurden besonders in der Eifel verehrt, von hier sind zahlreiche Weihesteine überliefert

Tatsächlich bildeten Gallier, das heißt keltische Volksstämme, die Mehrheit der Bevölkerung in den Gebieten westlich des Rheins. Natürlich gab es auch in Germania superior, Germania inferior und Gallia Belgica germanische Stämme, wie die am Niederrhein lebenden Bataver, die durch ihren Aufstand im Jahr 69 n. Chr. zu Berühmtheit gelangten. Sie hatten sich einst von den im Osten lebenden Chatten abgespaltet und den Rhein überquert, um sich in der römischen Provinz Belgica niederzulassen. Nach der Niederschlagung des Aufstandes erfolgte eine relativ zügige Romanisierung.

Ein weiterer germanischer Volksstamm, der vor allem auf der Höhe von Köln und Bonn lebte, waren die Ubier. Auch sie entstammten dem östlichen Ufer des Rheins, hatten sich in Konflikten aber als loyal zu Rom erwiesen und waren dadurch gezwungen, ihr Stammesgebiet zu verlassen, da die anderen germanischen Stämme ihnen diese Romtreue übelnahmen und sie öfters überfielen. Nach der Zerschlagung des (keltischen) Stammes der Eburonen durch Julius Caesar hatte dieser den Ubiern das nun verlassene Land der Eburonen zur Besiedlung angeboten, da er einen Rom-loyalen Stamm in dieser unruhigen Gegend bevorzugte, bevor einheimische gallische Stämme sich des leeren Landes bemächtigten. Die Ubier waren schnell romanisiert und brachten ihre lokalen Kultvorstellungen und Götter in die Religion ein, die für das gallische Deutschland typisch war. Ein Beispiel ist der Matronenkult, der eine einzigartige Mischform aus gallischen, ubischen und römischen Elementen bildet und von allen Volksgruppen gleichermaßen praktiziert wurde.

Merkur-Rosmerta-Tempel am Rande des Hunsrück

Merkur-Rosmerta-Tempel am Rande des Hunsrück

Faktencheck Nummer 3: Die weitaus überwiegende Mehrheit der Einheimischen westlich des Rheins entstammten also keltischen Volksstämmen. Einer der größten und mächtigsten gallischen Stämme, der die ganze Eifel, sowie den Moselraum bis hinunter in den Hunsrück und das Saarland, bis  nach Luxemburg und Frankreich dominierte, waren die Treverer. Die Kaiserstadt Trier, Augusta Treverorum, war nach ihnen benannt und ihre Kultur, Religion und archäologischen Hinterlassenschaften dominieren Südwestdeutschland. Nach dem Fall Galliens arrangierten sich die Treverer schnell mit den Römern und gelangten zu Wohlstand und Einfluss, zum Beispiel durch Landwirtschaft und vor allem Pferdezucht, für die die Gallier berühmt waren. Viele der größten Landgüter (villae rusticae) in der Eifel waren nicht im Besitz zugereister Römer aus Italia, sondern gehörten mächtigen und reichen Großgrundbesitzern keltischer Herkunft, die sich ganz dem römischen Lebensstil verschrieben hatten und bald „römischer als die Römer“ waren.

Dennoch gab man die Eigenheiten der eigenen gallischen Kultur nicht auf und so bildete sich im Laufe des 1. Jahrhunderts bis etwa zum Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. eine ganz eigene Kultur heraus, deren Spuren noch heute überall in Südwestdeutschland und darüber hinaus zu finden sind: Die Gallo-Römische Kultur.

Hier ist insbesondere die gallo-römische Religion zu nennen, die eine ganz eigene, spezifische lokale Ausprägung der Religio Romana darstellt. Sie wurde nicht nur von romanisierten Kelten praktiziert, sondern war in der gesamten Bevölkerung der Region verbreitet, sowohl in der Germania inferior, Germania superior, als auch in den gallischen Gebieten. Römer, wie Soldaten, Verwaltungsbeamte, zugezogene Händler, Handwerker oder Kaufleute, praktizierten den gallo-römischen Kultus ebenso wie die hier ansässigen gallischen Stämme, oder auch die hier lebenden romanisierten Germanen. So entstand im Laufe der Zeit eine einzigartige synkretistische Mischform innerhalb der römischen Religion, die in der Tat als „die“ typische vor-christliche Religion im Römischen Deutschland bezeichnet werden kann.

Kernelemente der Gallo-Römischen Religion

Die Gallo-Römische Religion zeichnet sich dabei aus durch die Übernahme keltischer Elemente und Gottheiten, die sich mit typisch römischen religiösen Aspekten vermischten.

Merkur und seine gallische Gefährtin Rosmerta (gefunden in Eisenberg, Pfalz)

Merkur und seine gallische Gefährtin Rosmerta (gefunden in Eisenberg, Pfalz)

Der grösste Teil der Gottheiten, die im im gallo-römischen Kultus verehrt werden, besteht aus gallischen (i.e. keltischen) und römischen Göttern. Einige dieser keltischen Götter blieben eigenständig und wurden in ihrer lokalen Form in den römischen Pantheon aufgenommen, wie Rosmerta, Caiva, Arduinna, Sirona oder Epona. Andere Gottheiten aus diesem Kulturkreis wurden mit römischen Göttern identifiziert, man erkannte sie also in der jeweils anderen kulturellen Manifestation wieder und diese Götter fanden dadurch ebenfalls Einzug in den römischen Kultus, wie es etwa der Fall war bei Lenus-Mars oder Mercurius-Cissonius. Die gallische Kultur prägte und formte dabei  das Kultgeschehen, die Götterwelt und religiösen Bräuche und brachte so eine einzigartige Mischform hervor, wie sie in einer solch durchgehenden Verbreitung quer durch alle Bevölkerungsgruppen und sozialen Schichten und mit ihrer universellen Popularität in einem solchen Ausmaß aus keiner anderen Region im römischen Reich bekannt ist.

Übrigens fanden auch einige germanische Gottheiten Einzug in den gallo-römischen Pantheon, jedoch handelt es sich dabei niemals um die „großen“ germanischen Götter. Vielmehr zeichnet den gallo-römischen Kult aus, daß er vor allem lokale, räumlich sehr beschränkte Gottheiten adaptiert oder römischen Göttern zuordnet. Einige wenige davon gelangten im Laufe der Zeit, wie zuvor schon erwähnt, zwar zu überregionaler Bedeutung, die meisten Gottheiten blieben aber von ausgesprochen lokaler Bedeutung und Wichtigkeit. So gut wie keiner dieser germanischen Götter spielt im übrigen eine Rolle im heutigen germanischen Heidentum.

Weihestein für Hercules Saxanus (Römerbergwerk Meurin, Eifel)

Weihestein für Hercules Saxanus mit Herculeskeulenanhänger (Römerbergwerk Meurin, Eifel)

Beispiele sind die aus Neuss (Novaesium) bekannte Göttin Sunuxal oder andere lokale Gottheiten wie Requalivahanus oder Vihansa. Einer der beliebtesten Götter der in der römischen Provinz ansässigen Germanen war Hercules, der überall entlang des Rheins verehrt wurde. Ihn setzte man häufig mit verschiedenen germanischen Göttern gleich, so daß es zu den bekannten Formen Hercules Magusanus oder Hercules Saxanus kam. Weitere Beispiele für germanische Götter, die Teil des gallo-römischen Kultes wurden, sind Mercurius Channinus oder Mercurius Cimbrianus. Wenige dieser Gottheiten – wie die Matronae – gelangten zu größerer Bedeutung. Sie wurden gerne und bereitwillig auch von Kelten und Römern verehrt, bis sie in Form, Symbolik und Darstellungsweise nicht mehr eindeutig einem Kulturkreis zuzuordnen waren, sondern Elemente aller drei Kulturen organisch in sich vereinten. Einige der germanischen Götter sind hingegen kaum oder gar nicht von gallischen Göttern zu unterscheiden, so das bei einigen nicht klar ist, ob es sich bei ihnen um  germanische oder doch um keltische Götter handelt.

