Nicht immer ist bei einer im Deutschen gängigen Redewendung auf den ersten Blick zu erkennen, daß diese eigentlich aus dem Lateinischen stammt.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der Ausdruck „unter aller Kanone“ für eine besonders schlechte Leistung. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich hierbei aus einer Redewendung aus dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit handelt, denn schließlich hatten die Römer noch keine Kanonen, die in Deutschland erst im 14. Jahrhundert weitere Verbreitung fanden.
Tatsächlich handelt es sich bei der Redewendung jedoch um eine (absichtliche) „Fehlübersetzung“ oder ein Sprachspiel aus dem 19. Jahrhundert.
Im Lateinischen gibt es den verbreiteten Ausdruck „sub omni canone“ – „unterhalb jeden Maßstabes“ (auch der Plural „sub omnibus canonibus“ ist üblich). Dieser Begriff wird auch heute noch in akademischen Kreisen zur Bewertung einer Dissertation verwendet, wenn diese nicht den Anforderungen genügt. Der lateinische Begriff „canon“ stammt aus dem Griechischen („kanon“, κανών), was dort „Maßstab“ bedeutet und von einer ehemaligen Längeneinheit herrührt, die mit einem Rohrstock gemessen wurde.
Diese Redewendung blieb in akademischen Kreisen bis in die Neuzeit erhalten und wurde im 19. Jahrhundert dort von Studenten scherzhaft aufgrund des gleichlautenden Klanges mit „unter aller Kanone“ übersetzt. Diese Verballhornung fand so großen Anklang, daß sie sich bis heute im Volksmund – und weit über akademische Kreise hinaus – als Ausdruck für eine schlechte Leistung erhalten hat.