Aber – und das ist eine wichtige Erkenntnis, die hier noch einmal deutlich wiederholt werden soll – bei den germanischen Göttern, die Teil des gallo-römischen Kultes sind, handelt es sich immer (wie bei den Galliern auch) um Gottheiten mit lokaler Bedeutung, nicht um die „prominenten“ germanischen Götter, wie sie heute von germanischen Neuheiden (etwa Anhängern des Asatru) verehrt werden. Weihesteine für Mercurius-Loki oder Jupiter-Thor wird man im „Römischen Germanien“ vergeblich suchen. Germanen leisteten ihren kleinen, bescheidenen Beitrag zum gallo-römischen Kult, weil sie sich sowohl der keltischen, als auch der römischen Kultur angepasst hatten, und sie gingen ohne Drama zusammen mit ihren Nachbarn in dieser synkretistischen Religion auf, es war einfach die Religion des Landes, in dem alle diese Völker lebten.

Der gallo-römische Tempel auf dem Martberg befindet sich in einem Oppidum der Treverer

Der gallo-römische Tempel auf dem Martberg befindet sich in einem Oppidum der Treverer

Viele der zentralen Heiligtümer der Gallier aus vor-römischer Zeit (wie der Martberg an der Mosel, oder die Heilquellen im Hunsrück und in Aachen) wurden auch in römischer Zeit beibehalten und spielten weiter eine wichtige Rolle. Schon Gallier bauten, entgegen mancher romantischer Klischees, umzäunte Tempelkomplexe und verehrten wichtige Götter in eigens dafür errichteten Gebäuden, anstatt (wie oft unterstellt), als „Naturreligion“ in Wiese, Wald und Flur. Ihre Oppida, i.e. stadtähnliche Siedlungen, verfügten oft über eigene Tempelgebäude und so war der Übergang oder die Adaption des römischen Brauchs, den Göttern Tempel zu errichten, kein kultureller Schock, sondern geschah nahtlos im Sinne einer natürlichen kulturellen Entwicklung. Der steinerne Lenus-Mars-Tempel auf dem Martberg geht zum Beispiel direkt auf einen gallischen Vorgängertempel der Treverer zurück.

Auch die Vorstellung, daß die Stämme vor den Römern bei uns eine „Naturreligion“ praktiziert hätten, ist so nicht haltbar. Ganz im Gegenteil betrieben hier bereits die Kelten Bergbau und Metallverhüttung im großen Stil und stellenweise in geradezu industriellen Ausmaßen, was mit dem Anlegen ausgedehnter Steinbrüche, dem Errichten von Schmelzanlagen und Kohlemeilern und dem Abholzen von Wäldern zur Deckung des immensen Holzbedarfs einherging. Ihre Metalle und Produkte wurden bis in den Mittelmeerraum gehandelt und waren eines der wichtigsten Exportprodukte einer komplexen Wirtschaft, das auch ein Münzsystem kannte.

Typischer Gallo-Römischer Umgangstempel (Merkur-Tempel bei Tawern, 2014)

Typischer Gallo-Römischer Umgangstempel (Merkur-Tempel bei Tawern, 2014)

Die gallo-römischen Tempel, die überall in den Provinzen entstanden, waren hierbei auf eine besondere Weise gestaltet, die dem keltischen Kultempfinden Rechnung trug und die nur in den gallo-römischen Provinzen nördlich der Alpen zu finden ist. Es war keltischer Brauch, Tempel zu umschreiten, zu umrunden, so daß viele Tempel in der Römerzeit als „Umgangstempel“ errichtet wurden. Charakteristisch ist dabei eine zentrale Cella, in der sich das Gottesbild, die Statue oder das Relief befand und die von den Gläubigen selbst nicht betreten wurde. Um die Cella herum verlief ein überdachter Umgang, der oft wie ein Porticus gestaltet war, das heißt, er besaß ein säulengetragenes Vordach. So war es den Pilgern und Gläubigen nach wie vor möglich, auch im steinernen römischen Tempel das zentrale Heiligtum zu umschreiten, geschützt vor Regen und in gefälliger römischer Architektur, die bald den Modegeschmack der Provinz beherrschte.

Ebenfalls erhalten blieb der keltische Brauch des Münzwurfs, der vom Martberg und andern gallo-römischen Tempeln bekannt ist. Bei Galliern war es üblich, Münzen und Schmuck zu opfern, was auch nach der Romanisierung beibehalten wurde – jedoch nun ergänzt durch den römischen Brauch, Tongefäße zu zertrümmern oder kleine Tonfiguren zu opfern.

Draußen vor dem Tempel stand nach römischer Sitte der Altar, der von Gläubigen und bei Ritualen verwendet wurde.

Weihesteine und Votivgaben wurden gleichermaßen von Menschen römischer, germanischer oder gallischer Herkunft gestiftet. Aus ihren Inschriften, insbesondere den Namen (die oft romanisiert wurden), geht die Herkunft des Stifters hervor. Auch wurden römische Bestattungsbräuche übernommen, wie der Tumulus von Nickenich in der Eifel zeigt, der von einer wohlhabenden, romanisierten keltischen Familie errichtet wurde.

Gallier, Germanen, Germania und Gallia

Wie aber kommt es nun zu dieser Verwirrung bezüglich: „in Deutschland wohnten früher die Germanen„? Daß diese Verwirrung bei Menschen aus dem anglophonen Sprachraum existiert, ist durch die Tatsache zu erklären, daß Deutschland in ihrer Sprache noch immer „Germany“ heißt und die Bewohner des Landes „Germans“. Mit Galliern bringt man in Kontinentaleuropa traditionell nur Franzosen in Verbindung, aber bestimmt nicht die Eifelianer, Hunsrücker und Moselbewohner.

Über die romanisierten Kelten Contuinda, Tochter des Esucco und ihren Sohn Silvanus Ategnissa wissen wir viel dank ihres Grabsteins in Nickenich in der Eifel

Über die romanisierten Kelten Contuinda, Tochter des Esucco und ihren Sohn Silvanus Ategnissa wissen wir viel dank ihres Grabsteins in Nickenich in der Eifel

Aber auch in Deutschland wird oft undifferenziert von „unseren germanischen Vorfahren“ gesprochen, obwohl zumindest die Vorfahren der Menschen westlich des Rheins in der überwiegenden Mehrzahl Kelten waren.

An der Mosel, vor den Stadttoren Triers oder in der Westeifel an der Grenze zu Luxemburg den germanischen Hammer zu schwingen und dabei zu verkünden, daß es sich dabei um die angestammte Religion der hier einst ansässigen Vorfahren gehandelt hat, ist nicht sonderlich authentisch. Selbst wenn man in die vor-christliche und sogar vor-römische Zeit schaut (und damit die immer wieder kolportierte Mär ignoriert, die germanische Religion sei mit Gewalt ausgerottet worden, erst durch die Romanisierung, dann durch die Christianisierung), so schwang dort allenfalls der gallische Schmied den Hammer.

Ein Grund für die nicht gerade exakte Unterscheidung zwischen Germanen und Galliern liegt allerdings auch bei den Römern selbst. Denn sie waren im Sprachgebrauch bezüglich der „Germanii“ und Gallier sehr flexibel, da die Unterscheidung weder nach linguistischen noch ethnografischen, sondern meistens aus politischen Gründen erfolgte.

Opfergaben vom Martberg (Stiftsmuseum Treis-Karden, 2013)

Opfergaben vom Martberg (Stiftsmuseum Treis-Karden, 2013)

Der wichtigste Unterschied zwischen Germanen und Galliern liegt in ihrer Sprache und Kultur. Während wir heute diejenigen Stämme im linksrheinischen Raum als „gallisch“ betrachten, die eine keltische Sprache sprachen und deren Kultur eindeutig keltische Merkmale aufwies, gelten diejenigen Stämme als „germanisch“, die eine germanische Sprache sprachen und typisch germanische Kulturmerkmale aufwiesen. Eine Unterscheidung ist hierbei allerdings nicht immer möglich; es gab in den römischen Provinzen westlich des Rheins durchaus auch gallisch-germanische Mischstämme oder germanische Stämme, deren Herkunft zwar vor Generationen jenseits des Rheins zu verorten war, die aber in der Zwischenzeit „keltisiert“ worden waren und sich der sie umgebenden gallischen Kultur angepaßt hatten.

Caesar, der einer der „Hauptverursacher“ der gallisch-germanischen Verwirrung ist, unterscheidet in seinem „De Bello Gallico“ nicht nach diesen Merkmalen. Ganz im Gegenteil gilt hier die Devise: „Wer Germane ist, bestimme ich.“

So zählt er den Stamm der Eburonen, der in der nördlichen Eifel und den Ardennen bis zum Raum Brüssel ansässig war, zu den germanii„, jedoch deutet vieles darauf hin, daß es sich bei den Eburonen um Kelten gehandelt hat – ihre Personennamen, Ortsnamen wie Atuatuca, geografische Bezeichnungen, kulturelle Elemente wie die Eibe als heiliger Baum bis hin zu ihrem typisch keltischen Doppelkönigtum ihrer Könige Ambiorix und Catuvolcus, belegen ihre Zugehörigkeit zu den Galliern.

Die Gründung der Provinzen Germania superior und Germania inferior in Gallien war auch weniger der Tatsache geschuldet, daß dort vermeintliche Germanen lebten – auch hier siedelten überwiegend Kelten, neben den Germanen, die aus dem rechtsrheinischen Bereich ausgewandert waren -, sondern hatte rein politische Gründe. Gallien galt seit dem Sieg Caesars in Alesia als unterworfen und befriedet. Etwa eine Millionen Gallier gingen nach der Unterwerfung Galliens in die Sklaverei. Einen weiteren Teil Galliens zu erobern, barg wenig Prestige und löste in Rom nur müdes Schulterzucken aus.

Die Eburonen wurden von Caesar zu den

Die Eburonen wurden von Caesar zu den „Germanii“ gezählt, waren aber ein keltischer Volksstamm (Statue ihres Königs Ambiorix, Tongeren, 2014)

Wenn sich jedoch ein Feldherr politisch profilieren wollte, so mußte er mit Siegen triumphieren, die Eindruck machten. Seit der Niederlage im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. hatten die Germanen in Rom einen gewissen Nimbus als barbarische, wilde, unbezähmbare Kreaturen, die aus undurchdringlichen Wäldern stammten. Wer einen Germanenstamm bezwang oder gar Teile Germaniens befriedete, der konnte auf Anerkennung und Ansehen in Rom hoffen. Da man das rechtsrheinische Germania Magna nicht unterwerfen konnte, erklärte man die ufernahen Regionen links des Rheins kurzerhand ebenfalls zu „Germanien“. So konnte mit Fug und Recht vor dem Senat in Rom behauptet werden, Teile Germaniens wären nun unter römischer Kontrolle und zu loyalen Provinzen geworden. Wer als „Unterwerfer Germaniens“ nach Rom zurückkehrte, konnte sich des politischen Aufstiegs sicher sein.

Nicht zuletzt waren es die Einheimischen selbst, die sich die Gallier-Germanen-Politik der Römer politisch zunutze machten. Ein Beispiel ist wieder der (keltische) Stamm der Treverer, deren Mitglieder nach der Niederlage Galliens gerne verkündeten, „Germanen“ zu sein, einfach um sich von den anderen gallischen Stämmen, die von ihnen als „Schwächlinge“ betrachtet wurden, abzugrenzen. Ihre guten Kontakte über den Rhein taten dabei sicher ihr übriges. Dabei waren sie geradezu ein Musterbeispiel für „echte“ Kelten und gingen eindeutig auf die La Tène-Kultur zurück.

Erschwerend kommt hinzu, daß weder die Gallier noch die Germanen eine einheitliche, homogene Volksgruppe darstellten, sondern im Gegenteil aus zahlreichen Stämmen mit eigener Kultur und eigenen Dialekten bestanden. Caesar nahm die Einteilung der Stämme, mit denen er im Zuge des gallischen Kriegs zu tun hatte, sehr freizügig und aus politischem Kalkül vor (wie an seiner Unterscheidung zwischen Belgae, Aquitaniern, Galliern, Kelten und Germanii zu sehen ist – zum Beispiel bezeichnet er sowohl die Belgae als auch die Aquitanier als Gallier, unterscheidet beide jedoch von „Kelten“).

Rekonstruiertes Bergheiligtum auf dem Calmont an der Mosel (2013), ebenfalls ein typischer gallo-römischer Umgangstempel

Rekonstruiertes Bergheiligtum auf dem Calmont an der Mosel (2013), ebenfalls ein typischer gallo-römischer Umgangstempel

Begriffe wie „Römisches Germanien“ sind also mit großer Sorgfalt zu verwenden und sollten auf keinen Fall ethnografisch, geografisch oder linguistisch gewertet werden. Noch viel weniger sollte dieser Begriff mit dem „Römischen Teil Deutschlands“ oder gar dem kompletten Deutschland als „Germanien“ gleichgesetzt werden!

West- und Südwestdeutschland gehörten definitiv zu Gallien und waren von einer gallo-römischen Mischkultur geprägt. Daran änderten auch die Germanen nichts, die in diesem Bereich lebten, denn auch sie waren voll in diese Kultur integriert.

Was man heutzutage als die „typisch germanische Religion in Deutschland“ betrachtet, hat also nichts mit der Geschichte und Lebenswirklichkeit in den römischen Provinzen unseres Landes zu tun, in denen Germanen nur eine untergeordnete Rolle als Zuwanderer spielten.

Demzufolge ist die wahre vor-christliche Religion im römischen Deutschland der synkretistische Gallo-Römische Kult.

Auch die saarländische Villa Borg an der französisch-luxemburgischen Grenze gehörte wahrscheinlich romanisierten Einheimischen

Auch die saarländische Villa Borg an der französisch-luxemburgischen Grenze gehörte wahrscheinlich romanisierten Einheimischen

Dies gilt zumindest von der Zeitenwende bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts, als immer wieder Germanen über den Rhein drangen und die grenznahen Regionen entlang des Rheins bis hinein in die Eifel verwüsteten. Ab dieser Zeit ist dann auch ein Niedergang der gallo-römischen Kultur zu verzeichnen, da Landgüter, Industrieanlagen und Siedlungen aufgegeben werden mußten und nach mehrfacher Zerstörung nicht wieder aufgebaut wurden. Das hatte jedoch keine Ablösung der gallo-römischen Kultur durch eine germano-römische Kultur zur Folge, ganz im Gegenteil. Germanen wertschätzten weder Städte aus Stein noch ihre technischen Errungenschaften wie Bäder und Aquädukte. Wenn sie diese nicht zerstörten, so ließen sie sie verfallen.

Mit dem Beginn der Völkerwanderung und dem massiven Eindringen der Germanen in die linksrheinischen Gebiete war die Blütezeit der gallo-römischen Kultur endgültig vorüber. Religiöse Fragen spielten zu dieser Zeit, als sowohl bei den Römern wie auch bei den Germanen die Christianisierung Fuß zu fassen begann, auch keine Rolle mehr und Gedanken über synkretistische keltische, römische und germanische Religionen waren das kleinste Problem, das man zu dieser Zeit hatte.

Römischer Kult vor der Haustür

Die junge Dame aus Lateinamerika war begeistert, als sie lernte, daß das „Freie Germanien“ rechts des Rheins und das „Römische Germanien“ links des Rheins zwei unterschiedliche Welten waren, mit einer eigenen Kultur und einer eigenen Religion und man sich „Germany“ keineswegs vorzustellen hat als historisch homogenen, langweiligen Einheitsbrei voller wilder Germanen in primitiven Hütten.

Die Erkenntnis, daß ein authentischer, eigenständiger römischer Kult in den römischen Provinzen Deutschlands existierte, und die Tatsache, daß dieser Kult vor allem keltisch-synkretistisch war, wurde mit großem Interesse aufgenommen.

Da die gallo-römische Kultur und Religion ausgezeichnet dokumentiert ist und zahllose Schriftstücke sowie archäologische Zeugnisse hinterlassen hat, ist es ein leichtes, sich mit dieser „wahren“ Religion unserer Vorfahren zu beschäftigen und festzustellen, wie sie noch heute überall um uns herum präsent ist.

Unsere

Unsere „Ahnen“ im Südwesten Deutschlands: die Treverer

Cultores aus Deutschland, die sich mit der hier praktizierten Form der Römischen Religion beschäftigen möchten, seien unsere Reisetipps zu den antiken Stätten in der Eifel, an der Mosel, am Rhein und in Belgien und Luxemburg zu empfehlen, die wir laufend ergänzen.

Auch sind Besuche in den Rheinischen Landesmuseen Trier und Bonn, im Zentralmuseum in Mainz, im Römisch-Germanischen Museum in Köln und im Gallo-Romeins Museum in Tongeren wärmstens zu empfehlen, wenn man sich vor allem für die regionalen, lokalen Kulte und Götter in unserer Region interessiert. Sich mit einer authentischen Form des Cultus Deorum Romanorum zu beschäftigen, wie er vor 2000 Jahren direkt vor der eigenen Haustür praktiziert wurde, von den Menschen, die wie wir hier lebten, fernab von Rom, das die meisten hiesigen Einwohner nur vom Hörensagen kannten und nie mit eigenen Augen sahen, ist sehr spannend und fühlt sich einfach „rund“ und passend an. Und hat natürlich den unschlagbaren Vorteil, daß man Tempel und Kultstätten direkt vor der Tür hat, ohne ins ferne Rom pilgern zu müssen (was natürlich trotzdem das ultimative Ziel jedes Cultors heute wie damals ist).

Und wenn Euch bei einem Heidentreffen demnächst ein Germane von der Religion „unserer Vorfahren“ überzeugen will, dann weist ihn doch einmal darauf hin, daß Ihr bereits ihre Religion praktiziert – den römisch-gallischen Kultus der Menschen westlich des Rheins 😉


Artikel © Q. Albia Corvina, 01/2015

Artikel © Q. Albia Corvina, 01/2015


8 Kommentare

  1. Bastian sagt:

    Guten Tag Ludovicus

    Nun verstehe ich euch etwas besser. Mit den „großen“ Göttern meintet ihr spezifisch eben die großen Namen der skandinavischen Mythologie, welche sich in Asatrukreisen großer Beliebtheit erfreuen. Ihr müsst mir meine Dickköpfigkeit nachgeben, doch für mich ist es schon zur Selbstverständlichkeit geworden, dass man hinter „germanischen Mercurii“ eben Wodan VERMUTET (ob er’s denn auch ist, darüber kann auch ich nicht mit Sicherheit sprechen). Im Rahmen eures Artikels war es aber tatsächlich irrelevant.

    „Nun, falls es Dir nichts ausmacht, würde ich darüber gerne Näheres erfahren, im Moment kann ich mir nicht ganz vorstellen was Du damit genau meinst :)“

    Es freut mich, dass du danach fragst. Im Wesen ist es aber sehr unspektakulär.

    Ich schwankte in meiner Wahl des Heidentums doch immer sehr zwischen Hellenismos, Asatru und der Religio Romana. Einerseits ist man deutscher Muttersprachler, andererseits Träger der europäischen, griechisch-römisch geprägten abendländischen Kultur. Mit dem Wikingerkult, der mir in Asatru doch sehr dominant erscheint, kann ich teilweise wenig anfangen. Bei der Religio Romana empfand ich persönlich das Fehlen einer kontinuierlichen und breiteren Tradition eben als Hindernis. Allerdings kam ich durch den Laren- und Penatenkult der Römer schon dazu, vergleichbare Bräuche aus unserem Volksbrauchtum in einem anderen Licht zu sehen. Was dem Römer der Lar Familiaris ist, dass war den Menschen hierzulande bis vor relativ kurzer Zeit (doch sicherlich noch bis vor der Französischen Revolution) der Hausgeist, unter seinen verschiedenen Namen. Das mag vielleicht zunächst komisch erscheinen, da wir Kobolde und Heinzelmännchen und Wichtel als Märchenfiguren kennen, niemand allerdings auf die Idee käme, diese anzubeten. Obwohl ihnen der Überlieferung nach genauso Opfer dargebracht wurden, wie den Laren und Penaten.

    Und so fing ich einfach an, mich für das kontemporäre Heidentum (Volksglaube und Volksbrauchtum, zumeist aus der vorindustriellen Zeit) zu interessieren, das unterschwellig trotz Kirche und trotz Industrialisierung hie und da noch vertreten war bzw. ist. Sogesehen bin ich ein Folklorist oder ein folkloristischer Rekonstruktionist. Auf mich wirkt das alles irgendwie bekannter und vertrauter, und das ¨Schöne für mich dabei war, dass auch anderen Menschen, die sich gar nicht für Religion oder Tradition oder Heidentum interessieren, diese Dinge vertraut sind. Auf mich wirkte das eben ein wenig lockerer, als die meisten anderen rekonstruktionistischen Religionen (wobei ich NICHTS gegen diese habe, sonst wäre ich ja wohl nicht auf dieser Site).

    Konkret schließt diese Spielart des Heidentums, um es mit antiken Worten zu sagen, die Verehrung verschiedener Genien, Laren, Penaten und Nymphen zu bestimmten Zeiten im Jahr ein und dann, zur Wintersonnenwende hat man eben dafür zu sorgen, dass das Haus ordentlich und geputzt ist und dass man quasi mit allem im Reinen ist, denn dann verlassen die „großen“ Götter ihre heiligen Berge um sich unter die Sterblichen zu begeben und kann man ihr Wohlwollen, ihre Huld erlangen. Eine einfache, fast schon kindliche Religionsauffassung, das gebe ich gern zu. Doch mir gefällt’s und es wirkt alles eben sehr bekannt.

    Nach wie vor interessiere ich mich auch für andere heidnische Traditionen, daher gefällt mir eure Seite auch so gut, und Teilnahme an einem Opferfest zu Ehren der Götter würde mir sehr gefallen, ganz gleich wie diese Götter heißen und mit welchen Sitten und Gebräuchen sie verehrt werden.

    Gruß
    Bastian

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    • Danke Bastian für Deine interessante Erklärung. Nun ich denke, da ist wenig ‚Komisches‘ dran, wie Du für Dich selbst Deine eigene Spiritualität definierst. Der Laren- und Penatenkult ist ja in der Tat genau das, was man überall unter den diversen Manifestationen der Hausgeister kennt. Ob ich so eine Präsenz nun Lar familiaris oder Kobold nenne (dessen „Name“ von der Wortbedeutung her ja noch recht eindeutig in diese Richtung weist, als „der im Koben waltende“, also der, der das Gehöft, das Haus, den Stall etc. behütet), bleibt sich letztlich gleich. Ich würde zwar nicht sagen, man betet diese Wesen an, sondern man lebt letztlich mit ihnen und respektiert sie, akzeptiert über die Opfer ihre Rolle und Präsenz, aber natürlich beschreiben diese Begriffe, die wir aus unserer lokalen folkloristischen Tradition kennen, das was die Religio Romana auch kennt. Wenn sich das für Dich natürlicher anfühlt, sehe ich da keinen Grund, das nicht in die eigene Praxis zu integrieren 🙂

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  2. Bastian sagt:

    Hallo,
    auch ich finde diesen Artikel sehr gelungen. Nur den Satz „Übrigens fanden auch einige germanische Gottheiten Einzug in den gallo-römischen Pantheon, jedoch handelt es sich dabei niemals um die “großen” germanischen Götter.“ halte ich für ein wenig undifferenziert. Gerade die Erwähnung von Herkules (Magusanus, Saxanus) und Merkur (Channinus, Cimbrianus) veranlasst Historiker, Archäologen und Sprachwissenschaftler dazu, und auch auf Grund der späteren germanischen Benennung der Wochentage nach römischen Beispiel, anzunehmen, dass hinter diesen römischen Namen die „großen“ Germanengötter“ Donar (Thor) und Wodan (Odin) stecken. Donar wird aufgrund seiner Kraft und seines Attributs (Keule/Hammer) mit Herkules verglichen, aufgrund seiner Funktion als Donnerer mit Jupiter. Ob Merkur und Wodan tatsächlich miteinander identifiziert wurden, steht nicht fest, ist aber eine gängig vertretene Annahme. So könnte Mercurius Chanininus „Hessischer Wodan“ oder „Wodan der Hessen“ bedeuten (wenn man es anachronistisch ins Neuhochdeutsche übersetzt). Ein weiterer Indiz für die Gleichung Merkur-Wodan und Jupiter-Donar wäre ein Bericht des Bischofs Bonifatius im 8. Jh. an den damaligen Pabst, in welchem der Bischof sich darüber beschwerte, dass man im Nordhessen wieder zur Verehrung des Merkurs und des Jupiters überging. Ich räume ein, dass das ebenso wenig ein Beweis dafür ist, ob die alten Römer diese Identifizierung auch machten oder ob sich hinter Merkur Cimbrianus oder Herkules Magusanus tatsächlich Wodan oder Donar „verbargen“, doch ich fand es ein wenig seltsam, dass ihr das nicht erwähnt hattet. Denn verzeiht mir, wenn ich so offen bin, doch ein Weihealtar mit Mercurius-Loki oder Jupiter-Thor wäre aus dem Grund schon unsinnig, dass erstere Gottheit so in Kontinentalgermanien wohl nicht vorkam, und letzterer bei den Kontinentalgermanen noch den vollständigen zweisilbigen Namen trug (entweder Donar, Thunar, Thunor oder Tonger(Friesisch)). ‚Thor‘ ist aus ‚Donar‘ entstanden, nicht andersrum. Was mich auch wundert, ist dass ihr Mars Thingsus gar nicht erwähnt habt. Der „dritte germanische Gott im Bunde“ war die Gottheit, die Tiu, Ziu, Tiwaz oder Tyr genannt wurde, welche etymologisch zwar Zeus und Jupiter entspricht, offenbar allerdings mit Mars gleichgestellt wurde (wobei zu berücksichtigen ist, dass Mars viel mehr als nur Kriegsgott war. Ich betrachte ihn als den römischen Stammesgott). Und bei Mars Thingsus vermutet man zumeist die Gottheit Tiu oder Tyr. Wie gesagt, es sind alles nur Vermutungen, aber für eine vollständige Antwort doch erwähnenswert, oder? Desweiteren könnte die auf einem Weihestein erwähnte germanische Göttin Hludana eine Erdgöttin sein, die in den nordgermanischen Dichtungen als Hlodyn auftritt, eine der Namen für Thors Mutter. Aber gut, dieser Stein wurde wohl auch nicht in Germania Superior gefunden. Der Thingsusstein wohl auch nicht, und die Frage war ja, wie es in gerade im römischen Teil Deutschlands aussah.
    Trotzdem finde ich diesen Artikel und Blog sehr toll und bin froh, ihn gefunden zu haben.
    Gruß

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    • Bastian sagt:

      Ein kleiner Fehler bei mir: „Channinus“ wäre wohl nicht das Adjektiv der Chatten sondern der Kannefaten oder Channefaten. Sorry :s

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      • Salve Bastian,

        Es freut uns sehr, daß Dir unser Blog gefällt!

        Vielen Dank für Deine ausführlichen Anmerkungen. Auf einige davon möchte ich kurz eingehen.

        Die Erwähnung von Weihealtären für Loki-Mercurius und Jupiter-Thor war natürlich nicht ganz ernst gemeint, sondern bezog sich eher auf die momentan im neuheidnischen Bereich stark um sich greifende, ahistorische Verehrung von Loki (die vor allem seit den Avengers-Filmen inflationär zuzunehmen scheint). Zu Recht findest Du diese Kombinationen unsinnig, erst recht im südgermanischen Raum. 😉

        Bezüglich Deiner Bemerkung, unser Satz „Übrigens fanden auch einige germanische Gottheiten Einzug in den gallo-römischen Pantheon, jedoch handelt es sich dabei niemals um die “großen” germanischen Götter“ wäre undifferenziert, muß man bedenken, worum es in diesem Artikel geht. Es ist kein Artikel zum Thema „Germanische Götter in der Interpretatio Romana“, sondern es geht um den gallo-römischen Cultus im linksrheinischen Germanien.

        Es gibt für uns deshalb überhaupt keine Veranlassung (und es würde den Rahmen dieses Artikels vollkommen sprengen und wäre zudem völlig off-topic), wenn wir darüber philosophieren oder diverse Quellen analysieren, ob dieser oder jener germanische Gott möglicherweise mit einem der „großen“ germanischen Götter gleichgesetzt werden könnte, sollte oder wurde. Natürlich kennen wir auch die diversen Abhandlungen zum Thema (wie „der Merkus-Wodan-Komplex“ von Gardenstone oder die Arbeiten von Simek), aber wir sind weder keltische noch germanische Heiden, sondern römische Cultores. Wir sehen deswegen weder eine Notwendigkeit, jede gallische Lokalgottheit auf Teutates zurückzuführen, noch darüber zu sinnieren, ob dieser oder jener germanische Gott möglicherweise ein Aspekt von Donar oder Wodan gewesen sein mag.

        Die Interpretatio Romana, also die Gleichsetzung „fremder“ Götter mit römischen Göttern, ist eine originär römische Angelegenheit, die in einem riesigen, kontinentumspannenden Vielvölkerstaat Sinn macht, um den Religionsfrieden zu wahren und einen einheitlichen Leitfaden zu schaffen und generell der Eigenart der Römer zuzuschreiben ist, die Welt zu regeln und in geordneten Schemata zu erfassen – auch darin, wie in so vielen anderen Dingen, zeigt sich ihre „moderne“ Weltsicht basierend auf Struktur und Ordnung.

        Germanen hingegen waren in ihren Sippen und Stämmen lokal organisiert und orientiert, so daß ich bei ihnen nicht die Notwendigkeit (oder möglicherweise auch nur den Wunsch) sehe, „ihren“ Lokalgott oder Stammesgott mit einem römischen Gott oder einem der „großen“ germanischen Götter zu identifizieren. Genausowenig war eine Notwendigkeit für den Gallier in vorrömischer Zeit gegeben, sich die Frage zu stellen, ob der sehr lokale Gott des Ackerbaus und der Landwirtschaft, Intarabus, nun eher ein Aspekt von Mars oder von Silvanus darstellt und mit wem er gleichgesetzt werden sollte. Geschweige denn, sich die Frage zu stellen, ob man ihn nur Intarabus nennt, er aber in Wirklichkeit der große Teutates ist.
        Man war lokal recht zufrieden mit seinen eigenen Sippen- und Stammesgöttern und als einfache Bauern oder Handwerker erging man sich nicht in theologisch-theoretischen Grundsatzdiskussionen von Gleichsetzungen und Interpretationen – das ist eher eine moderne Überlegung, die wir vor allem bei germanischen Heiden heute beobachten, die nahezu händeringend Beweise dafür suchen, daß im kontinentalen Germanien auch die Götter, die sie aus dem skandinavischen Raum importiert haben, verehrt wurden und so eine einheitliche „germanische Religion“ aus dem Dunkel der Geschichte tritt und hilft „das Germanentum“ zu definieren.

        Das über die Interpretatio Romana zu machen, die ein römisches (und darüberhinaus nicht einmal sonderlich exaktes) Werkzeug ist, um den römischen Pantheon zu regulieren, geht meiner Meinung nach an der Lebenswirklichkeit des einfachen germanischen Menschen in Südgermanien vorbei. Sie hatten überhaupt keinen Grund dazu, ihren lokalen Gott umzudeuten oder über den Umweg „römische Götter“ eine germanischen Lokalgott einer germanischen Hauptgottheit zuzuordnen.
        Der keltische Gott Intarabus war einfach Intarabus, an den man sich zur Ernte und in Trockenzeiten wandte. Erst als die Römer Gallien besiedelten, sahen diese für sich die Notwendigkeit, daraus Mars-Intarabus zu machen, um sich seine Funktion zu erklären, wobei hier – bei diesem absolut lokalen gallischen Gott – schon eine große Unschärfe in der Gleichsetzung offensichtlich wird. Denn er wird nicht mit dem kriegerischen Aspekt des Mars gleichgesetzt, sondern mit dem landwirtschaftlichen Aspekt als Schützer der Felder, der wiederum ein Aspekt des älteren originär römischen Silvanus ist, der ebenfalls zum Teil in Mars eingeflossen ist.
        Für weiterführende Informationen zum Thema „Interpretatio Romana“ möchten wir Dir auch gerne unseren Artikel „Interpretatio Romana – Identifikation römischer Götter mit einheimischen Göttern“ empfehlen: https://incipesapereaude.wordpress.com/2014/08/20/die-interpretatio-romana-identifikation-fremder-gotter-mit-romischen-gottern/

        Derartige Gleichsetzungen im römischen Teil Germaniens zu treffen, ist aus römischer Sicht schon ein komplexes Thema; eine Notwendigkeit, irgendwelche lokalen germanischen Götter zu „großen“ germanischen Götter hochzustilisieren, anstatt sich darüber zu freuen, daß man immer noch Namen und möglicherweise sogar Funktionen lokaler germanischer Gottheiten kennt, die durch römische Weiheinschriften erhalten geblieben sind und ihnen dadurch quasi ihre Eigenständigkeit und Existenzberechtigung als Gottheiten mit lokaler Bedeutung abzusprechen, überlassen wir deshalb den germanischen Heiden, das ist weder unsere Aufgabe noch steht die Deutung germanischer Götter im Fokus unserer religiöser Praxis des Cultus Deorum Romanorum.

        Wir beziehen uns in unserem Artikel explizit auf die gallo-römische Religion und in dieser ist es tatsächlich so, daß uns die Namen lokaler germanischer Götter überliefert sind – wie die erwähnten Magusanus, Saxanus oder Cimbrianus. Wir beziehen uns dabei auf Quellen wie Weihesteine und Reliefs und können deshalb aus rekonstruktionistischer Sicht guten Gewissens erst einmal nur die Aussage treffen: „Im linksrheinischen, römischen Germanien wurden germanische Götter in die gallo-römische Religion integriert. Dabei wurde Saxanus als Herkules-Saxanus angesprochen, wie wir von Weihesteinen aus dem Brohltal wissen“.
        Ob Herkules-Saxanus nach germanischer Interpretation nun eine Personifikation von Donar ist, weil Donar aufgrund seiner Attribute mit Herkules gleichgesetzt werden könnte, ist eine akademische und theoretische Überlegung und Interpretation, die in diesem Artikel definitiv nichts verloren hat – es ist weder für den gallo-römischen Cultus von Interesse, wie Germanen möglicherweise Saxanus über den Herkules-Umweg deuten, noch kommt es über den spekulativen Ansatz oder die Diskussion hinaus, wer sich hinter wem „verbergen“ mag. Und, wie bereits erwähnt, sind wir mit den Lokalgöttern, wie sie uns überliefert sind, vollkommen zufrieden und brauchen keine Deutung, als was man sie im germanischen Heidentum noch sehen könnte.

        Bezüglich Deiner Verwunderung, daß wir Mars-Thingsus nicht erwähnen – daran ist eigentlich gar nichts verwunderlich. Unser Artikel handelt vom gallo-römischen Cultus im römischen Germanien (sprich, der heutigen linksrheinischen Region zwischen Rhein, Eifel, Mosel und Ardennen). Abgesehen davon, daß dort keltische Götter dominieren und wir germanische Götter vorwiegend nur entlang des Rheins finden, gibt es keinen Grund, warum wir eine friesische Gottheit, die uns aus Weiheinschriften germanischer Auxiliare vom Hadrianswall in Britannien bekannt ist, in diesem Artikel erwähnen sollten – daß Tyr neben Donar und Wodan der „dritte Große im Bunde“ ist, ist für das Thema dieses Artikels und unsere Lebenswirklichkeit als römische Heiden nicht relevant.
        Weihesteine für Mars-Thingsus sind vom gallo-römischen Festland nicht bekannt, sondern der Gott wurde von germanischen Auxiliarsoldaten, die in großer Zahl am Hadrianswall stationiert waren, mit in den Norden genommen. Insofern handelt es sich bei diesem Gott um eine friesische Lokalgottheit, die von den romanisierten Soldaten nach römischem Brauch in der Interpretatio Romana mit dem ihnen nahestehenden Kriegsgott Mars gleichgesetzt wurde. Ob sie dabei „insgeheim“ Tyr meinten – das ist aus unserer (römisch-heidnischen) Sicht vollkommen unwichtig, genau wie spekulative Überlegungen, wie sie z.B. Rudolf Simek anstellt, ob Mars-Thingsus möglicherweise mit Mars-Halamardus aus dem niederländischen Raum vergleichbar ist. Das mag als religionswissenschaftliche Überlegung interessant sein, dieser Faden scheint aus unserer Sicht aber eher deswegen von modernen Germanen aufgenommen zu werden, um die überlieferten Lokalgötter in die grossen bekannten Göttergestalten umzudeuten, damit eben die bereits erwähnte einheitliche Struktur der germanischen Religion, die für sie so wichtig ist (und die es wohl so nie gegeben hat) aufrechterhalten werden kann. Wir hingegen finden es historisch akkurater und angemessener, ihnen „ihren eigenen Platz“ in der Geschichte und Überlieferung einzuräumen – etwa als interessante, eigenständische, friesische Lokalgottheit, die für die dort ansässigen Sippen eine wichtige Rolle spielte.

        Abgesehen davon, wäre ein friesischer Gott, der aus Nordbritannien überliefert ist, völlig off-topic in diesem Artikel. Der Hadrianswall ist ebenfalls ein äußerst interessantes Thema, genau wie Britannien selbst, aber eben nicht Inhalt dieses Artikels zum gallo-römischen Germanien.

        Vier der fünf Weihesteine für Dea Hludana stammen hingegen tatsächlich aus Germania inferior, sie wurden am Niederrhein im Raum Xanten – Nijmegen – Kalkar gefunden. Einer wurde im Eifelraum in Iversheim bei Bad Münstereifel gefunden, deshalb kann sie sehr wohl zum gallo-römischen Cultus gerechnet werden, zumal sie sogar einen größeren Verbreitungsraum hatte. Insofern ist diese Göttin eine, die durchaus in dem Artikel Erwähnung finden könnte.
        Nun ist unsere Aufzählung germanischer Lokalgottheiten natürlich auch nicht vollständig, es ging ja nicht darum, ein erschöpfendes Nachschlagewerk zu verfassen, sondern sie sind nur als Ganzes erwähnt, um darauf hinzuweisen, daß der gallo-römische Kult nicht nur gallische, sondern auch germanische Lokalgottheiten einschließt. Dea Hludana hat hier aber sicher mehr zu suchen als Thingsus.
        Ob sie gleichzusetzen ist mit Thors Mutter Hlodyn? Das ist eine moderne, eher für germanische Heiden interessante Überlegung, die aus römisch-rekonstruktionistischer Sicht keine Rolle spielt.

        Weitere Kommentare sind gerne willkommen, es ist für uns auch immer interessant, wie unsere Themen aus „anderen Blickwinkeln“ betrachtet werden.

        Wir wünschen Dir weiterhin viel Inspiration in unserem Blog!

        Vale optime!

        Q. Albia Corvina

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        • Bastian sagt:

          Guten Abend,

          Danke für die ausführliche Antwort ^^.

          Was den Satz angeht: da es nicht zu beweisen ist, ob mit dem kimbrischen Merkur nun Wodan gemeint ist oder nicht, fand ich es einfach irreführend, zu behaupten, es gäbe keine Spuren der „großen“ germanischen Götter in diesem Teil des römischen Reichs. Groß darüber ausweiten wäre in der Tat nicht nötig gewesen. Bloß Erwähnung in Klammern und mit Fragezeichen hinter dem römischen Namen. Denn einen Gott mit Namen Cimbrianus oder Saxanus werden die Germanen in ihrer Muttersprache bestimmt nicht gekannt haben. Das waren doch Adjektive zur näheren Ausführung. Manchmal denke ich, die Polytheisten (ob nun Römer oder sonst welche) waren noch polytheistischer, als wir annahmen und dass mit „Mercurius Cimbrianus“ zum Beispiel nicht ein Aspekt des Mercurius, der bei diesen Menschen verehrt wurde, gemeint ist, sondern wirklich eine eigenständige Gottheit vom Göttertyp „Mercurius“ eben.

          Ich selbst bin übrigens kein Asatruar. Das meiste Wissen über Heidentum beziehe ich aus dem, was ich über die alte Religion der Römer gelesen habe. Zum Cultor hat es aber nicht gereicht. Problem war die Tradition. Das merkte ich, als ich mich vor einigen Jahren in den Laren- und Penatenkult, den Hauskult der Römer eben, vertieft habe. Vor allem wegen dem, was der Dichter Tibull dazu geschrieben hatte. Der Kult dieser Hausgötter erinnerte mich doch ungemein an kultische Praktiken, die vor nicht so langer Zeit auch noch im agrarischen Europa und in Deutschland existierten (also doch bestimmt noch bis vor 100-200 Jahren). Da ging mir einfach auf, dass mir zum römische Hauskult, der was sehr persönliches ist, einfach der traditionelle Bezug fehlte, ich jedoch einen vergleichbaren Kult in der eigenen folkloristischen Tradition hatte. Und seither bilden eher örtliches Brauchtum und örtlicher Volksglauben die Grundlagen meiner Religion.

          Trotzdem gefällt mir die römische Kultur ungemein und finde ich es schon „schick“ wenn man sagen kann, bei den alten Deutschen wurden vor allem Merkur, Jupiter und Venus (Frîja) verehrt, auch wenn das nicht zu 100% der Wahrheit entspricht, aber als deutschsprachiger und -stämmiger Heide von Heute, in dieser von der römisch-griechischen Kultur beeinflussten Welt, finde ich das eine logische Entwicklung. Aber gut, das schweift ein wenig ab 😮

          Gruß
          Bastian

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          • Salve Bastian,

            „Was den Satz angeht: da es nicht zu beweisen ist, ob mit dem kimbrischen Merkur nun Wodan gemeint ist oder nicht, fand ich es einfach irreführend, zu behaupten, es gäbe keine Spuren der “großen” germanischen Götter in diesem Teil des römischen Reichs. Groß darüber ausweiten wäre in der Tat nicht nötig gewesen. Bloß Erwähnung in Klammern und mit Fragezeichen hinter dem römischen Namen“

            Nun, wie Corvina ja versucht hat deutlich zu machen, ist der eigentliche Artikel aus der Intention heraus entstanden, eine differenziertere Darstellung der kulturellen und religiösen Gegebenheiten im römisch beeinflussten Germanien zu geben. Eben vor dem Hintergrund, das in Diskussionen immer wieder „Germanien“ als eine kulturell homogene Fläche erscheint und auch schlicht mit „Germany“ gleichgesetzt wird. Das dies weder der Wirklichkeit entsprach, noch sonderlich hilfreich ist, wenn man sich bestimmten historischen Sachfragen im Einzelnen widmen möchte, war dabei der Aufhänger.

            Wenn Du sagst, Du siehst da doch „Spuren der grossen germanischen Götter“ im römischen Teil Germaniens, dann drängt sich mir der Verdacht auf, daß Du in diese kleinen Hinweise, die es gibt, doch mehr hineindeuten möchtest, als diese Spuren hergeben. Es bleibt unterm Strich festzuhalten, das wir generell über die südgermanischen Götter wenig bis nichts sagen können, eine kontinentalgermanische Mythologie ist allenfalls in extrem fragmentarischer Form fassbar. Hier jetzt spekulativ – und es ist nichts anderes als reine Spekulation, oft sogar ziemlich weit hergeholt – aus Namen, die auf eine Bügelfibel geschrieben wurden, in kurzer Erwähnung eines Zauberspruchs auftauchen, Teil einer Sage sind etc. Bezüge für einen grösseren mythologischen Rahmen zu stricken, mag für eine religionswissenschaftliche Debatte interessant sein (ob es inhaltlich fruchtbar ist, bleibt eine andere Frage), aber sie bietet kein Gerüst, um darauf für heutige pagane Praxis aufzubauen.

            Rekonstruktionismus heißt eben nicht nur sich an den historischen Quellen zu orientieren, soweit möglich, sondern auch, dort wo die Quellen keine verlässliche Information mehr geben oder gar völlig schweigen, so dass keine Rekonstruktion mehr möglich ist, das auch so hinzunehmen. Der Artikel wollte demnach nicht nur eine überfällige Differenzierung in die allgemein bekannte Diskussion einbringen, sondern auch unseren Fokus auf die lokale gallo-römische Tradition betonen – eben als ein Beispiel für die Relevanz von Örtlichkeit, von lokaler Manifestation religiösen Lebens und Erlebens.

            Deswegen bleibt es dabei, daß wir im Kontext der Fragestellung des Artikels für die „grossen germanischen Götter“ (schon eine Formulierung, welche eine homogene germanische Religion postuliert, die man dann im nachhinein erst belegen muss), also im Grunde die skandinavischen Gottheiten, die man gerne für den gesamtgermanischen Raum generell unterstellen möchte, keine Belege haben. Die Gleichsetzung etwa von Wodan mit dem römischen Merkur, wobei ersterer wiederum als südgermanische Entsprechung zu Odin aufgefasst wird, suggeriert eine belastbare Quellenlage, die es so nicht gibt. Schon die Gleichsetzung von Odin mit Wodan ist problematisch, worauf ja schon Otto Höffler hingewiesen hat. Der von Tacitus als Merkur bezeichnete „wichtigste Gott der Germanen“ ist aus dem, was wir an Quellen haben, nicht so einfach als Wodan zu identifizieren, auch wenn das oft so dargestellt wird. Für die Gebiete innerhalb des römischen Reiches in denen Germanen siedelten, also bis zur Limesgrenze, finden sich keine Hinweise für einen Wodankult oder einen Gott mit diesem Namen.

            Jetzt einfach unter Rückgriff auf Tacitus in jedem Merkur Weihestein einen solchen Wodankult zu vermuten, ist in meinen Augen nicht akzeptabel. Ich kann beim besten Willen keinen Grund finden, jetzt Mercurius Cimbrianus einfach frei als „Wodan der Kimbern“ zu übersetzen, wie das an mancher Stelle getan wird, nur weil die einfache Gleichung aufgemacht wird Mercurius = Wodan (selbst Rudolf Simek, den ich sonst sehr schätze und bei dem ich auch einige interessante Seminare besuchen konnte zu meiner Studienzeit, setzt das einfach voraus, wenn er schreibt, das immer dann wenn ein Germane einen germanischen Beinamen zu Mercurius setzt, er nicht Merkur sondern Wodan meint). Wegen dieser Quellenlage, die einfach solche konkreten Zuordnungen nicht stützt, macht es auch keinen Sinn in einem solchen Artikel, wie dem, den wir hier diskutieren, irgendwelche spekulativen Hypothesen in Klammern mit anzuführen. Das macht für Mercurius Cimbrianus keinen Sinn, aber auch für andere Gottheiten, die wir aus dem gallo-römischen Raum kennen, wie etwa Hercules Magusanus. Hier ist noch nicht einmal klar, ob es sich um einen germanischen oder keltischen Gott handelt, denn diejenigen, die die Weihesteine in Auftrag gaben, waren allesamt Germanen, der Name selber ist wohl eine latinisierte Form einer keltischen Bezeichnung („Magusanos“ – was vielleicht soviel heißt wie „der vom Feld“), wenngleich andere auch eine Ableitung von germanisch *mag (können) für möglich halten. Wir wissen er war der Hauptgott der Bataver, eines romtreuen germanischen Stammes, aber diese Unsicherheit, was den germanisch/keltischen Namen angeht, bleibt. Hier jetzt einfach wieder zu postulieren Hercules Magusanus war „eigentlich“ der germanische Donar (einfach weil beide Götter als herausragendes Merkmal Stärke und Kraft haben) und der ist ja wiederum ganz klar der nordgermanische Thor, das führt uns wieder auf diesen schlammigen Pfad jenseits der Quellen der als Ziel „die germanischen Religion und Mythologie“ hat, um ein einheitliches germanisches Volksbild von Island bis nach Sachsen zu malen.

            „Denn einen Gott mit Namen Cimbrianus oder Saxanus werden die Germanen in ihrer Muttersprache bestimmt nicht gekannt haben. Das waren doch Adjektive zur näheren Ausführung.“

            Es wird immer auf den Einzelfall ankommen. Saxanus etwa kann man durchaus adjektivisch zu lat.: saxum (Fels) deuten, was Sinn macht, da auch die Gottheiten, bei denen dieser Namenszusatz auftaucht – Hercules und Silvanus – in Steinbrüchen verehrt wurden. Cimbrianus hingegen dürfte eine latinisierte Form eines einheimischen Names sein, denn Caesar berichtet z.B. das die Sueben einen Anführer dieses Namens hatten – was er als Cimberius/Cimbrius wiedergibt. Der germanische Name war dann wohl Cimbrio, oder Cimbriano. Man kann also davon ausgehen, das den Germanen sehr wohl ein Gott unter diesem Namen bekannt sein konnte. Und es gibt ja auch durchaus Weihesteine, die nur den einheimischen Namen erwähnen, ohne einen lateinischen Zusatz, wie etwa die von Dir schon erwähnte Göttin Hludana. Es bleibt aber natürlich immer eine Unschärfe bei solchen Deutungen, denn man kann etwa Cimbrianus auch einfach ableiten vom Namen für den Stamm der Kimbern.

            Ein konkreteres Beispiel für Bezeichnungen aus der einheimischen Sprache, die Teil einer solchen Weiheinschrift sind, wären z.B. die Matronen. Die Matronae Fachinehae etwa werden zurückgeführt auf das germanischen Wort Fahena (froh) oder auch auf eine mögliche Ortschaft namens Faciniacum. Aber egal wo der Name dieser Matronen nun herkommt, er ist definitiv germanisch, man hat auf solchen den Matronen gewidmeten Weihesteinen ein Sonderzeichen entdeckt, das nicht dem lateinischen Alphabet entstammt, den so genannten aspirierten Velar, der einen spezifischen Laut wiedergibt. Man konnte also ein germanisches Wort nicht alleine mit den lateinischen Buchstaben wiedergeben und fügte dieses Zeichen deshalb ein.

            „Manchmal denke ich, die Polytheisten (ob nun Römer oder sonst welche) waren noch polytheistischer, als wir annahmen und dass mit “Mercurius Cimbrianus” zum Beispiel nicht ein Aspekt des Mercurius, der bei diesen Menschen verehrt wurde, gemeint ist, sondern wirklich eine eigenständige Gottheit vom Göttertyp “Mercurius” eben.“

            Der Gedanke ist sicherlich nicht verkehrt und wenn Du Dir unseren Artikel zur Interpretatio Romana durchliest, wirst Du feststellen, das wir ebenfalls der Meinung sind, das dieses Instrument, welches die Römer zur Einordnung fremder Götter in ihre Religion nutzten, ein oft sehr grobes war, weil man sich auf bestimmte herausragende Merkmale einer Gottheit konzentrierte, um diese Identifikation mit römischen Gottheiten vorzunehmen. Die paganen Religionen, welche grundsätzlich weltimmanente Gottheiten postulieren, die eben nicht jenseits unserer Welt zu verorten sind und in diese hineinwirken, sondern Teil dieser Welt sind und in ihr wirken, tendieren dabei oft zu einem recht lokalen Verständnis einer göttlichen Kraft. Gerade auch aus diesem Grundverständnis heraus, sind wir eher geneigt, die diversen lokal bekannten Gottheiten als Präsenzen zu verstehen, die sich in einem bestimmten Areal manifestieren, einen spezifischen Ort beseelen – sozusagen als Genius loci.

            Bestes Beispiel ist Lenus-Mars. Dieser im Gebiet der Treverer verehrte Gott war von grosser Bedeutung für die in dieser Gegend lebenden Menschen, er hatte ein grosses Einzugsgebiet, aber sein Haupttempel befand sich auf dem Martberg. Er wurde genauso dargestellt wie Mars, war aber neben seiner Funktion als Stammesgott der Treverer, in der er sicher auch eine wehrhafte Schutzfunktion ausübte, vor allem ein Heilgott.
            Als der Kontakt zu den Römern zustande kam, erkannten beide Seiten ihren Gott in der Darstellung des jeweils anderen, zumal auch Mars im römischen Verständnis nicht nur Kriegsgott war. Die Darstellung des Mars mit Schild und Speer, als zum Krieg gerüstet spiegelte sich in der Darstellung des Lenus, wobei bei letzterem aber all dies zur Abwehr von Unheil und Krankheit gedeutet wurde, was absolut Sinn macht und eine kraftvolle Symbolik enthält. Insofern war es leicht den einen Gott gespiegelt im anderen zu sehen, wobei bestimmte Schwerpunkte ihres Wirkens eben hervorgehoben wurden. Es fällt aber auf, daß in seinem Fall die keltische Bezeichnung vor der römischen Entsprechung genannt wird, sonst ist das immer andersherum der Fall. Das mag darauf hinweisen, daß im Verständnis der Treverer Lenus eigener Charakter auch in dieser Symbiose mit dem römischen Gott bestimmend blieb und er als eigenständige Gottheit wahrgenommen wurde, was sie dadurch unterstreichen wollten. Das können wir nicht mit Bestimmtheit sagen und wenn der römische Name vor dem einheimischen steht, mag das römische Tradition sein, die von den Einheimischen angenommen wurde und spricht nicht zwingend gegen diese Idee der Eigenständigkeit auch anderer lokaler Gottheiten, aber wenn man sich im Tempel auf dem Martberg aufhält, dann ist dort immer noch eine machtvolle Präsenz zu spüren.

            Für mich persönlich hat dieser Gott eine besondere Bedeutung, er gehört zu meinen Penaten und ich sehe in ihm sehr wohl eine Manifestation einer bestimmten Gegend, das Zentrum seiner Kraft dabei immer noch sein alter (heute neu aufgebauter) Tempel. Insofern tritt für mich die Identifikation mit Mars zurück, wobei man sicherlich diskutieren kann, ob dies nun dieselbe Kraft ist, die dort auf dem Martberg manifest ist, wie auch an Orten wo der römische Mars verehrt wurde, oder ob es eine eigenständige Präsenz ist, die der anderen wesensverwandt ist. Letztendlich sind das Debatten die man zwar führen kann, die aber ausschließlich zur Definition der „persönlichen Theologie“ dienen – die Religio Romana lässt jedem Cultor die Freiheit sich solche Gedanken zu machen und sich selbst eine Meinung darüber zu bilden, an der Wirklichkeit der Manifestation dieser Präsenz, egal wo sie erfahren wird, ändert sich dadurch nichts. Auch ist so eine Gottheit nicht an ihren Ort gebunden, selbst wenn man ihre Präsenz an einem solchen besonders stark verortet, Lenus-Mars wurde selbst in Britannien verehrt, wohl durch dort stationierte treverische Auxiliareinheiten, die sich dennoch an ihren Gott aus der Heimat wandten.

            „Da ging mir einfach auf, dass mir zum römische Hauskult, der was sehr persönliches ist, einfach der traditionelle Bezug fehlte, ich jedoch einen vergleichbaren Kult in der eigenen folkloristischen Tradition hatte. Und seither bilden eher örtliches Brauchtum und örtlicher Volksglauben die Grundlagen meiner Religion.“

            Nun, falls es Dir nichts ausmacht, würde ich darüber gerne Näheres erfahren, im Moment kann ich mir nicht ganz vorstellen was Du damit genau meinst 🙂

            Vale!

            Ludovicus

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  3. Ausgesprochen guter Artikel!

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